© Naturgalerie
Zwei Blätter an einem Stiele,
Das ist der Bifolien Art;
So ist mit dem epischen Blättchen
Hier immer ein lyrisch gepaart.
"Gut! — Aber wo ist die Blüte?"
Wirft wohl ein Kenner mir ein;
Die Blüte soll die Empfindung,
Die draus Euch anspricht, sein!
Es hat mich oft schon tief gekränkt,
Und oft mich wieder erhoben,
Daß eben, was Einer tadelnd verwarf,
Die Anderen rühmend loben!
I.
Das Glöcklein des Glückes
Der König lag am Tode, da rief er seinen Sohn;
Er nahm ihn bei den Händen und wies ihm auf den Thron:
"Mein Sohn," so sprach er zitternd, — "mein Sohn, den laß' ich dir;
Doch nimm mit meiner Krone noch dies mein Wort von mir:
Du denkst dir wohl die Erde noch als ein Haus der Lust;
Mein Sohn, das ist nicht also, — sei dessen früh bewußt!
Nach Eimern zählt das Unglück, nach Tropfen zählt das Glück; —
Ich geb' in tausend Eimern zwei Tropfen kaum zurück!"
Der König spricht's und scheidet. — Der Sohn begriff ihn nicht:
Er sieht noch rosenfarben die Welt, im Maienlicht.
Zu Throne sitzt er lächelnd, beweisen will er's klar,
Wie sehr getäuscht sein Vater von düstrem Geiste war.
Und auf das Dach des Hauses, grad über seinen Saal,
Worin er schläft und sinnet und sitzt am frohen Mahl,
Läßt er ein Glöcklein hängen von hellem Silberklang,
Das läutet, wie er unten nur leise rührt den Strang.
Den aber will er rühren (so tut er's kund im Land),
So oft er sich recht glücklich in seinem Sinn empfand;
Und traun! zu wissen glaubt er's, — da wird kein Tag entflieh'n,
An dem er nicht mit Rechten das Glöcklein dürfte zieh'n.
Und Tag' um Tage heben ihr rosig Haupt empor,
Doch abends, wenn sie's senken, trägt's einen Trauerflor.
Oft langt er nach dem Seile, das Auge klar und licht: —
Da zuckt ihm was durch's Inn're, das Seil berührt er nicht.
Einst tritt er, voll des Glückes erhörter Freundschaft, hin:
"Ausläuten," ruft er, "will ich's, wie hoch beglückt ich bin!"
Da keucht ein Bot' in's Zimmer, der's minder spricht, als weint:
""Herr, den Du Freund geheißen, verriet Dich, wie ein — Feind!""
Einst fliegt er, voll des Glückes erhörter Lieb', herein;
"Mein Glück, mein Glück," so ruft er, "muß ausgeläutet sein!"
Da kommt sein blasser Kanzler und murmelt bang und scheu:
""Herr, blüht denn auch dem König hienieden keine Treu'?""
Der König mag's verwinden, er hat ja noch sein Land
Und einen vollen Säckel und eine mächt'ge Hand;
Er hat noch grüne Felder, noch Wiesen voll von Duft,
Und drauf den Fleiß der Menschen und drüber Gottes Luft!
Zu seinem Fenster tritt er, sieht nieder, sieht hinaus,
Und Wiege seines Glückes bedünkt ihn jedes Haus.
Zum Seil hin eilt er glühend, will zieh'n, will läuten — sieh!
Da stürmt's herein zum Saale, da fällt's vor ihm aufs Knie.
"Herr König, siehst Du drüben den Rauch, den Brand, den Strahl?
So rauchen unsre Hütten, so blitzt der Nachbarn Stahl!"
""Ha, freche Räuber!"" donnert der Fürst in wildem Glüh'n,
Und statt des Glöckleins muß er sein rächend Eisen zieh'n.
Schon bleichen seine Haare, vor Dulden wird er schwach,
Und stets noch schwieg das Glöcklein auf seines Hauses Dach.
Und wenn's auch oft, wie Freude, sich auf die Wang' ihm drängt,
Er denkt kaum mehr des Glöckleins, das er hinaufgehängt. —
Doch als er nun, zu sterben, in seinem Stuhle saß,
Da hört' er vor dem Fenster Geschluchz ohn' Unterlaß.
"Was soll das?" fragt er leise den Kanzler, "sprich's nur aus!" —
""Ach, Herr, der Vater scheidet, — die Kinder steh'n vorm Haus!"" —
"Herein mit meinen Kindern! — Und war man mir denn gut?" —
""Stünd', Herr, zu Kauf ein Leben: sie kauften Dein's mit Blut!""
Da wogt's auch schon zum Saale gedämpften Schritt's herein,
Und will ihn nochmal segnen, ihm nochmal nahe sein.
"Ihr liebt mich also, Kinder?" — Und tausend weinen: ""Ja!"" —
Der König hört's, erhebt sich, sieht wie ein Heil'ger da;
Sieht auf zu Gott, zur Decke, langt nach dem Seile stumm,
Tut einen Riß, — es läutet, —und lächelnd sinkt er um.
Mein Glück
Sagt, wo sind sie jene Stunden,
Und wer hat sie weggebannt,
Wo ich, frei und ungebunden,
Noch vor Glück kein Glück gekannt?
Wo mir, als ein Wonnebringer
Noch der Strom der Jahre rann,
Wo mir noch der Freude Finger
Freundlich jeden Faden spann?
Wie ein Hain der Hesperiden
Lag die Welt vor meinem Blick:
Alle Blumen blühten Frieden,
Alle Bäume trugen Glück.
Da bedurft' es nicht des Pflückens,
Nicht der Sorge, nicht der Wahl:
Denn die Äste, trauten Nickens,
Boten selbst das leckre Mahl.
Doch wie frei ich war von Schranken,
Leere war der Freiheit Frucht;
Mein Genießen war ein Schwanken,
Und mein Leben eine Flucht.
Wahrlich schöner ist's, zu leben
In der Wehmut stillem Hain,
Als auf Rosen hinzuschweben,
Ohne sich's bewußt zu sein!
Doch um nimmer zu erscheinen,
Schwand nun jener goldne Tand,
Und ich weiß nicht, soll ich weinen,
Oder lächeln, daß er schwand?!
Andre Sterne sind erschienen,
Und umleuchten meine Bahn,
Und es sieht mit andren Mienen
Eine neue Welt mich an.
Auf das bunte Lustgewimmel
Sank ein leiser Nebelhauch,
Ferner steh'n mir Erd' und Himmel,
Ferner, aber höher auch.
Meine sonst so freie Seele
Liegt in Banden, die sie liebt,
Und wie sehr sie's auch verhehle,
Sucht sie doch, was sie betrübt.
