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Gedichte 3
 

König und Königin
Liedeswechsel
Die Witwe auf dem Kirchhof
Des Trinkers Kanalbau
Die Dryas
Kinderschlaf
Für Männer
Im Winter
Roß und Reiter
Nachts
Stilles Weh
Das Grab und die Rose
Der Schmerz
Die Schwimmer

 
An meine Petschaft
Das Fensterln
Das Konzilium
Der Umweg
Der Wanderer
Scherz und Ernst
An meine Kinder

 

König und Königin

1836

Der König sitzt hoch und stolz auf dem Thron,
Die Königin lächelt still am Balkon.

Der König hält ein strenges Gericht,
Die Königin milde das Urteil spricht.

Der König irrt mit warum und wie?
Der Königin Klarheit irret nie.

Dem König zur See das Steuer entsank,
Die Königin weis't ihn zur Ruderbank.

Der König im Sturm den Kompaß verlor.
Die Königin zieht ihn vom Busen hervor.

Der König steht wankend am Scheideweg,
Die Königin führt ihn am Wolkensteg.

Der König strauchelt auf finst'rer Bahn,
Die Königin zündet die Fackel an.

Den König betört des Irrlichts Tanz,
Die Königin zeigt ihm den Sternenkranz.

Der König geht unter in Sumpf und Moor,
Die Königin hält ihn rettend empor.

Der König im Kampf wird bügellos,
Er flieht in der Königin festes Schloß.

Ach — unter dem König der Abgrund gähnt,
Die Königin steht an den Himmel gelehnt.

V e r s t a n d  ist  der  K ö n i g, er forscht und sinkt,
Das Herz, die K ö n i g i n, aufwärts winkt.

Das ich gesungen als kleiner Knab,
Das Lied will ich singen bis in's Grab.

Liedeswechsel
1836

Ein Liedchen erklang am Morgen:
Frisch auf! durch's Leben getanzt!
Dem Wind geb' ich preis die Sorgen,
Mir ward die Rose gepflanzt!
Ein Gott der Freude ließ blühen
Zum Kusse die Mägdelein;
Ließ purpurne Trauben glühen!
Schenk', holder Knabe, schenk' ein!

Doch gleich Trompeten erklang es
Mittags, als die Sonne stieg,
Da rief die Glut des Gesanges
Die Ringer zu Kampf und Sieg.
Da ward der Degen geschwungen,
Da ward der Rappe gezäumt,
Manch' schöne Krone errungen,
Von der der Jüngling geträumt.

Und Abend war es geworden;
Wie Gottes Friede erklang
In weichen Flöten-Akkorden
Der müden Kämpfer Gesang.
Der lauscht nun, wenn Wiegenlieder
Von rosiger Lippe weh'n;
Den freut's, umduftet vom Flieder
Des Kirchhofs, sinnend zu steh'n.

Und Nacht ist heraufgestiegen;
Wohl blinken die Sterne hell,
Doch in der Brust will versiegen
Des Lied's kristallener Quell!
Nun sonnt sich im Frühlingsscheine
Des Silberhaar's Diadem!
Nun tönt's: gib, o Herr, mir deine
Aeternam requiem!

Die Witwe auf dem Kirchhof
1836
(Ein Gemälde von Fischbach)

Der Leichenzug ist heim, das Beten aus;
Sie lassen mich mit meinem Schmerz allein;
Die Kinder hab' ich ja, — das öde Haus!
Der Witwe Herz und Haus soll öde sein!

Und auch ein Blick zum Himmel ist erlaubt,
Der meine Angst und mein Gebet verwarf!
Der mir den Mann gegeben und geraubt,
Um den ich satt und blind mich weinen darf!

Vor Gott und seinen Engeln ward er mein!
Durch Sakrament und Evangelium
Weiht' unsern Bund der Priester segnend ein, —
Und nun der Riß durchs Herz! — warum? warum

"Nur ihn und seine Liebe laß mir, Gott!"
So fleht' ich auf den Knien, um mich herum
Die Kinder — und nun Mann und Vater tot!
O ewige Barmherzigkeit — warum?

