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Wann und wo sich's zugetragen,
Könnt' ich Euch nicht immer sagen!
Eins nur weiß, ich vor der Hand:
Wann und wo ich's so empfand.

 

Zweite Lese
 
Der König und der Landmann
Dichterfreuden
Das weiße Haar
An mein Vaterland
Die Perle
Die Strickerin
Die Korvinus-Linde
Die wandelnde Linde
Das Vater unser
Im Walde
Der Meister und sein Bau
Der Baum der Lieder
Die sieben Jungfrauen
Geständnis
Die Totenfeier
Der Glöckchenwalzer
Die Klag'
Vom lieben Monde
Die Bestellung
Lust und Schmerz

 

I.
Der König und der Landmann

Der Landmann lehnt in der Hütt' allein,
Und blickt hinaus in den Mondenschein,
Und schaut empor zu des König's Palast,
Er weiß nicht, welch ein Gefühl ihn faßt.

"Ach, wär' ich ein König nur Eine Nacht,
Wie wollt' ich schalten mit meiner Macht!
Wie ging' ich umher von Haus zu Haus,
Und teilte den Schlummernden Segen aus!

Wie strahlte dann Morgens so mancher Blick
Die Sonne zum ersten Mal hell zurück!
Wie staunten einander die Glücklichen an,
Und meinten: das hat ein Engel getan!" —

Der König lehnt im Palast allein,
Und blickt hinaus in den Mondenschein,
Und schaut hinab auf des Landmann's Haus,
Und seufzt in das weite Schweigen hinaus:

"Ach, wär' ich ein Landmann nur Eine Nacht,
Wie gern entriet' ich der drückenden Macht!
Wie lehrt' ich mich selber die schwere Kunst,
Nicht irr zu gehen mit meiner Gunst!

Wie wollt' ich in's eigene Herz mir seh'n,
Um wieder es offen mir selbst zu gesteh'n!
Was tausend Hände mir nicht vollbracht,
Das wollt' ich gewinnen in Einer Nacht!"

So schau'n sie sinnend beim Sternenlauf
Der König hinunter, der Landmann hinauf;
Dann schließen Beide den müden Blick,
Und träumen Beide von fremdem Glück.

Dichterfreuden

Siehst du die blauen Berge dort,
(Dein Blick erreicht sie kaum)
Und hinter ihnen fort und fort
Noch fernrer Berge Saum?

Und weiter noch im Dämmerlicht
Der fernsten Riesen Spur?
Sie schau'n und zählen kannst du nicht,
Dein Aug' errät sie nur.

Auch dort bin ich genannt, gekannt,
Dort hört man, was ich sprach,
Und was ich still daheim empfand,
Dort fühlt mir's Mancher nach.

Man macht sich dort von mir sogar
Aus meinem Lied ein Bild;
Der gibt mir schwarz', der braunes Haar,
Der glaubt mich mild, der wild.

Der denkt sich mich als Flattersinn,
Der als ein Herz voll Harm;
Ein Andrer, wie ich eben bin:
Jung, offen, weich und warm.

Ihr glaubt vielleicht, ich sage dies
Aus Stolz und Eitelkeit?!
Ihr tut mir Unrecht, nein, gewiß, —
Ich sag' es, weil's mich freut.

Weil ich dem Himmel dankbar bin,
Daß er mich so geliebt,
Und meinem liederfrohen Sinn
Ein frohes Echo gibt.

Erquickt's doch gar so wundersam,
Verstanden sich zu seh'n
Und nicht mit Jubel und mit Gram
Vergessen dazustehn.

Wer einen Freundesbusen fand,
Worin er sich beschaut,
Der preist ihn als des Glückes Pfand
Vor allen Menschen laut.

Und ich verschwieg' es, wenn mir oft,
Fern über Berg und Wald,
Mein Lied als Willkomm unverhofft
Von fremder Schwelle schallt?

Wenn eine Mutter, die ich nie
Auf frühern Wegen traf,
Mit meines Liedes Melodie
Ihr Kindlein wiegt in Schlaf?

Wenn sich in's Lied der Sennerin
Mein schlichtes Wort verwebt,
Und heimisch über Alpen hin
Als Abendreigen schwebt?

Wenn ein errötend Bräutchen mir
Verstohlen eingestand,
Es hab' ein meinig Liedchen ihr
Den spröden Sinn gewandt?

Und wenn mir's oft wo unbewußt
So seltsam tönt zurück,
Als wär's ein Klang aus meiner Brust,
Als wär's von mir ein Stück?

Da sollt' ich schweigen? Nimmermehr!
Laut will ich es gesteh'n:
Erquickt's die Brust doch gar so sehr,
Verstanden sich zu seh'n!

Da schwatze mir ein Träumer vor
Von Selbstgenügsamkeit,
Und wie er nur dem eignen Ohr
Die eignen Lieder weiht;

Und wie er nichts um Andre fragt,
Und um das Lob der Welt,
Und wie er nur die Saiten schlägt,
Weil ihn der Gott beseelt.

Das, denk' ich, ist der rechte Klang,
Der gern erwidert klingt,
Und wie er aus dem Leben drang,
Zurück in's Leben dringt.

Und wenn's der Sänger oft verspürt,
Daß es ihm so gescheh'n,
So mag er's wohl der Welt gerührt
Und dankbar auch gesteh'n.