"Sprich! Du leidest?" sagen Alle,
Die so still mich wallen seh'n,
Und doch glaub' ich, wie ich walle,
Mir sei nie so wohl gescheh'n!
Mit der Wehmut leisem Lächeln
Malt die Trauer mein Gesicht.
Und der Freude laues Fächeln
Rührt mich, doch berauscht mich nicht.
Und so kommt's denn auch allmälig,
Und ich fühl' es tief und klar:
Seit ich's nicht bin, bin ich selig,
Und war's nicht, so lang ich's war.
Ja dies Bluten ohne Wunde,
Der emporgeschlagne Blick,
Dieser Ernst in froher Stunde,
Dieses Unglück ist — mein Glück!
II.
Der Nachtwandler
"So hörst du nicht, so fühlst du nicht,
Du glühend Bild von Stein?
Und soll ich denn in banger Qual,
So ganz verloren sein?
O könnt' ich eines Blickes nur
Gedenken, den du gabst!
Wär's nur ein Laut, womit du mir
Die arme Seele labst!
Nur einmal, süßer heil'ger Mund,
Sprich meinen Namen aus!
Schick ihn nur einmal still und scheu
Zu solcher Pfort' heraus!"
Der Jüngling fleht, und Tränen zieh'n
Als stumme Bitter nach,
Um Spiegel dessen ihm zu sein,
Was seine Zunge sprach.
Allein die Jungfrau hört ihn nicht,
Sie läßt ihm seinen Dorn:
Gesät in seines Lebens Riß
Hat sie ihr Siegeskorn.
Wenn nun der Leiden stiller Freund,
Der Mond, aus Wolken steigt,
Und seine Silberstirne sanft
Zu jedem Dulder neigt;
Dann hebt denn unser Dulder auch
Sein schweres Haupt empor,
Und schaut den stillen Freund sich an
Und klagt, was er verlor;
Daß er ein junges Herz verlor,
Ein Herz voll Kraft und Glut,
So fessellos, so ungebeugt,
So ruhig und so gut;
Daß er ein Herz sich nehmen ließ,
Und kein's dafür bekam,
Und daß er nun sich ohne Herz
Verzehren müßt' in Gram.
So klagt er ihm, so schaut er ihm
Ins Auge klar und rein,
Und saugt das Silber seines Blick's
Mit durst'ger Sehnsucht ein.
So steht er noch und schaut empor,
Wenn längst der Mond entschwand,
Und geht und hat geschlossen noch
Sein Aug' empor gewandt.
Und inn'ger starrt er jede Nacht
Den stillen Freund sich an,
Als wollt' er nicht mehr bloß ihn seh'n,
Als wollt' er ihm auch nah'n.
Schon hält nicht mehr die Kammer ihn,
Er muß hinaus, hinauf,
Wo's glimmt und glänzt wie Eiskristall,
Hinan zum Bergesknauf;
Hinan und höher stets hinan
Zur schroffen Felsenwart',
Wo schon der Schwindel den erdrückt,
Der keck hinunter starrt.
Und also stürmt er wieder grad
Den Zackensteg empor,
Da wandelt seines Irrwahn's Quell,
Die Jungfrau, vor das Tor.
Sie sieht, — erkennt ihn, — starrt ihm nach,
Er steht am Felsen knapp; —
Entsetzt beim Namen ruft sie ihn, —
Er hört's, — und stürzt hinab. —
Nie sprach sie seinen Namen aus,
So lang er jung und rot,
Und nun sie's tat zum ersten Mal,
Da bracht' es ihm den Tod.
Verschiedener Eindruck
Da klagt es durch die Nacht herüber,
Ein weicher, schmelzender Gesang;
Wohl Jeder spräch': Es ist ein trüber,
Ich sag': Es ist ein heit'rer Klang!
Es zittert zwar in Moll-Akkorden,
So bang und klagend, wie es scheint,
Gleich Tränen, die zum Ton geworden
Das Auge kühlen, das sie weint;
Ich aber finde doch sie heiter,
Nur Wonnen rufen mir sie wach;
Ich lausch' und sinn' und sinne weiter, —
Und sinne nicht vergebens nach.
Es waren eben diese Klänge,
Die Sterne schienen hell, wie heut',
Und hatten auf die Laubengänge,
Wie jetzt, ihr Silber ausgestreut.
Da stand ich unter Blütenbäumen,
Und harrte liebebang auf sie;
Und plötzlich in den stillen Räumen
Erklang dieselbe Melodie.
Da kam sie, — flog mir heiß entgegen,
Bei diesen Tönen schwor sie mir; —
Es war ein Augenblick voll Segen,
Bei diesen Tönen schwor ich ihr!
Die düstern Moll-Akkorde klangen
Uns wie das hellste Lied der Lust,
Und faßten Wurzel und verschlangen
Sich mit dem Leben unsrer Brust.
Darum wenn durch die Nacht herüber
So klagend zittert der Gesang,
Und dünkt' er Jedem gleich ein trüber,
So dünkt' er uns ein heitrer Klang.
III.
Der Ersatz
Mägdlein ging zum Brunnen, der Grundherr stand am Zaun,
So dunkel war sein Auge, sein Lockenhaar so braun.
Das hatte sie wohl Beides schon manches Mal geseh'n: —
Und doch mußt' heute drüber ihr Krug in Trümmer geh'n.
"Ach!" schreit sie auf, "da liegt er, der liebe schöne Krug,
Der Krug, den schon die Mutter als Kind zum Brunnen trug!"
""Nur ruhig!"" ruft der Grundherr, und faßt sie sanft am Kinn,
""Nimm dieses Goldstück, Kleine, wofern ich schuldig bin!""
"Behaltet Euer Goldstück, das ist der Krug nicht wert!"
Sie sprach's, und weinte bitter und schlug den Blick zur Erd'. —
""Nur ruhig"" sprach der Grundherr, und sah ihr in's Gesicht,
""Ich schenke dir ein Krüglein, das nicht so leicht zerbricht.
Ein Krüglein, schön gegossen aus Golde fein und schwer,
Besetzt mit Demanttropfen, — nur weine mir nicht mehr!""
"Behaltet Euer Krüglein, — es ist nicht um den Krug!"
Sie sprach's, und fühlt' an's Herzchen, das ungeduldig schlug.
""Nur ruhig!"" sprach der Grundherr und küßte sie gerührt,
""Du sollst das Grundstück haben, das zu dem Brunnen führt.
Und hart am Brunnen bau' ich ein Haus dir rein und licht,
Damit dir auf dem Wege kein Krüglein mehr zerbricht!""