Drei Herzen goß der Schmerz die Schale voll,
Und eins, das meine nur zerfleischt sein Grimm?
Bin ich's allein nur, die verbluten soll?
Und sie die Kinder wissen nichts von ihm?

Nach Blumen strecken sie die zarte Hand!
O pflückt sie nicht! sie atmen Moderduft!
Unheimlich heben sie am Grabesrand
Den bleichen Kelch in Himmels Licht und Luft.

Umsonst! — der Kinder ist der Blumen Reich!
Und warnend mahnt die Schrift vom nahen Stein:
"Wenn ihr nicht werden wollt den Kindern gleich,
So geht ihr nimmer in den Himmel ein!"

O würd' ich Kindern gleich! Mit leisem Flug
Zieht über ihrem Haupt der Schmerz dahin!
Sie küssen fromm die Rute, die sie schlug;
Ihr Auge weint, und liegt ein Lächeln d'rin!

Und du, mein Gott und Vater, blickst dein Kind
Erbarmend an, wenn es der Wunde Brand
Mit Tränen kühlt und lindert! Tränen sind
Weihbronnentropfen nur von deiner Hand!

Du zürnst nicht, wenn im Jammer, den es trägt,
Ein Kind dich nicht begreift, und bang und stumm
Dich mit gebroch'nem Herzen sucht und fragt:
O ewige Barmherzigkeit — warum?

Des Trinkers Kanalbau
1836

Sie schreiben und messen und rechnen viel.
Und kommen doch nimmer und nie an's Ziel,
Daß mit dem König, dem Rheine,
Sich Königin Donau vereine.

Schon Kaiser Kar! mit der hellen Stimm' —
Der Mönch und der Ritter erzählt von ihm,
Zwang leichter die Sachsen zum Taufen,
Als den Rhein in die Donau zu laufen.

Wohlan, ihr Herren, so kommt herbei,
Und denkt an Columbus und an sein Ei,
Die Nuß, zu hart euern Backen,
Paßt auf, ich will sie euch knacken.

Ihr saht, wenn ihr je die Donau beschifft,
Dem Strande nah Klosterneuburg's Stift;
Sein Wein, den Könige trinken, —
Im Glas hier seht ihr ihn blinken.

Auch kennt ihr Johannesberg, nah' am Rhein:
Hier perlt im Glase des Fürsten Wein!
Hut ab! Gott lasse ihn leben,
Vollkräftig, wie seine Reben!

Und nun — hier schult' ich euch auf den Tisch
Von rechts, von links das edle Gemisch,
Und so wie verschwisterte Flammen,
Strömt Rhein und Donau zusammen!

Nun merkts euch, und nehmt die Warnung dazu:
Drückt euch in Zukunft wieder der Schuh,
So holt euch, aber bei Zeiten,
Von Männern Rat, von gescheiten!

Die Dryas
1837

Im Walde wuchs ein junger Stamm,
Voll Kraft in Kern und Mark;
Kein Förster zwar, kein Gärtner kam
Und zog ihn schlank und stark;
Der Himmel aber nahm sich sein
Mit Tau und Regen an,
Mit Sturmesweh'n und Sonnenschein;
So ward der Jüngling Mann.

So ward der Jüngling Mann, da flog
Vom hohen Himmelsraum
Ein Sängerschwarm herab, und zog
Zu Gaste in den Baum,
Und, wie ein Lieder-Aufgebot
Von Ast und Zweig erklang's;
Vom Frührot bis zum Abendrot
Klang Fülle des Gesangs.

Der Baum, als hätt' ihm längst geträumt,
Es glimme Liedeslust,
Zu der der Rufer nur gesäumt,
In seiner tiefsten Brust,
Der Baum erwacht, und staunt und lauscht
Dem hellen Sängerchor,
Und wonnigliches Zittern rauscht
Vom Stamm zur Kron' empor.

Er lauscht entzückt, und wunderbar
Ringt sich aus seinem Schoß,
Wie Quell aus Felsen, bronnenklar,
Des Liedes Welle los.
Die Dryas war's, die drinnen wohnt',
Dem Wirte — o wie lieb!
Die ihm so süß das Gastrecht lohnt',
Und seine Freundin blieb.

