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Blätter der Erinnerung

Verschiedene Albumblätter


                              Blätter der Erinnerung



Einem Rechtsbefließenen


Wenn der Jurist,
Dem Köder der Bestechung, wie verfänglich
Sie ihn versuche, unzugänglich,
Wenn er ein Menschenfreund, ein Weiser, kurz ein Christ,
Ein fester Hort des Rechts, der Wahrheit ist,
Dann preis' ihn alle Welt mit lauter Stimm',
Und neig' ihr Haupt vor ihm!
Es geht nicht an, daß immerdar
Ein Engel sich zu uns als Freund geselle,
Und solch' ein Mann vertritt fürwahr
Gar schön des Engels Stelle.

Wenn aber der Jurist
Ein ausgeschämter Egoist,
Ein hämischer, herzloser Casuist,
Ein durchgehetzter Rabulist,
Mit einem Wort, wenn er ein Atheist,
Ein Renegat an Gott und Menschen ist,
Wenn er sein Jus als gute Melkkuh liebt,
Die ihm zur Mast Milch, Schmalz und Butter gibt,
Mit deren Dünger er als Wuch'rer handelt,
Und ihn für sich in Gold verwandelt, —
Dann brauchen wir vor Hunger, Krieg und Pest,
Die Gott uns oft so schrecklich fühlen läßt, —
Zur Strafe unsers Sündenfalles —
Gar keine Angst mehr auszusteh'n,
Auch Satan mag dann einmal schlafen geh'n,
Ein solcher Herr Jurist ersetzt das Alles.

In das Album
Der Frau Gräfin Marie v. W.

Was liegt vor mir? ein deutscher Almanach,
In dem zum Spiel des Kampfes mit Gesängen
Franzosen, Briten sich und Wälsche drängen,
Und eine Dame ruft die Kämpfer wach!

Bin ich's denn nicht mehr, der in solchen Gängen,
Ein Jüngling noch, so manche Lanze brach?
Der alte Arm nur, nicht der Mut ist schwach,
Ob silbern schon die Locken niederhängen!

So stellt denn auch mein Wappen auf im Ring!
Ich zage nicht, wo Frau'n die Richterinnen!
Ich hab's gewagt, und Wagen macht gewinnen.

Wenn ich ihr freundlich Nicken nur erring', —
Ich Glücklicher! — dann heißt's: der Alte ging
Doch ohne Dank der Dame nicht von hinnen!


Verschiedene Albumblätter


1.
Zwei Dinge gibt der Mensch nicht auf, —
Das Hoffen und das Fragen;
Zum Himmel blickt er sehnsuchtsvoll hinauf;
Was heut' und gestern ihm versagen,
Soll kommen mit des nächsten Morgens Tagen.
Zur Seite nicht, nicht hinter sich — voran
Muß der Gedanken flüchtiges Gespann,
Muß Fantasie mit ihrem Flügelwagen
Nach unbekannten Küsten jagen,
Und heimwärts ihre Beute tragen.
Die kühnen Segler fliegen,
Verlierend aus dem Blick ihr Vaterhaus,
An Ufer, die kein Sterblicher bestiegen,
Weit, weit hinaus!
Der Boden weicht der mütterlichen Erde,
Dort steigt kein Rauch vom Friedensherde,
Kein Dach nimmt dort sie gastlich auf,
Nicht Frucht, nicht Blüte steht zum Kauf;
Sie drängen alle Ruder wund,
Nicht Blei, nicht Anker findet Grund;
Die Schatten, die zu seh'n sie meinen,
Die Runenschrift auf jenen Steinen
Verhüllt ein ewig dunkler Flor;
Sie ahnen fremder Stimmen Laut,
Doch nimmer ward ein menschlich Ohr,
Zu deuten solchen Ton, gebaut,
Das Segel sinkt, der Mut erbleicht,
Das ferne Land bleibt unerreicht;
Sie suchen lang die Wiederkehr,
Und finden sie nicht mehr.
Nur selten steigt ein Lotse nieder,
Ein Fremdling, früher nie gekannt,
Und Schiff und Steuer wird gewandt,
Das Land der Kindheit seh'n sie wieder.
Nach einem Hügel fliehen sie,
Den milde Himmelsluft umweht,
Auf dem ein Kreuz erhoben steht —
Die Müden sinken dort in's Knie;
Heil ihm, den, wenn er aufwärts schaut,
Ein Tropfen Blutes noch betaut!
Was er gesucht, er fand es nun, —
Hinsinkt er lächelnd, auszuruhn.

2.
Die Maler und Dichter treiben
Gar viel Verkehr mit Vergißmeinnicht!
Vergebliches Malen und Schreiben!
Wo die Treue nicht treu will bleiben,
Hilft kein Gemälde, hilft kein Gedicht!

