I.
Die beiden Spieler
"Laß ab, laß ab von deinem Treiben,
Es führt zu keinem guten Ziel!" —
""Umsonst, es läßt mich nimmer bleiben:
Ein list'ger Teufel ist das Spiel!
Nur wer das Höchste weiß zu wagen,
Hat Anspruch auf den höchsten Preis.
Fort! fort! das Glück muß ich erjagen,
Und gält' es meinen letzten Schweiß!""
Der Spieler ruft's, — und eilt von hinnen
Mit seiner Habe kargem Rest;
Da gilt nun weiter kein Besinnen,
Bei allen Haaren hält's ihn fest.
Mag sich das Weib daheim zergrämen,
Weh' über seine Kinder schrei'n;
Wenn ihn des Würfels Zauber lähmen,
So kann ihn keine Macht befrei'n.
Zum Spieltisch eilt er heut auch wieder,
Wirft seine Würfel hastig drauf,
Und setzt sich ungeduldig nieder; —
Da fällt ein fremder Gast ihm auf.
Im Mantel, schwarz von Bart und Locken,
Mit dunkler Kappe sitzt er da;
Spiellustig halb und halb erschrocken,
Rückt ihm der Würfler forschend nah.
"Beliebt's?" so murmelt nun der Fremde,
Und zieht ein Würfelpaar hervor. —
""Ei nun! und ging' es auch um's Hemde!
Wo ist ein Mensch, der nie verlor?
Kommt an! Ihr seid wohl noch ein Jünger,
Ein Neuling?! Nun, das lernt sich bald.
Durch's Fehlen bilden sich die Finger,
Drum frisch! Und wer verliert, bezahlt!""
Nur wenig galt's beim ersten Male,
Doch mit dem Spiele wächst der Preis.
""Ei seht! Was treibt Ihr denn? Ich zahle
Ja viermal schon! Ihr macht mich heiß!
Wohlan! es soll was Rechtes gelten:
Das Glück ist nur dem Kühnen hold!"" —
Er ruft's, wirft, fehlt und zahlt mit Schelten
Dem Gaste schier sein halbes Gold.
Da flammt er auf: ""Mit Euren Händen
Ist Gott, wenn's nicht ein Ärgrer ist!
Da hilft kein Drehen und kein Wenden,
Da frommt nicht Übung und nicht List!
Nur werfen heißt bei Euch gewinnen,
Doch nicht zu End' ist noch der Kauf.
Werft! Euer Glück soll jetzt zerrinnen.
Mein letztes Gold hier setz' ich drauf!""
Sie werfen; mit des Gastes Händen
Ist wieder Gott, das Gold ist sein. —
"Und wollt Ihr, spricht er, noch nicht enden?" —
Der wilde Würfler donnert: ""Nein!
Begehrt! noch hab' ich was zu wagen:
Ich hab' daheim noch Kind und Weib,
Ich hab', um es daran zu schlagen,
Noch meine Seele, meinen Leib!
Ich — enden, meint Ihr? Enden?— Nimmer!
Jetzt ist es erst ein lustig Spiel!
Was Flitterwerk und Goldgeflimmer!
Begehrt! Jetzt gelt' es einmal viel!"" —
Dem Gaste scheint es fast zu grauen;
Doch endlich faßt er sich ein Herz,
Und spricht mit mutigem Vertrauen:
"Wohlan! Nun gelt' es mehr, als Scherz!
"Nicht Kind, nicht Weib ist's, was ich wähle, —
Nur Nullen sind sie ohne Mann;
Doch wenn ich mehr als Ihr nun zähle,
So sprech' ich Euch, Euch selber an.
Ihr sollt mir dann verfallen bleiben,
Mit Leib und Seele mir allein,
Mir müßt Ihr Beides, mir verschreiben,
Wollt Ihr, so schwört und schlaget ein!"
""Es gilt! Ich schwör's, — mit Leib und Seele,
Gewinnt Ihr, will ich Euer sein!
Wenn aber ich mehr Augen zähle,
Seid Ihr mit Leib und Seele mein!"" —
Der Spieler wirft mit bangem Zagen, —
Sein Wurf gelingt, — nun siegt wohl er.
Da wirft der Gast mit kühnem Wagen,
Und siegestrunken zählt er — mehr!
Der Spieler sieht's und stürzt leibeigen,
Als Sklave, nieder vor dem Gast;
Der aber steht mit ernstem Schweigen,
Und gönnt dem Opfer kurze Rast.
Dann spricht er: "Auf! Verlorner, komme,
Erkenne deinen neuen Herrn!
Laß mich nur hoffen, daß es fromme,
Dann lös' ich deine Fesseln gern!
"Blick' her!" — Jetzt wirft er Mantel, Locken,
Bart, Kappe weg mit Ungestüm;
Aufblickt der Würfler, süß erschrocken: —
Ach! Seine Gattin steht vor ihm!
Sie hat sich diese List ersonnen,
Und Gott hat ihre Hand gelenkt,
Sie hat im Spiele den gewonnen,
Den ihre Lieb' ihr nicht geschenkt.
"Mein, ruft sie, mein mit Leib und Seele,
Mit Leib und Seele bist du mein!
Es ist dein Schwur, worauf ich zähle,
O laß ihn keinen Meineid sein!" —
Der Spieler weint; in ihren Armen
Verbirgt er seiner Reue Schmerz,
Und durch ihr göttliches Erbarmen
Heilt sie und heiligt sich sein Herz!
Posthornklang
Hört' ich sonst ein Posthorn klingen.
Als ich noch zu Hause war,
Ach wie drängt' es mich von hinnen.
Weit von hinnen immerdar!
In die Ferne, nach der Fremde,
Dorthin, wo mich Niemand kennt,
Wo man ohne Vorurteile
Meinen neuen Namen nennt.
Wo ich alle meine Blüten
Frisch vom Keime kann erzieh'n,
Wo mich keine Feinde suchen,
Wo mich keine Freunde flieh'n. —
Hör' ich jetzt ein Posthorn klingen,
Seit ich in der Fremde bin,
Ach wie drängt es mich so mächtig
Nach der Heimat wieder hin!
Nach der Heimat, in die Gegend,
Wo mein Aug' — ach! — Alles kennt,
Wo so mancher Freund wohl stündlich
Sehnend meinen Namen nennt!
Wo gedrängt um jedes Plätzchen
Bilder meiner Kindheit steh'n,
Wo die Lüfte, wenn gleich rauher,
Doch vertrauter mich umweh'n!
Darum klinge, Posthorn, klinge,
Wiege meine Sehnsucht ein;
Ruh' ist nicht daheim, nicht draußen,
Ach wo soll die Ruhe sein?!
II.
Vom Könige Franz I.
1.
Das gab ein heftig Schlagen: Pavia galt der Kampf
Bei Mirabell im Garten da wogt's in wildem Krampf;
Wohl war's ein Löwengarten, denn Löwen fochten dort,
Vor Allen Franz der König, besiegelnd Ehr' und Wort.
Die Ehr, um deren willen er jeglich Droh'n verschmäht,
Die ihm, ein feurig Zeichen, voran im Kampfe geht;
Das Wort, das er geschrieben in's Vaterland hinein:
"Sein Siegmal soll Pavia, wo nicht, sein Grabmal sein!"
Die deutschen Söldner fechten, Neapels Söhne steh'n,
Indes die Kugeln Franzens das Fußvolk niedermäh'n;
Und weiter dringt der König, sieht vor und nicht zurück:
Von vorne schützt die Klinge, vom Rücken schützt das Glück.
Da plötzlich in der Wendung verliert er sich vom Heer,
Der Feinde Brandung schließt sich, ein zweites rotes Meer;
Er ficht, — fünf Reiter stürzen, doch tausend Reiter nah'n;
Des besten Blutes Tropfen benetzen schon die Bahn.
Vom Roß herabgerissen, vom Neun emporgerafft,
Erlegt er noch zwei Feinde mit seiner letzten Kraft;
Dann gibt er sich gefangen, blickt stolz umher und spricht:
"Verloren hab' ich Alles, nur meine Ehre nicht!"
2.
Am Adda-Fluß, umgürtet von einer kleinen Stadt,
Da steht ein traurig Schlößlein, das feste Mauern hat.
Und ist Paris das Leben, so ist dies Schloß der Tod:
Dort soll der Frankenkönig verjammern seine Not.
Er aber kann nicht jammern; so lang die Sonne strahlt,
So lang der Tag die Fluten der hellen Adda malt,
So lang ein blauer Himmel von einem Gotte spricht,
So lang verzagt der König selbst noch in Banden nicht.
Nur wenn der Abend dämmernd das Herz ihm weicher stimmt,
Dann blickt er hin nach Westen, wo still der Tag verglimmt;
Nach Westen, wo sein Frankreich, nur sichtbar für sein Herz,
Vielleicht mit eitlen Tränen beweint des König's Schmerz.
Dann schwärmt er sich der Jugend beglückte Zeit zurück,
Begrüßet Cognac's Fluren mit sehnsuchtfeuchtem Blick,
Die rebenreichen Hügel, das Schloß, den stillen Fluß,
Der Schwester Kuß und Arthur's und Florimonten's Gruß.
Dann eilt er nach der Pforte, will fort, da tönt ein:
"Halt!" —
So hat denn über Fesseln das Sehnen nicht Gewalt?