Nun rasen Donner und Orkan,
Der Baum steht furchtlos da,
Steht heiter, kommt der Knochenmann
Mit scharfer Axt ihm nah.
Der hohe Gast hielt, wie es schien,
Den starken Schild empor,
Hieß Sturm und Axt vorüberzieh'n,
Und sang sein Lied wie vor.

Und sang: Sei wacker, treuer Wirt,
Ich steh' für dich zur Wehr;
Und zieht auch einst zu Tal der Hirt,
Und find't er dich nicht mehr,
Dann zeigt er trauernd mit dem Stab,
Wo du gestanden, hin,
Und findet mich an deinem Grab
Als fromme Wächterin. —

Kinderschlaf
1837

Du schlafend Kind, bist gar so lieb und schön!
Dein Lächeln scheint, im Antlitz mild ergossen,
Ein Gruß, mit dem, die einer Wieg' entsprossen,
In fremden Zonen froh sich wiederseh'n.

Vielleicht aus einem Paradies gestoßen,
Hast du, so lang dich Kinderträum' umweh'n,
Besuch vom Vaterhaus — den Brüderchen;
Die herzen nun den alten Spielgenossen.

Die singen nun mit ihm der Heimat Lieder,
Umschwirren ihn im Tanz, und ihr Gefieder
Macht seine Wangen rosig wiederscheinen!

D'rum lächeln gar so lieb im Schlaf die Kleinen,
Die beim Erwachen — ach — ins Elend wieder
Verbannt sich finden, und so schmerzlich weinen.

Für Männer
1837

Den Kämpfer preis' ich, dessen Hand im Sterben
Die Wunde birgt, in deren Blut er liegt,
Um dessen Antlitz, schön noch im Entfärben,
Ein Lächeln der Verklärung fliegt.

Der Atem säumt, die Pulse zaudern — stocken —
Den Schlag des Herzens hat der Tod gelähmt;
Doch scheinen stolz die Freunde zu frohlocken,
Und nur der Sieger steht beschämt.

Doch ach — die Wunden, die das Schwert geschlagen,
Sind nicht die blutendsten, die schwersten nicht;
Ganz andre sind's, woran in unsern Tagen
Das Herz des müden Kämpfers bricht.

Er blutet einsam, bis der Ausgang offen,
Die Freunde — Sommervögel — sind gefloh'n
Vom Baum des Unglücks, den der Blitz getroffen,
Und der Obsieger lächelt Hohn!

Im Winter
1838

Wenn ich die Blumen, verhüllt mit Schnee,
Still zwischen den Fenstern trauern seh',
So werden mir meine Lieder klar,
Und über ihnen — mein graues Haar.

Wenn wieder die Schwalbe zu Neste trägt,
Wenn wieder im Korn die Wachtel schlägt,
Dann heben die Blumen mit frischem Flor
Zum Himmel die Köpfchen voll Duft empor.

Wann naht die Schwalbe, wann blüht das Korn,
Wo meiner Lieder versunk'ner Born
Des Lebens Winterschlaf ausgeträumt,
Und frisch durch die Blumen Edens schäumt?

Roß und Reiter
1838

Den Reiter kenn' ich, ich kenne das Roß,
Sie dürfen nimmer sich trennen;
Ist Eins dem Andern ein treuer Genoß,
Und vorwärts müssen sie rennen,
Bis der König ruft, der das Roß ihm gab:
Nun Reiter, stehst du am Ziel,— steig' ab!

Den Reiter kenn' ich, ich kenne das Roß,
Ist Eins dem Andern zu eigen;
Und wird auch der Renner des Reiters los,
Kein Anderer kann ihn besteigen;
Es gibt keinen Ritter und keinen Knecht,
Für den das Roß und der Sattel recht.

Der Reiter führt sein ärmlich Roß,
Zur Weid' im Dornengestrüppe;
Der mästet den Gaul im Ritterschloß
An üppig schwellender Krippe;
Der reitet fest ein Jahrhundert mit,
Den trägt sein Rößlein kaum hundert Schritt.

