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Mag Euch Alles gleich nicht munden:
Alles glückt auch Meistern nicht!
Wenn Ihr Etwas nur gefunden.
Was Euch mehr zum Herzen spricht!

 
Dritte Lese
 
Die beiden Gräber
An die Unduldsamen
Des Menschen Bild
Bitte
Der närrische Küster
Maß für Schmerzen
Die Gräfin von Querfurt
Mein Wecker
Der Falschmünzer
Weltsinn
Die Unverwundbare
Die Karthausen
Das Pilgerhemde
Mein Stammbuch
Sankt Helena
Täuschung
Die Freierprobe
Tagesleben
Orpheus
Dichterglück

 

I.
Die beiden Gräber

Zwei feindliche Geschlechter wohnen
In Spaniens alter Königsstadt,
Die nichts in ihrem Hasse schonen,
Des tiefsten Grolles nimmer satt.
Das Fluchkorn, so die Väter säten
Im Taumel blinder Eifersucht,
Gepfleget wird es, statt zertreten,
Und wuchert auf zur üpp'gen Frucht.

Doch wie am starren Gletscherhange
Die Alpenrose freundlich glüht,
So ist, zum Trotz dem frevlen Zwange
Die frömmste Lieb' auch hier entblüht.
Alfons, des einen Hauses Erbe,
Wächst hier zu kühnem Heldenlauf,
Und würdig, daß er um sie werbe,
Lorenza dort als Erbin auf.

Die Liebe läßt sich nicht bedeuten,
Was nicht geschehen soll, geschah:
Das Kinderpaar der Haßentzweiten
Sieht sich und liebt, seit es sich sah.
Und liebt so heimlich, weil so innig,
Und liebt so innig, weil so fromm,
Und birgt vor alter Welt so sinnig,
Was längst zur hellsten Glut entglomm.

Wohl sehen sie den Abgrund offen,
Und keinen Engel, der ihn schließt;
Doch Schwestern sind sich Lieb' und Hoffen,
Und das erwärmt, wo jene sprießt.
Oft brüten sie an Sühnungsplanen;
Und fiel' auch ihre Trän' auf Erz,
So bleibt ja ihrem sel'gen Ahnen
Noch ihre Liebe, noch ihr Herz.

Wer ist, wenn sie sich so begegnen,
Wer ist wohl glücklicher, als sie?
Sie sind versucht, ihr Leid zu segnen:
Ihr Leid ist ihre Harmonie.
Wenn Aug' im Auge perlend schimmert,
Wenn Seufzer sich in Seufzer mischt,
Und, wie die Sonn' aus Nebeln flimmert,
Ein Lächeln dann den Gram verwischt;

Wenn sie auf sich beschränkt sich fühlen,
Selbstschöpfer einer eignen Welt;
Wenn sie mit dem Geschosse spielen,
Das, eh' sie's ahnen, wohl schon fällt;
Wenn sie den Finger kühn verachten,
Der zürnend ihrem Bunde droht,
Das Meer von Sehnen dann und Trachten
Verschlingt den Tropfen ihrer Not.

Doch endlich trifft der Pfeil; verraten
Wird, was er längst geahnt, dem Haß,
Bedroht sieht er die Höllensaaten,
Die er mit Schadenfreude maß.
Doch Liebe soll ihm nicht zerstören
Den langgebauten, eh'rnen Plan:
Der Eine mag den Sohn nicht hören,
Der Andre grollt die Tochter an.

Hier droht die Vaterhand erhoben
Alfonso'n mit des Fluches Grau'n,
Gebeugt ist dort von wildem Toben
Lorenza's krankes Haupt zu schau'n.
Verkerkert hinter Schloß und Riegel,
Zergrämt sich hier und dort die Not; —
Doch Liebe findet ihre Flügel —
Wenn nirgend anders — doch beim Tod.

Und diesem reifen sie entgegen,
Mit gleichem Schritt, ein gleiches Paar,
Ein Herz weiß von des andern Schlägen,
So scheint's: — denn Beide bricht Ein Jahr.
Zu Beiden tritt an Einem Tage
Der düstre Friedensengel ein;
So sargt sie mit verhaltner Klage
Der Eltern Haß im Totenschrein.

Nur daß man ihnen Eins erfülle:
Verlangten sie der Welt noch ab:
Beisammen — hieß ihr letzter Wille —
Beisammen wünschten sie ihr Grab.
Wie feilscht der Haß, der dumpfergrimmte,
Selbst um dies Recht noch mit dem Tod;
Allein des Richters Spruch bestimmte:
Der letzte Wille sei Gebot!

So trägt man, was getrennt im Leben,
Denn nun vereint zum letzten Haus;
Hier schläft Alfons, und hart daneben
Ruht hier Lorenza schlummernd aus.
Doch fühlt der Haß sich's nicht verleidet,
Und mitten auf den schmalen Raum,
Der schonend beide Gräber scheidet,
Pflanzt er — erfindrisch — einen Baum.

Pflanzt ihn, daß er die Wurzeln berge,
Daß er hinablang' in den Grund,
Und von einander dräng' der Särge
Geheimnisvollen Gräberbund.
Und wirklich scheint es so zu werden;
Schon grünt der Stamm im Frühlingsglanz,
Und vielfach in den Schoß der Erden
Verzweigt er seinen Wurzelkranz.

Doch wunderbar! die Wurzeln drängen
Nicht auswärts, Sarg von Sarge nicht,
Man sieht sie unten durch sich zwängen,
Wie sich um's Korn die Hülse flicht.
Und dichter schwellen sie und drücken
Gewalt'ger Truh' an Truhe vor,
Und grünen aus des Hügels Rücken
Als Doppelmonument empor.

Die Altern seh'n's mit schwächrem Grollen,
Durch Zufall einst am Grab vereint,
Sie wissen selbst nicht was sie wollen,
Ihr Aug' beschämt den Haß — und weint.
Und durch das junge Blattgetriebe
Scheint es zu weh'n im Maienlicht:
Das Herz sich brechen läßt die Liebe,
Sich trennen läßt die Liebe nicht.

An die Unduldsamen

Ach! daß man die Zeit der Liebe
Doch so gern und schnell vergißt!
Daß, wer heute noch ihr Priester,
Morgen schon ihr Quäler ist.

Sieh! wie sie die Achseln zucken,
Seh'n sie nur ein Paar, das liebt,
Und den Pfeilen ihres Witzes
Eine Brust zur Scheibe gibt;

Seh'n sie, wie gewandt und arglos
Hand und Blick Erwiderung sucht,
Wie dem Herzen jede Knospe
Reift zu einer goldnen Frucht;

Seh'n sie, wie man um ein Stündchen
Wortverlegner Gegenwart
Lange Tage, längre Nächte
Kargend oft sich weggespart.

Und doch träumten diese Richter,
(Ist's ein Traum) wie ich und du;
Stürmten unter gleichen Fahnen
Einem gleichen Ziele zu.

Schalten damals den, der lachte
Ihrer heil'gen Harmonie,
Und nun schelten diese Kalten
Den, der tut, wie damals sie.

Damals — wären sie der Erde
Herrn gewesen eine Nacht, —
Ach, wie hätt' ihr Glück als Sonne,
Jeder Liebe Glück gelacht!

Und nun nehmen sie die Schaufel
Ihrer Seelenlosigkeit,
Einen Baum zu untergraben,
Dessen Frucht auch sie erfreut.

Und nun lohnen sie mit Spotte,
Was sie sich zu haben freu'n,
Gleich als wollten sie verleugnen,
Daß sie dadurch glücklich sei'n.

Arme Spötter, nehmt den Spiegel
Eurer Jugend doch zur Hand,
Und beschaut nur eure Züge,
Ob denn jede Spur verschwand!

Jede Spur, daß dieses Auge,
Das mit Seitenblicken straft,
Auch einmal zur Wiege diente
Namenloser Leidenschaft;

Jede Spur, daß diese Lippen,
Die nun kalter Hohn entstellt,
Andre Lippen suchten, fanden,
Und nicht küssenssatt geschwellt;

Jede Spur, daß dieser Busen,
Den nun strenger Ernst umhüllt,
Nur gepreßt an einen andern
Sein entfesselt' Blut gestillt;

Jede Spur, daß diese Hände
Bettelten um einen Druck;
Daß dies Haar sich ließ berauben,
Zum Entgelt für scheinen Schmuck;

Daß der Mensch, an dessen Schulter
Nun vielleicht ein Antlitz lehnt,
Um dies Antlitz auch geworben,
Um dies Weib sich auch gesehnt!