Erfühltes schwer, gehorchet, bleibt aber stolz, und spricht:
"Verloren hab' ich Alles, nur meine Ehre nicht!"
3.
Zwei Helden gegenüber, da gibt es guten Klang!"
So denkt sich Franz, der König, und fühlt sich minder bang.
Drum steigt er, edlen Ernstes und froher Hoffnung voll,
Ins Schiff, das leicht gerüstet zu Karl ihn bringen soll.
Dort in Madrid, der stolzen, sitzt Kaiser Karl zu Rat;
Der Fürst wird nimmer grollen, wenn sich ein Fürst ihm naht;
Sie werden — ja sie müssen hinfürder Freunde sein:
Die Erde wird sich sonnen an ihrem Doppelschein.
Beseelt von solchen Bildern, von solchem Wunsch entbrannt,
Begrüßt der König heiter den Pyrenäenstrand;
Doch viele Riegel liegen vor eines König's Tor,
Auch Palamos, das Schlößlein, liegt noch als Riegel vor.
Und nicht Madrid, die stolze, das Schlößlein nimmt ihn auf;
Da muß er trauernd sitzen auf schroffem Felsenknauf,
Das Meer zu seinen Füßen, die Wächter vor der Tür',
Gekränkten Stolz im Busen und ohne Trost dafür.
4.
Der König sitzt am Fenster, den Griffel in der Hand,
Um in das Glas zu schreiben, wofür kein Herz sich fand.
Dann deckt er's mit dem Vorhang, als dürft' es Niemand
seh'n:
Denn was den Helden quäle, kann nur der Held versteh'n.
Bald geht er auf und nieder, wirft sich aufs Ruhbett hin,
Spielt mit dem Dolch im Gürtel, folgt planlos seinem Sinn;
Ruft bald die beiden Doggen (die man, wie ihm zur Schmach,
Frei spielen läßt im Hofe) zu sich in sein Gemach.
5.
So saß er eben wieder von Fieber schier erfaßt;
Da tönt Trompetenschmettern, als nahte wer in Hast;
Er hört die Pfort', es eilet treppauf mit Ungestüm, —
Es öffnet seine Türe, — die Schwester steht vor ihm.
Sie kam zu ihm, die erste von all' den Seinen sie;
Sie war bei Karl, zu bitten, wie Gott das Wort ihr lieh;
Karl schien nicht unerbittlich; sie mahnt, sie fragt bewegt:
Wie denn das Herz des König's die Schmach der Bande trägt?
"Wie lebst du, lieber Bruder?" — ""Als König bin ich tot;""
"Wer lehrt' es dich erdulden?" — ""Not dulden lehrt die
Not!""
"Und wird nicht zur Verzweiflung dich treiben solcher
Schmerz?" —
""Getrost! Noch birgt die Scheide den Dolch hier, nicht das
Herz!"" —
"Wer suchte dich zu trösten? Du schmachtest hier allein?" —
""Allein? — Sieh diese Doggen: sie dürften Menschen sein!""
—
"Kein Ohr war dir geöffnet, dir zugewandt kein Sinn!" —
""Ich hatte diesen Griffel, ich hatte, was ich bin!""
"Laß' ab von deinem Stolze, sonst mehrst du deine Pein!" —
""Ein Franz will nur ein Erster und Karl kein Zweiter
sein!""
"Verloren hast du Alles; — sag' an, was dir noch blieb?" —
""Die Scheibe mag dir's sagen, auf die ich's eben schrieb.""
Sich ängstlich an ihn schmiegend zieht sie den Vorhang auf;
Die Sonne, grad im Scheiden, wirft ihren Purpur drauf,
Und auf der Scheibe strahlt es mit Lettern sonnenlicht:
"Verloren hab' ich Alles, nur meine Ehre nicht!"
6.
Vermittelt hat's die Schwester, zum Kaiser geht die Fahrt;
Zwiesprache wird das geben von sonderbarer Art.
Madrid ist voll Bewegung, voll Lärmen und voll Glanz;
Vor Karl's Gemache steht schon erwartend König Franz.
Er blickt umher, da sieht er geschrieben an die Wand
Den Wahlspruch Karls: "Noch weiter!" der war ihm wohl
bekannt;
Drum nimmt er seinen Griffel und setzt ihn an die Tür,
Und schreibt darauf mit Lächeln: "Heut' mir und morgen dir!"
Da öffnet sich die Türe, der Kaiser tritt herein:
Lang steh'n die beiden Feinde grad über sich wie Stein.
Zwei Teile dieser Erde steh'n so seit Weltbeginn, —
Da neigt ein rasch Erbidmen sie zu einander hin.
Und an hub Karl: "Euch warnten die Sterne vor der Schlacht,
Euch kündeten die Seher den Zielpunkt Eurer Macht!" —
""Und drohten auch die Sterne, vermahnten Seher mich:
In mir sind meine Sterne, mein Seher, der bin — ich!""
"Verweht ist Euer Drohen und Eure Macht ist stumm;
Am Tage vier und zwanzig des Hornungs war sie um!" —
""Merkt wohl! Vielleicht vergaß't Ihr's: — der Tag, der mich
gekränkt,
Derselbe Tag des Hornungs hat Euch der Welt geschenkt.
Wer weiß, ob nicht die Stunde, die mich der Welt geschenkt,
Hinwieder als ein Rächer einstmalen Euch noch kränkt!
Wir haben was wir fühlen, wir haben was wir sind;
Und Blüt' ist was wir scheinen, und Blüten raubt der Wind!""
Er spricht's und geht von hinnen; der Kaiser blickt ihm
nach;
Drauf will er rasch ihm folgen, enteilt in's Vorgemach,
Hält inne, wirft aufs Sprüchlein den Blick, das ihm so lieb.
Und sieht zu seinem Staunen, was Franz daneben schrieb.
Er sinnt, dann schreibt darunter auch er in Furcht des
Herrn:
"Ich bin ein Mensch, was menschlich, ist auch von mir nicht
fern!" —
Man sagt, daß er im Schreiben recht ernst geworden sei;
Auch währt' es nimmer lange, so war der König — frei!
Empfinden und Dichten
Vor einem Klaviere sitz' ich,
Es ist besaitet wohl;
Doch wie ich die Saiten berühre,
Da klingen sie leer und hohl.
Ich fühl' es im Gehöre,
Ich hör' es im Gefühl,
Im Herzen könnt' ich es greifen,
Doch nicht im Saitenspiel.
Zur Hand nun nehm' ich die Geige,
Vom wäl'schen Meister gemacht,
Sie hat unter Künstlers Händen
Schon Manchen zu Tränen gebracht.
Doch wie ich den Bogen ziehe,
Mit selbstbewußtem Stolz,
Da werden die Saiten zu Därmen,
Da wird die Geige — zu Holz.
Und eine Flöte, die nächste
Verwandte des Menschenton's,
Setz' ich voll Hast an die Lippen,
Gewärtig des klingenden Lohn's.
Ich geb' ihr herzliche Seufzer,
Doch Mißklang gibt sie dafür,
Als höhnt ' ihr widriges Pfeifen
Das warme Gefühl in mir.
Da flucht' ich zu dir, o Feder!
Du triffst die gegebene Spur,
Als Schatte des schnellen Gedankens,
Als Zeiger der Seelenuhr!
Da flucht' ich zu dir und setze
Dich hoffend auf's freundliche Blatt;
Du aber steh'st und trotzest,
Als wärst du des Dienstes satt!
Du stehst — und prägst, wie Flügel
Und Geig' und Flöte mir ein:
Wie doch Empfinden und Dichten
So ganz verschieden sei'n.
III.
Die Nacht nach dem
Abschiede
Zwei Liebende geh'n von einander,
Wie ist das Scheiden doch schwer!
Er reißt sich los, will gehen,
Doch wer nicht geht, — ist er.
Mit aller Glut, die dem Auge
Des Weib's die Liebe verlieh,
Heißt sie ihn weinend gehen,
Doch wer ihn ruft, — ist sie!
Noch einmal wachsen die Hände
Zusammen in seligem Bund;
Noch einmal strömen die Herzen
Zusammen aus glühendem Mund.
"Lebwohl" — so seufzt er im Kusse, —
"Und ging's an das Ende der Welt,
Ich trag' ein Bild in dem Herzen,
Das jeden Gang mir erhellt!
Des Glückes bin ich ja sicher,
Für mich gibt's keinen Verlust;
Mein Glück, mein Alles hienieden,
Dich, trag' ich ja mit in der Brust!
Zu jeder Stunde des Tages,
Zu jeder Stunde der Nacht
Vermag ich ein Herz ja zu nennen,
Das für mich fühlet und wacht!
Wenn ich mit der sinkenden Sonne
Recht lebhaft gedenk' an dich —
So weiß ich, die sinkende Sonne
Erinnert auch dich — an mich!
Und bist du mein Traum, mein erster
Gedanke beim Morgenschein,
So weiß ich ja auch dein Traumbild,
Dein Morgengedanke zu sein!"
Er ruft's — will fort — sie umklammert
Ihn krampfig mit wilder Gewalt:
""Ich kann es nicht überleben, —
Ihr Männer seid nur so kalt!
Wo fänd' ich Trost? Wo Ruhe?
O bleib! Dein Gehen ist Tod!
Nicht Glück — nicht Freude — nicht Schlummer
Ist ohne dich, — nur Not!