"Behaltet Haus und Garten, — nicht Garten ist's, — nicht Haus." —
Sie will noch etwas sagen und findet's nicht heraus.
""Nur ruhig!"" ruft der Grundherr, — ""nimm für dein Krüglein — mich!
Und brauchst du wieder Wasser, — sag' mir's, so schöpf' es — ich!
Laß diesen Krug zerbrochen, — wenn nur das Herz nicht brach!""
Das Mägdlein sank dem Junker an's Herz mit leisem: "Ach!"
Die Veilchen-Leiche
Wir saßen in der Laube
So selig Hand in Hand;
Da lag zu unsren Füßen
Ein Veilchen in dem Sand.
Wir sah'n es sinnend liegen,
Da sagtest du zu mir:
"Komm, laß es uns begraben,
Das arme Veilchen hier!"
Und in dem Sande gruben
Wir ihm ein kleines Grab,
Und legten mit einander
Die Veilchenleich' hinab.
Und deckten sie mit Rasen
Und frischen Blättern zu,
Und sprachen ernst und sinnig:
"Da, Veilchen, lieg' und ruh'."
Nun hab' ich ihn begriffen
Den ersten Leichenscherz:
Er ward zur Vorbedeutung
Für unser eignes Herz.
Denn so wie wir das Veilchen
Verscharrt am stillen Ort,
Begruben wir nach Monden
Auch — unsre Liebe dort!
IV.
Die Träne
In dunkler Kammer saß ein Mann
An schwarzbehängtem Tische;
Der prüfte grübelnd, dacht' und sann,
Wie er die Säfte mische.
Metall und Säure, Salz und Stein
Zersetzt er in Phiolen,
Verbindet, gießet aus und ein,
Stellt's über Eis und Kohlen.
Zusammenrafft er, was er kennt,
Und treibt's in düstrem Schweigen;
Das, — was man eine Träne nennt,
Will er durch Kunst erzeugen;
Erzeugen eine Trän', — ein Naß,
So wohlfeil in dem Auge!
Er mischt und mengt ohn' Unterlaß,
Versucht's mit Dampf und Lauge.
Geschmolzner Demant scheint's ihm bald,
Bald Wasser, im Kristalle; —
Doch ist der Demant hart und kalt,
Der Tropf' erlischt im Falle.
Kein Feuer ist's — der Funke brennt,
Die Tränen aber kühlen.
Es ist kein andres Element,
Kein Element kann fühlen.
Es ist nicht lebend, ist nicht tot,
Die Träne lebt im Werden,
Doch kaum daß sie zur Schau sich bot,
So fällt sie tot zur Erden.
Sie ist ein Kind der Harmonie,
Ein Kind des Widerstrebens. —
Das ganze Reich der Alchimie
Durchforscht der Mann vergebens.
Da springt er auf von seinem Sitz
Und wandelt in das Freie,
Verschwört Erfindung, Kunst und Witz,
Und spürt Verdruß und Reue.
Doch wie er wandelt, wie er geht,
Da wird es eben Abend;
Sein lang entbehrter Odem weht
Um's Haupt ihm mild und labend.
Die Sonne steigt hinab in's Meer,
Daß alle Wellen blitzen,
Und aus der Brandung rings umher
Viel helle Tränen spritzen.
Die Blumen wiegen Blüt' und Blatt,
Wie voll geheimem Sehnen,
Und jedes Knospenäuglein hat
Viel hundert helle Tränen.
Und Menschen steh'n und wandeln stumm
In wehmutheitrem Bangen,
Und schau'n beseligt um und um,
Mit Tränen auf den Wangen. —
Da greift's wohl auch dem Mann in's Herz,
Wie er es nie empfunden,
Er fühlt sich wie vom bangen Schmerz
Erleichtert und entbunden.
Der Kehl' aus tiefster Brust, von da
Dem Antlitz, dem entglühten,
Von da den Augen tritt es nah,
Er kann es nicht verhüten. —
Es stimmt vor ihm, — er hält die Hand
Vor's Auge, — Tränen sind es.
Was keine Kunst, kein Mühen fand,
Ein reicher Strom nun rinnt es.
Und neu geschaffen, inniglich
Fühlt er es, süßbeklommen:
Nicht machen läßt die Träne sich,
Von selber muß sie kommen.
Die Tränen der Liebe
Die heimlichen Tränen der Liebe
Sie gleichen, im Stillen verwischt,
Der sympathetischen Tinte,
Die schnell nach dem Schreiben erlischt.
Ein Blättchen mit ihr so beschrieben,
Fliegt arglos und sicher dahin,
Und nur dem Geweihten verrät es
Der Liebe lieblichsten Sinn.
Er hält es über die Flammen,
Da färbt sich's, gewinnet Gestalt,
Und spricht vom Herzen zum Herzen
Mit rätselhafter Gewalt.
So ist's mit den Tränen der Liebe, —
Sie netzen die Wange so leis,
Daß, wie sie verrollt und vertrocknet,
Kein Ungeweihter es weiß.
Jedoch in der Nähe von Herzen,
Die wärmer und inniger glüh'n,
Da sieht man es bald auf den Wangen
Wie magische Röslein erblüh'n.
Da liest der Geweihtere deutlich
Die Spuren von Leid und von Lust,
Und findet im stillen Erröten
Den Schlüssel zum Rätsel der Brust.
Mit Tränen beschreibt so die Liebe
Der Wangen verschwiegenes Blatt:
Denn nur die Liebe kann lesen,
Was Liebe geschrieben hat.
V.
Ännchen von Tharau
Zur Pastors-Tochter, Ännchen von Tharau, in's Gemach
Trat einst zur Morgenstunde der Dichter Simon Dach.
Sie stand am Gartenpförtchen vor einem Marmortisch,
Und auf dem Tisch ein Körbchen mit Blumen bunt und frisch.
Sie hatt' ein seiden Mieder voll buntem Zierat an,
Ein blauer Saphir glänzte bedeutsam vorne dran;
Doch ihren dunklen Locken, der Zeit zuvor geschmückt,
War gar ein herzig Kränzlein von Astern aufgedrückt.
Ein Perlenarmband küßte das weiße Handgelenk:
So stand sie lächelnd, einzig nur ihres Schmucks gedenk.
Und hinten durch das Gitter kam leise Simon Dach,
Schlich hin, besah sie schweigend und seufzte tief und sprach:
"Mein Ännchen, lächelnd stehst du, dein Reiz ist deine Welt,
Du dünkst dich wie die Blumen, so du als Zier bestellt;
Du freust dich, daß die Wangen dir wie die Rosen blüh'n;
Daß deine lieben Augen wie helle Sterne glüh'n.
