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V.
Schattenrisse

 

Walter Scott
Byron
Goethe
Schiller
Jean Paul
Börne
Heine
E. T. A. Hoffmann
J.H.Voß
Rückert
Ludwig Tieck
Nikolaus Lenau
Anastasius Grün
Andersen
Johann Mayerhofer

Walter Scott


Den Niederländern möcht' ich dich vergleichen:
      Die ihren Pinsel emsig zart regieren,
      Gilt's Sachen darzustellen und zu zieren;
      Doch wieder groß und sarbenkrästig streichen,

Wenn's Großes gilt, und jedes Lebenszeichen
      Am Menschenantlitz im Portrait erspüren.
      Dir mußten, deine Bilder auszusühren,
      Rubens, Teniers und Dyk die Farben reichen.

Welch reicher Strom von rührigen Gestalten
      Zieht durch die Pracht lebend'ger Szenerien!
      Nachahmer nur, die an der Schale halten,

Vermochten dein Gedicht herabzuziehen.
      Mir gabst du stets — als Dank nimm dies Geständnis
      Genuß, Belehrung und Naturerkenntnis.

Byron

Ruhmwürd'ger Lord, du warst ein wackrer Schwimmer,
      Im Handeln kühn und kunstreich im Gedichte!
      Es glänzt, wohin ich meinen Blick nur richte,
      Dein Leben schön, wie eines Tempels Trümmer.

Doch Gutes schaffte deine Leyer nimmer,
      Den ganzen Unflat unsrer Zeitgeschichte
      Umwebt ihr Klang mit holdem Zauberlichte:
      Nun bläht er sich in dem erborgten Schimmer.

Der Dichter soll verständ'gen und versöhnen,
      Du sangst: die Not, das Wirrsal nur zu mehren,
      Denn Gecken, die verachten nur und höhnen,

Die sich im Lebensüberdruß verzehren,
      Sie werden alle sich auf dich berufen!
      Da deine Lieder ihnen Götter schufen.

Goethe

Ein Urgebirg stehst du vor meinen Blicken,
      Das heil'ge Haupt in Himmelsregionen,
      Und reißt die Frücht' und Blüten aller Zonen,
      Mit jedem Duft und Wohlschmack zu beglücken!

Wenn Veilchen deinen Fuß und Eichen schmücken;
      So ragen weiter Pinien und Citronen,
      Und zwischen deines Gipfels eis'gen Kronen
      Kann man der Alpen Wunderrosen pflücken.

Nährende Ströme sendest du ins Weite,
      Hegst Wild in Forsten, Herden aus den Tristen,
      Und birgst der Erze Hort in deinen Klüften;

Stehst ruhig bei der Stürme wildem Streite.
      Aus dir wird, wenn der Weltflut Wogen branden,
      Einst noch die Arche wahrer Freiheit landen.

Schiller

O schöner Alpensee! in deinen Wogen,
      So klar und spiegelhell, will mich's gemuten:
      Als ob der Himmel und die Sterne ruhten;
      Ja, was die Erde groß und schön erzogen,

Der Blumen Schmelz, der Felsen Schwindelbogen:
      Sie schweben wie verklärt aus deinen Fluten;
      Von Mondessilber und von Sonnengluten
      Umspielt, die du begeistert eingesogen.

Die Unbill dieser Erde zu verträumen,
      Naht heil'ges Jugendglühen, Sehnsuchtsklage
      Und Liebeschwärmerei den stillen Räumen.

Ja süß sind diese Bilder! — doch nicht wage
      Die Ideale fassend zu berühren!
      Sie würden schwindend sich in Luft verlieren.

Jean Paul

Was braucht man nicht ätherisch zu empfinden:
      Die Sonnen bluten und die Monde weinen,
      Es strotzt von Nachtigall'n, Citronenhainen,
      Springbrunnen, Masken, Doppelgängern, Blinden.

Daß alle Erdenschlacken nur verschwinden,
      Strebt man die armen Mädchen auszufeinen,
      Daß, hielte sie der Witz nicht an den Beinen,
      Sie aerostatisch schwebten in den Winden.

Doch sind wir durch den Trödel erst gedrungen,
      Steht eines Greises würdige Gestalt,
      Von einem Engel liebevoll umschlungen,

Wie schöner ihn kein Sterblicher gemalt,
      Vor unserm Blick; der Weisheit Sprüche klingen,
      Und heil'ge Liebe regt die Ätherschwingen.