Und muß es sein geschieden,
Und ist es der Sterne Beschluß,
So töte mich grausam gnädig
Mit deinem letzten Aus!""
Sie ruft es und sinkt zusammen, —
Sein Schicksal reißt ihn empor;
Jetzt kann, jetzt muß er von hinnen, —
Verzweifelt sprengt er vor's Tor.
Und reitet fort und reitet
Mit wüstem, träumenden Sinn;
Schon blinken die Stern' am Himmel,
Er reitet und weiß nicht wohin?
Da steht er vor einem Hause,
Das sieht so bekannt ihm aus;
Wohl hatte sein Roß sich gewendet, —
Es ist ja der Liebsten Haus!
Wohl führt' ihn des Schicksals Finger
So unwillkürlich zurück;
Vom Rosse steigt er beklommen,
Als ahnt' er ein grauses Geschick.
Gewiß — sie erlag dem Grame,
Liegt ringend in Fieberglut, —
Stirbt, — oder — vergoß in Verzweiflung —
Gott wend' es! — ihr eigenes Blut.
Er horcht, — nichts regt sich im Hause —
Schleicht fröstelnd fort an der Wand, —
Die wohlbekannte Klinke
Weicht seiner erfahrenen Hand.
Ein Druck, — er steht in der Kammer, —
Dort liegt's — bei der Lampe Schein, —
Er zagt, starrt hin und schaudert,
Als müßt's eine Leiche sein.
Horch — leises Atmen! — Sie lebt noch,
Er fliegt auf das Lager hinzu; —
Da liegt sie hingegossen
In unaussprechlicher Ruh'.
Da liegt das Kind und schlummert,
Behaucht von rosiger Glut,
So sanft, wie nach einem Balle
Die müde Tänzerin ruht.
Wo sind die Spuren der Tränen,
Die er zu schauen vermeint? —
Die Augen sind lieblich geschlossen,
Als hätten sie nie geweint.
Wo sind die Spuren der Küsse,
Die heut' noch besiegelt den Eid? —
Die Lippen bläh'n sich so üppig,
Als wär' es um Küssenszeit.
Die bang zerrungenen Hände
Ruh'n still im blühenden Schoß;
Das Haar, das zerraufte, beschattet
Den Nacken mit weichem Gekos.
Das ist nicht die Ruh' der Betäubung,
Wie oft sie den Jammernden traf;
Das ist der Schlaf des Behagens, —
Der platte, gemächliche Schlaf.
Er sieht, — staunt, — kann es nicht glauben
Sie ruh'n? — sie schlafen? — sie —?
Wie tausend gemeine Seelen
Sie schlafen?! — das ahnt' er wohl nie.
Und so wie ein Traum verschwindet
Mit all' seinem Glück' und Schmerz,
So schwindet mit einem Male
Sein Glaub' an das weibliche Herz!
Fortstürzt er, schwingt sich zu Rosse —
Und reitet im Mondenschein; —
Vom Weiten schallt sein Gelächter
Noch laut in die Straßen hinein:
Und ging's an's Ende der Erde,
Was liegt mir an Allem daran? —
Glück auf, ich bin ja genesen, —
Bin wieder ein freier Mann!"
Zweite Liebe
Oft wenn ich so ein junges Herz,
Das warm für Liebe schlug,
Und doch dafür nur Hohn und Schmerz
Als Lohn von dannen trug,
Zu neuer Liebe schreiten sehe,
So tut mir's unaussprechlich wehe.
"Wie kannst du," rief' ich gern ihm zu,
"Den bittren Kampf erneu'n?
Das letzte Blättchen deiner Ruh'
Auch in die Winde streu'n?
Noch einmal alte Qual empfinden,
Noch einmal dir die Flügel binden? —
Die Augen schloß' ich lieber fest,
Und eilte, was ich kann,
Und klömme mit des Herzens Rest
Den höchsten Berg hinan;
Und suchte, fern der falschen Liebe,
Ein Haus mir überm Weltgetriebe!
Dort an dem Busen der Natur
Vergaß' ich Qual und Joch,
Und traf ich wo der Liebe Spur,
So stieg' ich höher noch;
So würde sie denn doch, auf Erden
Mich zu verfolgen, müde werden!"
Jüngst riet' ich einem Freunde so;
Er aber seufzte tief,
Dann führt' er mich, halb ernst, halb froh,
An's Bette, wo er schlief,
Und streift', — als neckt' er mich nur wieder,
Wie manches Mal, — die Decke nieder.
""Der Pfühl,"" begann er, ""Freund, nicht wahr,
Du suchst ihn nächtlich auf?
Du legst vertrauend immerdar
Die müde Schläfe drauf?!
Und magst dich gern auf seinem Kissen
Den Träumen hingegeben wissen?! —
Doch hat dich nie ein böser Traum
Durchfiebert und erschreckt,
Und dir der Stirne kalten Saum
Mit Tropfen heiß bedeckt? —
Und fühltest du, dem Traum entronnen,
Nicht oft das Leben neu gewonnen? —
Wenn du den bösen Polster schaust,
Den deine Trän' oft netzt,
Wie kommt's, daß dir davor nicht graust,
Daß du nicht fliehst, entsetzt?
Daß du wie gestern, so auch heute,
Dein Haupt ihm übergibst zur Beute?
Und träumst du manchmal noch so bang,
Du träumst auch wieder schön,
Und wechselnd tilgt den Schmerzensklang
Ein schmelzend Lustgetön:
Wie mit den bösen Träumen eben,
Ist's mit der Lieb' in unsrem Leben!
Was eine Liebe dir versagt,
Bringt oft die andre dir;
Nur wer verschmerzt und strebt und wagt,
Gewinnt es einst mit ihr:
Wie ohne Traum kein Schlaf uns bliebe,
Blieb' uns kein Leben ohne Liebe!"" —
IV.
Hebe
In Olymp's azurnen Hallen
Ist Gelag und Freudenschmaus,
Laute Jubellieder schallen
Durch das goldne Wolkenhaus.
Zarte Nymphen sind geladen,
Und ihr Tanz verschönt das Fest,
Schalkhaft gaukelnde Dryaden
Scherzen neckend mit dem West.
Flora regnet ihrer Blüten
Unerschöpften Schatz herab,
Und der Ordnung klug zu hüten,
Schwingt Merkur den Friedensstab.
Doch die ew'gen Götter sitzen
Schwelgend her um's frohe Mahl;
Abgewendet von den Blitzen,
Greift der Donnrer zum Pokal.
Milde strahlt aus seinen Blicken,
Glänzend ist sein Angesicht,
Und des Hauptes freundlich Nicken
Schreckt wohl heut' die Erde nicht.
"Hebe," ruft er nun, "den Becher
Mir mit Nektar vollgeschenkt:
Bacchus, unser wackre Zecher,
Will, daß man auch sein gedenkt!"
Hebe naht, die süße Hebe,
Blühend wie hellen'scher Mai,
Ihrer Locken Goldgewebe
Fließt hernieder leicht und frei;
Aber schwer und wie befangen
Wogt darunter hoch die Brust,
Und auf purpurfarbnen Wangen
Glüht sich selbst noch fremde Lust.
Unter langen Wimpern funkelt
Hell des Auges reger Stern;
Ob sie Alle gleich verdunkelt,
Alle leiden sie doch gern.
Gruß, Gewogenheit, Vertrauen
Folgt ihr huldvoll allerseits;
Selbst die alten Götter schauen
Lächelnd ihren jungen Reiz.
Und sie bringt die Nektarspende,
Hebt den kunstgeformten Krug, —
Sieh! da zittern ihr die Hände,
Da versagt das Knie den Bug.
Niederrollt in großen Tropfen,
Was sonst Götterlippen schwellt,
Und mit bangem Herzensklopfen
Glitscht sie aus — und sinkt — und fällt.
Fällt und purpurn glüh'n die Wangen,
Und gesteh'n durch diese Glut:
"Hebe sei nicht unbefangen,
Hebe's Herz hab' ausgeruht!"
""Hebe,"" flüstert durch die Hallen
Schadenfroh der leise Schall,
""Hebe, seht nur, ist gefallen:
Und wer fällt, war reif zum Fall!""
Zeus bemerkt die losen Spötter,
Zeus verzeiht der Dienerin.
"Hebe," ruft er, "hat, ihr Götter,
Oft erheitert meinen Sinn.
Drum sei mein Verzeih'n ein Zeichen,
Daß mein Herz sie nicht verdammt;
Doch den Nektar mir zu reichen,
Wird nun eines Andern Amt!
Dir, o Jugendgöttin Hebe,
Tut nun wohl ein Führer Not,
Der den starken Arm dir gebe,
Wenn dein Fuß zu sinken droht.
Darum tritt, mein Sohn Alcides,
Jüngster im Olymp, hervor!
Froher Klang des Hochzeitliedes
Schlag' an dein und an ihr Ohr.
Sie die Jugend, du die Stärke,
Du der Ernst und sie der Scherz,
So zum schönsten aller Werke
Binde Hymen euer Herz.
Unsre Jugend mag wohl gleiten:
Unsre Kraft soll Schutz ihr leih'n,
Und dies Band für alle Zeiten
Eine große Lehre sein!"
Selbsttäuschung
"Bist geworden älter,
Bist geworden kälter!"