3.
Glücklich sein,
An des Lebens Tafel prassen,
Schwelgen bei dem Freudenwein,
Weich und faul sich wiegen lassen,
Ist so schmählich, als gemein.
Aber mit erhab'nem Mut
Tiefer Wunden Pein und Glut,
Die das Leben schlägt, ertragen, —
Leiden, kämpfen, und entsagen,
In der Trübsal heiter lächeln.
Von der Stirn den Angstschweiß fächeln,
Den des Schmerzes Krampf erpreßt,
Und dabei mit Gottvertrauen,
Unerschüttert, standhaft, fest
Zu der Sterne Heimat schauen,
Einsam beten, fromm und stille! —
All sein Weh, sein bittres Los
In des Vaters Hand empfehlen —
Das gelingt nur starken Seelen,
Nur dem Christen! Das ist groß! —

4.
Hast du die Welt dir, die arge, beschaut,
Und dich gar schmählich an ihr erbaut,
Hast du dich gesättigt an ihrer Lust,
Dann kehre den Blick in die eigene Brust,
Dort springen Bronnen, die nie versiegen,
Dort siehst du die rosa perennis blüh'n
Und Paradiesesvögel fliegen,
Und himmlischer Liebe Funken sprüh'n.
Dort wandelt im Haine der Hesperiden
Ein geistverwandtes Brudergeschlecht
Mit der Natur im sel'gen Frieden,
Es gibt nur Freie und keinen Knecht.

5.
Der Sturm muß brausen und Gewitter toben,
Dann mag der Adler seinen Mut erproben.
= =
In Flammen muß der Phönix untergeh'n,
Dann darf er neugeboren aufersteh'n.
= =
Die Muschel muß sich krank zum Sterben neigen,
Daß ihrem Schoß die Perle kann entsteigen.
= =
Der Freund muß trauern, einsam, in der Ferne,
Daß er das Amt der Treue üben lerne.

6.
Um neben sich und unter sich zu schauen,
Um Hütte, Pflug und Schiff sich zu erbauen,
Um mit gewalt'ger Hand
Durch Wald und Feld sich offen Bahn zu hauen,
Empfing der Mensch Verstand.
Doch um sein schön'res Vaterland
Zu ahnen, — um, bedrängt von Not und Schmerz,
Mit Zuversicht und kindlichem Vertrau'n
Aus ird'scher Nacht zu blicken himmelwärts.
Um zu betreten ohne Graun
Die Brücke zu den Sternenau'n,
Empfing der Mensch sein Herz.
Im Walde zieht das Wild vorüber,
Und seine Spuren drückt es in den Schnee;
Des Menschen Los — ist's froher oder trüber?
Von seinem Wohl, von seinem Weh,
Von seines Geistes Flug durch Zeit und Raum,
Von seines Herzens schönstem Traum,
Was bleibt für eine Spur? Ein nied'rer Hügel,
Mit dünnem Gras besä't,
Drin eine Handvoll Staub, den ach, der Flügel
Des nächsten Morgenwind's verweht!

7.
So lang' wir aufwärts klimmen an den Hügel
Des Lebens, — o wie heiter liegt er da!
Des Jünglings Wange kühlt mit lindem Flügel
Die Freude; alle Götter sind ihm nah'.
= =
Von Hoffnungsgrün und Rosenrot umzogen,
Ein Garten ist die Welt, ein Segensland,
Und selbst, wo Wetter droh'n, erscheint der Bogen
Des Heils und der Versöhnung ausgespannt.
= =
Doch, ach — die Tage flieh'n, die Jahre schwinden,
Und plötzlich stehst du auf den Höhen jetzt,
Wo du gehofft, den Wunderkranz zu finden,
Für den du Herz und Leben eingesetzt.
= =
Und trauernd siehst du ihn nun aufgehangen
In trüber Fern', und kleine Hügel steh'n
Dazwischen, die mit schwarzen Kreuzen prangen —
Den Weg — erschrick nicht, Freund, du mußt ihn geh'n.
= =
Gar strenge Prüfung hält in schwülen Tagen
Das Schicksal jetzt, und wägt und stählt den Mann,
Und schreibt ihm auf den Wappenschild: Entsagen!
Der Löhnungsmorgen bricht erst jenseits an.
= =
Das Leben wird nun ernst; nun gilt's zu ringen,
Zu wählen gilt es einen festen Stab,
Und Führer, die vor Abgrund, Irrweg, Schlingen
Dich warnen, und mit dir geh'n bis an's Grab.
= =
Recht tun ist solch ein Stab, und Ehr' und Treue,
Sie stützen gern beim Gange himmelwärts,
Und sichern vor dem Biß der Natter: Reue,
Und vor des Schuldbewußtseins düsterm Schmerz.
= =
Und Führer? Treu und heilig ist nur Einer!
Die Himmelstochter ist's: Religion!
Kein Herz bewahrt mehr Seligkeit, ist reiner,
Als wo sie thront! —Nun Gott mit dir, mein Sohn!