So in eurer Jugend Spiegel
Blickt nach euch, ihr Spötter, um!
Wenn man liebte, Liebe quälen,
Bringt — bei Gott! geringen Ruhm

II.
Des Menschen Bild

Der Dänenkönig Sigar saß trüben Angesicht's
Er rief die Schar der Freunde, — sie kam, — doch sprach er nichts.
Und endlich hob er langsam die Augen himmelwärts,
Und öffnete die Lippen und sprach mit innrem Schmerz:

"Ich bin ein alter König, hab' viel gewirkt, gestrebt,
Hab' lange mit den Menschen als Mensch geirrt, gelebt,
Hab' matt den Leib gerungen und grau gekämpft mein Haar,
Und dennoch weiß ich nimmer zu sagen, wer ich war.

Meerwogen laß' ich geißeln, wofern es mich erfreut,
Eisberge rollen nieder, wofern mein Wink gebeut,
Für Alles hab' ich Bilder, was fliegt und steht und quillt,
Und dennoch such' ich immer umsonst für mich ein Bild!

Was ist der Mensch? — Ein Träumer? — Träumt er, oft wacht er doch!
Was ist der Mensch? — Ein Schemen? — Mein Leben lebt mir noch!
Er ist zu groß ein Würmchen, — zu klein ein Gott zu sein,
Zu hart für eine Blume, zu weich für einen Stein.

Sein Bild ist nicht die Schlange, sein Bild ist nicht der Aar: —
Ich bin ein alter König, und weiß nicht wer ich war!
Geht, ruft mir meinen Skalden, der trank aus Mimer's Quell:
Er schaffe mir vom Menschen ein treues Bild zur Stell!"

Der Skalde kommt gegangen, der König fragt bewegt;
Der Skalde faßt den Griffel, den er am Gürtel trägt;
Und an die Mauer tritt er mit still erhobnem Sinn,
Und zeichnet einen Zirkel und wieder einen hin. —

Mit Staunen sieht die Menge dem sondren Maler zu. —
""Das ist der Mensch, o König, — das, spricht er, bist auch du!
In diesem Zirkel schaust du des eignen Leib's Geschick:
In seinen Anfang eilt er, der Staub in Staub, zurück.

In jenem aber schaust du der eignen Seele Glück:
In ihren Anfang eilt sie, das Licht in Licht, zurück!"" —
Der König aber hört es, und drückt des Skalden Hand,
Und wischt mit seinem Mantel die Zirkel von der Wand.

Bitte

Seht ihr mich an manchem Tage
Tun, als wüßt' ich mich allein;
Gleich ich, taub für jede Frage,
Meinem eignen Bild von Stein;

Nennt der Zeiger meiner Augen
Euch den Lauf der Seelenuhr;
Schein' ich euch nur Gift zu saugen
Aus dem Becher der Natur;

Laßt dann immer mich gewähren,
Und verschwendet kein Bemüh'n,
Sucht mich ja nicht zu bekehren,
Oder unter euch zu zieh'n.

Keines Scherzes tändelnd Witzeln
Bannt den Geist, der da mich faßt,
Keine Schmeichelfinger kitzeln
Mich in Schlummer oder Rast.

Keines Vorwurfs herbe Rede
Macht mich irr in meinem Tun;
Eh' sie abgetan die Fehde,
Bringt mich keine Macht zum Ruh'n.

Seht das Meer, wenn seine Wellen,
Aufgewühlt von innrem Krampf,
Grollend aufeinander schwellen,
Und entglüh'n im Bürgerkampf!

Torheit dann, die Flut zu streicheln,
Daß sich leg' ihr dumpfer Groll;
Ihr mit Balsamtropfen schmeicheln,
Daß sie ruhig werden soll;

Torheit auch, sie drob zu geißeln,
Daß sie möge stille steh'n: —
Sie wird ihre Wirbel kräuseln,
Ihr mögt drohen oder fleh'n.

Seht, so ist's mit den Gedanken
Und Gefühlen meiner Brust;
Oft im Stürmen und im Schwanken
Feiern sie ganz eigne Lust.

Darum wollt mich dann nicht stören!
Sei der Himmel noch so grau:
Ewig kann der Sturm nicht währen,
Einmal wird es wieder blau!

III.
Der närrische Küster

Ein eisiger Dezemberwind
Durchsaust die öde Flur,
So weit der Nebel schauen läßt,
Nicht eine Lebensspur.

Nur von der Kirchhofmauer her,
Wo still der Küster wohnt,
Da färbt ein matter Flammenschein
Den grauen Horizont.

Der Wandrer, der des Weg's verfehlt,
Wähnt dort das Dorf zu schau'n; —
Und kommt und sieht er, wo er steht,
Dann faßt ihn fröstelnd Grau'n.

Den närr'schen Küster sieht er dort
In kalter Nacht allein;
Gekauert sitzt er auf ein Grab
Bei mattem Flammenschein.

Ein morsches Brett ist, was er brennt,
Und offen gähnt ein Grab;
Drein sinkt mit mancher Flocke Schnee
Auch manche Trän' hinab.

Und näher zieht's den Pilger hin:
Das Grau'n hat eignen Reiz;
Nicht merkt, so scheint's, der Küster ihn;
Er lauscht an einem Kreuz.

Der Küster aber sitzt und sinnt,
Und schaut in's Flammenlicht;
Sein Leib ist starr, sein Bart bereift,
Er aber achtet's nicht.

Er tut als wär' ihm noch so warm,
Hält nur die Hand zur Glut,
Und scheint bei seinem kalten Tun
Recht warm an Mut und Blut.

Der Pilger ahnt wohl was es sei,
Tritt vor den stillen Mann,
Und da er nicht erstaunt ihn sieht,
Spricht er ihn freundlich an:

"Gott sei mit Euch! Es saust so kalt,
Daß mir's ganz frostig wird;
Und Ihr sitzt bei so karger Glut, —
Wie kommt's, daß Ihr nicht friert?" —

""Bei dieser Glut — ich frieren? — Ha!
Mir ist recht wohl zu Mut!
Ich brenn' ein Brett von Liebchens Sarg:
Das gibt 'ne warme Glut!""

Maß für Schmerzen

Ihr scheltet meinen Unmut — Traum,
Und spottet meiner Trauer,
Weil eine kurze Stunde kaum
Oft ihre längste Dauer.

Wehleidig heißt ihr mich und schwach,
Und kindisch meine Tränen,
Wenn mir das Herz beinahe brach
Vor namenlosem Sehnen.

"Ein Stündchen," sprecht ihr, "trüben Blick,
Und Alles dann vorüber;
Und doch erkennst du nicht dein Glück,
Und jammerst wohl noch drüber!"

O Freunde! meßt die Trauer mir
Nach Stufen nicht und Stunden!
Im Herzen liegt das Maß dafür,
Wo sie sich eingefunden.

Ein weiches Herz — ein tiefer Schmerz,
Und währt' er nur Minuten,
Und was oft kalten Seelen — Scherz,
Läßt warme dran verbluten.

Und ach! wer kann die warme Brust
Mir kühlen oder nehmen?
Wer zügeln ihre heiße Lust,
Wer sänftigen ihr Grämen?

Was eure kaum in Jahren fühlt,
Sie fühlt's in Augenblicken;
Was euch kaum auf die Seele zielt,
Kann meine niederdrücken.

Ein Knäul ist ihr der kleinste Gram,
Woran sie zerrt und windet,
Bis sie so tief in's Rütten kam,
Daß die Geduld ihr schwindet.

Der kleinste Funk' ist ihr ein Brand,
Woran sie bläst und schüret,
Bis sie sich plötzlich übermannt
Von wilder Lohe spüret.