II.
Das weiße Haar

Ein finstrer Mann durchschreitet
Die Stub' in weitem Schritt;
Bei Tag ist er ein Jäger,
Und bei der Nacht — Bandit.

Wie Wetterwolken lagert's
Auf seinem Angesicht,
Verbrechen oder — Reue,
Doch nein! — die kennt er nicht.

Jetzt auf das Stroh im Winkel
Wirft er sich ungestüm,
Sein Töchterlein, sein holdes,
Sitzt spielend neben ihm;

Beim sonnverbrannten Vater
Das zarte Töchterlein,
Wie eine weiße Rose
Am schwarzen Rabenstein.

Ermattet läßt er sinken
Sein Haupt in ihren Schoß,
Sie wühlt in seinen Locken
Nichts denkend, absichtlos.

Da ruft sie plötzlich lachend:
"Ei, Väterchen, fürwahr,
Da — mitten zwischen schwarzen
Steht auch ein — weißes Haar!"

Da fährt empor der Räuber: —
"Ein weißes? wirklich, Kind?" —
""Ja — ja — ein weißes, Vater,
Wenn's nicht gar mehre sind!"" —

Und ernster wird der Räuber,
Als er es lange war,
Und murmelt wie im Traume:
"Schon jetzt ein weißes Haar?!

Matteo, schon ein weißes?
Matteo, nun ist's Zeit;
Wenn sich die weißen melden,
Dann ist zum Tod nicht weit.

Nun ist es Zeit, Matteo!
Fahr' hin, Banditenstahl,
Komm her, du treue Büchse,
Gibst mir wohl auch ein Mal!"

Und Jäger ward der Räuber,
Wie er's als Jüngling war. —
Den hat der Herr gerettet
Durch's erste weiße Haar.

An mein Vaterland

Ich hab' dich nicht vergessen
Mein liebes Österreich!
Noch macht's, an dich zu denken,
Das Herz mir immer weich.

Ich sah wohl schöne Alpen,
Umweht von Balsamhauch,
Sah Paradiese Gottes, —
Du aber hast sie auch.

Sah Silberströme wallen
Durch manchen grünen Plan,
Sah Täler, Auen, Städte, —
Du bist nicht ärmer dran.

Es lacht' auch andrer Orten
Manch treues Herz mir zu,
Doch wer hat sie auf Erden
Zu Tausenden, wie du?

Ich bracht auch in der Fremde
Manch selig Stündchen hin,
Allein in deinem Boden
Schläft ja mein Jugendsinn.

Du hast die ersten Freuden
So treu mit mir geteilt,
Du hast die ersten Leiden
So liebend mir geheilt.

Und sind mir in der Fremde
Viel hundert Plätzchen lieb,
So hast ja du kein Fleckchen,
Das deutungsleer mir blieb.

Drum glaub' dich nicht vergessen
Lob' ich die Ferne gleich:
Ich weiß nur Eine Heimat,
Weiß nur Ein Osterreich!

Denn was ich in der Fremde
Geseh'n, gefühlt, erkannt,
Ist nur ein goldner Reifen
Um deinen Diamant.

III.
Die Perle

Ein Jüngling sitzt beim Abendschein
Am Meere sinnend und allein,
Hin über's Wasser schweift sein Blick,
Als sucht' er ein entferntes Glück.

Und was ihn stimmt so weich und bang,
Es ist der Sehnsucht süßer Drang,
Und was aus seinem Auge spricht,
Weiß Jeder, nur er selber nicht.

So sitzt er, einer Myrthe nah,
Ein Zweiglein in den Händen, da,
Und gräbt mit willkürloser Hand
Der Liebsten Namen in den Sand.

Doch kaum daß er die Lettern schrieb,
Naht Well' um Welle leis' und lieb,
Und kost und rauscht und küßt und wühlt,
Bis sie den Namen weggespült.

Der Jüngling merkt es und erblaßt,
Als ahnt' er etwas Arges fast;
Kann, was die Flut dem Namen nun,
Kein Schicksal einst der Liebe tun?

Kann's keiner Untreu' oder Pein
Geheime Vorbedeutung sein?
Mit solchen Bildern quält er sich,
Bis längst die Sonn' im Meer erblich.

Nach Hause schleicht er trüb und schwer.
Wie lächeln mild die Sternlein her,
Wie winkt der Mond ihm, tröstend zu,
Für ihn ist heute keine Ruh'.

Verwacht wird eine bange Nacht,
Ein banger Tag wird hingebracht,
Bis sich der Abend wieder senkt,
Und er den Schritt zum Meere lenkt.

Hineilt er, wo er an dem Strand
Der Liebsten Namen schrieb in Sand,
Und sieh! — da ist kein Name zwar,
Doch etwas Andres winkt ihm klar.

Sieh! — eine Perle rein und hell
Liegt ausgespült zur selben Stell',
Als wär's für den geraubten Schatz
Der Fluten reuiger Ersatz.

Mit Rührung blickt der Jüngling drauf,
Und liest das Kleinod freudig auf;
Und bald auch schmückt' es hell und klar
Der Liebsten Stirn — am Traualtar.