Du bist mit deinen Locken vorausgeeilt der Zeit,
Und daß man drum dich ansieht, das ist es, was dich freut,
Ein Saphir schmückt dein Mieder, den dir ein Andrer gab,
Das ist's nun, was ich freilich dir nicht zu geben hab'.
An deinem Händchen schimmert ein buntes Perlenband,
Das dir mein Nebenbuhler, um mich zu höhnen, wand.
O Ännchen, einst mein Schätzchen, mein Schäfchen und mein Huhn,
Tu, was dein Herz gelüstet, — doch glaubst du recht zu tun?
Der mir dein Herz entwendet, ist reich — und das ist viel,
Er gibt dir Perl' und Saphir und Gold und Modespiel;
Doch Perl' und Stein erblindet, und Gold ist ungetreu,
Und mit den Reizen ist auch das Modespiel vorbei.
Ich bin ein armer Dichter, heiß' aber Simon Dach,
Und wohl durch hundert Jahre klingt noch mein Name nach;
Und Ännchen heißt das Madchen, so sich der Dach erseh'n,
Und mit ihm wird sein Ännchen durch hundert Jahre geh'n.
Laß uns mitsammen wandern durch Deutschlands Süd und Nord,
Wohin wir immer kommen, — ich adle dir den Ort.
Das Leid durch's Lied gemildert ist nur Verknotigung,
Und Lieb' und Leben machen uns noch als Greise jung.
Und wenn ich, Ännchen, sterbe, sei mir nicht nachgeklagt,
Daß man die Wittib wegwirft wie eine Bettelmagd;
Dann sollst du erst erfahren, was doch dein Simon galt:
Denn erst im Tode wird ja uns Dichtern abgezahlt.
Dann setzt man uns die Steine, die man als Brot uns gab,
Mit reuigem Bekenntnis als Denkmal auf das Grab;
Dann gilt dir jedes Briefchen, das ich dir schrieb, für Gold,
Und die den Mann beneidet, sind dann dem Weibchen hold.
Dann fragen dich die Mädchen, wie denn ein Dichter liebt,
Und ob er denn auch wirklich, was er besang, geübt?
Und wo du gehst, da flüstert's in frommer Scheu dir nach:
Das Ännchen ist's von Tharau, das Weib des Simon Dach!"
So spricht zu seinem Ännchen der Dichter tief erregt,
Und wähnt, dieweil sie weinet, auch ihre Brust bewegt;
Doch kaum, daß er gegangen, lacht sie mit eitlem Sinn,
Und gibt sich treuvergessen dem reichen Freier hin.
Doch Simon Dach verbleibt ihr getreu bis in den Tod,
In Lieder nur ergießt er des Herzens herbe Not.
Und daß noch jetzt des Ännchens von Tharau wird gedacht,
Hat nicht das Gold des Reichen, — hat Simon's Lied gemacht.
Dichterlos
In Gesellschaft war ich neulich,
Und in feiner noch dazu,
Man empfing mich höchst erfreulich,
Lobt' und pries mich ohne Ruh':
Über Ihre schönen Verse!
Ach, Ihr jüngstes Klinggedicht!
Traun! um eine volle Börse
Glückte solch ein Stück mir nicht.
Sie sind wahrlich zu beneiden,
Gott hat Sie doch recht geliebt,
Daß er Ihnen Leid und Freuden
Also zu verschönern gibt!
Kein Begebnis geht vorüber,
Das Ihr Geist nicht groß erfaßt; —
Und die goldnen Berge drüber,
Sagt man gleich, daß ihr sie haßt!"
Also klang es mir entgegen;
Und gewähren ließ ich sie,
Zürnend dem verkehrten Segen,
Den die neid'sche Kunst mir lieh.
Mit bescheidnen ernsten Mienen
Dankt' ich, sprach ich, beugt' ich aus;
Doch sie glaubten mir zu dienen,
Wanden sie mir Strauß um Strauß:
"Ach! und in den Minneliedern,
Die Sie kargend hingestreut,
Welch natürliches Zergliedern
Der verliebten Seligkeit!
Traun! wer Sie nicht kennt, der meinte,
Daß Sie wirklich Flammen sprüh'n,
Daß Ihr Auge wirklich weinte,
Ihre Pulse wirklich glüh'n!
Daß dies Mädchen, das wir lieben,
Weil Sie's lieben, leb' und sei,
Daß Sie wirklich ihm verschrieben,
Daß Sie wirklich nimmer frei.
Ei! wie doch die Dichter lügen,
Glauben machen, was nicht ist,
Und uns mit der Wahrheit Zügen
Lockend schmücken ihre List!" —
Also mußt' ich sie vernehmen,
Und nicht länger hielt ich's aus;
War es Unmut, war es Grämen,
Doch es trieb mich aus dem Haus.
Trieb mich fort, hinaus in's Freie,
Wo mich Gott nur hört und ich. —
Tor! so rief ich, das die Weihe?
Und noch immer täusch' ich mich?
Was ich so, so warm gesungen,
Wenn so warm nicht, doch so wahr,
Schilt man Modehuldigungen,
Die die Eitelkeit gebar?! —
Lieder, Tropfen meines Blutes,
Teile meiner Wesenheit,
Pfänder meines Jugendmutes,
Zeugen meiner Seligkeit;
Lieder, die ich für die Eine,
Die mein Herz allein bekennt,
Rückzulegen dacht' als Steine
Für ihr einstig Monument;
Die ich, wenn ich eher sterbe,
Als ich in ihr aufgelebt,
Aufzusammeln dacht' als Erbe,
Das man nicht mit mir begräbt;
Diesen Liedern, armer Sänger,
Hält die Welt ein solch Gericht?! —
Haltet ein, ihr Herrn, nicht länger!
Nennt sie schlecht, — nur Lüge nicht
VI.
Das Totenlichtlein
Am Allerseelentage da sind
Die Gräber von Lichtlein umglänzt,
Mit Blumen des Herbstes spielet der Wind,
Womit man die Kreuze bekränzt.
Und sinnende Menschen knien entlang,
Die Augen von Tränen umflort,
Vom Chor erdröhnt es im Orgelklang:
"Bedenket, was ihr verlort!" —
Und Mägdlein, was verlorst denn du?
Kein Grab, kein Kreuz ist nah;
Und du kniest doch voll ernster Ruh'
Abseits von den Gräbern da.
Ein rosenfarbenes Lichtlein brennst
Du, weinend seufzend an;
Sprich, wer ist's, den du gestorben nennst,
Damit man dich trösten kann!?
Ruht dir der Vater im kühlen Moos? —
"Er freut sich des Lebens noch sehr!" —
Ruht dir die Mutter im Erdenschoß? —
"Noch wandelt sie rührig umher!"