Dann bricht sie los, dann flammt sie auf
In unnennbarem Hader,
Und jagt das Blut in raschem Lauf
Von Ader mir zu Ader.

Drum messet nicht nach Stunden mir
Der Seele tiefe Schmerzen!
Das einzig wahre Maß dafür
Liegt nur im eignen Herzen.

IV.
Die Gräfin von Querfurt

Am schönen Quellbrunn einsam geht
Der heilige Bruno, vertieft in Gebet;
Und was er so sinnet im Stillen erbaut,
Das singen die Vöglein des Waldes gar laut.

Da kommt ein Weib des Weges daher,
Sie trägt an einem Kessel schwer,
Darüber ist ein Mantel gedeckt,
Als wäre drein was Geheimes versteckt.

Und wie sie so huscht an dem Heil'gen vorbei,
Da tönt aus dem Kessel ein wimmernd Geschrei;
Und Herz und Auge zieht es ihm hin;
"Weib!" fragt er, "was trägst du so heimlich darin?"

Das Weib, erschrocken, es stammelt schnell:
""Nichts! — Junge Wölflein — trag' ich — zum Quell!""
"Ei, Wölflein?" — ""Hündlein!"" — "Laß mich doch seh'n:
Vielleicht möcht' eins zu Gesichte mir steh'n!"

Das Weib setzt ab mit verstörtem Blick;
Der Heilige streift die Hülle zurück:
"Herr Gott! Nicht Hunde, — das sind ja fürwahr
Acht Kindlein, wie kaum sie die Mutter gebar!"

Das Weib sinkt niedergedonnert in's Knie,
Der Heil'ge betrachtet die Kinder und sie,
Dann ruft er ergriffen von Zweifel und Angst:
"Gestehe, so wahr du dein Heil verlangst!"

""Herr!""-schluchzt sie, — ""vergebt! Sie sind nicht mein,
Graf Gebhard auf Querfurt nennet sie sein.
Euch, seinem Bruder, ist's wohl bekannt,
Wie daß er gezogen in fremdes Land.

Indes gebar ihm die Gattin daheim,
Neun Früchte trug ihr ein Lebenskeim.
Ihr wißt, Herr Gebhard ist rauh und wild,
Dem leichtlich das Herz von Unmut schwillt.

Beschwerliche Reden führt' er sogar,
Wenn reichlichen Segen ein Weib wo gebar;
Drum lag auch verzweifelt die Mutter da,
Als gar neun Würmlein sie vor sich sah.

Mit grollendem Herzen wird er sie seh'n,
Als wär's nicht mit rechten Dingen gescheh'n;
Wird ehrlos schelten Kinder und Weib,
Wird wild sich vergreifen an ihrem Leib.

Drum lieber ihr Leben geknickt im Keim,
Das neunt' und stärkste nur bleibe daheim!
So überwältigt' in bangem Gewühl
Des Vaters Rauheit der Mutter Gefühl!""

Der Heilige schaudert, da er's vernimmt,
Faßt Kindlein um Kindlein dann weichgestimmt,
Besprengt sie taufend mit heiliger Flut,
Und spricht: "Sie bleiben in meiner Hut!

Geh' heim und sag', es wäre vollbracht,
Und hülle das grause Geheimnis in Nacht.
Ich will für sie sorgen, was auch da kommt,
Der Herr wird's wenden so, wie es frommt!"

Das Weib geht heim, der heilige Mann
Nimmt warm der geretteten Kindlein sich an;
Aufblüh'n sie, so wie er's von Gott sich erfleht,
Acht Röslein, ein liebliches Blumenbeet.

Oft küßt die Gräfin den neunten Sohn,
Für acht verkaufte den blutigen Lohn,
Und starrt ihn an und seufzt vor Qual: —
Schier faßt ein Argwohn den rauhen Gemahl. —

Neun Jahre steigen in's Zeitengrab,
Da ruft Herrn Bruno die Pflicht fernab;
Ihm scheint's im Geiste wohl vorzugeh'n,
Als sollt' er die Heimat nicht wiederseh'n.

Drum eilt er zu seinem Bruder hin,
Und spricht ihm mit warmer Rede zu Sinn,
Und sagt ihm, wozu er die Gattin trieb,
Und wie's durch ein Wunder verhütet blieb.

Und läßt sich's beschwören mit heiligem Eid,
Der Mutter es nicht zu entgelten durch Leid.
Dann eilt er zur Gräfin und leuchtet mit Macht
Zu tiefst ihr hinab in des Herzens Schacht.

Und als sie zerknirscht in Tränen versinkt,
Da ruft er den Grafen, entfernt sich und winkt,
Und siehe, durch's Tor herzinnig gerührt,
Da nahen acht Knäblein, vom neunten geführt.

In gleichem Gewand, gleich golden an Haar,
Die kindlichen Augen gleich blau und klar,
Gleich rot die Wangen vom Jugendschein,
Sind's neun in Einem und Einer in neun!

Und wie nun des jungen Lebens so viel
Sich rührt und regt in lust'gem Gewühl,
Und wie sich's um Vater und Mutter drängt,
Und schmeichelnd an Knie und an Arme sich hängt;

Da schmilzt wohl des Grafen verhärteter Sinn,
Da wirft die Mutter in Tränen sich hin;
Da ist bei einander groß Freud' und Leid,
Ein Schwanken von Vorwurf und Seligkeit.

Herr Bruno aber blickt auf zu Gott:
"Du ließest mich, Herr! nicht werden zu Spott!
Laß werden die Eltern den Kindlein gleich:
Denn ihrer ist ja das Himmelreich!"

Mein Wecker

Nicht Räderuhr, nicht Schlagwerk und Gewicht,
Selbst Morgenglock und Haushahn brauch' ich nicht,
Auch weder einen Knecht, noch eine Magd,
Die mich allmorgendlich zu wecken zagt.

Denn einen Wecker hab' ich nebenan,
Der es weit besser, als sie alle kann,
Er zupft mich nicht an Zehe, Nas' und Haar,
Vom Herzen aus weckt er mich wunderbar.

Der kleine Wecker aber ist mein — Kind,
Der weckt mich zuverläßig und geschwind.
Ein Laut, ein Schrei — so ist es mir genug:
Weiß Gott! er kennt den rechten Glockenzug!

Dann spring' ich hin zu ihm und seh' mit Lust
Sein liebes Lächeln nach der Mutterbrust,
Und frommer Wünsche wird mein Herz so voll,
Wie es am Morgen eben werden soll.

Und weckt er oft mich etwas früher auch,
Als es vordem gewesen mein Gebrauch,
Ich bin gleichwohl der Erste nicht empor: —
Die Muttersorge kam mir stets zuvor.

Und sollt' ich manchmal auch der Erste sein,
Wie wäre dieses Opfer doch so klein!
Für's Lamm erwacht der Hirt im Dämmerlicht:
Und ich — ich sollte für mein Kind es nicht?

V.
Der Falschmünzer

Der Scherge tritt zum Richter: "Herr, draußen steht ein Mann,
Von schwerer Schuld belastet klagt er sich selber an;
Sein Haar ist wirr, sein Antlitz verstört, sein Auge starr,
Und wär' er kein Verbrecher, ich meint': er wär' ein Narr!"

Der Richter heißt ihn kommen, der Scherge führt ihn vor. —
"Ihr Herrn," beginnt der Fremde, "leiht mir ein gnädig Ohr!
Zu richten und zu strafen ist euer heilig Amt:
So hört denn mein Verbrechen, und richtet und verdammt!

Die schwerste Schuld, wie heißt sie?" — Die Richter meinen: ""Mord!""
Der Fremde lacht: "Die garst'ge, nächst kleinere sofort?" —
""Verrat!"" so meint der Richter. — Der Fremde lacht: "Und dann?" —
""Falschmünzerei!"" so heißt es. — "Halt, Herr! nun sind wir dran!

Falschmünzerei! —da habt ihr's. Ei seht, ihr klugen Herrn,
Die setzt ihr an als drittes? — Ihr helfet mir wohl gern? —
Ich sage, sie ist ärger, als Mord, als Hochverrat!
Falschmünzer, ja das war ich, — beschönigt nicht die Tat!"