Die Strickerin

Sie saß am Arbeitstischchen,
Den Strickstrumpf in der Hand;
Ihr werdet mich belächeln,
Daß ich's poetisch fand.

Sie hatt' ihn grad vollendet,
Und sah ihn sinnend an:
Da fiel mir's ein, zu denken,
Was sie wohl denken kann.

Ach, wenn ich nun die Maschen" —
So dachte wohl das Kind —
Herunterlesen könnte,
Wie sie gewachsen sind!

Es dürft' ein nettes Büchlein
Voll bunter Szenen sein:
Wir armen Kinder stricken
So Manches mit hinein.

Oft ging es froh und spielend,
Bei frohem Wonnespiel,
Oft ließ ich Maschen fallen,
Weil eine Träne fiel.

Oft riß mir mit dem Garne
Der Liebe liebster Wahn,
Oft knüpft' ich mit dem Faden
Die Hoffnung wieder an.

Oft half ich unter Zweifeln
Verworrnen Knoten nach;
Oft brach das Herz vor Wehmut,
Indes die Nadel brach.

Was zagend ich gestanden,
Was feurig er mir schwor,
Das tritt aus dem Gewebe
Lebendig mir hervor.

Drum könnt' ich es so lesen,
Was ich mit eingestrickt,
Wie fühlt' ich mich verlassen,
Wie fühlt' ich mich beglückt!"

So denk' ich, daß sie dachte,
Den Strickstrumpf in der Hand;
Nun lächelt ihr wohl nimmer,
Daß ich's poetisch fand.

IV.
Die Korvinus-Linde

Vor Mád da stand ein Lindenbaum
Gar einsam einst am Bergessaum,
Und streckte sein Gezweig hinaus,
Und wölbt' ein kühles Schattenhaus.

Oft hat es Herrn Korvin behagt,
Dort auszuruhen von der Jagd,
Und abgelöst den Jägerhut
Gemach zu kühlen Stirn und Blut.

Wenn dann die Gegend vor ihm lag
So schön im schönsten Sommertag,
Und sichtbarlich des Friedens Hauch
Sich ausgoß über Busch und Strauch;

Wenn's nur mehr dumpf den Forst entlang
Vom Anschlag heisrer Rüden klang,
Nur selten mehr durch Fels und Dorn
Zum Sammelrufe dröhnt' ein Horn;

Da ward's im Busen ihm so weit,
Die wehmutvollste Menschlichkeit
Ließ ihn vergessen, wer er sei: —
Nicht König war er mehr, — doch frei.

Oft wuchs hier mancher Segensplan
Ihm kosend an das Herz hinan;
Oft dankt' er hier (er wußt' es kaum)
Manch linden Spruch dem Lindenbaum,

Hier sucht' er Ruh', hier fand er Ruh',
Schloß oft sein müdes Aug' hier zu,
Beschwor den wilden Seelentrieb,
Und hatt' auch drum den Baum so lieb. —

Einst kam er wieder von der Jagd
Hierher, wo ihm zu ruh'n behagt;
Er sucht, — wähnt sich getäuscht im Raum
Er sucht, — und findet keinen Baum.

Hineilt er, wo die Linde stand; —
Sie liegt gefällt von frecher Hand,
Und breitet, als geschäh's mit Sinn,
Die Wurzeln sehnend nach ihm hin.

"Pfui!" ruft Korvin, "wer tat mir das?
Wer weiß nicht, daß ich gern hier saß?
Daß ich hier gern geträumt, geweint? —
Pfui! Man erschlug mir meinen Freund!

Und wo aus Habsucht oder Lug
Das Volk den Freund des Herrn erschlug,
Mag auch der Herr nicht sicher geh'n!
Mád, Mád, — ich mag dich nimmer seh'n!"

Er ruft's, entstürzt, bricht auf von dort
Und wandert fort und weiter fort;
Und sah er eine Linde wo,
So war er auch am längsten froh.

Die wandelnde Linde

Es muß doch den Bäumen recht weh gescheh'n,
So immer auf einem Fleck zu steh'n, —
Wie lustig wär's für sie, zu wandern
Von einem Nachbar zu dem andern?

Dann, meine geliebte Linde du,
Die oft mich beschattet in meiner Ruh',
Dann könntest du auch weiter schreiten,
Und, wenn du wolltest, mich begleiten.

Du wolltest wohl auch, denn du kennst mich ja,
Standst oft meinem Sinnen und Träumen nah;
Gewiß du hieltest oft am Morgen
Dich hinter meinem Haus verborgen.

Und schritt' ich ahnungslos vor's Tor,
So tratst du rauschend rasch hervor,
Und schütteltest mir einen Regen
Von Blütenflaum als Gruß entgegen.

Geschmeichelt durch meinen getreuen Sinn
Zögst du gewiß oft mit mir dahin,
Und wölbtest, wenn der Mittag schiene,
Dich über mir zum Baldachine.

Und läg' ich dereinst im stillen Grab,
So schrittest du wohl von der Wies' herab,
Um meines Hügels kahlen Rücken
Als lebend Grabmal mir zu schmücken!