So ruht dir ein Bruder oder ein Freund
Tief unten im modernden Schrein? —
"Nicht Schwester, nicht Bruder hab' ich beweint:
Ich war ja immer allein!
Der Eine, mit dem ich's auf dieser Welt
Am besten mein' —, auch er —
Er wandelt, vor Allen gar wohl bestellt,
Gar fröhlich im Leben umher.
Er ist so munter, er ist so froh,
Er ist vom Grabe noch weit,
Er schwebt — ach! könnt' er es immer so, —
Im Taumel der Seligkeit!
Ich aber, weil ich's nicht ändern kann,
Knie' hier in seligem Schmerz,
Und brenne weinend mein Lichtlein an
Für ein mir gestorbenes Herz!"
Dorf und Kirchhof
Was seh' ich hier? — Ein Dorf? — Nein,
In diesen schmalen Klausen,
Um die sich Wind und Wetter zankt,
Wie? — sollten Menschen hausen?
Dies Holzgeripp mit Fleisch aus Schlamm,
Mit stumpfem Gram im Herzen,
Das wollte gelten für ein Haus,
Bewohnt von Glück und Scherzen?
Der Fleiß, der frohe Jugendsinn,
Die Liebeslust, der Segen,
Sie könnten auch in solcher Haft
Gedeih'n und sich bewegen?
Und doch — man leibt und lebt und liebt
Auch unter Halmendächern,
Auch in den Särgen dieses Dorf's.
Wie in der Stadt Gemächern.
Doch seltsam! — wenn ich hier mich weg,
Und da hinüberwende, —
Ein stiller Friedhof lehnt sich dort
An dieses Dorfes Ende.
Bezeichneten die Kreuze nicht,
Welch eine Saat er trage,
Man hielt' ihn für ein üppig Feld
Von einfach schöner Lage.
Getreideswellen ähnlich bläh'n
Sich seine grünen Hügel,
Und durch die hohen Halme weh'n
Des Westes leise Flügel.
Er hat kein Tor; wozu nur wär's?
Den Weg hin finden Alle;
Ein Kreuzdornzaun genügt; — wer schleicht
Sich fort aus dieser Halle?
Er hat kein Dach; — der Blick hinauf
Ist Allen unbenommen,
Und was von oben kommen will,
Das möge freundlich kommen!
Wenn man den Kirchhof und das Dorf
Zusammen so beschauet,
Wer sehnte sich nach jenem nicht,
Indes vor dem ihm grauet?
Wie sind die guten Lebenden
Doch dort so schlecht begraben,
Indes die lieben Toten hier
Das schönste Leben haben?!
VII.
Der Älpler
"Leb' wohl, mein Weib! Leb' wohl, mein Kind!
Ich muß hinaus, zu jagen!
Die Sonne scheint recht mild, der Wind
Ist lau und lind,
Wie nicht seit langen Tagen.
Benützt will solch ein Wetter sein:
Es ist nicht täglich Sonnenschein;
Vielleicht daß wir die Strahlen
Mit langer Nacht bezahlen!"
Der Älpler Rudi spricht's und nimmt
Gewehr und Rock und Tasche,
Geht, ruft von fern noch weichgestimmt,
Enteilt und klimmt,
Ob er kein Wild erhasche;
Allein die Gemslein, sonst so keck,
Ruh'n heute, scheint's, im Felsversteck,
Und lassen lang ihn steigen,
Bis sie sich neckend zeigen.
Resli, sein Weib, indes zu Haus
Hört seinen Ruf verhallen,
Blickt zag zum Fensterlein hinaus,
Das bunt und kraus
Umstarrt von Eiskristallen;
Und wie sie nimmer ihn erblickt,
Fühlt sie sich wunderbar bedrückt,
Und hält mit innrem Bangen
Den kleinen Sohn umfangen.
Da rieselt's plötzlich, rauscht und braust.
Wie von der Furka Gipfel;
Sie eilt zum Fenster hin, ihr graust; —
So heult und saust
Kein Föhn durch kahle Wipfel.
Hilf, Gott! Es ist der Lauwe Macht,
Die nimmer rieselt, die schon kracht,
Schon donnert, schon entzügelt
Vom Horn herunterflügelt.
Sie sieht nicht mehr, faßt nur den Sohn,
Sinkt nur in's Knie, vernichtet;
Da bricht's herein im Wetterton
Und deckt sie schon
Mit Nacht, die nichts mehr lichtet.
Es ist vorbei, der Aufruhr schweigt,
Und regenbogenfarbig steigt,
Als wäre nichts geschehen,
Der Schneestaub in die Höhen. — —
Schon blickt aus leichtgewölktem Blau
Der erste Stern hernieder;
Da kehrt, umdampft vom Nebelgrau,
Zu Kind und Frau
Der Alpenjäger wieder.
Ein Gemslein auf der Schulter, geht
Und klimmt er, halt oft an und steht,
Und weiß ein banges Ringen
Im Herzen nicht zu zwingen.
So oft ein Uhu kreischt, ein Aar
Im Flug vorüber hastet,
So oft erfaßt's ihn wunderbar
Und sträubt sein Haar,
Und drückt auf ihm und lastet.
Mit jedem Fußtritt heimatwärts
Fühlt er beschwerter Kopf und Herz;
Wie Glocken hört er's summen,
Und wieder hohl verstummen.
Erreicht nun hat er bald das Ziel,
Die heiß ersehnte Schwelle; —
Er schaut; — ist's eitel Sinnenspiel?
Nein, nein, — es fiel
Wohl Schnee; — auch täuscht die Helle,
Des Eises greller Widerschein;
Auch kann er nicht daheim noch sein; —
Auch pflegt ja gern das Sehnen
Sein Ziel so nah zu wähnen.
Und weiter geht er, steht und schaut.
Mißt Firnen, Kluft' und Wipfel; —
Was dort, turmartig aufgebaut,
Herniederschaut,
Ist ja der Furka Gipfel!
Und zwischen diesem Alpenrand
Und jener ries'gen Gipfelwand
Muß ja sein Hüttchen stehen,
Muß er ja doch es sehen.
Er sucht — und sieht nicht; — Schnee, nur Schnee,
Und Eis und Schnee nur wieder; —
Er sieht's, und denkt's, und rennt die Höh'
Hinan, schreit: "Weh!"
Und wirft sich heulend nieder.
Dann springt er auf, stürzt fort im Lauf
Und schreit, daß Tal und Felsenknauf
Von seinen Jammertönen
Nachjammernd widerdröhnen:
"Mein Weib, mein Kind, mein Glück, mein All'
Ist eingescharrt, verschüttet,
Zerschmettert vom Lawinen-Fall,
Vom Eiskristall
Vermauert und verkittet!