""Falschmünzer?"" fragt der Richter, ""wo münztet ihr und wie?
Betriebt ihr's mit Genossen? Bekennt und nennet sie!"" —
Der Fremde spricht, wie höhnend: "Ihr Herrn, verstellt euch nicht,
Blickt auf aus euren Büchern, blickt mir in's Angesicht!

Erkennt ihr drauf die Spuren von Frohsinn, Liebe, Mut?
Den Zug verwelkter Maien, die Kohl' erloschner Glut?
Das fing mit seinen Reizen ein unerfahrnes Kind,
Ein Kind, das gar nicht ahnte, was böse Menschen sind!

Das Mädchen gab mir Liebe, gab Alles — Alles mir,
Und was —merkt auf, ihr Herren — was gab ich ihr dafür?
Ich münzte falsche Schwüre, — sie nahm sie an für bar;
Ich münzte falsche Tränen, — sie nahm sie an für wahr.

Ich münzte Treu' und Tugend — sie nahm sie an für Gold,
Und unecht, falsch, erlogen, war, was ich ihr gezollt.
Sie schien sich reich, sie prahlte mit dem, was ich ihr gab,
Doch als sie sich enttäuschte, da sank sie in das Grab.

Ein Mord, ihr Herrn, was ist er? — Das Eisen tötet schnell!
Was ist Verrat? — Er schlachtet sein Opfer auf der Stell'!
Falschmünzerei ist ärger, sie hält den Glauben hin,
Vergiftet das Vertrauen, verhöhnt den graden Sinn.

Drum sprecht, ihr Herrn, mein Urteil! Ich bin darauf gefaßt,
Ich kann sie nimmer tragen die bange Sündenlast.
Allnächtlich hör' ich's donnern: Falschmünzer! Kauf' dich los!
Ersetz'! Ersetz'! — Unmöglich! — die Summ' ist allzu groß!" —

Die Richter steh'n erschüttert, und rufen insgesamt:
""Beratet's mit dem Himmel, das ist nicht unser Amt.
Wir richten nicht die Herzen, wir richten nur die Tat:
Für falsche Seelenmünze gibt's keinen Menschenrat!""

Da lacht der Fremde grinsend, dann weint er wieder drein:
"O Unglück!" — ruft er, "unwert des Henkerbeil's zu sein!" —
Er geht, und, was kein Richter ihm gab in seiner Not,
Gibt ihm, nach langer Buße, zuletzt der Gram, — den Tod.

Weltsinn

Es dreht der Menschen Streben
Sich um ihr eignes Heil;
Führt nur ihr Pfad sie eben,
Sei jeder andre steil.

Sie graben sich wie ehern
In's eigne Selbst hinein,
Sind glatt für alles Nähern,
Für alles Fühlen Stein.

Du zeigst die Hand beflissen, —
Sie lachen deiner Müh';
Du zeigst die Brust zerrissen, —
Und Dornen reichen sie.

Du weisest auf Ruinen
Zerfallner Seelenruh';
Sie seh'n mit kalten Mienen
Dem letzten Falle zu.

Du zeigst, du könntest lieben,
Und fandest nur kein Herz;
Sie schelten übertrieben
Und kindisch deinen Schmerz.

Du zeigst, du könntest schaffen,
Nur fehl' es dir am Sporn;
Sie stumpfen dir die Waffen,
Und trüben deinen Born.

Du zeigst dich warm für's Gute,
Doch arm an gutem Rat;
Sie rütteln dir am Mute
Durch Spott und falsche Tat.

Was kümmert sie dein Weinen,
Und was, wozu es führt?
Du darfst dir glücklich scheinen,
Wenn's nur ein Ohr berührt.

Was kümmert sie dein Fehlen,
Dein Zweifeln und dein Müh'n?
Wenn nur nicht ihre Seelen
An gleichen Ketten zieh'n.

Drum suche nicht bei Andern
Belehrung, Rat und Licht;
Sie lassen Jeden wandern, —
Wohin? — sie kümmert's nicht

Sie gönnen ihm die Reise,
Wohin es ihm behagt,
Wenn er nur ihrem Gleise
Nicht frech sich näher wagt.

Drum still, du Herz da drinnen
Sonst bist du schlimm bestellt:
Es läßt sich nichts gewinnen
Im Treiben dieser Welt!

Verschweige deine Freuden,
Verschweige deine Pein,
Vertrau' in Luft und Leiden
Zumeist auf dich allein!

VI.
Die Unverwundbare

Ein lodernd Gerippe steht das Haus,
Die Raubluft wütet darin mit Graus;
Die Mutter stirbt bei des Vaters Mord,
Die Tochter stürzt in Verzweiflung fort.

Mit flatterndem Haare fliegt sie voran,
Und hinter ihr her ein blutiger Mann,
Das rauchende Schwert in geballter Hand,
Im Auge der Gierde leuchtenden Brand.

"Halt, schmuckes Dirnlein, wohin so schnell?"
So ruft, sie verfolgend, der wilde Gesell;
"Komm her, mich verlangt es nach solchem Schatz:
Die Fackel leuchtet, geräumt ist der Platz.

Was kümmert mich Rache, was Gold und Gestein?
Hier kann ich Alles in Allem sein'
So lüstern bleich hat der Schreck dich gemalt,
Kein Gott entreißt dich aus meiner Gewalt!

Sieh her! das Eisen so blutigrot,
Wohl blitzte dir's Vater und Mutter zu tot,
Wohl führ' es so glatt in's Herzchen auch dir, —
Doch leben sollst du mir, — leben — mir!

Wie wirbelt die Trommel, wie knistert die Glut,
Wie duftet's durch öde Gemächer von Blut!
Wie lustig ist es, dem Tode zum Hohn,
Zu ernten des Lebens beneidetsten Lohn!?" —

Die Jungfrau vernimmt des Kriegers Wort,
Noch ärger als Brand, noch grauser als Mord;
Sie fühlt des Herzens entsetzlichste Pein:
Verfallen in rohe Gewalt zu sein.

Da ist kein Entrinnen, da hilft kein Fleh'n,
Kein machtlos Dräun, kein höhnend Verschmäh'n:
Doch wenn sie zum Wahnwitz erwachsen ist,
So hat die Verzweiflung auch ihre List.

So sinkt denn, wie mit gewendetem Sinn,
Die Jungfrau dem Krieger zu Füßen hin,
Und faßt ihm die Hand, und spricht wie verzagt:
""O schone meiner, ich bin deine Magd!

Ich will dir leben! — Denn sieh! dein Schwert
Mir schadet's nicht, wenn mein Will' es begehrt.
Ich weiß ein Sprüchlein aus alter Zeit,
Das Manchem den Leib schon gestählt und gefeit.

Du hast — (nicht wissend, daß du den Tod
Nicht geben mir kannst) — mich verschont in der Not;
Du zogst dein Schwert, das über mir hing,
Zurück von mir um geringen Beding!

Darum hab' Dank und schalte mit mir!
Und willst du, so sprech' ich, zum Lohne dafür,
Das Sprüchlein dir vor, das in Kampf und Schlacht
So Manchen schon unverwundbar gemacht!"" —

Der Krieger stutzt, das ficht ihn an
Den albern-rohen, betäubten Mann.
"Laß hören," — ruft er, — "das käme mir recht,
Und dir, Feinliebchen, bekomm' es nicht schlecht!" —

""Wohlan!"" — so beginnt sie, und sinkt in's Knie, —
Merk auf, und vergiß das Sprüchlein nie: —
Alleiniger Gott, der die Unschuld schützt,
Und Rach' auf das Haupt des Verworfenen blitzt!

Umgib mich mit deinem Schirm und Schild,
Wenn mir der Feind nach der Seele zielt!
Halt' ab von mir den vergifteten Pfeil,
Bewahre mein Herz, bewahre mein Heil! —

Es ist gescheh'n! — Nun, Krieger, versuch',
Ob unverwundbar mich machte mein Spruch!
Versuchs, hol' aus mit dem Schwert, weit, — weit:
Ich bin den Streich zu empfangen bereit. —

Hol' aus mit dem Schwert! Ich fürchte mich nicht.
Schon bin ich gefeit, bin wundendicht.
Hol' aus mit dem Schwert! Hier ist die Brust:
Ich bin meines Spruch's mir kräftig bewußt!"" —

Der Krieger gehorcht, holt aus mit dem Schwert,
Zu prüfen, ob sie ihn Wahres gelehrt; —
Ein Stoß, — und verblutend liegt sie vor ihm;
Hinstarrend bereut er den Ungestüm.