V.
Das Vater unser

Ein Weib, das den Herrn voll Lieb' umfing,
Und an ihm wie ein Kind am Vater hing,
Trat abendlich, wenn es dunkel war,
Im Kirchlein vor den Hochaltar,
Und warf sich voll Ergebung hin,
Und schüttet' aus den tiefsten Sinn.
Und dankt für Lust, erkennt das Leid,
Mit kindlicher Unterwürfigkeit,
Gesteht jedweden Fall und Fehl,
Und hat auch das Kleinste selbst nicht hehl,
Und spricht zum Schluß ein kurz Gebet,
Worauf es still von hinnen geht.

Der Küster, der das Weib allda
In jeder Abenddämmrung sah,
Steigt einmal, wie sie kommt, aufs Chor
Und legt sich lauernd auf das Ohr.
Und sieh! das Weib kniet wieder hin,
Und schüttet aus den frommen Sinn
Und dankt, erkennt, gesteht und fleht,
Und spricht zum Schluß ein kurz Gebet.

Und wie sie spricht, da rollen ihr
Die heißen Tränen für und für,
Und glänzen bei der Ampel Schein,
Als sollten's echte Perlen sein.
Und sieh! ein Täublein wunderbar
Schwebt auf sie nieder vom Altar,
Pickt weg die Tränen, wie sie sind,
Und fliegt damit empor geschwind.

Der Küster sieht's und schleicht ihr nach,
Und fragt sie, welch Gebet sie sprach,
Daß Gott, wie er es selbst geseh'n,
Solch Wunder laß an ihr gescheh'n;
"Ach, sagt das Weib, ich weiß nur ein's,
Das Vater unser, weiter kein's!"

""Das Vater unser nur? — Ei, seht,
Das ist ja das allermind'ste Gebet!
Doch lerntet ihr einen Psalm gar ein,
Wie würde das erst Gott erfreu'n!?""

Dem Weibe geht dies Wort zu Sinn
Und Tag' und Wochen bringt sie hin,
Lernt einen Psalm, gar schwer und lang,
Den schönsten schier, den David sang,
Und geht in's Kirchlein mit frohem Mut,
Und denkt, nun frucht' es doppelt gut.
Doch, wie sie sich abmüht, wie sie spricht,
So leicht um's Herz wird ihr doch nicht,
Und keine Tränen brechen hervor,
Kein Täublein sieht der Küster am Chor.

Drum als sie wieder beten geht,
Da fleht sie, wie sie sonst gefleht,
Und bringt, ergriffen wunderbar,
Gott nur ihr Vater unser dar.
Und alsbald wieder rollen ihr
Die heißen Tränen für und für,
Und wieder fliegt das Täublein drauf,
Und pickt die klaren Perlein auf,
Und schier vernehmbar weht sie's an:
"Ein Jeder bete, wie er kann,
Nur warm und wahr, von Trug entfernt,
Nicht wie aus Not, nicht eingelernt;
Gott hört auch das Vater unser gern:
Es ist ja das Gebet des Herrn!» —

Im Walde

Wenn ich in dichten Waldesräumen
Mir selbst oft überlassen bin,
Und unter hundertjähr'gen Bäumen
Hinwandle mit bewegtem Sinn,
Da fühl' ich von ganz eignem Bangen
Mich immer wunderbar befangen.

Die Eichen scheinen mir zu leben,
Voll Ernst auf mich herabzuseh'n,
Und mit der Blätter leisem Beben
Vernehmlich mir in's Ohr zu weh'n:
"Wie wagst du's unter alten Leuten,
Du junges Blut, so keck zu schreiten?

Wir stehen da seit längren Jahren,
Als sie dir Einer zählen mag!
Wo warst du noch, als wir schon waren?
Wo trifft dich unser letzter Tag?
Du wagst uns lächelnd anzublicken?
Uns dünkt, du sollst dich vor uns bücken!"

Und wenn mir Solches kommt zu Sinnen,
Da zieh' ich allgemach den Hut,
Und schleich' in heil'ger Scheu von hinnen,
Ich unerfahrnes, junges Blut;
Sie scheinen dann mit mildem Fächeln
Des Jünglings Ehrfurcht zu belächeln.

VI.
Der Meister und sein Bau

Schon steht er losgeschalet von Brettern und Gerüst
Der Dom, der mit dem Giebel die nächtigen Wolken küßt;
Der Bau ist stark und riesig, als ragt' er zum Himmel hinein,
Und unten steht der Meister, der ist so schwach und klein.

"Nun," ruft er, "ist's vollendet! Was erst auf Pergament,
Steht in der Welt nun offen, wo's Jeder nennt und kennt!
Was ich mit Stab und Zirkel allein der Nacht vertraut,
Ragt hier von tausend Händen für tausend Jahr' erbaut.

Und hätt' ich tausend Hände, von Eisen jede Hand,
Und faßt' ich zugleich mit allen hier dieses Werkes Wand,
So rückt' ich doch keinen Pfeiler von seinem Gestelle los: —
Ich schuf's, und Gott nur bricht mir's! Ha, Mensch! Wie bist du groß!"

Er ruft's und starret trotzig empor zum Wolkensitz,
Gleich einer leisen Rüge zuckt fern am Ost ein Blitz.
"Doch seltsam," beginnt er ernster, — "was ich geheim erdacht,
Steht hier im freien Leben und überragt die Nacht!