In Nacht verhüllt ist des Rittes Beginn,
In Nacht verhüllt ist das Ende,
Und fragst du den Reiter: woher? wohin?
Und welcher Gebieter ihn sende?
So neigt er sein Haupt in Demut still,
Wie Einer, der schweigen und beten will.

Und fromm erhebt er den Blick, das Wort:
Du Eitler, laß ab mit Fragen!
Erst wann ich das Ziel erreicht, erst dort
Kann ich die Antwort dir sagen,
Doch dein Ohr und dein Herz verstehn dann nicht
Die Sprache, die dort meine Zunge spricht.

Nachts
1838

Ich schau' so oft die Sterne an,
Und frage still vertraut,
Ob wohl auch dort ein trüber Mann
Nach andern Sternen schaut?

Dann sieht er wohl die Erde auch,
Wie eines Sternchens Keim,
Und ihm entweht der Sehnsucht Hauch;
O wär' ich dort daheim!

So wär' es nur das alte Spiel?
Ein Tausch der Ketten bloß?
Und ach — der Sterne sind so viel!
Und Gottes Haus so groß!

Doch ist der Sterne Zahl so groß,
Spricht sie kein Seher aus,
Ist unermeßlich — grenzenlos
Des lieben Vaters Haus,

So nimmt wohl auch ein Plätzchen dort
Nach sturmbewegtem Lauf
Ein Friedenshain, ein Segensport
Den müden Schiffer auf.

Der, wo er endlich Anker warf,
Am Strande dankend knien,
Und sich die Hütte bauen darf,
Und nicht mehr weiter zieh'n!

Wo irrst du, schöner Stern, versteckt?
Milchstraße, birgst du ihn?
Hat noch kein Herschel ihn entdeckt?
Ich zög' so gerne hin!

Stilles Weh
1838

                                     Oft dacht' ich mit bangem Verzagen:
                                     Nein — das ertrag ich nie!
                                     Nun hab' ich es doch ertragen!
                                     Nur frage mich Niemand: Wie?
                                                                               Heine.


Wie ich mit blutendem Herzen
An Weib und Kinder gedacht,
Und — lügend Lächeln und Scherzen
Der Pflicht ihr Opfer gebracht!

So salzt mit Tränen der Sklave
Das bittere Brot der Schmach,
So klirrt die Kette im Schlafe
Den Träumer von Freiheit wach!

So mag, an den Fels gebunden,
In Stacheln brennender Pein
Abzählend Stunden nach Wunden,
Prometheus gelegen sein.

Das Grab und die Rose
1838
Nach Victor Hugo.

Was machst du aus den Tränen, Rose,
So fragt das Grab, die Deinem Schoße
Die Morgenröte bringt?

Was wird, so spricht zum Grab die Rose,
Aus dem, was der erbarmungslose —
Dein Abgrund niederschlingt?

"Die Tränen streue ich als Düfte
Voll Würz' und Ambra in die Lüfte," —
Die Rose Antwort gab.

"Was niedersteigt in meine Grüfte,
Steigt auf als Engel in die Lüfte
Des Himmels!" — sprach das Grab.

Der Schmerz
1838

Oft hab' ich es belauscht mit bangem Graun,
Wie tief im Tal sich fahle Nebel wiegen,
Aus deren Qualm Berggeister Wetter braun,
Die bald unheimlich hoch und höher stiegen,

Bis sie der Sturm erfaßt aus Süd und West,
Und sie von Berg zu Berg sich lagernd scharen,
Und Blitze jetzt, wie Nattern aus dem Nest,
Aus schwarzem Schoß mit Flammenzungen fahren.

Und Heerespauken gleich in grimmer Schlacht
Erschallet Donnerklang, es stürzt in Splitter
Des Waldes alter Stolz, die Felswand kracht,
Voll banger Furcht die Menschenherzen zittern.

Und Hirt und Herde flieh'n in feiger Flucht,
Der Stier, verzagend, murrt und eilt zu Stalle;
Jetzt fährt ein Strahl hernieder, der sie sucht,
Es prasselt, flammt — und Asche sind sie Alle.