Börne

Ein Arzt saß einst voll Kummer, doch gelassen,
      Gespannt aus jede Regung, an dem Bette
      Des Freundes, ob ihn seine Kunst noch rette.
      Da tritt der Tod herein, und er, verlassen

Von allem Gleichmut, wirft nun Flaschen, Tassen
      Und Büchsen an den Schädel dem Skelette.
      Das aber greift mit grinsendem Gespötte
      Nach seinem Freund und den sieht man erblassen.

So will dein erstes Wirken mir erscheinen,
      So, Zornesmann, dein spätres wildes Treiben,
      Dein Schelten wahrt die Freiheit nicht vorm Sterben!

Du mußt den lieben Toten doch beweinen,
      Du mußt ihm selbst den Totenzettel schreiben,
      Und trittst dir so noch Wunden in den Scherben.

Heine
1830

Fahr hin, ergrimmter Blitz, mit deinen Flammen!
      Willkürlich wähnt der Tor dein Zauberlicht,
      Fahr nieder, daß es prasselt, brennt und bricht,
      Und schlag die Eulennester nur zusammen.

Du klärst die Luft, wer dürfte dich verdammen?
      Und wenn es auch von Schwefel etwas riecht,
      Uns schreckt der Beigeschmack von Teufel nicht,
      Wir wissen, daß von Gott die Blitze stammen.

"Der kleine Jude!" näselt das Gespötte?
      Was Jud, was klein! Der Geist schreibt die Gesetze,
      Verstand und Witz sind deine blanken Waffen,

Sie überdauern alle Bajonette;
      Gefühl und Phantasie sind deine Schätze,
      Rothschild vermag nicht reichere zu schaffen.

E.T.A. Hoffmann

Ein kluger Apotheker fand Ergötzen,
      Gebilde seltner Art, von Pflanzen, Tieren,
      Und Mißgestalten, schön zu präparieren;
      Die Monstra dann in Spiritus zu setzen.

Mit Staunen sieht man unter edlen Schätzen
      Skurrile Mumien seine Hallen zieren,
      Zur Labung doch beim einsamen Hantieren
      Mag er am Likör selbst sich manchmal letzen.

Da kreist's und klingt's um ihn, die toten Fratzen
      Gewinnen Leben, und vom tollen Zeuge
      Ist Schönes, Wahres nicht zu unterscheiden.

Es reden Wurzeln, Flöhe, Hunde, Katzen,
      Melodisch an der Wand die alte Geige
      Singt ihre Wonnen drein und ihre Leiden.

J.H. Voß

Em Meister glaubt die Poesie zerronnen,
      Weil ohne Takt und Rhythmen dichte jeder,
      Und hat geschickt von Holz, Metall und Leder
      Zu ihrer Rettung sich ein Werk ersonnen.

Doch weil zum Trieb ein Fluß ihm fehlt, ein Bronnen,
      Stellt er inmitten aller andern Räder
      Ein großes Tretrad aus als Kraft und Feder,
      Und meint, nun sei der Dichtkunst Heil gewonnen;

Er kriecht dann selbst hinein und tritt und dichtet,
      Und Anapäste, Jamben und Daktylen
      Muß ihm gehorchend die Maschine schmettern:

Mag er zum Himmel nun den Geist gerichtet,
      Auch noch so körnig denken, innig fühlen.
      Man hört ihn nicht vorm Klippklapp seiner Metern.

Rückert

Grau war der Himmel, starr und ungeheuer
      Umragten Felsen karge Frühlingssprossen —
      Da tost' es laut, zum schwarzen Abgrund schossen
      Die Wellen eines Stroms, und zarte Schleier

Entquollen seinem Sturz, in ewigneuer
      Geburt. Ich stand entzückt. Doch ausgenossen
      War bald die Lust: "nur Schaum," dacht' ich verdrossen,
      "Gekräusel — Lärm — eintön'ges Abenteuer!"

Doch aus den Wolken trat die Sonne; strahlend
      Traf sie den Wasserfall, der Iris Bogen
      Im bunten Schmelz auf seine Tänze malend;

Silber ward nun der Schaum, Smaragd die Wogen,
      Demanten streut er nährend auf die Fluren,
      Da fühlt' ich ahnend einer Gottheit Spuren.