Mein Werk ist's nur und sieht doch so übergroß auf mich;
Ich kann's nicht widerrufen, ich kann nicht sagen: Brich?
Und lebt' ich hundert Jahre, läg' hundert Jahr' im Grab,
Und stände dann auf, so säh' es noch stolz wie heut' herab!

Und hätt' ich tausend Hände, von Eisen jede Hand,
Und faßt' ich zugleich mit allen des eignen Werkes Wand,
So riß' ich doch wohl keinen von allen Pfeilern ein: —
Ich schuf's und kann's nicht brechen — ha! Mensch, wie bist du klein!"

Der Baum der Lieder

"Nun wiederum ein Blättchen!"
So sag' ich oft zu mir,
Wenn ich ein Lied gedichtet,
Wie eben dieses hier.

Nun wiederum ein Blättchen,
Und also Blatt auf Blatt,
So lang das junge Bäumchen
Noch Mark und Leben hat!

Doch wenn nun deine Laune
Ihm Trieb um Triebe raubt,
Wird es nicht einmal dorren,
Entblutet und entlaubt?

Wird es nicht, eh' der Winter
Noch kommt mit seiner Not,
Gleich einem Kreuz am Hügel
Dastehen, kahl und tot?

Wirst du, wenn man am liebsten
Noch Grünes möcht' erspäh'n,
Nicht einst ein Blättchen suchen,
Und ach! kein Blättchen seh'n?

Doch nein! — ich kann's nicht glauben,
Es wäre gar zu schwer!
War's jemals echte Blüte,
So stirbt ihr Keim nicht mehr.

Es ist der Baum der Lieder
Wohl der getreuste Baum;
Sich aus sich selbst verjüngend
Spürt er den Winter kaum.

Er säuselt seinen Pflanzer
Oft ein zur letzten Ruh',
Und flüstert wohl dem Wandrer
Noch seinen Namen zu.

VII.
Die sieben Jungfrauen

Ihr sieben Jungfrau'n, weh euch dort
Auf eurem Felsenneste!
Die Keuschheit ist ein schwacher Hort,
Wo Frechheit sitzt zu Feste.
Und wärt ihr rein wie Märzenschnee,
Viel Schnee ist schon zerflossen;
Denn was dort flimmt, ein Flammensee,
Sind Attilas Genossen.

Sie zieh'n heran, sie zieh'n herauf
Des Schwarzwald's breiten Rücken,
Ruin bezeichnet ihren Lauf,
Und Wut entstrahlt den Blicken.
Schon sah'n sie rot im Sonnenschein
Das Schloß am Felse kleben,
Wo jene Jungfrau'n hold und rein,
Gleich sieben Heil'gen, leben.

Schon haust im öden Felsenschloß,
Wo sonst nur Psalmen schallten,
Ein frecher, böser Hunnentroß
Mit zügellosem Walten.
Von Becherklang und Zechersang
Erdröhnt's mit wildem Wüten;
Die sieben Jungfrau'n zittern bang,
Wie zarte Frühlingsblüten.

Getrost, ihr Jungfrau'n, steht ja doch
An heil'ger Waldesstelle,
Zu schirmen euch vor Frevel noch
Die nahe Bergkapelle!
Wohl hat sie euer Vater euch
Vorahnend aufgebauet,
Auf daß ihr fest und glaubenreich
In Nöten ihr vertrauet.

Nur einem alten Diener kund,
Gehau'n in engem Bogen,
Ist tief im finstren Bergesschlund
Ein Pfad zum Wald gezogen.
Die Jungfrau'n fliehn auf diesem Gang,
Und hören oft ein Schüttern,
Wenn ob der Heiden Lustgesang
Des Berges Rippen zittern.

Ach, Gott! da braust's auf gleichem Pfad
Hinab, ein grimmer Drache,
Voran als Führer der Verrat,
Und hintendrein die Rache.
Die Mägdlein vorn, die Hunnen drauf,
Hinaus zum Waldesporte;
Das Kirchlein nimmt die Sieben auf,
Zuklappt die ehrne Pforte.

Doch schreckt die Frechen das nicht ab:
Was Gott und was Kapellen?
Wut gebe, was Verrat nicht gab,
Sie geh'n, das Tor zu fällen.
Zu Hebeln wird der böse Sinn,
Zu Äxten die Begierde,
So strecken sie geschäftig hin
Der Eichen stolze Bürde.

Schon wälzt sich lang zum Wald heraus,
Gelenkt durch trunkne Zecher,
Um zu entweih'n das Gotteshaus,
Ein mächt'ger Pfortenbrecher.
Schon bäumt er sich, schon fällt er vor,
Zu schänden die Kapelle.
Umsonst — da läßt nicht Spalt, noch Tor,
Sich mehr erspäh'n zur Stelle.

Geschlossen sind durch Gottes Macht
Die Pforten, wie die Scheiben.
Das Kirchlein ward zum Felsenschacht,
Und trotzt dem eitlen Treiben.
Zur Tann' auf moosbewachsnem Spring
Erblich des Kreuzes Schimmer,
Und wo noch erst das Glöcklein hing,
Nickt ödes Steingetrümmer.

Doch aus des Wunderschachtes Mund
Ertönt ein seltsam Klingen,
Recht um aus tiefem Bergesgrund
Zum Herzensgrund zu dringen.
Das sind die Jungfrau'n hold und rein,
Die sangen aus den Steinen:
"Und müßt' es durch ein Wunder sein,
Der Herr beschützt die Seinen!"