Sag' ich oft zu mir;
"Laß' es dich nicht grämen,
Nicht den Mut dir lähmen,
Kannst ja nicht dafür!
Jeder Tag verglühet,
Jeder Lenz verblühet,
Jede Stimme bricht,
Jede flüchtige Stunde
Schlägt uns eine Wunde:
Wir nur merken's nicht.
Erst wenn tausend bluten,
Will es uns gemuten,
Daß die Kraft doch litt;
Stein und Erz verwittert,
Eich' und Zeder splittert,
Und wir altern mit." —
Das fühl' ich mit Schmerzen
Oft so klar im Herzen,
Bin so ernst, so still,
Daß ich einen Schleier
Über meine Leier
Scheidend breiten will. —
Und doch — wenn ich wieder
Hoch von Alpen nieder
Ausblick' in die Welt;
Wenn ich in das Blaue
Schwindelnd aufwärts schaue,
Das der Mond erhellt;
Wenn aus heil'gen Hallen
Orgelklänge schallen,
Wenn der Wildbach braust;
Wenn die Wolkenfalten
Blaue Blitze spalten;
Wenn der Hochwald saust;
Wenn ich froher Dinge
Freundesbrust umschlinge,
Mensch mit Menschen bin;
Wenn's in muntren Kreisen
Schallt von kräft'gen Weisen,
Dann erwacht mein Sinn!
Dann wohl fühl' ich's schlagen,
Wie in frühern Tagen,
Manches meldet sich;
Und das Aug' wird heller,
Und der Puls wird schneller,
Und ich fühle mich.
Und mir sagt's ein Sehnen:
"Laß solch eitles Wähnen:
Bist nicht, was du scheinst?
Du wardst noch nicht älter,
Du wardst noch nicht kälter,
Bist noch jung, wie einst!"
V.
Das Venezianer-Glas
1.
Venedig, die herrliche Dogenstadt,
Macht wohl kein Aug' ihres Anblicks satt.
Da ist von Gondeln ein buntes Gewirr,
Der Pilger wird an dem Leben irr;
Er glaubt, es dräng' in ewigem Schwall
Sich ein endlos brausender Maskenball;
Der ernste Doge, der düstere Rat,
Die schleichenden Mäntel auf heimlichem Pfad,
Die stolzen Paläste, der Waren Pracht,
Manch Auge, das hinter dem Schleier lacht,
Das Alles fesselt mit seltner Gewalt
Und läßt wohl nur zweifelnde Liebe kalt.
Wohl ist es auch zweifelnde Lieb' allein,
Die, zehrend mit nie beschreiblicher Pein,
An eines Ritters Herzen nagt,
Der hier umsonst nach Ruhe jagt.
Er ist daheim in Deutschland's Gau'n,
Hat dort die lieblichste der Frau'n,
Doch ob sie wohl auch die liebendste sei,
Das eben drückt ihm die Brust, wie Blei.
Der Zweifel trieb ihn fort vom Haus,
In's Leben hinein, in die Welt hinaus.
Durch Trennung will er sie prüfen scharf,
Ob ihren Küssen er trauen darf.
Er baut auf des Herzens Wahrheit fest,
Auf Unschuld, die sich nicht heucheln läßt;
Er baut auf der Freude Tränenerguß,
Auf des Wiedersehens gemütlichen Gruß.
Denn lügen läßt sich der willige Schmerz,
Leicht mag man zur Klage beschwatzen das Herz;
Doch der freudig grüßenden Stimme Klang,
Die Träne der Lust, den begeisterten Drang,
Die zitternden Arme, den funkelnden Blick,
Das göttliche, in sich verstummende Glück,
Das läßt der Himmel sich nicht entweih'n,
Sonst büßt' er sein köstliches Vorrecht ein.
So träumte sich jener Ritter es oft,
Das ist es, was er zu finden hofft,
Wenn endlich die ewige Jahresfrist,
Die Zeit der Prüfung, verronnen ist.
Und doch hinwieder manche Nacht,
Wenn er aus fiebrischen Träumen erwacht,
Da birst, wie verwischt von Geisterhand,
Vor seinen Augen des Zimmers Wand;
Sein Schloß, sein heimisches, steht vor ihm da,
Sein Weib erblickt er, so klar, so nah,
Und vor ihr — Gott! — kniet schwörend ein Wicht,
Aus dessen Hohlaug' Argheit spricht;
Kniet, — kniet ach! nicht vergebens, — sie winkt,
Sie lächelt, sie kämpft zum Scheine, sie sinkt! —
Da graut der Tag, der den Traum zerstaubt, —
Sein Höllenargwohn aber bleibt.
2.
Und wieder geht er, mit düsterem Sinn,
Einst über den Platz San Marcos hin.
Da drängt sich um einen Mäkler ein Kreis,
Als gäb' er das Beste für schlechten Preis;
Auf hölzernen Stufen sinnig gereiht
Steh'n Gläser und Becher eng und weit,
Geschliffen und roh, von lauterem Schall,
Vielkantig und funkelnd wie Bergkristall.
Der Mäkler aber, ein sonderer Mann,
(Man merkt sein gebrechliches Werk ihm an,)
Steht hoch inmitten und faßt gewandt
Pokal um Pokal mit prüfender Hand:
"He! — kauft euch Gläser, ihr Philosophen,
Denn Glas ist das Wappen der Philosophei;
Kauft schöne Gläser, ihr Damen und Zofen,
Denn Glas ist ein Sinnbild für Lieb' und Treu';
Kauft klingende Gläser, ihr Krieger und Helden,
Ein passend Symbol für den Ruhm ist Glas;
Es möge sich jeder Stand hier melden,
Er findet für sich hier Bild und Maß. —
Doch Eines hab' ich vor Allen zu preisen,
Mein Glas ist ja Venezianer Kristall!
Ihr mögt die Länder der Erde durchreisen,
Solch Glas ist nirgends im weiten All.
Es ist versetzt mit solchen Stoffen,
Daß, wie drein fällt ein Tropfe Gift,
Der Becher zerspringt und klar und offen
Den Frevler verrät, den der Argwohn trifft.
Traun! unter uns, in den Zeiten der Tücke,
Wo Jung und Alt an's Arge denkt,
Sind solche künstliche Probestücke
Für tausend Scudi noch geschenkt!"
Der Ritter hört des Mäklers Geschwätz;
So mancher Käufer geht in's Netz,
Und schon verläuft sich der gaffende Schwarm,
Der Ritter nur bleibt mit gekreuztem Arm,
Und starrt bewußtlos den Handelsmann
Und seine gebrechlichen Bilder an.
"Ei, schmucker Fremdling," beginnt nun der,
"Verblenden Euch meine Kristalle so sehr?
So kauft Euch einen, ihr habt die Wahl,
Doch riet' ich Euch wohl zu diesem Pokal;
Er ist so tüchtig und doch so fein,
Mag Frauen und Herr'n gleich ziemlich sein! —
Ihr habt ja gewiß ein Gespons zu Haus,
Da tränke sich's trefflich in Zweien draus;
's ist Venezianer Glas und zerschellt,
Wie nur ein Tröpflein Gift drein fallt."
Aufdringen läßt sich der Ritter das Stück,
Bezahlt's und geht mit starrem Blick;
Doch, glaub' ich, früg' Einer ihn gleich in's Gesicht:
"Was tragt Ihr da?" — er wüßt' es nicht! —
3.
Die traurige Jahresfrist verrann,
Zur Heimkehr schickt sich der Ritter an.
Venedigs Zinnen versinken in's Meer,
Schon nicken die Alphöh'n über ihn her.
Schon winkt ihm vom fernen duftigen Rand
So schmerzlich wieder das deutsche Land.
Er findet noch Alles, wie er's verließ:
Der Bergstrom furcht noch denselben Kies,
Dieselben Gehöfte, dieselben Au'n
Sind neben derselben Straße zu schau'n,
Und was dort ragt auf demselben Gestein,
Dies Schlößlein schließt ihm die Gattin ein.
Die Gattin? — Mit bittersüßem Gefühl
Faßt dieses Wort ihn am nahen Ziel;
Sein Herz, halb bang, halb pochend vor Lust,
Zu sprengen droht es die ängstige Brust.
Bald spornt er das Roß, bald hält er's zurück,
Als sucht' er, als zagt' er, zu finden sein Glück.
Jetzt sinkt das Falltor, jetzt erschallt
Vom frohen Empfangsruf Burg und Wald.
Die Treppe herunter fliegt sein Weib;
Gleich einer Blume knicket ihr Leib:
Ob aber vor Freud', ob etwa vor Scheu,
Er kann's nicht erkennen, sie ist ihm zu neu.
Sie ist ihm ja Braut zum zweiten Mal,
Ihr Kuß betäubt ihm des Zweifels Qual.
Vergessen ist jeder verdammende Groll;
Ihr zitternder Arm, der Tränen Zoll,
Der schweigenden Wonne seliger Zug,
Das ist nicht Tücke, das ist nicht Trug.
Und als er die Glieder nach Lust erquickt,
Da fragt sie ihn, schmeichelnd hinüber gebückt:
""Und hast du aus Welschland nichts mir gebracht,
Was Freude dem kindischen Weibe macht?""
Sie sagt's, da fällt sein Becher ihm ein:
"Wohl," spricht er, "dieser Pokal sei dein.