""Hab' Dank,"" so stöhnt sie, ""hab' Dank, mein Gott
Du ließest die Unschuld nicht werden zu Spott!
Ab hast du gewendet — den giftigen Pfeil! —
Bewahrt — mein Herz! Bewahrt — mein Heil!""

Da fällt's, wie ein plötzlicher Strahl, mit Macht
Wohl tief in des Kriegers Herzensnacht.
Sein Taumel zerrinnt, — sein wilder Blick
Kehrt von der Leiche milder zurück.

Die Trommeln verhallen, der Brand läßt nach, —
Noch steht der Krieger im öden Gemach; —
Es wandelt ihn, seit er's denken kann,
Zum ersten Mal wie ein Schauder an.

Die Karthausen

Im Süden gibt es Karthausen,
(Sie werden die stillen genannt)
Worinnen Mönche hausen,
Durch frommen Wandel bekannt.

Die Mauern dieser Gebäude
Schau'n ruhig himmelwärts,
Haben keinen Anstrich von Freude,
Und keinen Anstrich von Schmerz.

Kein Fenster und keine Pforte
Ist rings von Außen zu seh'n,
Es ist an diesem Orte
Wie unter Gräbern zu steh'n.

Doch innen mitten im Hause,
Da schimmern viel Fenster entlang;
Aus allen schallt Gebrause
Von Orgeln und heil'gem Gesang.

Und freundliche Pförtlein leiten
In den freundlichen Hof hinein;
Da blüht es von allen Seiten
Im heiteren Sonnenschein.

Da rauscht es voll grünender Bäume,
Da ist Alles so wohl bestellt,
Wie ein Land glückseliger Träume,
Wie eine besondere Welt.

Und drinnen die Mönche wandeln,
So traut und gemeinsam umher,
Die Außenwelt und ihr Handeln
Bedäucht sie ein Traum nur mehr. —

Wie diese stillen Gebäude
Und die stillen Mönche darin,
So geht's oft in Freud' und im Leide,
Dem ergriffenen Menschensinn.

So schließen oft die Gedanken
Ihre Fenster nach Außen zu,
Vergessen aufs irdische Wanken,
Und freu'n sich der geistigen Ruh'.

So verriegeln oft die Gefühle
Für's äußere Leben das Thor,
Und wandeln zu ernsterem Ziele
Gemeinsam im Innern hervor.

Drum zählt mich nicht zu den Harten,
Weil starr oft scheint mein Gesicht:
Im Inneren blüht mir ein Garten,
Dort fehlt es am Leben nicht.

Wer sich die Mühe mag geben,
Der such' ihn mir, — er liegt so nah
Wer sich nicht so viel mag bestreben,
Für den ist er auch nicht da!

VII.
Das Pilgerhemde

Die Geißel schwirrt, der Türke flucht,
Die Christen zieh'n des Pfluges Wucht,
Und schwere Tropfen Schweißes rollen
Von ihren Stirnen auf die Schollen.

Auch mancher Tropfe Blutes netzt
Den Leib, von Geißelhieb verletzt,
Und träufelt über wunde Glieder
An ihren Hemden purpurn nieder.

Ein einiger Christensklav' allein
Erhielt sein Hemd noch blank und rein;
Mag drauf auch manche Perle fallen,
Noch weiß wie Schnee sieht man es wallen.

Der Sultan selber sieht den Mann
Sich eines Tags mit Staunen an,
Und fragt ihn schauend, was er leide:
"Wie kommst du zu so blankem Kleide?

Wes Landes bist du, Christenhund?
Ward nie dein Leib von Geißeln wund?
Wie oder hast du Blut wie Schnecken,
Zu blaß, um Linnen zu beflecken?"

""Ich bin ein Ritter,"" spricht der Christ,
""Des Heimaterde Deutschland ist;
Zu Metz auf meines Schlosses Mauern
Laß' ich ein Weib um mich vertrauern.

Als ich beim Scheiden sie umfing,
Und sie wie sterbend an mir hing,
Da gab sie mir dies Hemd zum Pfande
Der Treue mit in ferne Lande.

Nimm's hin und trag' es, sprach mein Weib,
Es komme nicht von deinem Leib;
Als ich den Flachs dazu gesponnen,
Ist manche Träne drein geronnen!

Und unter brünstigem Gebet
Hab' ich's für dich gebleicht, genäht;
Drum, hoff' ich, wird es in Gefahren
Dich wie ein Amulett bewahren!

Und also dünkt es mich fürwahr,
Denn blank und rein ist's immerdar,
Quoll oft auch über wunde Glieder
Manch Tröpflein Blut's mir drauf hernieder.

Da trag' ich's nun zwölf Monden lang,
Es ward nicht mürb, kein Faden sprang,
Nicht Schweiß, nicht Regen kann's erweichen,
Es ist, als kam' es erst vom Bleichen.

Das muß der Hausfrau Keuschheit sein,
Dadurch ward dies Gespinst so rein:
So lang sie treu und keusch geblieben,
Wird nichts mir seine Weiße trüben!""

Der Sultan hört die sondre Mähr',
Ruft heimlich einen Seemann her,
Heißt ihn die Anker eilends lichten,
Und seine Fahrt nach Deutschland richten.

Heißt ihn zur Frau des Sklaven zieh'n,
Um ihre Liebe sich bemüh'n,
Und sie mit Gold und Schmeichelblicken
Zuletzt verführen und bestricken.

"Ich will doch sehen, wenn sie fällt,
Ob wohl sein Hemd die Farbe hält!"
Der Sultan denkt's mit argem Sinnen;
Der Seemann segelt schnell von hinnen.

Auf Lotharingens Blütenau
Erforscht er bald des Sklaven Frau,
Und trifft sie in des Schlosses Mauern,
Versenkt in namenloses Trauern.

Da malt er ihr des Gatten Leid,
Des Wiederseh'ns Unmöglichkeit,
Der Witwen freudeloses Streben,
Der neuen Liebe neues Leben.

Umsonst! sein Säckel ist geleert,
Sein Schmeichelvorrat aufgezehrt;
Sein schlaugewobnes Listgetriebe
Zerstiebt vor ihrer Treu' und Liebe.

Drum schickt er sich zur Heimkehr an; —
Da tritt an's Schiff ein Sängersmann,
Mit Zither, Stab und Pilgerhaube,
Daß man die Mitfahrt ihm erlaube.

Weil seine Klänge lieblich weh'n,
So läßt der Türk' es gern gescheh'n,
Damit ihm mit des Liedes Würze
Der Troubadour die Fahrt verkürze.

Schon nimmt nach rasch durchmessnem Lauf
Die ferne Heidenschaft sie auf;
Der Sultan hört die seltne Kunde
Mit Staunen aus des Schiffers Munde.

Fast grollt' er, weckt' ihm nicht das Spiel
Des Sängers gar ein süß Gefühl,
Wie er's wohl in den frohsten Stunden
In seinem Harem nicht empfunden.

"Wähl' ein Geschenk dir!" spricht er einst,
"Ich bin wohl gnäd'ger, als du meinst;
Wem hell wie Gold die Saiten klingen,
Der mag auch goldne Frucht ersingen!"

""Herr!"" fleht der Sänger, ""nicht Metall
Verlang' ich für des Herzens Schall!
Durch deiner Christensklaven einen
Würd' ich mich reich vergolten meinen!""

Der Sultan winkt, und aus dem Tor
Treibt man die Sklavenschar hervor;
Da sieht der Sänger unter Allen
Zuerst das weiße Hemde wallen.

"Den," ruft er, "König, gib mir frei!" —
Der König nickt voll Huld: ""Es sei!""
Und dankend eilt mit seiner Beute,
Der Pilger seelenfroh in's Weite!