Geständnis
Heureuse la beauté, que le poéte adore!
                               Alph de La Martine.


"Ja, — Cynthia! so murmelt noch die Flut
Des Anio durch Tibur's Felsgesteine;
Noch lispelt's: Laura! in Vauklüsens Haine;
Und wenn schon lange dies Jahrhundert ruht,
Wird in Ferrara's stolzen Marmorhallen
Eleonora's Name noch erschallen!

Beglückt die Schönheit, die ein Dichter liebt,
Beglückt der Name, den sein Mund besungen!
Er schwebt lebendig noch auf Enkelszungen,
Er bleibt ein Stern, den keine Wolke trübt:
Was man vom Dichter mag Erhabnes sagen,
Teilt ihr sich mit, für die sein Herz geschlagen!" —

So rief im Selbstgefühl ein Dichter aus. —
Ich kann die Schönheit drum nicht glücklich preisen,
Und wand' auch ein Petrark aus seinen Weisen
Ihr einen ewig duft'gen Liederstrauß;
Oft muß sie ihrer Zukunft goldne Strahlen
Mit einer düstren Gegenwart bezahlen!

Das Herz der Schönen haftet an der Welt;
Sie können dulden, wollen aber glänzen; —
Der arme Sänger schwärmt von Kron' und Kränzen,
Wenn keine Sonn' auch in sein Stübchen fällt.
Gehuldigt will das Weib dem Gatten wissen, —
Er singt sein Lied auch zwischen Felsenrissen.

Die Schöne will dem Dichter Alles sein, —
Er aber hat der Muse sich verschrieben.
Er dichtet nicht, als müßt' er's, um zu lieben,
Oft, um zu dichten, liebt er, scheint's, allein.
Die Frau'n verlangen ganz des Mannes Busen,
Sonst eifern sie, und wär's auch mit den Musen.

Wir sind ein sonderbares Volk fürwahr:
Wir wissen manchmal selbst uns nicht zu fassen,
Oft wollen wir uns störrig schelten lassen,
Oft legen wir die Seelen offen dar;
Und will man uns um unser Innres fragen,
So können wir's wohl singen, doch nicht sagen.

Gar kluge, treue Augen tun uns Not,
Die leicht bemerkend leicht auch übersehen,
Die, wo ein andres blind ist, uns verstehen,
Und mild uns schonen, wo ein andres droht;
Und fast nicht kleiner, als des Dichters Streben,
Ist auch die Kunst, beglückt mit ihm zu leben.

Für glücklich halt' ich drum die Schönheit nicht,
Nur weil sie vielbeneidet lebt im Liede.
Es hieß gewiß nicht jedes Blättchen "Friede"
Am Lorbeer, welcher Laura's Stirn umflicht,
Und zitternd mochte wohl an Tasso's Kränzen
So manche Trän' Eleonora's glänzen!

VIII.
Die Totenfeier

Am Hügel bei Sankt Jakob, von dem ihr Basel schaut,
Da sitzt ein lustig Völkchen und singt und bechert laut;
Da schäumt in hellen Humpen der blutigrote Wein,
Da freut sich Mann und Mädchen im herzlichen Verein.

Es war vor langen Jahren wohl auf demselben Platz,
Daß sich die Väter schlugen für ihren höchsten Schatz;
Gefährdet war die Freiheit, manch Tausend stürmt' heran,
Ein winzig Häuflein setzte sein kostbar Leben dran.

Aus Schweizerblut erblühte der Freiheit Blume neu; —
Drum wogt am Jahrestage das Volk so laut herbei,
Und läßt im Humpen schäumen den blutigroten Wein,
Und jubelt, Mann und Mädchen, im herzlichen Verein.

Da trat einmal ein fremder, hochweiser Mann hinzu,
Und sprach zu einem Schweizer: "Ei, Freund, was becherst du?
Der Wein, von dem du trinkest, wie schmeckt er dir doch gut,
Und wuchs vielleicht so blutig aus deines Ahnherrn Blut?

Wo eure Väter ächzten, da singt und jubelt ihr,
Wo ihre Knochen modern, seid ihr zum Reigen hier!?
Zieht lieber Grabesglocken, pflanzt Totenkreuz' umher: —
Solch weltliches Frohlocken ziemt hier sich nimmermehr!" —

Dem Schweizer flammt's im Auge, da er die Mahnung hört,
Dann sich bemeisternd spricht er: ""Ei, tut nicht so empört!
Mag immer hier im Becher der blutigrote Wein
Von meines Ahnherrn Blute so rot geworden sein!

Mag immer, wo ich stehe, Gebein der Väter ruh'n:
Ich schwinge doch den Becher und glaube recht zu tun!
Sie haben hier verblutet für unsres Landes Glück,
Sie kauften ihren Enkeln den freien Sinn zurück.

Baß ärgern, denk ich, müßten sie sich in ihrem Grab,
Wenn wir das Gut mißkennten, das uns ihr Blut einst gab;
Der Jubelsang, mit welchem wir ihrer Spend' uns freu'n,
Muß den verehrten Schläfern ein heil'ger Wohlklang sein!"" —

Der Schweizer ruft's und leeret sein Glas mit nassem Blick;
Der fremde, weise Mahner zieht sich beschämt zurück,
Und rings ertönt: "Nichts ehret wohl mehr den großer Mann,
Als wenn wir froh genießen, was er uns kühn gewann!"

