Märchendichtung
(1863)
Ich ging nach dem Walde, um Märchen zu suchen,
Wie einst Urahne von dort sie gebracht;
Ich suchte im Tannicht und unter den Buchen,
Auf sonnigem Felsen, im düsteren Schacht.
Es half mir kein Suchen, kein Klettern und Steigen,
Es wollten sich nirgends die Märchen zeigen.
Da nahte ein Knäblein in goldenen Haaren,
Erdbeeren im Körbchen und barfuß und arm,
Daneben ein Mädchen, noch jünger an Jahren,
Hielt kosend ein schneeweißes Täubchen im Arm.
Wohlauf und so sag' mir, du niedliches Pärchen,
Wo find' ich im Walde die köstlichen Märchen?
Sie hier – so hört' ich das Knäblein stammeln —
Wir haben die Schürzen, die Taschen gefüllt;
In Moos und im Teiche, du brauchst nur zu sammeln,
Was Grotte und Quell und Gebüsch dir verhüllt.
Ach, rief ich, ich habe schon Stunden auf Stunden
Das Alles durchsucht und hab' doch nichts gefunden.
Da sah'n sie mich an und kicherten leise
Und wurden zwei lustige Waldvöglein,
Und flogen von dannen und – Glück auf die Reise!
Da stand ich mit offenem Munde allein.
Fort sind sie und werden nicht wiederkommen
Und die Märchen, die haben sie mit sich genommen.
Da ziehet ein steinalter Rabe im Laube
Den Kopf aus dem Flügel: Die Märchen, du Wicht,
Die findet nur Einfalt und kindlicher Glaube;
Wer sucht mit der Brille, der findet sie nicht.
Du bleib' fein — so rief er und wetzte den Schnabel —
In der Stube und lerne Parabel und Fabel.
Ein Frühlingsbild
Nach einer Landschaft
Das ist ein Sonntagsmorgen
Nach langer, trüber Zeit:
Die Erde lacht und schimmert
Im schönsten Maienkleid.
Ein blaues Kindesauge,
Geklärt von Tränen schnell,
Blickt weltumarmungsselig
Herab der Himmel hell.
In tausend Tropfen spiegelt
Sich farbenreich sein Bild,
Es grüßen die grünen Wipfel
Hernieder ins Gefild.
Dort tun die Waldeshallen
Sich auf mit Kronen dicht,
Doch zu tiefst in all seine Gründe
Dringt heut das siegende Licht.
Von funkelndem Golde triefet
Der fernste, heimlichste Zweig —
Der ganze Wald ein helles
Grüngoldenes Wunderreich.
Und durch des Waldes luftig
Gewölbtes Bogentor
Zieht festlichen Gepräges
Ein schmucker Jägerchor.
Voran auf weißem Zelter
Mit gold'nem Wappenschild
Zieht langsam hin und stille
Ein stolzes Frauenbild.
Ihr freies Aug' ergießt sich
Mit Luft ins verwandte Blau,
Um ihre Stirne blitzet
Edeln Gesteines Tau.
Die süße Wange umwallet
Des Duftmeers gold'ne Flut
Und Falterflügel fächeln
Um ihrer Rosen Glut.
Wie tänzelt der zierliche Gänger
Unter der holden Last!
Ein Page mit zitternder Hand hält
Den güldenen Zaum gefaßt.
Vom Sammetpfade lenket
Der Knabe nicht einen Blick,
Sein Auge sinnt und die Wange
Glühet von stillem Glück.
Es schmettern entzückt die Finken
Ihre Lieder, wo sie naht,
Es streuen die duftigen Blätter
Die Rosen auf ihren Pfad.
Der ganze blinkende Frühling,
Sonst schweifend so frei und wild,
Schmiegt sich gefangen als Rahmen
Um das entzückende Bild.
In all dem Huldigungsjubel
Durch Wald und Flur und Hag
Was will, du schweigender Page,
Dein heimlicher Herzenschlag?
Im Herbst
Rauchsche, geschäftiger Hauch, Vorbote des stürmischen
Winters,
Fege das Laub vom Strauch, streue die Halme umher.
Lege den Schmuck von dir, o Natur, und strecke die kalten
Starrenden Arme hinan bange zum Abendgebet.
Was da geblüht und gelacht und gegaukelt und fröhlich
gesungen,
Schweige und ruhe hinfort, bleiche und weiche dem Ernst.
Stille ringsum! Kein Donner erdröhnt, die geschwätzige
Quelle
Unter kristallnem Visier birgt sie den plaudernden Mund.
Bald vom hohen Gewölb unhörbar wallet die Flocke
Nieder zu dir und hüllt leise, o Erde, dich ein.
Über das Bett noch webe und breiten die Geister des Wassers
Sorglich den Schleier dir aus, der vor dem Lichte dich
schützt.