Bald nimmt ein Schiff die Beiden auf,
Nach Frankreich geht's in raschem Lauf.
Der Sklave wallt wie träumend weiter,
Ein Engel däucht ihn sein Begleiter.

Zwei Tage gilt's nur mehr zu zieh'n,
So soll er schon der Heimat Grün,
Des deutschen Landes Blütenauen,
Des eignen Schlosses Zinnen schauen.

Da spricht der Sänger tiefgerührt:
"Nun zeuch, wohin dein Weg dich führt!
Nur wolle mir zum Angedenken
Ein Stücklein deines Hemdes schenken.

Es soll so unzerstörbar rein,
So wundersam gewoben sein,
Drum möcht' ich's gern auf meinen Reisen
Der Welt beglaub'gen und beweisen!"

Da trennt der Christ ein blankes Stück
Vom Wunderhemd, mit feuchtem Blick,
Gibt's seinem Führer, will ihm danken,
Und weinend seine Knie' umranken;

Doch dieser kehrt sich schweigend ab,
Setzt weiter seinen Pilgerstab,
Und grüßt nur schmelzend noch vom Weiten
Ihn mit den Klängen seiner Saiten. —

Schon sieht er seiner Väter Schloß,
Schon eilt er durch der Knechte Troß,
Die seiner Züge längst vergessen,
Die Gattin an sein Herz zu pressen.

Sie sieht ihn, stürzt mit Tränenlust
An seine langentbehrte Brust;
Die Qualen dreier Jahre schwinden
Wie Schnee in diesem Wiederfinden.

Da drängt sich Fest an Fest und Klang
An Klang und Jubel an Gesang,
Liebkosung, Fragen, Scherze, Bilder:
Erinnrung malt das Herbste milder.

Doch an der heitren Zärtlichkeit
Stößt sich gar bald der finstre Neid,
Und raunt zu schwarzer Tat verschworen
Dem Burgherrn spöttelnd in die Ohren:

Du glaubst, die Gattin weint' um dich?
Sie litt so manchen Fant um sich;
Zwölf Monden trieb sie fern vom Hause
Sich wüst umher im Weltgebrause." —

Der Funke zündet; grollend läßt
Der Burgherr rings zu einem Fest
Die Nachbarn und die Freund' entbieten,
Wie's ihm die Neider höhnend rieten.

Nun als das laute Fest begann,
Klagt er die Gattin wütend an,
Und höhnt ihr schmähliches Beginnen;
Sie aber wandelt still von hinnen.

Ein Viertelstündchen kaum verrann,
Da tritt zum Tisch ein Sängersmann
Mit Stab und Pilgerhaub' und Zither;
"Das ist mein Führer!" ruft der Ritter.

""Ich war's,"" so spricht mit sanftem Blick
Der Pilgersmann, und zieht das Stück
Des Wunderhemd's hervor mit Schweigen,
Um der Versammlung es zu zeigen.

Dann wirft er Kapp' und Kleid von sich,
Und ruft: ""Nun, Gatte! kennst du mich?""
Der Burgherr schaut mit tiefer Reue
Sein Weib, verklärt durch Lieb' und Treue.

Zu ihren Füßen stürzt er hin;
Sie hebt ihn auf mit mildem Sinn,
Und Aller Lippen in dem Kreise
Ertönen laut zu ihrem Preise:

"Heil deutscher Weibertreue, Heil!
Von ihr prallt ab des Hasses Pfeil;
Sie mag in Nöten und Gefahren
Uns wie ein Amulett bewahren!" —

Mein Stammbuch

Auch ich hab' mir ein Stammbuch angelegt,
Das manchen Spruch und manchen Namen hegt.
In trüben Stunden blick' ich oft hinein,
Und bald ist's in mir wieder Sonnenschein.

Mein Vater steht darinnen oben an;
Er schrieb zwar nichts mir drein, der gute Mann,
Als nur: "Dein Vater!" — doch es gnügt, — er war's:
Noch denk' ich blutend seines Sterbejahr's.

Zunächst les ich der Mutter Namenszug,
Dabei ein Sprüchlein ohne Lug und Trug,
Ganz Seelensprache, durchaus reines Gold,
Das sie mir jetzt noch täglich wiederholt.

Dann les ich manchen Freund noch, dessen Hand
Nun nicht mehr schreibt, wenn nicht im bessren Land;
Aus ihren Lettern spricht ihr Bild mich an: —
Ich fühl's, wie man im Tode leben kann!

Auch manchen Sänger, dessen Liederklang
Wie Balsam in die wunde Brust mir drang;
Auch manchen Lehrer, dessen goldnes Wort
Mich mir enthüllte, les' ich dankbar dort.

So steht denn auch mein liebes Weib darin,
Und was es einschrieb, ist voll Glut und Sinn:
Des ganzen Liebelebens Wiederstrahl,
Das wir durchlebt mit aller Lust und Qual.

Ein blonder Junge schrieb mir bald dazu:
"Was dir dein Vater war, das sei mir — Du!"
Dahinter schrieb sich auch ein Mädchen ein,
Mein Töchterchen: — sein Sprüchlein ist gar fein!

Noch gibt's manch leeres Blättchen dort und hier,
Drum trag' ich auch mein Stammbuch stets mit mir;
Ich öffn' es gern der Trauer, wie dem Scherz: —
Das anspruchlose Stammbuch ist — mein Herz.

Drum tut mir's nach! — Was Feder und Papier?
Mit Lieb' in's Herz schreib' ich die Lieben mir!
Wer seine Teuren nicht im Herzen trägt,
Hat sich umsonst ein Stammbuch angelegt.

VIII.
Sankt Helena

Der Kaiser der Franzosen
Saß zu Schönbrunn bei Wien;
Gar düstre Bilder mochten
Durch seine Seele zieh'n.

Bald schritt er auf und nieder,
Bald blieb er sinnend steh'n;
Lang hatten seine Treuen
Ihn nicht so ernst geseh'n.

Es war ein trüber Morgen
Recht herbstlich feucht und kühl,
Und kraftlos lugte die Sonne
Durch's ringende Nebelgewühl.

Da sprach er zu seinem Marschall:
"Wir reiten über Land,
In's schöne Tal bei Baden,
Sankt Helena genannt.

Oft hab' ich rühmen hören,
Es sei so einsam und still;
Das könnt' ich heute brauchen,
Das ist es was ich will."

Rasch ritt er in die Weite,
Als säh', als hört' er nicht;
Sein Degelchen an der Seite,
Seinen Sturmhut tief im Gesicht.

Da ritten sie längs einem Flüßchen,
Zwei Burgen standen da,
Wie altergraue Wächter
Des Tales Sankt Helena.

Was fragt der Kaiser nach Wächtern?
Er reitet mitten hinein;
Da schließt mit rauschenden Wäldern
Das friedliche Tal ihn ein.

Der Herbstwind streicht durch die Zweige,
Und fahles Laubwerk fällt,
Und grüne Wellen rieseln
Von moosigen Felsen geschwellt.

Und drüber durch Wolken leuchtet
Die Sonne mit lauem Strahl
Und blasse Zeitlosen färben
Als letzte Blumen das Tal.

Und stiller reitet der Kaiser
Versunken im Anblick des Tal's,
Die Zügel läßt er hangen
Von seines Rosses Hals.

Kein Marschall wagt's ihn zu stören,
Sie bleiben voll Scheu zurück,
Sie kennen des Kaisers Stirne,
Sie kennen des Kaisers Blick.

Da fährt er plötzlich zusammen,
Und wächst auf dem Roß empor,
Und reitet zurück zu den Seinen,
Von denen er weit sich verlor.

"Was meint Ihr," fragt er den Marschall,
"Vom schönen Sankt Helena?
Ich meine, nach langen Kämpfen
War's gut zu ruhen da.

So viel ich auf meinen Zügen
Des Schönen und Großen sah,
Ich mein', im Gedächtnis bleiben
Wird mir Sankt Helena!" —

Sechs Jahre nach jenem Tage
Da trat er auf fernen Strand:
Der Strand, das Reich des Kaisers,
Sankt Helena war er genannt. —

Sechs Jahre schwanden wieder,
Tot lag der Gefangne da:
Der Strand, das Grab des Kaisers,
Er hieß Sankt Helena. —

Täuschung

Seht ihr dort die beiden Berge,
Wie sie dasteh'n eng vereint,
Daß beim ersten Blick das Auge
Einen nur zu schau'n vermeint?