8.
Oft ängstet mich ein Ungetüm im Traume,
Ich schwank' an steiler Höh' auf morschem Stege,
Ausglitscht mein Fuß an eines Abgrunds Saume,
Ein Lindwurm offnen Rachens liegt im Wege;
= =
Zur Wehre greif' ich, weil Banditen lauern,
Und nicht den Arm, den Finger kann ich heben;
Schrei'n will ich unterm Sturz von Felsenmauern
Und fühl' am Gaumen fast die Zunge kleben.
= =
Da zuckt ein Strahl des Lichts mir durch die Seele,
EinTraum nur ist's!— Ich raffe angstentbunden
Mich auf — es tagt — und frei sind Arm und Kehle,
Lindwurm, Bandit und Abgrund sind entschwunden.
= =
Im Traum des Lebens wankt auf dunklen Wegen,
Nachtwandlern gleich, der Mensch an Abgrundswänden,
Ihm tritt die alte Schlange: Schuld entgegen,
Wie wehrlos ringt er mit gebund'nen Händen.
= =
Scharf fassen ihn des Unglücks Geierkrallen,
Schmerz fesselt seine Kraft mit Zauberschwüren,
Feig' will er flieh'n — die Waffen läßt er fallen,
Und keine Sehne kann der Sklave rühren.
= =
Warum nicht will er aufzurufen wagen:
"Ein Traum nur ist's — verträumt in Jahren — Stunden.
Ein Grab — und jenseits wird es, muß es tagen!"
Und Schlange, Schmerz und Geier sind verschwunden.

9.
Kind, frage nicht: Was ist das Leben?
Du hörst Geschwätz, du hörst Geschrei
Von Stimmen, die dir Antwort geben,
Doch klüger wirst du nicht dabei.
= =
Der Eine sagt: 's ist eine Reise,
Gar lustig tönt des Posthorns Schall!
Ja, sagt der Andre, doch die Gleise
Sind Pfade durch ein Jammertal.
= =
Der nennt das Leben eine Schule,
Ein Buch der Schüler mit sich trägt,
Das er, ist's voll, am dunklen Stuhle
Des ew'gen Richters niederlegt.
= =
Ein Schauspiel ist des Lebens Dauer.
Ruft Jener — ein Monarch bist du,
Du Kaufmann — du Soldat — du Bauer —
Der Meister sieht von oben zu.
= =
Der spricht: Ein Traum ist unser Leben!
Der Andre schreit aus vollem Hals:
Es ist ein Tanz, in dem wir schweben,
Ein Tag im Rausch des Karnevals.
= =
Drum frag' nicht lange die Gelehrten;
Heißt Leben — Reisen, wie man spricht,
So geh mit freundlichen Gefährten
Geraden Weg, der irret nicht.
= =
Doch gilt das Leben dir als Schule,
So sei dein Buch auf jedem Blatt
Zum Zeugnis dort vorm Richterstuhle
Geschmückt mit einer guten Tat.
= =
Ist es ein Schauspiel — wohl! so spiele
Die Rolle, die du einstudierst.
So tüchtig brav, daß du am Ziele
Beklatscht hinauf gerufen wirst.
= =
Doch ist's ein Tanz, so halt' im Tanze
Der Unschuld Schleier makelrein,
Kein Blatt der Rose in dem Kranze
Der Locken darf verloren sein.
= =
Ist aber Leben — Traum, so lebe
Und träume schön, daß aus der Nacht
Zum Licht ein Engel dich erhebe,
In dessen Schoß du aufgewacht!

10.
Ich sah die Menschen, sah sie lächeln, weinen;
Wie Seifenblasen in azurne Bahnen
Entflattern ihre Wünsche, gold'ne Bienen,
Zur Jagd auf Blumenstaub in Frühlingshainen,
Im Kelch der Rosen, Lilien, Tulipanen!
So ist ihr Drang und Treiben mir erschienen.
Die Glücklichen sind arm, sind die Gemeinen.
Ein Kranz von Dornen schmückt die Ehrenfahnen,
Wo wund, um Schmerzensold die Edlen dienen.

11.
Viel Liebe braucht, viel inniges Erbarmen
Das Menschenkind zum Leben wie zum Sterben;
Darum hat Gott zwei Mütter ihm gegeben.
Die eine soll dem Schwächling ein geheimes
Bettlein bereiten unter ihrem Herzen,
Und er daraus hervorgeh'n, nackt und wehrlos
Das Licht des Lebens, weinend zu begrüßen.
Die andere, der Menschen treue Mutter,
Die Erde soll an ihrem Tisch ihn speisen,
Aus ihrer Adern reichem Quell ihn tränken
Soll, will er sterben, sich die Brust aufreißen,
Ein zweites Bettlein, ihm sein Grab bereiten,
Aus dem er sich mit Seraphsflügeln aufschwingt,
Das Licht der Himmel lächelnd zu begrüßen.