Der Glöckchenwalzer

Lichter flimmern, Saiten klingen,
Losgelassen ist die Lust,
Walzend wogt es auf und nieder,
Aug' in Auge, Brust an Brust.

Zauberische Melodien
Schmeicheln sich in's Herz hinein:
Untreu muß es, wider Willen,
Seinem liebsten Grame sein.

Und die Lüfte selbst ermatten,
Fenster werden aufgetan,
Und die müden abzulösen
Wogen frische lüstern an.

Und in kühler Fensterecke
Stand ich, ein Vergeßner, da,
Ernst genießend, was ich hörte,
Still betrachtend, was ich sah.

Horch! da tönt ein neuer Walzer,
Klag' und Jubel im Verein,
Und als schmelzende Begleitung
Tönt ein Glöckchen silbern drein.

Er entzückt die frohen Tänzer,
Macht beinah die Spieler irr,
Wie erfaßt von Zaubertaumel
Wogt das brausende Gewirr. —

Jetzt verstummten Flöt' und Geige,
Nur das Glöcklein klang noch bang:
Denn es war das — Totenglöcklein,
Das durch's offne Fenster klang!

IX.
Die Klag'

Was ist dem Armen nur gescheh'n?
Er sieht so bleich und blaß;
Mehr Wanken ist das als ein Geh'n,
Sein Aug' ist starr und naß.
Den Mantel zieht er fest um's Ohr,
Sein starker Körper brach,
Entgeistert stürzt er durch das Tor,
Als keucht' ihm Einer nach.

Sein Mädel log ihm Treu und Eid,
Sein Mädel lacht' ihm Hohn,
Sein Mädel gab statt Seligkeit
Ihm Trug und Spott zum Lohn.
Drum stürzt er so voll Wut und Glut
Aufs Daunenbett und lacht,
Weint wieder laut, heult, flucht und ruht,
Und schlummert halb und wacht.

Und zwölf Uhr hallt's vom nahen Turm
In's Haus, in dem er wohnt,
Und seine Schwingen regt der Sturm,
In Wolken tritt der Mond.
Und knitternd dröhnt und knisternd schleift
Es durch die Gassen her
Und wimmernd kratzt und heulend streift
Es über's Pflaster schwer.

Ein gräulich Nachtbild rollt herbei,
Und rollt zum Haus und rollt,
Gleich einer Kugel hohl und scheu
Und dumpf, wie Donner grollt.
Das ist die Klag', sie geht durch's Tor,
Schleppt sich den Hof entlang,
Hüpft Stuf' um Stufe träg' empor,
Und summt von Gang zu Gang.

Und jetzo vor des Zimmers Tür,
In dem der Arme schlief,
Da legt sie quetschend sich hinfür,
Und orgelt wild und tief;
Wehklaget, wie ein Südorkan,
Weint, wie ein Totenlied,
Und sieht sich wie ein Schädel an,
Der blaue Funken sprüht.

Und Allen ward im Hause bang,
Sie wußten nicht, warum?
Und sprachen ein Gebet im Drang,
Und sah'n sich fröstelnd um.
Doch als der Morgen kam heran
Mit Trost und Lebenslust,
Da lag der arggetäuschte Mann,
Ein Messer in der Brust.

Vom lieben Monde

Ich war beglückt, war seelenfroh,
War ganz ein Mann der Lust;
Ich trug — wann werd' ich's wieder so?
Den Himmel in der Brust;
Da hing der liebe Mond so klar
Im blauen Zelt der Nacht,
Da paßt' er mir so ganz und gar,
Als wie für mich gemacht.

Ich war betrübt, war lebensmüd,
Ein aufgegebner Mann;
Was Blüte heißt, schien mir verblüht,
Nie war ich schlimmer dran;
Gleich einer Grabesampel stand
Der Mond am Sarg der Nacht, —
Er schien mir wie von Gottes Hand
Für meinen Schmerz gemacht.

Ich saß bei Schmaus und frohem Scherz
Behaglich hingelehnt,
In einer Stimmung, wo das Herz
Nach keinem Ding sich sehnt;
Da kam der liebe Mondenschein,
Und tat so brüderlich,
Und lachte mir in's Glas hinein,
Als lacht' er nur für mich.

Ich lehnt' am Fenster still und stumm,
Und sann auf dies und das,
Und schickte Blick und Herz herum,
Weiß selber kaum, um was;
Und drüben glänzte Berg und Haus,
Vom Mond so lieb erhellt, —
Der machte mir ein Liedchen draus,
Als hätt' ich ihn bestellt.

So winkt er noch in Lust und Leid,
Bei Scherz und Ernst mir zu,
Voll Mitleid und voll Freundlichkeit,
Voll Leben und voll Ruh'.
Doch wenn er noch so lange blieb,
Er fiel mir nie zur Last:
Das eben macht ihn gar so lieb,
Daß er zu Allem paßt.

X.
Die Bestellung

"Wir sitzen so traulich beisammen,
Und haben einander so lieb!"
So sangen wir erst noch heiter,
Und wurden plötzlich trüb;

Und sah'n uns in die Augen,
Wir wußten nicht warum?
Und klangen an mit den Gläsern,
Und saßen wieder stumm.