Auf, auf vom Schlaf, Alphüttler, auf!
Zwei Leben, drei steh'n hier zu Kauf!
Auf, auf, mit Hand und Spaten
Zu helfen und zu raten!"
Und mit der Sonne wallt's hinan
Im hilfbeflissnen Zuge,
Mit Hack' und Schaufel, Kind und Mann,
Er vorne dran,
Empor zum Felsenbuge.
Die Hände ruh'n und rasten nicht,
Bis Scholl' um Scholle schmilzt und bricht;
Doch wie die Mass' auch schwindet,
Ihr Schoß bleibt unergründet.
Drei Tage wechselnd wallt's hinan
In hilfsbeflissnem Zuge,
Mit Hack und Schaufel, Kind und Mann,
Er vorne dran,
Und wühlt am Felsenbuge.
Umsonst, umsonst! das Meer hat Grund,
Hier aber schwindet Stund' um Stund',
Und ohne Gottes Segen
Bleibt alles Tun und Regen.
Da sinkt die Hoffnung jedem Sinn,
Absteh'n sie Alle klagend,
Nur er stürzt auf den Wall noch hin,
Und gräbt darin
Und wühlt, noch nicht verzagend.
Er wühlt bei Tage, wühlt bei Nacht,
Mit ewig neuer Kraft und Macht,
Trotz allem Herzensklopfen,
Trotz aller Schweißestropfen.
Der neunte Tag geht auf; die Last
Des Schnee's ist abgequollen; —
Und wieder gräbt er ohne Rast,
Und stößt mit Hast
Auf festern Grund, als Schollen.
Stößt wieder ein, stößt wieder an,
Und gräbt und schaufelt, was er kann, —
Auftaucht's — ihr Heil'gen Gottes! —
Es ist das Dach des Schlotes.
Des Schlotes Dach, des Hauses Mund,
Der führt zu seinem Herzen;
Er legt das Ohr an, horcht am Schlund, —
Es rauscht im Grund
Und seufzt wie Ruf der Schmerzen.
Und nochmal horcht er, nochmal tönt's,
Und wieder, horch! und wieder dröhnt's! —
In unbewußter Eile
Langt er nach einem Seile.
Das knüpft er fest, dran knüpft er sich,
Steigt ein, läßt rasch sich nieder,
Langt an, blickt um sich: — "Resli! — sprich!
Und — Seppi — dich!
Hab' ich euch wirklich wieder? —
Ist's wahr? Und lebt und seid ihr's noch?
Und habt's ertragen, Gottes Joch?" —
Sie können ihn nicht grüßen,
Nur weinen, nur ihn küssen.
Nur beten, fleh'n zu Ihm, der sie
So wunderbar verklärte,
Der ihnen Kraft und Glauben lieh,
Und spät und früh
Durch seinen Hauch sie nährte. —
Doch, Gott! wie war's, als sie hervor
An's Licht nun traten, und ihr Ohr
Wettbuhlte mit den Augen,
Das Leben einzusaugen.
Wie schien da Alles neu und schön,
Die Luft, das Licht, die Sonne!
Wie Melodie klang von den Höh'n
Für sie der Föhn,
Die Adler kreischen Wonne,
Die wüste, schneebedeckte Flüh
War mehr, als Frühlingsschmelz, für sie,
Geliebte Freunde schienen
Die alten Tannen ihnen.
Im nächsten Lenze stand bereits
Ein Mal am Felsenhange;
Und jährlich zum geweihten Kreuz
Kam allerseits
Das Volk mit Sang und Klange;
Manch Bräutchen, so vorüber kam,
Sah's an und bat den Bräutigam,
Daß er so treu ihr bleibe,
Wie Rudi seinem Weibe.
Der Älpler und der Fischer
Der Alpenjäger
Was machst du da? Was tändelst du am Kahn?
Solch eitles Tun ist's wohl der Rede wert?
Hingaukelnd auf des See's geduld'ger Bahn,
Entfernst du dich ja kaum vom sichren Herd.
Im Auge deine Lieben, Feld und Haus,
Das Element nur prüfend, wenn es schläft,
Wirfst du die leichten Netze lässig aus,
Und treibst im Frieden sorglos dein Geschäft.
Sieh mich! der Dämmrung Grauen ruft mich fort,
Ein dunkler Trieb nach oben heißt mich geh'n!
Die Lieben laß ich ohne Scheidewort,
Um niemals wieder sie vielleicht zu seh'n.
Wetteifernd mit dem Tag klimm' ich empor,
Tief unter mir das Tal, das Wolkenmeer;
Kühn schauend in des Himmels offnes Tor,
Schreit' auf des Todes Wegen ich einher.
Doch steh' ich droben auf der Scharte Saum,
Wo Platz für mich und meinen Mut nur ist,
Und schau' ich weit aus in den freien Raum,
Den selbst des Adlers Auge schwindelnd mißt; —
Und steh' ich in der großen Stille da,
Die keines Gleckwurm's Pfiff mehr unterbricht,
Allein mit meinem Gotte fern und nah,
Vielleicht der Einz'ge rings so hoch am Licht; —
Dann schaut dein Tal, ein Fleckchen Gras, herauf,
Dein Haus, ein Vogelnest an seinem Rand,
Dein mächt'ger See, ein Wassertröpflein drauf, —
Und stolz lobpreis' ich meinen Älplerstand.
Der Fischer
Zieh' hin mit Gott, du kühner Jägersmann!
Ich falte wohlgemut die Maschen aus;
Mit muntrem Liede geht's den See hinan,
Ein liebes Echo wiederholt's vom Haus.
Wohl schläft auch lauernd unter mir der Tod;
Doch frevelnd ihn zu wecken hüt' ich mich,
Und wenn er murrend aus der Tiefe droht,
Harr' ich in Demut, bis sein Zürnen wich.
Auch unter mir im Wasserspiegel ruht
Der blaue Himmel in erhabner Ruh',
Und wenn sie sich beäugelt in der Flut,
Bin ich der Sonne näher noch, als du.
Die schroffen Zacken, die dein Fuß versucht,
Die Schlüft', in deren Ohr du schwindelnd hangst,
Sie bieten, spiegelnd in des Sees Bucht
Mir Hochentzücken, ungetrübt von Angst.
Und statt der Totenstill' im Reich der Lust,
Kommt, wenn die Herden zieh'n im Abendstrahl,
Der Senne johlt, das Ave-Glöcklein ruft,
Der Geist der Stille trauter noch in's Tal.
Drum schau' du immerhin von luft'ger Bahn
Herab aufs Tal, mein Haus und meinen See, —
Ich schiffe doch mit meinem leichten Kahn
Weg über deiner Alpen Eis und Schnee.