Ich kauft' ihn fern in der Meeresstadt,
Und eigen ist, was der Becher hat:
Wie nur ein Tröpflein Gift drein fällt,
Alsbald zur Erde sinkt er zerschellt.
Drum nimm dies Werk so tüchtig und fein,
Und füll' es zum Rande mit duftigem Wein,
Und trink' es auf deine Lieb' und Treu',
Und denk an unsere Schwüre dabei!"
Die Gattin füllt den Becher zum Rand
Und faßt ihn und spricht zum Himmel gewandt:
""Die Träne, die mir vom Auge quillt,
Sie sei meiner Treue lebendiges Bild!
Sie roll' in dieses Glas hinein,
Sie soll ein Pfand meiner Liebe sein!""
Und eine Träne groß und hell
Perlt nieder, rollt in's Glas zur Stell';
Da klingt, — da springt das Glas entzwei,
Und sie sinkt nieder mit gellendem Schrei.
"Gift," schreit der Ritter, — "zerschellt dies Glas:
Nun hab' ich für deine Treue das Maß!
Die Träne der Untreu', — ich fühl's, ist Gift,
Und Tod ist die Strafe, die Falschheit trifft!"
Und während sein Dolch ihr die Brust zerfleischt,
Bekennt sie sterbend: sie hab' ihn getäuscht!
4.
Der Ritter aber zog hinaus,
Ging sinnverwirrt von Haus zu Haus,
Hielt in der Hand des Bechers Trümmer
Und lacht' in widrigem Gewimmer:
"Herbei! Kauft Gläser, ihr Damen, herbei!
Das Glas ist ein Sinnbild für Lieb' und Treu'!"
Wechselwirkung
Ich sitz' am offenen Fenster
Und schreib' an einem Gedicht;
Mein Nachbar spielt auf der Flöte,
Sieht aber und kennt mich nicht.
Und was er so rührend flötet
In stiller Kammer allein,
Möcht' eben die rechte Begleitung
Zu dem, was ich dichte, sein!
Und was ich so sinnend schreibe
Für mich in der Kammer allein,
Das möchte der Text auch eben
Zu seinen Noten sein!
Ich hab' ihn doch nie gesprochen,
Ich hab' ihn doch nie geseh'n;
Wir werden vielleicht im Leben
Nie gegenüber uns steh'n.
Und dennoch möcht' ich ihn küssen,
Daß er so gut mich verstand;
Und wüßt' er, was ich nun schreibe,
So drückt' er mir auch wohl die Hand!
VI.
Der Ahorn am Teich
Lieb Ännchen ist so matt und blaß;
Die Mutter denkt: wie deut' ich das?
Die Mutter denkt's nicht ohne Grund:
Lieb-Ännchen ist von Liebe wund.
Und geht sie bleichen auf die Flur,
So bückt sie sich mit Mühe nur; —
Und fühlt sie, wie ihr Herzchen schlägt,
So fühlt sie, wie sich noch was regt.
Da hilft kein Leugnen, keine List,
Gestehen muß sie's, wie es ist.
Die Mutter hört's und glaubt es kaum,
Die Tochter wünscht, es wär' ein Traum.
Und wie's die Mutter endlich glaubt,
Da fährt sie auf wie sinnberaubt:
"Hinweg, du Dirn', — hinweg von mir!
Nimm meinen Mutterfluch mit dir!
Und also möcht' ich lieber gleich,
Du wärst ein Ahornbaum am Teich,
Wärst Holz und Laub und Stamm und Bast,
Und dorrtest, wie das Grün am Ast!"
Die Mutter flucht, das Kind erstarrt,
Sein Leib wird Ahorn zäh' und hart,
Der Busen Holz, die Haut zum Bast,
Die Locken Laub, die Hand zum Ast.
Entsetzen faßt die Mutter an; —
Das haben Schuld und Fluch getan!
Und schmerzlich Laubgelispel weht
Am Teiche, wo der Ahorn steht.
Doch horch! was klingt nach langer Zeit
So lustig durch die Einsamkeit?
Das ist ein Fiedler wohlgemut,
Der spielend unter'm Ahorn ruht.
Er streicht so kühn und kräftig aus,
Als gält's im Fasching Saus und Braus;
Er spielt, daß ihm der Bogen bricht,
"Ei," ruft er, "brich, mich kümmert's nicht!
Der Ahorn, unter dem ich lag,
Hat Äste mehr, als frommen mag;
Ein solches Ästlein zäh' und fein
Mag wohl der beste Bogen sein!"
Sein Messer nimmt er, schneidet an,
Da stöhnt's, — ein Tröpflein perlet dran,
Ein rotes Tröpflein, rot wie Blut:
Dem Fiedler sinkt beinah der Mut.
Er schneidet wieder — horch! wie's stöhnt:
"Schneid' immerhin, mein Blut versöhnt!
Schneid' immerhin ein Böglein dir,
Und spiel' damit ein Grablied mir.
Und geh' in's Dorf vor's Bleicherhaus,
Und sieht die Mutter dort heraus,
So geig' ein Stücklein lieb und lind,
Und sag', es sei von ihrem Kind!" —
Dem Fiedler dringt die Klag' in's Herz,
Er schnitzt und zieht mit stillem Schmerz,
Und tritt im Dorf vor's Bleicherhaus,
Da sieht ein blasses Weib heraus.
Er spielt ein Stücklein lind und fein:
Von ihrem Kinde sollt' es sein;
Noch traf's kein Bogen je so weich,
Als der vom Ahornbaum am Teich.
Die blasse Mutter hört, wie's tönt,
Die blasse Mutter seufzt versöhnt:
"Ach, besser ein gefallnes Kind,
Als — keines! — Fluch't nicht zu geschwind!"
Die beiden Ringe
Zwei Ringe trag' ich an meiner Hand,
Ein Liebespfand und ein Freundschaftspfand;
Von Gold ist jener so fein und klar,
Doch dieser von schwarzem Eisen gar.
Den goldenen schmückt als Wappenschild
Ein Blütenkranz so sinnig und mild;
Den eisernen ziert als Schmerzsymbol
Ein Totenkopf so schaurig und hohl.
Als Liebchen scheidend den goldnen mir gab,
Da sprach es: "Trag' ihn fort bis an's Grab!
So oft Dir die Freud' ein Kränzlein flicht,
So blick' auf den Ring und vergiß mein nicht!"
Als sterbend der Freund mir den eisernen gab,
Da sprach er: "Trag' ihn fort bis an's Grab;
Und wenn Dir die Sonn' am hellsten scheint,
Denk' manchmal noch an den toten Freund!"
Drum ob ich froh war, oder litt,
Ich siegelte manches Briefchen damit;
Bei traurigen nahm ich das goldne Pfand,
Bei heitren den eisernen Ring zur Hand.
Der Blütenkranz auf dem Schmerzensbrief,
Er ließ ihm so tröstlich, wie wenn er rief:
"Ob Vieles auch stirbt, ob Vieles auch bricht,
Noch blüht ja die Liebe, — drum zage nicht!"
Der Totenkopf auf dem Freudenbrief,
Er ließ ihm so warnend, als ob er rief:
"Ist's noch so heiter, ist's noch so licht,
Noch ist nicht Abend, — drum juble nicht!"
VII.
Das erste und letzte
Bild
"Geh', Meister, nimm mich auf zum Schüler,
Ist's Einem Ernst, so ist es mir;
Ich werde nicht nach Wochen kühler,
Mich treibt nicht eitle Ruhmbegier;
Mich drängt es nicht, um Gunst zu geizen,
Mich lockt nicht blendender Gewinn,
Nach andern, o! nach süßern Reizen
Verlangt's allmächtig meinen Sinn!
Ich lieb' ein Mädchen! Armer Maler,
Was ist dein schönstes Ideal?
O gegen dieses Licht ein fahler,
Ein farbenloser Wiederstrahl;
Aus ihrem Auge spricht ein Leben,
Wie's eines Engels würdig ist;
Das kannst du doch nicht wiedergeben,
Und wenn du mehr als Maler bist!
Ihr Antlitz düster ohne Tränen,
Und ohne Lächeln hold und lieb,
Auf dem die Lieb' ihr goldnes Sehnen
In eine Wehmutwolke schrieb,
Gleich einem milden Sterne strahlt es
Aus brauner Locken dunklem Kranz; —
Gewiß kein ird'scher Pinsel malt es,
Und wär' er Raphaels, so ganz!
Den Mund, aus dessen keuschem Saume
Die Sünde noch kein Wort erpreßt,
Der mich mit seinem Laut, im Traume,
Wie beim Erwachen, nicht verläßt;
Den Busen, dessen heißes Klopfen
Sich nur an meinem Herzen stillt,
Der sorglich auffängt, was an Tropfen
Den Augen unvermerkt entquillt; —
Und diese tausend andern Züge,
Die Spieglungen des Augenblicks,
Verschwiegner Schalkheit, zarter Rüge,
Getäuschter Hoffnung, stillen Glücks,
Nein, Meister, die kannst du nicht treffen,
Und setztest du dein Heil daran,
Hier wird dich doch dein Pinsel äffen,
Der malen, doch nicht lieben kann! —
Wenn's Einer können soll auf Erden,
So bin ich's selbst und ich allein!
Drum, Meister, will ich Maler werden,
Ich will dein treuster Schüler sein!
O lehre mich die Farben mischen,
Lehr' mich der Zeichnung! Ton und Grund,
Lehr' mich das Düstre mit dem Frischen
Vereinen zum gesell'gen Bund.