Ludwig Tieck

Ein Mann geht in geheimnisvollem Schweigen,
      Bewährt mit Ringelstab und Zauberbinden
      Und will in dunklem Forst und Felsgewinden
      Titania schau'n und ihren Feenreigen.

Sein Ruf ertönt — und bunte Nebel steigen,
      Es huschen Geister, Flämmchen sich entzünden.
      Scherzvolle Gnomen kommen und verschwinden
      Allein Titania selbst will sich nicht zeigen.

Verstimmt kehrt er zur Stadt; — im Magierstaate
      Tritt er in ein Gemach, wo bei der Labe
      Des Tee's gelehrte Frauen konversieren.

Klug ist sein Wort, doch mystische Zitate
      Entschlüpfen ihm und mit dem Zauberstabe
      Sieht man ihn eifernd in dem Kessel rühren.

Nikolaus Lenau

Wer naht dort in der Kutte düstern Sinnes? —
      Schlecht paßt das Zeitungsblatt zum frommen Sange;
      Doch ist was Heldenhaftes in dem Gange —
      Im Blick, im Ton der Stimme ist was Kühnes; —

Durch's dunkle Kleid blitzt Waffenschmuck und Grünes; —
      Wie — seh' ich recht? du bist's, im Klosterzwange,
      Du frischer Schütz! dein Trauern macht mir bange;
      Niemand verdient das Glück wie du: gewinn' es!

Fort den Talar! die Zeitung zu Patronen
      Verbraucht! — Komm wieder im Gebirg' zu wohnen!
      Die Jesuiten laß und Demagogen

Um Kammern streiten und gemischte Ehen!
      Wir wollen, wo die Alpenrosen stehen,
      Uns baden in des Äthers reinen Wogen!

Anastasius Grün

Krieg ist's! das Volk steht auf, — doch unverbunden
      Rennt es umher; — wer doch die Fahne schwänge!
      Ein Fahnenträger kommt; — hurrah! die Menge
      Schart sich um ihn, der Führer ist gefunden.

Doch scheint das Amt dem Manne schlecht zu munden,
      Gar Manchem ahnt, er trägt's nicht auf die Länge
      Und eh' man sich's versieht bei dem Gedränge,
      In einer schönen Nacht ist er entschwunden.

Was wollt ihr des Verrates ihn nun zeihen?
      Fragt ihr ihn denn, als euer vorlaut Schreien
      Ihn zum Rebellenhaupt improvisierte?

Sein Freiheitsdrang lag fern von eurer Meute.
      Er zog zur Schlacht nicht aus — er ging zur Freite,
      Als er mit Rosen seine Fahne zierte.

Andersen

Wo dumpf des Nordmeers Wogen endlos rauschen,
      Da sitzt ein heiterlächelnd Kind am Strand,
      Umsonst durchbraust der Sturm Haar und Gewand,
      Es lächelt; — doch die klugen Augen lauschen;

Sie scheinen Winke mit der Flut zu tauschen,
      Die sie versteht: — denn Perlen, goldnen Sand
      Und Muscheln bringt sie ihm und Wundertand;
      Da kann es sich in süßem Spiel berauschen.

Der Mutwill! — braucht die kostbaren Korallen
      Als Rohr für seine Seifenblasen eben! —
      Doch ach, wie spiegeln die! Ein Bild von Allen:

Von Erd' und Himmel, ja vom Land der Feen
      Sieht man; — sogar der Menschen Herz und Leben
      Steht treu darin; — ich hab' es selbst gesehen!

Johann Mayerhofer

Ich suchte mir — mein Sinn war trüb umfangen,
      Den öd'sten Pfad, wo halbvermorschte Zäune
      Kaum Lebensspuren wiesen. Blaß im Scheine
      Des vollen Monds, der eben aufgegangen,

Lag still die Welt — nur schrille Heimchen sangen.
      Fahl schimmernd durch die Nesseln, Dornen, Steine,
      Verrieten klagend menschliche Gebeine
      Daß Jemand hier ein Grab — nicht Ruh empfangen.

Für einen zweiten Gast war's wohl erneuet,
      Und was dem Ersten Liebe mitgegeben,
      Sein Totenschmuck, die Spende treuer Seelen,

Lag mit den Knochen nun umhergestreuet;
      Mich trieb's, den unscheinbaren aufzuheben —
      Und sieh! es waren köstliche Juwelen.