Und doch sind sie streng geschieden
Von dem Fuße bis zum Joch,
Manche Kluft mit manchen Schlünden
Gähnet zwischen beiden noch.

Seht, wie diesen Bergen geht es
Meinem Glück und meinem Ich;
Wer mich flüchtig sieht, von Weitem,
Wähnt das Glück gebannt an mich.

Wer mir aber in die Tiefen
Meiner Seele blickt, erkennt,
Welche tiefe Kluft der Schmerzen
Mein Gemüt vom Glücke trennt!

IX.
Die Freierprobe

Zu einem Jungfräulein weis und klug,
Nebst dem auch lieb und reizend genug,
Kam gar ein schöner, loser Gesell,
Und wollt' ihr Freier sein zur Stell'.

Sie sagt nicht ja, sie sagt nicht nein,
Sie sieht ihm aber in's Herz hinein;
Sie ahnt den lustigen, leichten Sinn,
Und hofft sich dessen keinen Gewinn.

Doch fühlt sie dabei hinwieder, wie tief
Manch Ernsteres ihm in der Seele schlief;
Das achtet die Jungfrau nicht für gering,
Und stellt ihm solchen sondren Beding:

"Ich sag', Herr Junker, nicht ja, nicht nein,
Doch so Ihr wollet mein Gatte sein,
So müßt Ihr's beschwören, mit heil'gem Eid,
Zu tun, was jetzt mein Wort Euch gebeut.

So oft Ihr, bevor zwei Jahre verweh'n,
Den Priester seht zu dem Kranken geh'n,
So schließet Euch an und bittet ihn,
Daß er Euch lasse mit sich zieh'n!

Und tretet mit ihm zum Kranken hin,
Und nehmt's Euch jedes Mal ernst zu Sinn.
Wofern Ihr das tatet in dieser Zeit,
Dann kommt und holt Euch bei mir Bescheid!"

Der Junker denkt: ""Nun immerhin!
Es haben die Dirnen so eignen Sinn;
Drum solches zu tun in dieser Zeit,
Beschwör' ich mit einem heil'gen Eid!""

Und wie nun des Mesners Glöcklein schallt,
Da springt er auf und tut sich Gewalt,
Und folgt dem Priester und bittet ihn,
Daß er ihn lasse mit sich zieh'n.

Oft wenn er mit Zechern spielt und singt,
Und plötzlich des Mesners Glöcklein klingt,
Muß er verlassen Saus und Braus,
Und geh'n aus dem Freuden in's Schmerzenshaus.

Am Tummelplatz, an Freundesbrust,
Im Wintersturm, in Sommerlust,
Bei Tag, bei Nacht, in Freud' und Leid,
Mahnt oft ihn das Glöcklein an seinen Eid.

Und eh' zwei Jahre ganz entrauscht,
Da ist der Junker wie umgetauscht;
Wo ist sein lustiger, loser Sinn?
Sein Lebenstaumel wo ist er hin?

Erst seit er dem Tod in's Aug' geseh'n,
Glaubt er das Leben zu versteh'n;
Erst seit er erkannt des Menschen Leid,
Weiß er zu schätzen des Menschen Freud'.

Und zu der Jungfrau weis und klug,
Zieht jetzt ihn ein weit süßrer Zug;
Hat er sie früher begehrt voll Glut,
So naht er ihr jetzt mit scheuem Mut.

Sie aber liest ihm's im Auge leicht,
Daß sie ihr edles Ziel erreicht:
"Jetzt schlag' ich," ruft sie, "mit Freuden
Ein frommer Mann muß glücklich sein!"

Tagesleben

Tagüber lebt der Mensch ein ganzes Leben,
Doch nicht wie sonst der Gang der Zeit es lehrt:
Der Lauf der Horen, die sein Dasein weben,
Ist seltsam hier verwechselt und verkehrt.

Der Morgen hebt mit seinen Purpurarmen
Des Tages Königin zum Thron empor,
Und tausend Puls' erwachen und erwarmen,
Und Erd' und Himmel jauchzt im Jubelchor.

Da steht der Mensch und gleicht dem rüst'gen Greise: —
Auf's Leben schaut er hin mit freiem Blick,
Und überdenkt der Nacht durchträumte Reise,
Und überzählt des vor'gen Tages Glück.

Die süßen Schwärmereien sind vergessen,
In denen ihn das jüngste Spätrot sah;
Ein neues Leben soll er bald durchmessen,
Und frohbereit und ruhig steht er da.

Nun flammt der Tag heran mit seinem Treiben,
Und sieh! zum Mann ist schnell der Greis verjüngt: —
In's Leben stürzt er ohne Rast und Bleiben,
Und prüft und zagt und ringet und erringt.

Da kommt der Abend leisen Schritt's gegangen,
Die Welt erkennt den Sieger, der ihr droht;
Sie wird nun still und ruft auf ihre Wangen
Der süßen Liebe schwärmerisches Rot.

Der Mensch bemerkt, was seiner Mutter fehlet,
Und ahmt ihr nach als ein getreuer Sohn;
Von neuer Glut fühlt er die Brust beseelet,
Neu zwar für jetzt, doch einst empfunden schon.

Zum träumerischen Jüngling wird er wieder,
Die Wehmut läßt er kommen in sein Herz,
Beschwört die alten Träume sich hernieder,
Und tränkt mit alten Tränen alten Schmerz.

Und weiter rückt die Zeit. — Die Farben bleichen,
Die Zungen ruh'n, die Lichter brennen ab,
Die Wesen schau'n sich an, wie starre Leichen,
Es legt die Nacht sich auf das weite Grab.

Wo ist der Jüngling nun? Er ist verschwunden,
Er ward zum Kinde, dem's im Finstern graut,
Wie von Gespenstern fühlt er sich umwunden,
Und fröstelnd weint er seinen Jammerlaut.

Gestalten schaut er, die er nie gesehen,
Fühlt Ahnungen, an die er nie geglaubt,
Hört Stimmen um das Ohr der Seele wehen,
Daß es das Hirn ihm heiß zusammenschraubt.

Nach Langem erst sieht er die Sterne blinken,
Sein Kindersinn schöpft Mut aus ihrem Schein,
Sein Schmerz wird Mattheit, seine Wimpern sinken,
Und weinend wie die Kinder schläft er ein.

X.
Orpheus

"Du sollst die Gattin wieder haben,
Die ich, — das weiß ich, — früh dir nahm:
Denn traun! mit deines Liedes Gaben
Erfreutest du mich wundersam.
Doch Eines setz' ich dir zum strengen,
Unwiderruflichen Beding; —
Du kamst umsonst mit deinen Klängen,
Verschmähst du den mir, als gering.

Die Gattin folge deinem Fuße,
Mein Götterwort verbürgt es dir!
Doch sieh nicht um, zu keinem Gruße
Verwende Blick und Fuß nach ihr.
So lang sie wallt in meinen Nächten,
Ist sie für keinen Blick noch dein:
Ich halte fest an meinen Rechten,
Und treibe streng mein Opfer ein.

Erst, wenn sie dort im Sonnenlichte
Vor'm Tag der Menschen beugt ihr Knie,
Dann blick' erst, rat' ich, um, — und richte
Wort, Aug' und was du willst, an sie.
Versäumst du dies mein Wort zu ehren,
So muß sie schnell, von dir gewandt,
Mit ihrer Sehnsucht wiederkehren
In's klangversagte Schattenland!" —

So spricht zu Orpheus Pluto dräuend,
Und winkt gebietrisch ihm, zu geh'n.
Doch er durchwallt, sein Lied erneuend,
Die Schatten, die ihn still umweh'n.
Er steigt und wallt, vor sich das Grauen,
Und hinter sich vielleicht — sein Glück;
Vielleicht? — Er bebt und glüht, zu schauen!
Und heißt das schau'n, — ein kurzer Blick?