Den kalten Körper nur vom Bilde,
Den dunklen Umriß lehre du,
Der Liebe Glut, den Strahl der Milde,
Die Seele geb' ich selbst dazu.
Mit einem Eifer, niemals kühler,
Versuch' ich, üb' ich für und für;
Drum, Meister, nimm mich auf zum Schüler,
Ist's Einem Ernst, so ist es mir!"
Der Jüngling spricht's, der alte Meister
Drückt ihm als Schüler warm die Hand:
Denn solcher Jugend rege Geister
Sind für's Gedeih'n ein sichres Pfand.
Der Jüngling horcht des Alten Lehren
Mit regem Blick, gespanntem Ohr,
Denn seinem glühenden Begehren
Schwebt nur der Preis des Zieles vor.
Er lernt; — was Andren kaum in Jahren
Der Fleiß durchwachter Nächte trug,
Hat er, es ewig zu bewahren,
Errungen und erstürmt im Flug.
Schon weiß er, wie die Farben kleiden,
Schon ist sein Pinsel fest und treu,
Schon weiß er, wo das Licht zu meiden
Und wo der Schatten Tugend sei.
Schon weiß er, Mienen einzusaugen,
Bis er sie ganz empfangen hat,
Um, was er einsog mit den Augen,
Hinaus zu hauchen auf das Blatt.
Da geht ihm auch kein Zug verloren,
Nicht eine Linie büßt er ein;
Von ihm gemalt, heißt neu geboren,
Heißt in sich selbst verdoppelt sein.
Nun kann er seiner Kunst vertrauen,
Zu sicher ist er, zu geübt;
Mehr kann er nun, als nur sie schauen,
Erschaffen kann er, die er liebt.
Schon eilt er mit dem Malerzeuge
Zum wohlbekannten Erker hin,
Verbirgt sich lauschend im Gezweige,
Und harrt der süßen Königin.
Der Tag mit seinem ersten Schimmer
Umpurpurt alle Höhen schon;
Sie grüßte sonst den Morgen immer
Mit einem Liede vom Balkon;
Er harrt und lauscht mit Farb' und Brette,
Kein Lied ertönt, kein Kopf erscheint;
Die Vögel jubeln um die Wette,
Der Maler aber geht und weint.
Und wieder mit dem ersten Schimmer
Umglüht der Tag die Alpenhöh'n,
Und wieder lauscht er, wo er immer
In Morgen-Andacht sie geseh'n;
Doch wieder klingt kein Fenster, wieder
Geht er mit leerem Brett und weint;
Und Sonnen wandeln auf und nieder,
Doch keine Königin erscheint.
Da kann er's länger so nicht tragen,
Bis er des Zieles Preis erreicht,
Und ist es gleich ein kühnes Wagen,
Was macht der Liebe List nicht leicht?
Verkleidet meldet an der Schwelle
Als welscher Maler er sich an;
Und fragt, ob Niemand sei zur Stelle,
Dem seine Kunst hier dienen kann.
Ein Greis mit silberweißen Haaren
Gibt also, weinend, ihm Bescheid:
""Seid Ihr in Eurer Kunst erfahren,
So kommt Ihr zur gelegnen Zeit.
Hätt' eine Tochter gern getroffen,
Kein schönres Antlitz saht Ihr je:
Sein bleicher Spiegel schildert offen
Des Lebens Wohl, des Lebens Weh!""
Der Alte geht voran, der Maler
Folgt ihm, mit bangem Schauer, nach;
Die Wand geht auf, da flammt ein fahler,
Unsichrer Schimmer im Gemach.
Sie treten ein, auf einer Bahre,
Von dreizehn Leuchtern rot umstrahlt,
In schneegewobnem Braut-Talare
Liegt eine tote Frau'ngestalt.
""Die malt!"" entwankend ruft's der Alte,
Und läßt den Maler stumm zurück;
Der — ahnend, was der Sarg enthalte, —
Stürzt hin, — ja — er enthält sein Glück
Ja, er enthält sein Glück, sein Streben,
Das Bild, für das er Alles bot:
Drum, konnt' er's malen nicht im Leben,
Wohlan! so kann er's doch im Tod.
Und wie erfaßt von Wahnsinnsfeuer
Langt er nach Pinsel, Farb' und Brett,
Und zieht mit stierem Aug' den Schleier
Vom Liebchen auf dem Leichenbett;
Und Stirn und Lock' und Mund und Züge
Ahmt seine Hand wie spiegelnd nach:
Die Stirn, die einst des Frühlings Wiege,
Den Mund, der einst so lieblich sprach.
Zum Auge kommt er nun, zum Auge,
Das einst geglüht in sel'ger Lust;
Er starrt es an, und zuckt, als sauge
Ein eis'ger Krampf ihm an der Brust.
Geschlossen ist das Aug', das dunkle,
Geschlossen ist's und geht nicht auf;
Kein Kuß hilft, daß es wieder funkle,
Vergebens strömt er Tränen drauf.
Und wieder rafft er sich zusammen,
Und malt, was war, statt dem, was ist,
Das Aug' mit seinen alten Flammen,
Die, wem sie galten, nicht vergißt;
Die Lippen mit den vor'gen Rosen,
Die Wangen mit dem vor'gen Rot:
Und raubt sein Recht dem schonungslosen
Und seine Macht dem mächt'gen Tod!
Vollendet ist das Bild, vollendet,
Der Meister traut sich selber kaum;
Wie Stein kniet er ihm zugewendet,
Und wacht nicht auf aus seinem Traum;
Starr bleibt er so noch manche Stunde,
Das Knie gebeugt, das Auge mild,
Und küßt noch tot, mit kaltem Munde,
Sein erstes und sein — letztes Bild.
Das liebe Fenster
Du liebes, wohlbekanntes Fenster,
An dem ich oft mit Sehnsucht hing,
Als noch das Haus, des' Aug' du bildest,
Mein liebstes Kleinod mir umfing!
Ich steh' dir wieder gegenüber,
Gedenke manches Traumgesicht's,
Und sehe deine Scheiben wieder,
Doch hinter deinen Scheiben nichts.
Was könnt' auch hinter ihnen schimmern,
Nur eines einz'gen Blickes wert?
Vielleicht ein Bild mit andren Mienen,
Das auch geseh'n zu sein begehrt?
Vielleicht der Schatten jenes Köpfchens,
Das einst durch sie mir zugenickt?
Vielleicht ein Namenszug, dem Glase,
Dem Rahmen heimlich eingedrückt?
O keine Spur ist mehr vorhanden,
Verwandelt Alles und zerstört!
Kein Splitter mehr, der jener trüben
Und doch so sel'gen Zeit gehört!
Im fremden Rahmen fremde Scheiben
Und hinter ihnen fremd die Wand,
Auf fremdem Simse fremde Blumen,
Gepflegt von einer fremden Hand!
Ach! und wie kommt's nur trotz dem Allen?
Es läßt mich nicht vorübergeh'n.
Der Pulse ungestümes Pochen
Heißt mich verweilen, aufwärts seh'n!
Du warst mir teuer, liebes Fenster,
Du hast mir wohl und weh' getan,
Und was mir einmal lieb geworden,
Dem hang' ich ewig liebend an.
Ach! steigt es doch aus deinem Rahmen
So rosighell vor mir empor,
Ein buntes Treiben, bunter immer,
Wie eine Welt, die ich verlor;
Wie eine Welt voll Blütenkeimen,
Die mir zur goldnen Frucht gereift,
Wie eine Schar von Wonneträumen,
Die, was noch Traum war, abgestreift.
Als Kinder seh' ich die Gefühle
Noch schüchtern deinen Rand umblüh'n,
Die nun dem Spiele längst entwachsen
Mit kühnem Ernste mich durchglüh'n.
Es war ja hinter diesen Scheiben,
Wo ich einst abends zagend stand,
Mein Glück mir in ein Wort vereinte,
Das Wort verlor, das Wort nicht fand!
Es war ja hinter diesen Scheiben,
Als ich, am Abende darnach,
Das Wort, das ich verloren, suchte,
Verlor und sucht' und fand und sprach.
Sie waren's, die ich oft behauchte,
Und in den Hauch zwei Namen zog;
An die ich oft die Stirne lehnte,
Gefaltet oft die Hände bog.
Sie waren's, — meine Sinne schwindeln,
Und meine Lippe nennt es nicht!
Mir malt die Wonnen jener Tage
Nur manchmal noch ein Traumgesicht.
Drum sei gegrüßt, du liebes Fenster,
Du bleibst ein lichter Punkt für mich;
Die Szenenfolge meines Lebens
Wär' unterbrochen ohne dich!
Und weilt', ich Jahrelang dir ferne,
Und riefe mich mein Stern zurück,
Dir schenkt' ich, blind für alles Andre,
Dir, Fenster, meinen ersten Blick!
Und wär auch längst die Blum' entblättert,
Die hinter dir einst aufgeblüht,
Mit doppelt heißen Tränen rief ich,
Dich schauend: "Hier hat sie geglüht!" —
Und bräch' einst diese Stadt zusammen,
Und sänkst auch du in Schutt mit ihr,
Ich seufzt' an deinem Trümmergrabe
Mit Wehmut noch: "Hier war es, hier!