Weg über dich, der stolz auf sich vertraut,
Gleit' ich bescheiden in gemessnem Lauf;
Und jener Mond, der auf dich niederschaut,
Schaut aus dem Wasser mild zu mir herauf.
VIII.
Des Lebens Preis
Am Hause drinnen ist Hochzeit,
Vorm Hause lehnt ein Mann;
Er führt nichts Gutes im Sinne,
Man sieht's in den Augen ihm an.
Sein Liebchen ist ja das Bräutchen,
Und er nicht der Bräutigam;
Wohl mag es schwer ihm fallen,
Daß sie so leicht es nahm.
Ein Lebehoch schallt drinnen,
Und außen fällt ein — Schuß. —
"Ei, — daß sich der Träumer doch eben
Da draußen erschießen muß!"
Es gibt eine kleine Pause,
Bis man ihn fortgebracht,
Dann wirbelt's und wogt es vom Neuen
Recht toll und voll durch die Nacht.
Das gab ein Gespräch am Morgen,
Wie's lang im Städtchen nicht gab; —
Man zeigt in der Friedhofecke
Noch jetzt dem Wandrer sein Grab.
Und gab er auch nichts zu fühlen,
Wie er es vielleicht begehrt,
So gab er doch etwas zu reden;
War das nicht ein Leben wert?
Böser Zweifel
Mein Kind, so lang ich bei dir bin,
Bist du, das fühl' ich, mein;
Da schleicht sich wohl in deinen Sinn
Kein fremdes Bild hinein.
Da bist du mir vom Herzen gut,
Tust Alles, was ich will,
Verleugnest dein bewegtes Blut,
Wirst ernst und weich und still.
Doch wenn dein Auge mich vermißt,
Wenn Andre nach dir seh'n,
Und du dir überlassen bist,
Was mag wohl dann gescheh'n? —
Drum fährt mir manchmal durch den Sinn
Der böse Zweifel hin:
Ob ich wohl dann auch bei dir bin,
Wenn ich nicht bei dir bin?! —
IX.
Die Spielkarten
Vom Dome zu Augsburg dröhnt so bang
Der Armensünderglocke Klang;
Zum Richtplatz wogt die Menge fort,
Schon wartet der rote Freimann dort.
Er wartet dort auf ein junges Blut,
Um das schier selber es Leid ihm tut;
Ein junger Mörder fällt ihm anheim,
Der früh schon verkümmert des Lebens Keim.
Noch sitzt er im Turme, — da klingt's hinein, —
Er fühlt, nun müss' es verblutet sein;
Das Herz zerbricht ihm, er bittet um Rast,
Sinnt, weint und betet, und wird gefaßt.
Nur noch ein Spiel Karten verlangt er dann;
Sie geben's befremdet dem armen Mann.
Er aber entfaltet's vor ihnen still,
Und spricht: "Ihr begreift wohl nicht, was ich will!
Seht! diese Blätter, wie ich sie hier
Gleichwie zum Scherz aufschlage vor mir,
So spiegeln sie treu mein Leben mir ab
Von meiner Wiege bis an mein Grab.
Hier Sieben! — Ich zählte sieben Jahr',
Als ich den Eltern schon bleichte das Haar;
Ich war ein wüster, trotziger Bub',
Der Jedem gern eine Grube grub.
Hier Acht! — Acht Jahre zählt ich nur,
Da ward ich ertappt auf Diebesspur.
Hier Neun! — Neun Jahre zählt' ich kaum,
Und nur mit Räubern raubt' ich im Traum.
Hier Zehn! — O zehntes Lebensjahr,
Du strahlst allein mir hell und klar
In meines Dasein's Nacht hinein: —
O könnt' ich im zehnten Jahre noch sein!
Da sprengte beflissener Lehrer Hand
Des kalten Busens eisiges Band,
Auftaute mein Herz, ich erwuchs vom Neu'n,
Ich lernte beten, ich lernte bereu'n!
Hier — Bube! — Ja — ja — die Buben, — nur sie
Zerstörten mir wieder die Harmonie,
Die Buben, die Freunde sich fälschlich genannt,
Sie haben das Herz mir wieder gewandt.
Sie rissen zum Spiele mich täuschend hin,
In diesen Blättern verlor sich mein Sinn! —
Da kamen die Damen — die Damen — seht,
Wie trefflich Alles zusammengeht!
Die Damen mit ihrem Doppelgesicht,
Halb Höll', halb Himmel, ein Ganzes nur nicht,
Sie gruben künstlich vom Körper aus
Den Geist aus seinen Wurzeln heraus.
Die Eifersucht durchfuhr mir das Hirn
So scharf, wie mein Messer das Herz der Dirn',
Der Dame, die's wahrlich nicht verdient,
Daß nun mein Blut das ihrige sühnt!
Und nun — der König! Nun tret' ich bald
Vor Ihn, den König, in seiner Gewalt,
Den ewigen, schrecklichen König der Welt,
Der gnädig die Tropfen der Reue zählt.
Seht hier das As — o lächelt nicht!
Es ist die Karte, die Alle sticht;
Das As sei meiner Reue Bild,
Sie möge gelten, wenn nichts mehr gilt!
Nun werf ich die Karten wieder zu Hauf; —
Nun, Schergen, brecht zum Richtplatz auf!
Ein Blatt gilt ewig, es ist die Reu'!
Auf, Schergen, auf! Gott steh' mir bei!"
Der Fels
Es war ein Tal so lieb und schön,
Voll Leben, Lust und Licht; —
Zwar als ich's sah zum ersten Mal,
Sah ich es eben nicht.
Doch als ich es dann wieder sah,
Da schien es mir so hold,
Daß es dem Lenze ganz gewiß
Die schönsten Blumen zollt;
Daß es den West gewiß beschwatzt,
Es milder anzuweh'n;
Die Sonne ganz gewiß verlockt,
Es länger zu beseh'n.
Dort ist es nicht, wie anderwärts,
Wo was da keimt und sprießt,
Nur wie gezwungen sproßt und blüht,
Nur heiter tut, nicht ist;
Wo widerwillig hier und dort
Nur ein verlorner Baum
Hinaushängt (gleich als möcht' er fort)
Am kahlen Felsensaum.
Wo wie aus Mitleid nur am Bach
Vergessne Veilchen blüh'n,
Und alle Früchte wie aus Muß
Nur reifen, — doch nicht glüh'n;
Nein, wo man's absieht jedem Ding,
Daß es zu sein sich freut,
Und gern das Bißchen, was es hat,
Dem lieben Wandrer beut.