Der Adler nur aus seines Horstes Ruh'
Schwingt sich empor, im Sonnenschein zu baden,
Und sieht aus klaren Höhn den Wettern zu,
Die erdwärts nur sich ihres Grolls entladen.

So steigt der Schmerz herauf gewitterhaft,
Dämonen braun ihn, wie Gewölk, und schicken
Ihn an das Licht, des Menschen Sinn und Kraft
Mit gift'gem Hauch gespenstisch zu umstricken.

Doch nur dem Schwachen sei er fürchterlich;
Ein frommer Held muß ihn besiegen lernen!
Er tret' ihn — einen Mantel — unter sich,
Und fahr' auf ihm als Sieger zu den Sternen!

Die Schwimmer
1838

Auf des Niles lauen Wogen,
An des Ufers Schilf gezogen,
Schwamm ein Korb — ein Knäbchen d'rin —
Zu der Fürstin Füßen hin.

Alle sind wir solche Schwimmer!
Leider führen uns nicht immer
Well' und Wind in Schlummersruh
Holden Königstöchtern zu.

Auch an Island's Eiseswüste,
An des Feuerlandes Küste,
Die kein Schwimmer je gesucht,
Kommen Körbchen in die Bucht.

Doch ein Lotse — nie gesehen!
Läßt, wann's Zeit, sein Lüftchen wehen,
Und in einen Friedenshain
Laufen alle Körbchen ein.

An meine Petschaft*
1839

Tändelei.

Wie kannst du, das seit viermal zehn Jahren
Viel tausend Briefen schon die Lippe band,
Noch jeden Zug so rein und treu bewahren,
Wie in den Stahl ihn grub des Meisters Hand?

Wie diese Ähren segensschwer gehangen,
Wie dieser Garben Kranz sich einst gebückt,
Wie sich um ihn der Lettern Gürtel schlangen,
Da ich zum ersten Mal dich aufgedrückt,

So prangst du noch, als spottetest du meiner;
Wie mancher Sturm zog über meinem Haupt
Nicht ohne Schlag — vorüber! dir hat keiner
Auch einen Halm nur deines Schmuck's geraubt.

Als wüßtest du, daß Wahrheit, abgespiegelt
Aus meiner Brust, das reine Blatt bedeckt,
Und daß du nie ein falsches Wort besiegelt,
Daß deinen Schild die Lüge nie befleckt.

So keck und frei, gleich mutigen Standarten,
Weh'n deine Büschel noch im stolzen Flug;
So wehten sie auf allen Pilgerfahrten
Im Schachspiel meines Lebens Zug für Zug.

Wo sind die Freunde hin, die mich verlassen?
Den rief der Tod, den sein Verhängnis ab.
Der Finger Gottes zieht viel dunkle Straßen!
Nur du hältst aus, Schildknappe, bis an's Grab.

Und bin ich denn nicht selbst mir abgefallen?
Wo ist er jetzt, der nie gebeugte Sinn,
Der Trotz bot jedem Ungetüm, und allen
Zwingherrn der Erde Trotz, — wo ist er hin?

Des Armes Mark, das Morgenrot der Wangen,
Des Auges Blitz, des Wortes Machtgebot, —
Gleich rost'gen Waffen sind sie aufgehangen,
Der Kämpfer, der sie führte, ist wie tot!

Und du willst, treu dem bleichen Invaliden,
Beim letzten Ritterschlag noch Zeuge sein?
Willst noch besiegeln meinen Gottesfrieden,
Gelehnt als Wappenschild am Leichenstein?

Wohlan — ich habe dir vertraut, Geselle,
Was je mein Herz geglaubt, gehofft, geliebt;
Sei nun der Diener, der an Küsters Stelle
Von deinem Herrn dem Wandrer Kunde gibt.

Sag' meinen Kindern, daß ich's nun ergründet,
Wie über'm Grab gestraft wird, und gelohnt,
Und daß, wie ihn des Sängers Lied verkündet,
Ein guter Vater über'n Sternen wohnt!