Hier war es, hier das liebe Fenster,
Das mir so wohl, so weh' getan!" —
Denn was mir einmal lieb geworden,
Dem hang' ich ewig liebend an!
VIII.
Der letzte Mann
In Lincoln saß ein düstrer Mann
Zur Stund', als eben das Jahr verrann,
Und hoch vom Dome der Türmer mit Macht
Ein neues ausblies durch die Nacht.
Da tritt der düstre Mann zum Schrein,
Faßt eine bestaubte Flasche mit Wein,
Entkorkt sie, nimmt das Glas zur Hand
Und füllt es schweigend bis an den Rand.
Und wie er es langsam zum Munde führt,
Da fühlt er sich innigst bewegt und gerührt;
Man merkt es ihm ab am funkelnden Blick,
Er denkt an die früheren Zeiten zurück.
"Vor fünfzig Jahren," so denkt er, "da war's
Wohl anders zur Stunde des sinkenden Jahr's;
Da saßen wir unser zehn um den Tisch,
Ein Jeder lebendig, ein Jeder frisch.
Da klang es von Liedern so heiter und hell,
Da sprang des Kapwein's glühender Quell,
Da lief durch die Runde das herzliche "Du,"
Da scholl viel Tolles und Kluges dazu.
Und Einer erhob sich aus unserer Zahl
Und faßte begeistert den vollen Pokal.
""Nein,"" rief er, ""bei Gott! so köstlicher Wein
Soll nicht so schlechthin vertrunken sein!""
Und eine Flasche faßt' er sodann
Und legt' ein fesselndes Siegel daran,
Und hieß sie von Handen zu Handen geh'n
Und ließ sie von Aller Augen beseh'n.
""Die Flasche,"" rief er, ""so, wie sie ist,
Sie soll bewahrt sein von dieser Frist,
Bewahrt, ob Blatt um Blatt auch fällt
Vom Kranze, der jetzt noch so wohl bestellt.
Und wenn einst nur mehr noch ein Einziger lebt,
Und wieder das sinkende Jahr entschwebt,
Der hole schweigend sodann aus dem Schrein
Hervor die versiegelte Flasche mit Wein;
Entsiegle sie, nehme das Glas zur Hand
Und füll' es mit perlendem Weine zum Rand,
Und leer' es im stillgewordenen Haus
Wehmütig aufs Wohl der Geschiedenen aus!""
Und fünfzig Jahre, sind nun hinum,
Hier sitz' ich der Letzte, der Einzige, stumm.
Wohlauf! Dir, Bruder, sei das gebracht:
Du fielst, ein Beneideter, schön in der Schlacht! —
Dir, Bruder, dies: im Meer ist's kühl! —
Dir — dieses: ein böses Spiel ist das Spiel! —
Dir — dieses, Bruder: du glaubtest mir nicht,
Daß Liebe die Herzen wie Binsen bricht!
Dir, Vielgeprüfter, — ein Lebehoch! —
Auch dir: schwer drückt wohl der Ehren Joch! —
Auch dir: nicht wahr, die peinlichste Pein
Ist die, verkannt von den Liebsten zu sein? —
Auch dir: man beneide den Dichter nicht;
Des Herzens Grabmal ist manch ein Gedicht! —
Auch dir, du leichter, glücklicher Sinn:
Du scherztest dich lächelnd in's Jenseits hin!" —
So denkt sich der Mann, leert Glas um Glas;
Die Augen umflort's ihm, er weiß nicht was: —
Es ist doch schwer, aus frohem Verein,
Der einzige — letzte Mann zu sein!
Reisegesellschaft
Da fand sich einst zu mir ein Mann,
Er schloß sich freundlich an mich an,
Er fuhr mit mir bei Tag und Nacht,
Hat nie die Zeit mir lang gemacht.
Er war nicht Einer, der viel spricht,
Doch mit der Mode hielt er's nicht;
Es drückt' ihm etwas, schien's, die Brust,
Vorüber war's mit seiner Lust.
Man sah es brennen klar in ihm
Und weiter glüh'n voll Ungestüm,
Und zu berechnen war es schier:
"Es brennt nicht lange mehr in Dir!"
Wir stiegen ab in einem Haus
Und ruhten dort vom Reisen aus,
Und fanden dort ein schönes Kind,
Das uns geschäftig wohl bedient.
Das schöne Kind war auch recht gut,
Ein unverdorbnes, frohes Blut; —
Oft sah es mein Genoß sich an
Und wurde weich und weicher dann.
Und als wir wieder aus dem Haus
Uns setzten in die Kutsch' hinaus,
Kommt auch die Dirn' an unsern Schlag
Und wünscht uns, was man wünschen mag.
Und mein Gefährt', — ich weiß, nicht wie?
Kneipt plötzlich in die Wange sie,
Und spricht ganz wunderbar gesinnt:
"Leb' wohl, leb' wohl, du gutes Kind!
Und kommst du in die Hauptstadt einst,
Die du zu sehen doch wohl meinst,
So komme doch (das rat' ich dir)
Auch einmal auf Besuch zu mir."
Das Kind wird rot, und weiß nicht gleich
Zu sagen: ""Herr, wo find' ich Euch?"" —
"Kind," spricht er, "träfst du nirgends mich:
Im Kirchhof bin ich sicherlich."
IX.
Der Suchende
Ein finsterer Pilger durchirrt den Wald,
Am Leibe noch jung, am Herzen alt:
Sein totes Liebchen ist Schuld daran,
Daß er nicht jung mehr scheinen kann.
Er geht, bleibt stehen, spricht ein Wort;
Setzt wieder ab, irrt wieder fort,
Schreit laut vor sich hin, ist wieder still, —
Weiß selber, scheint es, nicht, was er will.
Zu Hause freut es ihn nimmermehr:
Sie sucht ihn dort nimmer, das Haus ist leer;
In keinem Schatten verlangt er zu ruh'n,
Sie ruht ihm ja nimmer zur Seite nun.
An keiner Blume findet er Lust, —
Er kann sie nicht stecken an ihre Brust;
Für keine Quelle hat er mehr Sinn,
Er sieht ja ihr Bild nicht bei seinem darin.
Den eigenen Tränen ist er feind:
Sie fragt ihn ja nimmer, warum er weint?
Sie fragt nicht mehr, gibt nicht mehr Bescheid,
Bekümmert sich nicht mehr um Freud' und um Leid.
Und wie er irrt durch Steig und Steg,
Da tritt ihm ein greises Weib in den Weg;
Ein Weib, zwergartig, hager und alt,
Als wär' es das Schicksal in Menschengestalt:
"Grüß Gott, mein Söhnlein, wohin denn so spät,
Wann selbst schon der Adler schlafen geht?
Ein Kind von deiner Art und Gestalt
Gehört in die Welt und nicht in den Wald.
Hielt dich der Vater, die Mutter zu streng?
Im Walde da ist es ja eben so eng.
Verlorst du dein Gold und dein Geld in der Welt?
Im Walde wächst ja kein Gold und kein Geld.
Wie? oder irrst du, zu morden, im Wald?
Gib Achtung: Räuber werden nicht alt.
Wie? oder verlorst du Richtung und Weg?
Komm mit mir! Ich führ' dich den rechten Steg!" —
""Nein, Mütterchen, nein, keine Mutter hat,
Kein Vater gemacht mich des Zwanges satt;
Ich wollt', ich hätt' noch so süßen Zwang,
Gern wollt' ich ihn tragen mein Leben lang!
Nein, Mütterchen, nein, — nicht verlor ich mein Gold:
Nie war ich dem gleißenden Schimmer hold.
Nicht treib' ich mit Anderer Leben mein Spiel,
Es ist mir ja meines, schon meines zu viel.
Nicht hab' ich des Weges verfehlt auf der Flucht,
Ich suche ja keinen, hab' keinen gesucht.
Ich will nicht aus, ich will nicht ein,
Ich will nur sie, nur sie allein!
Ich will nur sie, ich suche nur sie,
Das Kind nur such' ich, das Gott mir verlieh;
Und wenn ich es finde, so führ' ich's nach Haus,
Und find' ich es nimmer, so ist es aus! —
Ist aus mit mir, aus, Mütterchen, aus!
Dann brauch' ich nicht Weg, nicht Lager, nicht Haus,
Dann kann ich mein Haus ja überall seh'n,
Wo zwei Weiden auf einem Hügel steh'n!
Doch, Mütterchen, sage mir, sage mir an,
Ob ich sie finde, und wo? und wann?""
"Das will ich dir sagen, das ist mir bekannt,
Nur sieh' mir in's Auge, nur reich' mir die Hand!
Du liebst ein gutes, ein süßes Kind,
Du bist ihm mit Rechten so treu gesinnt;
Drum wird es nicht ohne Mühe dein,
Doch Mut! es wird ja so lange nicht sein!
Zwar wirst du manchen Morgen und Tag
Durch Täler noch wandeln, durch Busch und Hag;
Wirst manche Träne noch weinen um sie,
Vor mancher Kapelle noch beugen dein Knie.
Wirst manch ein Sternlein noch kommen seh'n,
Doch laß den Mut nicht untergeh'n:
Eh' wieder die Blätter fallen allhier,
Hast du sie gefunden, — und bist du bei ihr!
Der Jüngling ging, — und manchen Tag
Durchirrt' er Täler, Busch und Hag,
Vergoß noch manche Tränen um sie,
Und beugte vor mancher Kapelle sein Knie.