Es ist fürwahr ein Tal so schön,
Wie man das schönste träumt;
Ein blühender Pokal, in dem
Der Wein des Lebens schäumt.
Und dennoch stand in diesem Tal,
(So viel ich leider! weiß)
In dieser lebenswarmen Welt,
Einmal ein Fels von Eis. —
Ein Fels, der ungerührt das Haupt
In wildem Trotz erhob,
An dessen kalter Brust des Tals
Balsam'scher Hauch zerstob;
Der nichts verstand und nichts empfand
Von dem, was ihn umgab, —
Ein abgelöstes Erdenglied,
Ein aufgeworfnes Grab.
Und dieser Fels von Eis war — ich,
Als ich einmal verkannt,
Um eine Hoffnung ärmer noch,
In diesem Tale stand.
X.
Der finstere Tänzer
"Mein liebes, dreimal liebes Kind,
Und ist es auch dein Ernst,
Daß du wie heute stets gesinnt
Dich nie von mir entfernst?
Daß du's mit mir im Leben wagst,
Und jedem schönren Glück entsagst? —
Denn was ich zähl', ist dieses Herz,
Kein Gut und Gold, wie du; —
Und was ich habe, Kind, — ist Schmerz,
Und was ich brauche — Ruh'!
Doch was ich lieb' und such' allein,
Bist du, mein Kind, und wirst es sein!
Mich ruft das Leben fort von dir;
Mir fällt es schwer zu geh'n!
Uns wiedersehen werden wir,
Doch wie uns wiederseh'n?
Als mein und dein, wie vor und eh'?
Ach oder fremd zu Leid und Weh'?" —
""Wie nun und eh', wie mein und dein,
Wie Bräutigam und Braut,
Des mag der Herr mein Zeuge sein,
Der in die Herzen schaut!
Wie nun und eh', wie mein und dein,
Sonst soll mein Leib des Teufels sein!""
Getröstet eilt der Arme fort:
Sie gab ja ihren Eid,
Hat sich mit dreimal heil'gem Wort
Ja schrecklich ihm geweiht;
Und was ihn oft auch engt und preßt,
Sein Glaub' auf sie ist felsenfest.
Und eh' ein kurzes Jahr verstrich,
(Ein langes Jahr für ihn)
Eilt er zurück; wie freut er sich,
Wie wird die Braut erglüh'n,
Wie wird sie ruh'n so liebewarm
In seinem langentbehrten Arm!?
Von süßer Bangigkeit bedrückt,
Eilt, — fliegt er heimatwärts,
Der Liebe Seligkeit entzückt
Im Vorgefühl sein Herz,
Des Eheglücks, der Vaterlust
Frohlockt in Ahnung seine Brust.
Er ist zu Haus, er eilt durch's Tor,
Die Sterne scheinen mild,
Durch helle Scheiben klingt ein Chor,
Im Reigen wirbelt's wild.
Er fragt, — muß hören, was er schaut:
"Es ist das Brautfest seiner Braut!"
Es ist das Brautfest seiner Braut,
Die sich ihm zugeweiht
Bei dem der in die Herzen schaut,
Und dennoch brach den Eid;
Die angelobt, sein Weib allein,
Wo nicht, des Teufels Weib zu sein!
"Topp!" ruft er durch die Tür hinein,
"Topp! Treues, schmuckes Weib!
So soll denn, kann er mein nicht sein,
Des Teufels sein dein Leib!" —
Er ruft's, entwankt verstört und bleich.
Und stürzt sich in den nächsten Teich.
Die Gäste staunen, lachen, schmäh'n
Und schwelgen ohne Scham,
Da läßt ein fremder Gast sich seh'n,
Der eben, scheint es, kam;
Ein dürrer, finstrer Niemandsfreund,
Der nichts bejaht und nichts verneint.
Mit einem Becher sitzt er stumm
Abseits wie große Herrn,
Sieht manchmal nach dem Bräutchen um,
Als säh' er's eben gern,
Reibt sich die Händ' und blinzt empor,
Als hätt'' er etwas Lust'ges vor.
Und Zwölf erdröhnt's vom nahen Turm,
Zum Kehraus wird gespielt,
Die Fiedeln kreischen wie im Sturm,
Der Takt ist rasch und wild.
"Hallo! Mein Takt!" so kichert laut
Der finstre Gast und nimmt die Braut!
Bei Donnerklang und Sturmgesumm
Zerrt er sie rück und vor,
Und dreht sich um und wieder um,
Und schreit ihr in das Ohr:
"Ich bin noch frisch, mein mattes Weib,
Und mir verschriebst du ja den Leib!"
Die Braut wird rot, die Braut wird blaß;
Die Lippen netzt ihr Blut,
Er aber tanzt ohn' Unterlaß
Mit immer neuer Wut;
Die Gäste flieh'n entsetzt hinaus.
Schon tanzt das Paar allein im Haus.
Es tanzt hinauf, es tanzt hinab,
Die Dielen morschen ein,
Der Lüster fällt vom Sims herab,
Und wird zum Totenschrein;
Drin sargt der Gast das Bräutchen auf,
Und wirft die Deck' als Leichstein drauf.
Auf dem Balle
Wenn Alles in buntem Wirbel sich dreht,
Die Herzen heftiger schlagen,
Und Saitengetön durch die Säle weht,
Dann faßt mich ein eignes Behagen.
In einen Winkel verlier' ich mich dann
Und lasse die Augen gewähren;
Manch huldiges Fräulein sieht mich an
Und meint wohl: Ich müßt' entbehren. —
"Er ist ein Sonderling!" flüstert's hier,
Dort heißt es: "Er läßt sich bitten!" —
Ein Dritter spöttelt: "Es habe mir
Mein Weibchen das Tanzen bestritten."
Ein Vierter bemerkt: "Der feine Ton
Sei nicht meine stärkste Seite!"
Ich aber belächle mir Huld und Hohn
Und mustere still meine Leute.
Sie flattern hinab, sie fliegen herzu,
Sie flüstern, bekritteln, bestaunen;
Ich aber erwäg' in genießender Ruh'
Des Lebens wechselnde Launen.
Was Mancher auf Gräbern nicht geahnt,
Ahn' ich auf dem Boden des Tanzes;
Oft glüht in des Schicksals drohender Hand
Die Blüte des festlichen Kranzes.
Sie glauben Alle sich wahrhaft zu freu'n;
Die Glücklichen, daß sie es glauben! —
Es haben die Stunden, die Rosen uns streu'n,
Ja Schwestern, die Rosen uns rauben!
Drum halt' es hienieden Jeder für sich,
Wer wollt' einander beschränken? —
"Die Anderen, denk' ich, tanzen für dich: —
Du magst für die Anderen denken!"