Und sag', je bitt'rer ihres Leidens Schale,
Daß um so herrlicher des Engels Glanz,
Und keine Krone hier so glorreich strahle,
Als des Entsagens blut'ger Dornenkranz!

Wenn meine Söhne nah'n, so flüst're leise,
Daß es mein letzter Ruf im Sterben blieb:
"Tut brav, und habt nach wack'rer Brüder Weise! —
Ich bitt' euch schön, — habt eure Schwestern lieb!"

Und sollten sie nach deinen Lettern fragen,
Den M. L. S., so sprich mit weichem Ton,
Es sei, was ich in treuer Brust geragen,
Des Vaters Segenswort: Mein Lieber Sohn!

*Drei Weizengarben in die Buchstaben M L S verschlungen.

Das Fensterln
1839

Wie war die Nacht so mild, so lieb,
Die Au voll Nachtigallenschlag,
Da Sehnsucht mich an's Fenster trieb,
Wo lauschend still die Liebste lag.
        Minnezeit! — O wer kann
        Deine Wonne fassen!
        Jung gewohnt, alt getan;
        Nimmer kann ich's lassen.

Das Gitter ließ wohl Raum genug,
Daß ich der Arme festen Ring
Um ihren Hals und Nacken schlug,
Und durch die Stäbe sie umfing.
        Mitternacht schlägt die Uhr;
        Ach die Stunden fliegen!
        Kuß an Kuß, Schwur an Schwur!
        Nacht, du bist verschwiegen.

Wer fragt, ob's regnet oder schneit,
Ob Sturm uns und Gewitter droht?
In uns'rer Brust war's Maienzeit,
In uns'rer Liebe Morgenrot!
        Horch im Haus wird es laut;
        Neid erwacht zu spähen!
        Noch ein Kuß — Morgen graut!
        Fort! — die Hähne krähen.

Noch schleich' ich hin, wo Liebchen wohnt;
Die alten Sterne, klar und hoch,
Sie blieben treu, der alte Mond,
Er leuchtet auch dem Greise noch.
        Liebchen nur zog hinan;
        Rauschen dort zwei Linden;
        Jung gewohnt, alt getan,
        Weiß sie wohl zu finden.

Ein Hof ist's, niedrig nur umsäumt,
Und viele, viele Kammern drin,
Wo nun die Liebste schläft und träumt,
Im Haar den Schmuck von Rosmarin.
        Rauschest du, Fliederstrauch,
        Nächtlich auf der Heide?
        Oder weht Geisterhauch
        Durch die Tränenweide?

Zwei Tore siehst du, schwarz wie Flor,
Ein Fenster in den Hofraum sieht;
Ein Kreuz darin, ein Schemel vor,
Dort betet, wer vorüber zieht:
        "Herr vergib uns uns're Schuld!
        Über'm Sterngefilde
        Richte uns, Gott der Huld,
        Vater! — richt' uns milde!"

Mit lieben Namen ruf' ich sie,
Der Ruf hallt durch die Nacht so bang;
An's Gitter kommt die Liebste nie,
Doch oft unheimlich tönt Gesang:
        "Scheu entflieh, Menschenkind,
        Aus der Geister Nähen!
        Fort! — es rauscht Morgenwind!
        Fort! — die Hähne krähen!"

Das Konzilium
1840

An Dr. K.

Mein Doktor ist ein wack'rer Mann,
Um Alles frägt und prüft er mich
Von meiner früh'sten Kindheit an,
Nur eines find' ich wunderlich;
Er untersucht des Pulses Schlag,
Er forscht mit tausend ob und wie,
Nach Trank und Speise, Tag für Tag,
Nur, wie ich küßte, fragt er nie.