Manch Sternlein sah er noch kommen und geh'n
Doch wo die zwei Weiden am Hügel steh'n,
Wo die Blätter schon fallen für und für,
Da — fand er sie endlich, da blieb er bei ihr.
Stille Freude
Wenn ich oft mit ernster Stirne
Mich aus eurem Kreise stehle,
Brüder, um allein zu sein:
Glaubt nicht, daß ich Einem zürne,
Oder daß mir Etwas fehle; —
Ich bin oft nur gern allein.
O dann ist so fern vom Grolle,
Dann ist jedem sanften Triebe
So befreundet meine Brust,
Daß mein Herz, das übervolle,
Sich ergießen möcht' in Liebe,
Und vergeh'n in süßer Lust.
O dann malt sich Fried' und Sehnen,
Wie ein blauer Himmelsspiegel,
In der Seele stillem Meer;
Und Gefühle ziehn gleich Schwänen,
Lüftend ihre weißen Flügel,
Ernst und langsam drüber her.
Liebe, freundliche Gestalten
Seh' ich wandeln allerwegen,
Und ich weiß nicht, wie mir ist;
Denn mit zauberischem Walten
Treten Bilder mir entgegen,
Längst gekannt und längst vermißt.
Meiner Kindheit süße Träume,
Meiner Jugend sel'ge Klagen
Leben vor mir wieder auf;
Früchte werden wieder Keime,
Und Bescheide wieder Fragen,
Und ein Rückweg wird mein Lauf.
Alte Freuden fühl' ich wieder,
Wieder glüh'n mir alte Farben,
Altes Glück wird wieder neu;
Jahre weh'n wie Schleier nieder,
Auseinander fallen Garben,
Und mein Sommer wird zum Mai.
Aber — nun mit Einem Male
Flieht das Bild vergangner Zeiten
Wie ein Schatten wieder hin. —
Und im lichten Zauberstrahle
Seh' ich Stund' auf Stund' entgleiten,
Und die Zukunft lockt den Sinn.
Und auch da erblick' ich Bilder,
Längst vom Ahnen und vom Hoffen
Vor die Seele mir gemalt;
Und die Bilder werden milder,
Rosenauen seh' ich offen,
Und der Preis des Lebens strahlt.
Gattenliebe, Vaterwonne,
Selbsterkennung, Lebensklarheit
Seh' ich sprossen und gedeih'n;
Und der Dichtung beßre Sonne
Sträubt sich nicht, der ernsten Wahrheit
Ihren heitren Strahl zu leih'n.
Schweig' ich drum in eurem Kreise,
Deutet's nicht für Groll und Schmerzen,
Was aus meinem Schweigen spricht:
Es ist so nur meine Weise,
Mir ist dann recht wohl im Herzen
Und nur sagen kann ich's nicht.
X.
Geister-Rache
Ein Wald von Wimpeln flattert vor Chios auf der See;
Das ist die Türkenflotte, sie brachte grauses Weh'.
Hoch am Verdecke lehnet der wilde Kapudan,
Und grinst mit Höllenfreude die fernen Trümmer an.
Und über blut'ge Spuren von Qual und Brand und Mord
Kriecht wie ein schwarzer Lindwurm der Rauch am Strande
fort.
Wohl dreißigtausend Griechen verspritzten heut' ihr Blut,
Und ihre Leichen rollten hinunter in die Flut.
Da ruh'n sie noch gefesselt vom eigenen Gewicht,
Die Wogen gehen drüber, das Auge sieht sie nicht;
Die Sonne kehrt sich schaudernd von solchem Greuel ab,
Schon blickt aus Osten blutig der Mond in's blut'ge Grab.
Da regt sich's in der Ferne, lebendig wird das Meer,
Unheimlich rauscht und knistert's und treibt sich hin und
her;
Die Wächter seh'n es staunend in stillem Zuge nah'n,
Als kämen kecke Schwimmer die Flotte zu umfah'n.
Die Wächter rufen drohend den bösen Gästen zu,
Die aber schwimmen näher in ungestörter Ruh';
Die Wächter feuern wütend aus hundert Büchsen drein,
Kein Schrei ertönt, — die Rotte scheint kugelfest zu sein.
"Was gibt's?" so lärmt der Pascha aus der Kajüt' empor
Und stürmt mit blankem Säbel selbst bis zum Borde vor,
Da sieht auch er es ringen, sich drängen und sich bläh'n,
Und durch die Galioten sich grausen Zuges dreh'n.
Viel tausend Köpfe ragen aus dunklen Fluten auf,
Der helle Mondschein leuchtet mit bleichem Schimmer drauf.—
"Beim Allah!" ruft er wütend, "das sind die Hunde ja,
Die auf der Hauptstadt Trümmern ich heut' verröcheln sah!" —
Und die Tufenken läßt er entladen unter sie;
Umsonst! sie nah'n wie drohend, als mahnten sie: "Entflieh!"
Voran dem Totenheere da schwimmt die Priesterschar,
Der Bischof an der Spitze mit blut'gem Silberhaar.
Gehoben von den Wellen krampft er sich hoch hinan
Und starrt mit offnen Augen den Pascha dräuend an;
"Entflieh!" so scheint zu warnen sein halbgeschlossner Mund,
"Entflieh! als Rachegeister entstiegen wir dem Grund!" —
Da faßt ein grauser Schrecken den wilden Kapudan,
Die Kiele läßt er wenden, läßt segeln was er kann;
Umsonst! auf langen Furchen zieh'n ihm die Leichen nach,
Er wagt nicht umzuschauen, sein grimmer Starrsinn brach.
Und wenig Monden schwinden, und wieder naht der Tag,
An dem der Pascha mordend vor Chios' Mauern lag,
Da siegt der Mut der Griechen, der Geist der Rache ruft,
Und mit der Flotte fliegt auch der Pascha in die Luft.
Entschuldigung
(An einen Freund)
Geliebter Freund, bei dem es mir gelungen,
Mich einzusingen in dein warmes Herz,
Du fragst mich nicht aus eitlen Huldigungen,
Du fragst, ich fühl's, mich aus besorgtem Schmerz,
Warum ich auf der Muse Stapelplätzen,
So selten käm' ein Liedchen abzusetzen!
Wie soll ich ganz dir meinen Dank beweisen,
Nicht daß du mich entbehrst, nein, mich nur nennst?
Wie aber kann ich gnug dich glücklich preisen,
Daß du den Grund nicht meines Schweigens kennst?
Nicht kennst die Nächte, welche kalt und nüchtern
Den lautesten der Sänger selbst verschüchtern?
O glaube mir, nicht müßig liegt die Feder,
Ich tauche sie noch oft in's Herzblut ein;
Wohl Mancher merkt mir's ab, doch nicht ein Jeder,
Auch will's ja nicht bemerkt von Jedem sein;
Denn was wir Arbeit nennen, Fleiß der Seelen,
Das nennen sie: den lieben Tag bestehlen.
Darf ich doch selber ihr es nicht gestehen,
Die Lied des Herzens, Herz des Lied's mir ist. —
"Sie werden lächeln," meint sie, "und dich schmähen,
Daß du nur eines Namens Herold bist!
Mach' etwas Tücht'ges: Dramen und Geschichten;
Wer wird denn ewig Liebeslieder dichten?" —
Doch sei's, ich bleibe drum nicht müßig, Lieber!
Oft wird die Brust mir ganz besonders voll;
Dann dehnt sie sich und geht in Liedern über,
Und schmelzt mir wider Willen Gram und Groll.
Dann mag ein Andrer sitzen und sich fassen,
Wer einmal nachgab, kann es nimmer lassen.
Des Lied's Gewohnheit läßt sich nicht entwöhnen,
Man will's auch nicht, weil sie so selig macht;
Sie kann verzeih'n, verschönern und versöhnen,
Und kostet nichts, als höchstens eine Nacht.
Ist's besser nicht, als in des Schlummers Räumen,
Sie wach am Pult, doch schöner zu verträumen?
So träum' ich oft, und hab' der Träume viele
Mir aufbewahrt für eine beßre Zeit;
Es kommt zu nichts mit dem Gedankenspiele,
Mit dieser selbstgefäll'gen Eitelkeit;
Wer wird nach Herzen in Journalen schauen?
Man liest sie nur, um leichter zu verdauen!
Gib ihnen, was dir aus dem tiefsten Herzen
In einer Stunde seltnen Glückes quoll;
Gib ihnen echte Freuden, echte Schmerzen,
Der wärmsten Liebe reinsten Jubelzoll;
Ja gib, was, wenn's Anakreon gesungen,
Durch Menschenalter hätte fortgeklungen; —
Sie werden sitzen um den Tisch beim Glase,
Das Zeitblatt fassen sie mit krampf'ger Hand,
Durchblätternd, rümpfen die bebrillte Nase,
Was Unverständ'ges murmelnd von Verstand,
Bis sie zum Schluß nach mancher Phras' und Note
Ein Wortspiel machen oder eine — Zote.
Wer, lieber Freund, erfaßt von diesem Bilde,
Zerbräche nicht die Schranken der Geduld?
Es ist das Herz mit seiner Kraft und Milde,
Um dessen Gunst die scheue Muse buhlt;
Wo sie bemerkt, man will sie nicht verstehen,
Da wird sie rot und wendet sich zum Gehen.
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