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VI.
Wanderstufen

 


1.

Als ich noch träumend in der Tiefe weilte,
     In jener unschuldvollen Jugendzeit,
     Und meines Herzens volle Innigkeit
     Mit jedem mir geneigten Wesen teilte,

Wo Frühlingskuß des Winters Schmerzen heilte,
     Da war der Sinn so froh, das Herz so weit,
     Der offne Arm stets zu empfahn bereit
     Der Freunde Schar, die mir entgegen eilte.

Was gab es da nicht kosend auszutauschen!
     Die Blumen alle nickten holden Gruß,
     Und Lieder tönten zu des Baches Rauschen.

Dann schwelgt' ich in der Laube Dämmerungen,
     Beglückt von keuscher Liebe Zitterkuß,
     Von Philomelens Wohllaut eingesungen.

2.

Doch auf die Berge trieb es mich zu steigen. —
     Entflohn dem holden Reiz, dem süßen Schalle,
     Umfing mich labend auf dem Felsenwalle
     Der dunkle Wald mit stolzen Nadelzweigen.

Mit Ehrfurcht grüßt' ich das erhabne Schweigen,
     Staunend der Erze Pracht und der Kristalle,
     Begeistert stand ich bei des Stromes Falle —
     Allein verschwunden war der Freunde Reigen.

Nur fliehnde Gemsen keuchten durch die Stille,
     Blutdürst'ge Jäger kamen nachgeklettert,
     Neugier'ge Forscher zeigten sich vermessen.

Doch mich umhüllte düstrer Wolken Fülle;
     Umrollt vom Donner und vom Blitz umschmettert,
     Mocht' ich die Ford'rung eigner Brust vergessen.

3.

Und endlich zu den Gletschern vorgedrungen,
     Dem Wanderdrang des Herzens zu genügen,
     Trank ich des Abends Glut in vollen Zügen;
     Des Himmels ganze Klarheit war errungen.

Doch alles still — der letzte Laut verklungen.
     Tief unten sah ich in den Nebelwiegen,
     Mit Wehmut fast, die schöne Erde liegen,
     Allmählig von der schwarzen Nacht verschlungen.

Schauer durchfließt mich. — Sirius Feuerblick,
     Selenens Schein, Orions Strahlenbinde
     Ersterben, denk' ich an der Heimat Glück.

Gib, seufz' ich zagend in die eif'gen Schlünde,
     Ach, gib nur eine Blume mir zurück! —
     Die Klage selbst, spurlos, verhallt im Winde.