Da faßt' ich ihn am Arme,
Den nebensitzenden Freund,
Und sprach: " 's ist Zeit zum Aufbruch —
Sonst wird noch heute geweint!"

Und als wir nach Hause schritten,
Die schweigenden Straßen entlang,
Und als vom Dome nieder
Die späte Stund' erklang,

Und als die Hauser standen,
So still und geisterbleich;
So ward uns um die Herzen
Gar wundersam und weich.

Vorm Tore seines Hauses
Da drückt' ich ihm noch die Hand;
Es war mir, als sollt' er wandern
Weit — weit in ein fremdes Land.

"Leb' wohl," begann er, "und morgen —
Nicht wahr, — wir werden uns seh'n?" —
""Ja — Morgen seh'n wir uns wieder,"" —
So sprach ich — und wollte geh'n.

"Wir müssen uns morgen sehen —
Die Hand drauf!" — rief er bewegt.
Ich gab ihm die Hand, wir schieden —
Auch ich war aufgeregt.

Ich ging, schlief, träumte wie immer,
Stand morgens wie immer auf,
Verfolgte nüchtern wie immer
Den nüchternen Tageslauf.

Und abends ging ich wie immer,
Und suchte den Freund mir auf;
Mußt' heute ja gar ihn suchen: —
Ich gab ja die Hand ihm drauf.

Ich poch' an seiner Türe, —
Die alte Magd erscheint;
Ich frage sie: "Ist er zu Hause?" —
Sie nickt mit dem Kopf und weint. —

"Was ist es, Mütterchen?" frag' ich;
""Ja,"" sagt sie, ""das war schnell!
Heut früh noch — war er so freundlich,
Jetzt liegt er tot zur Stell!""

"Tot?" ruf ich — ""Tot"" so weint sie;
Ich stürz' ungläubig hinein. —
Da liegt er auf seinem Bette, —
Beim Himmel — das ist nicht Schein!

Wie — wie nur ist gestorben?
Genug, er starb — er ist tot!
Das Schicksal steht nicht Rede —
Genug, er starb — er ist tot!

Und schweigend sitz' ich nieder,
Und fasse die kalte Hand;
Mir war, als wär' er gewandert
Weit, weit in ein fremdes Land!

Mir war, als kläng' es von ferne
Durch's Zimmer schaurig und trüb:
"Wir sitzen so traulich beisammen,
Und haben einander so lieb!"

Lust und Schmerz

Mensch! wenn ein Mensch vor dir erscheint
Mit menschlich froher Brust,
Was denkst du dann im Stillen, Freund,
Von seiner hohen Lust?
Ist dein Entzücken voll und rein,
So du darüber hast?
Wird's eitel ganze Freude sein,
Was dich mit ihm erfaßt?

Sieh, Freund, erblick' ich einen so,
Dann denk ich stets bei mir:
"Du, guter Mann, du bist so froh,
Stehst gar so selig hier,
Schlürfst all' das bißchen Fried' und Freud'
In diesem Stündchen ein,
Und denkst nicht, wann dir nach der Zeit
Je wieder so wird sein?

Wer weiß, du guter Ohnenot,
Der du so munter bist,
Wer weiß, ob dieses: "Heute rot!"
Nicht "Morgen tot" schon ist.
Wer weiß es, ob du diesen Trank
Nicht mit dem Tode trinkst,
Ob nicht vom Rosenbette blank
In's Rasenbett du sinkst!

Wer also, denk' ich dann so fort,
Wer also darf sich freu'n,
Da schon das erste Blatt verdorrt,
Wenn wir das letzte streu'n?
Wer kann vom Herzen munter sein,
Wenn Nacht den Tag berührt,
Und oft der goldne Freudenwein
Zum Totenweine wird?! —

Doch, Menschen, wenn ein Mensch vor euch
Im schmalen Sarge liegt,
Die Augen zu, die Wangen bleich,
Die Hand' an's Herz geschmiegt; —
Was denkt ihr dann? — durchfährt's euch nicht
Wie Schreck vorm Spiegelbild?
Seh' ich dem Toten in's Gesicht,
So werd' ich weich und mild.

Ei! denk' ich mir, du stummer Mann,
Du hast es nicht so schlecht:
Versöhnt sieht uns dein Antlitz an,
Und Alles ist dir recht. —
Und doch hinwieder, wenn man's nimmt,
So hast du's, o! recht schwer:
Dein Saitenspiel ist abgestimmt,
Kein Lautner stimmt dir's mehr!

Was je darüber fuhr und klang,
Es fuhr und klang umsonst;
Dein Heimgang ist ein stiller Gang,
Und stumm ist's, wo du wohnst.
Drum denk' ich, rüstig aufgespielt,
So lang die Saite hält!
Nur Ein Land gibt es, wo man fühlt,
Nur Eine laute Welt! —

So, Brüder, war ich oft nicht froh,
Wo Alles froh erschien,
Und sah ich eine Leiche wo,
So blickt' ich lächelnd hin.
Des ist ja grad das Menschenherz
So höhnend sich bewußt:
Nie hat es einen ganzen Schmerz,
Nie eine ganze Lust!