Und gleichwohl liegt gerad darin
Ein Abstand zwischen Einst und Jetzt,
Hochwichtig für die Medizin,
Der mich in große Angst versetzt.
Soll ich's ihm selbst gesteh'n? die Scham
Hält mich zurück, d'rum wär' ich froh,
Wenn ihn wer Andrer aufmerksam
D'rauf machen wollt', — die Sach' ist so:

Einst war mir — o Erinnerung,
Stern in des Greises trüber Welt,
Der meines Lebens Dämmerung
Mit magisch mildem Glanz erhellt! —
Einst war mir Adelinens Küß
Ein Labetrunk aus dem Pokal
Den freundlich ein Prometheus,
Mir von der Göttertafel stahl;

Ich war entzückt, elektrisiert,
Mein Auge sprühte Glut und Glanz,
In meiner Brust ward musiziert,
Mein Blut, — es hüpfte wie im Tanz;
Mir war der Kuß ein Übermaß
Des Süßesten im Hochgeschmack
Von Trauben, Pfirsichen, Ananas,
Gewürzt mit Zucker, Geist und Rack.

So stand die Sache einst, — und itzt,
Wenn Amors Mutter selber kömmt,
Wenn wunderlieb ihr Auge blitzt,
Und Glut aus dunklen Wimpern strömt,
Wenn gleich der süßen Kirsche Frucht
Die Purpurlippe lockt und schwillt,
— Umsonst, — ich stehe unversucht,
Ich steh' vor ihr ein steinern Bild!

Und wag' ich's auch mit einem Kuß,
Es fehlt die Würze, der Geschmack,
Es fehlt der geistige Genuß,
Es fehlt der Zucker und der Rack,
Kurz — Alles fehlt ihm, und darum,
Ihr Herren von der Fakultät,
Ich dring' auf ein Konzilium,
Doch bald, nur bald! — sonst wird's zu spät.

Der Umweg
1840

Mein heißer Wunsch ist's — o wie lang!-gewesen,
Ein Kranker hab' ich ohne Maß und Ziel
Geschmachtet, in der Heimat zu genesen!
Nur ein Mal hin! Ein Mal! — ist ja nicht viel!

Die Lüfte dort, so frisch, die kühlen Bronnen,
Ihr Mutwill über Kies und Steingeklüft,
Der Blumen Gruß, der Strahl der Maiensonnen,
Des Waldes Grün, sein würziges Gedüft,

Die heilten, die verjüngten mich, die brachten
Dem Siechen Labsal, Öl und milden Wein
Für seine Wunde, Schlummer seinen Nächten,
Und kräftig Mark in's dorrende Gebein!

Mir ahnet wohl, wie's kommen mag, ich werde —
Und bald — die Heimat, die ersehnte seh'n;
Ein Pilger komm' ich zu des Vaters Herde,
Nur wird der Umweg übern Kirchhof geh'n.

Der Wanderer
1840

Die Sonn' erwacht, ein Wandrer zieht hinaus.
Auf fernen Hügeln ragt ein schimmernd Haus,
Vom Morgenschein umgossen mit Karmin;
"Dort meine Rast!" vor Abend muß ich hin!

Den Gürtel zieht er an, rasch vorzugreifen;
Doch ach — bald muß er rechts, bald links abschweifen,
Bald geht er irr, im Walde dunkler Buchen,
Jetzt rauscht ein Fluß, — er muß die Brücke suchen.

Schon muß er ruh'n an einem Klippenhange,
Er lauscht, der lechzende, dem süßen Klange
Der Quelle, die ihm nah' aus Felsen hüpft,
Und scheu, verschämt, durch die Gesträuche schlüpft.

Ein Sprung — und er ist dort; — in langen Zügen,
Als soll's für all' sein Leben ihm genügen,
Erlabt er sich und kühlt mit frischer Flut
Die heiße Brust, der Adern Gier und Glut.

Noch will er sich zum letzten Becher bücken,
Da hört er, wie bestellt, ihn zu entzücken,
Die Nachtigall, verhüllt von den Gardinen
Der Blütenzweig', ihr Hochzeitlied beginnen.

Und Herz und Sinn, wie von Sirenenkehlen
Fühlt er umstrickt sich aus dem Busen stehlen,
Er träumt, er sinkt, — zum Kissen schwillt das Moos,
Gefangen sinkt er in des Schlummers Schoß.

Jetzt zeigt sein Engel ihm das Haus im Traume,
Noch ragt es schimmernd an des Hügels Saume,
Noch glänzt es, wie umgossen mit Karmin; —
"Wach' auf! Wach' auf! kein Schläfer kommt dahin!"