Manchmal nur wie der Mutter am Bette das schlafenden Kindes
Spähet ein liebendes Aug' drüben am Rand des Gebirgs
Unter den Schleier herein und lächelt leise und freut sich
Wie so friedlich und sanft nun die Ermattete ruht.
Ach wie süß sich all dem Blüh'n und Glühen und Schaffen,
Nach vollendetem Werk mag ihr die Ruhe wohl sein.
Bist auch du schlaftrunken, o Herz, und suchest der Träume
Friedliches Moos um fern schmerzlichem Glücke zu ruh'n?
Liebe und Leid und Luft und der Mühsal drückende Bürde
Hast du getragen genug, aber es fehlte die Frucht.
Ruhe du nur, du mußt, doch werden beklemmende Träume
Stören den Schlaf und dich schrecken vom Lager empor.
Daß ein liebendes Aug' auch meinen Schlummer bewachte,
Und zu schönerem Lenz weckte den starrenden Baum!
Am Abend
Abend ist's, es webt der weiche
Dämmerflor um Berg' und Tale,
Und der Mond mit sanftem Strahle
Grüßt mich aus dem Waldesteiche.
Wie sie steh'n, die grauen Recken,
Stolz noch ihre Wipfel hebend
Und die Arme mutig strebend,
Nach den ersten Sternen strecken!
Selbst die wildverschlung'nen Farren
Und der Disteln graue Köpfe,
Wie die niedrigen Geschöpfe
Nach dem letzten Scheine starren!
Was da in der Waldesdichte,
Was im Felde atmet, lebet,
Jedes Erdenwesen strebet,
Nach dem Himmel, nach dem Lichte.
Du allein im Sterngefunkel,
Wand'rer mit bestaubten Schuhen,
Möchtest gern da unten ruhen,
Sehnsuchtmüd in Nacht und Dunkel?
Spruch
Verlange nicht vom holden Rosenstrauch,
Daß er auch fromme Lilien dir trage;
Der Rose Glut ist ohne Makel auch,
Um jede Pflanze blüht nach ihrem Schlage.
Bei Hermann v. Gilm's
Leichenfeier
10. Dezember 1868.
So sei im Klang des Liedes
Geleitet heimatwärts
Aus ferner Gruft, du müdes,
Du treues Sängerherz!
Daß hier dir Ruhe werde,
Wie war dein Sehnen groß!
Nun nimmt die Muttererde
Dich auf in ihren Schoß.
Wie ihr geweiht gewesen
Dein Lied, den Leben hier,
Gehst du nun aufzulösen
Dein irdisch Teil in ihr.
Doch deine Lieder leben
Und zieh'n von Tal zu Tal,
Solang noch Lerchen streben
Hinan zum Morgenstrahl;
So lang auf unsern Almen
Ein Keim zum Lichte dringt,
Und nach der Freiheit Palmen
Ein Menschengeist noch ringt;
Bis einst ein Tag im Lenze
Die Nebel all durchbricht
Und seine Siegerkränze
Um deine Urne flicht.
Guter Tod
"Was sinnst du Liebe? Beide siebzig Jahre!
Wohl, es ging rascher, als wir's uns gedacht.
Je nun – in Ehren weiß sind uns're Haare,
Und dann, mein Tagwerk, dächt' ich, wär' vollbracht."
""Was meine Hände zu besorgen hatten,
Ist auch erfüllt: ein Amt hat unser Sohn.
Die Mädchen steh'n im Schutze wack'rer Gatten
Und uns umspringen blüh'nde Enkel schon.
Und du, mein treuer Alter, bist zufrieden,
Ob manchmal steil, stets rein blieb uns're Bahn;
Wohlan! Auch ich hab' keinen Wunsch hienieden
Und auch mein Tagwerk, fühl' ich, ist getan.""
"Nicht ganz, du Liebe! Denn so lang ich lebe,
Wie könnt ich missen dich in Wohl und Weh?
O daß der Himmel diese Gunst mir gebe,
Daß ich vor dir von dieser Erde geh."
""Und ich – ach daß du solltest vor mir scheiden,
Ist schrecklich; doch kaum minder ist die Pein,
Zu denken, daß du sollst den Schmerz erleiden,
Mich zu verlieren und verwaist zu sein.""
Die Greise steh'n und seh'n sich an in Tränen:
Wie schmerzt die Wahl und keine Tröstung naht —
Doch wo die Menschen keinen Ausweg wähnen,
Da weiß und schafft der treue Himmel Rat.
Sein Engel kommt und drückt auf Beider Munde
Gerührt den Kuß, den Stiller jeder Not,
Und Hand in Hand geh'n sie zur selben Stunde
In's Land der Ruh, wo keine Trennung droht.
Auf den Tod
des Forstdirektors A. Sauter und seiner Gemahlin Josefine,
welche beide am 15. Juli 1872 innerhalb einer halben Stunde
starben.
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