Nicht schau'n — nicht rückwärts blicken will er,
Das Aug' halb ahnen lassen nur.
Ist's doch so still — still, — immer stiller,
Kein Odem, — keine Lebensspur.
Er ward gehöhnt; — folgt sie dem Gatten,
Muß sie ihn seh'n, und sieht sie ihn,
Muß sie's ihm lispeln! — ""Fürst der Schatten!
Du ließest unerhört mich zieh'n!""

Er denkt es, ruft's, kann sich nicht zwingen,
Er blickt zurück; — "Ha, haltet ein!
Sie ist's! die Furien umschlingen
Sein Weib: — Halt, Pluto, sie ist mein!"
Mein! schüttert's gellend aus den Schlünden,
Sein! jammert's nach, wie Seufzerton;
Sinnlos enttaumelt er den Schlünden, —
Und donnernd schließt die Pforte schon.

Und zwecklos drängt es ihn zu schweifen
Durch die verödete Natur;
Er kann's nicht denken, nicht begreifen,
Und dennoch sagt's ihm Hain und Flur;
Es ist ihm oft, als müss er endlich
Sie doch wo treffen, doch wo seh'n,
So rührend läßt er, so verständlich
Die Sprache seiner Leiden weh'n.

Und schliefe sie im Felsgeklüfte,
Sein Lied entlockte sie dem Grab;
Und schwebte sie im Reich der Lüfte,
Sein Zauber risse sie herab.
"Eurydike!" so hallt am Morgen
Sein Lied hin über Strand und See;
Und wenn sich Phöbus längst verborgen,
Hallt's noch am Strand: "Eurydike!"

Allein umsonst! — Dem heil'gen Triebe
Entspricht die Gunst der Götter nicht. —
Erschöpft verschwört er denn die Liebe,
Die ihrer Priester Herzen bricht.
Kann er die Eine nicht umfassen,
Nicht seine Glut der Einen weih'n,
So will er all' die Andern hassen,
Gehaßt von all' den Andern sein.

Und ein Verächter nun der Frauen,
(Die Zeus denn doch als Blumen schuf!)
Durchirrt er feindlich Wald und Auen,
Taub für der Liebe Reiz und Ruf.
Erbittert schaut sein rauh Beginnen
Dies leidenschaftliche Geschlecht,
Im Lieben mild wie Charitinnen,
Wie Furien wild, wenn es sich rächt.

Sein Ausbund rottet sich zusammen,
Die Herzen voll bacchant'scher Wut,
Um seiner Rache wilde Flammen
Zu kühlen in des Sängers Blut.
So jagen sie, den Haß zu strafen,
Der doch aus Liebe nur entsprang,
Ihr Opfer vor sich, bis sie's trafen,
Gelehnt an einen Felsenhang.

Sie stürmen nieder ungezügelt,
Zu Waffen werden Stein und Ast. —
Das Lied, das Felsen sonst entsiegelt,
Den Bergstrom eingewiegt in Rast,
Dem Leu'n ein Menschenherz entzündet,
Die Menschen Göttern zugesellt,
Klingt nun vergebens und verschwindet,
Von tollem Mordlärm übergellt.

Schon strömt des Sängers Blut, in Klagen
Der Lieb' erstirbt sein treuer Schmerz;
Schon bricht die Leier, frech zerschlagen,
Und mit der Leier bricht sein Herz.
Sein Haupt, geschleudert von den Klippen
In Hebrus' dunkles Flutgebraus,
Ruft noch mit halbgeschloßnen Lippen
Den namlos süßen Namen aus. —

Sein Schatten aber gleitet nieder
In dein Gefild, Elysium!
Die düstre Pfort' erkennt er wieder,
Blickt wunderbar ergriffen um;
Schon faßt ihn Hermes mit dem Stabe,
Gericht und Urteil ist vollbracht,
Uneingedenk der Liedergabe,
Durchfliegt er stumm des Hades Nacht.

Schon sieht er eine andre Sonne
Aus reinrem Äther niederglüh'n;
Schon eine andre Frühlingswonne
Aus andren Blumenkelchen blüh'n;
Durch ewig grüne Lorbeerwälder,
Getränkt von Lethe's stillem Fluß,
Durch heitre, festbelebte Felder
Wallt aufhaltlos sein flücht'ger Fuß.

Und Männer leuchtend in Talaren,
Wetteifernd mit des Schwanes Weiß,
Mit weißer Bind' in weißen Haaren,
Umdrängen ihn, ein hehrer Kreis;
Sie nennen freundlich ihn willkommen, —
Sein flücht'ger Blick erkennt sie auch:
Heroen, längst der Erd' entnommen,
Begrüßen ihn nach Gastgebrauch.

Doch er erwidert's nicht, — er eilet
Von hinnen, — eilet fort und fort,
"Eurydike! — Sagt, wo sie weilet?
Wann find' ich sie, — an welchem Ort?"
Jetzt wo am dichtesten die Zweige
Zum Laubdach einen Blüt' uns Blatt,
Da ist's, — als ob ein Bild sich zeige,
Das er wohl nicht vergessen hat!

Er eilet hin — ihr ew'gen Götter!
"Eurydike!" — ""Ha, Orpheus, du!""
Sie rufen's, und das Lied der Blätter
Rauscht ihnen eine Hymne zu;
Mit ausgespannten Armen stürzen
Sie stumm einander an die Brust: —
Elysisch milde Tranen würzen
Des Wiedersehens späte Lust.

Und mit vereinten Schritten wallen
Nun Beide längs dem Blumenplan;
Bald folgt er in den Laubeshallen
Ihr nach, — bald tritt er ihr voran,
Und freut sich dann mit kindischer Freude,
Daß er nun umseh'n darf auf sie; —
Die Schatten aber steh'n um Beide,
Und preisen ihre Harmonie.

Denn was die sel'gen Götter senden,
Wie lang es auch uns dunkel blieb,
Es muß sich doch zum Guten wenden:
Denn ihnen sind die Menschen lieb.
Den Frommen muß sein Lohn erreichen,
Wenn nirgends, doch in Pluto's Haus,
Und an des Lethe Fluten gleichen
Sich Schmerz und Freude friedlich aus!

Dichterglück

Es ist wahr, des Lebens Stunden schleichen
Träg und werktagsmäßig oft dahin,
Kaum entsproßte Blumen sieht man bleichen,
Und erkältet siecht der wärmste Sinn.

Augenblicke tauchen aus den Nächten
Unsres Daseins wie Gespenster auf,
Schwingen stumpfe Messer in den Rechten,
Und vertreten höhnend uns den Lauf.

Was für einmal uns entzücken würde,
Langweilt bald, da wir es täglich seh'n;
Seufzend müssen unter schwerer Bürde
Wir der schwerern oft entgegen geh'n.

Doch getrost! für Alles, was uns quälet,
Hat die Dichtung einen Zauberstab,
Und für Alles, was der Mensch hier zählet,
Gibt es Schmink' und Gold, sogar fürs Grab!

Drum wohl mir! Mit andern Augen seh' ich
Dieses oft verklagte Leben an;
Manchen Wink und manchen Laut versteh' ich,
Den ein Andrer nicht verstehen kann!

Ja, ich fühl's, mir blüht in jeder Blume
Mehr, als Tausenden darinnen blüht;
Was da webt in Gottes Heiligtume,
Hat für mich sein Leben, sein Gemüt.

Ja, ich fühl's, mir spricht die Morgenröte,
Und der Abend ist für mich nicht stumm;
Mehr als Klang ist mir des Hirten Flöte,
Mehr als Laut des Käfers Lustgesumm.

Seh' ich friedsam dort die Sterne wandern
Durch der Wolken nächtig Labyrinth,
Ach dann seh' ich mehr wohl als die Andern,
Denen sie bloß schöne Lampen sind.

Selbst die Trän' ist mehr für mich, als Träne,
Mehr als bloße Wunde mir der Schmerz,
Was ich hör' und schaue, glaub' und wähne,
Bleibt ein Korn für mein empfänglich Herz.

Bleibt ein Korn, das um sich greift im Herzen,
Wächst und blüht und Stamm und Wipfel zeugt,
Und sich schattend über meine Schmerzen
Und vielleicht auch über fremde neigt.