Aufspringt er, wie der Hirsch beim Ruf der Meute;
"Noch steht die Sonne hoch! — Ich muß noch heute —
Muß hin! O Gott des Tag's, bleib' hold und helle! —
Ich muß, und sänk' ich sterbend an die Schwelle!"

Sein Fuß hat Flügel, weiß nichts von Ermatten,
Er sucht, doch ach — zu tief in's Tal geraten,
Hat er den Hügel und das Haus verloren,
Und späht vergebens nach den gold'nen Toren.

Den Berg hinan! — erspringen, nicht ersteigen
Will er die Höh' — dort muß das Haus sich zeigen!
Er sieht es fern, die Sonn' ist ihm ja hold,
Doch ach, nicht mehr umglänzt von Morgengold.

Und mutig vorwärts fliegt er, rüstig — wacker
Vorbei an Weinberg, Wiese, Wald und Acker,
Vorbei an Dorf um Dorf dem Hügel zu,
Vorbei an Kreuz und Kirche ohne Ruh'!

Bald fühlt er menschlich seine Kraft erlahmen,
"Ich kann nicht mehr! In aller Engel Namen —
Nur eine kurze Rast!" ruft er voll Trauer,
Und sinkt in Mut und Schweiß an eine Mauer.

Der Kirchhof war's, an dem er hingesunken,
Sein Auge sah, vom letzten Schlummer trunken,
Zum nahen Hügel noch, bevor es brach;
Da floh sein Geist mit einem leisen Ach!

Scherz und Ernst
1840

Wohl mag der Tod ein finst'rer Bursche sein,
Und Beine muß er meilenlange haben;
Trotz ihnen kommt er immer hinterd'rein,
Und lang vor ihm ein Schatten, schwarz wie Raben.

Ob er das Schwarz als Handwerksfarbe liebt?
Ist möglich; doch es kann wohl auch beim Tode
Die Galla schwarz sich kleiden, und es gibt
Auch für Skelette ein Journal der Mode.

Das letzte taugt mir, und so leb' ich flott
Dahin, und gibt der Gast einst seine Karte
Mir ab, empfang' ich ihn mit heit'rem Spott,
Wie einen Dandy mit dem Judenbarte.

Um seinen Schatten — ei, wer kümmert sich!
Ich lächle ihm zum Hohn, ein froher Kranker;
Steh'n meine Kinder liebreich nicht um mich?
Die treue Freundin nicht mit Kreuz und Anker?

Und wenn er endlich pocht, die Pforte kracht,
Wenn er das Herz mir abdrückt mit der Hippe,
Schaut mich nur an im Sarge, und gebt Acht,
Es zuckt ein Lächeln noch um meine Lippe!

An meine Kinder
1840

Wachskerzen brennen, sie bringen
Florband und Kränze in's Haus,
Und düstere Männer tragen
Im Sarg den Vater hinaus.

Laßt Kinder, o laßt das Schluchzen!
Viel' Freunde sind mir so gut,
Die nehmen gebroch'ne Herzen
In treue, liebreiche Hut!

"Wer sind denn, und wo die Freunde,
Wenn wir allein auf der Welt?"
Es sind die Engel im Himmel,
Zum Schirm der Waisen bestellt!

Und stündet ihr doch dem Kummer,
Der Not in der Wüste bloß,
So geht nur zu eurer Mutter,
Und flüchtet in ihren Schoß.

"Zur Mutter, auf deren Grab wir
Seit zwanzig Monden geweint?"
Ei Kinder, ich hab' ja im Himmel
Die Mutter Gottes gemeint.

Und bliebet ihr noch verlassen,
Vertraut nur heiteren Mut's,
Es lebt ja mein lieber Vater,
Der nimmt euch in seinen Schutz.

"Dein Vater? und in dein Betbuch
Schriebst, noch ein Jüngling, du
Den bald nun verbleichten Namen,
Und trauernd ein Kreuz dazu?"

Ja wohl, — doch als sie versenkten
Des lieben Vaters Gebein,
Da ward Gott im Himmel mein Vater,
Und wird auch der eure sein!