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Scherz, mit mancher Trän' erkauft,
Ernst, belacht von Vielen!
Wie Ihr es auch immer tauft,
Laßt mich damit spielen!

 
IV.
Nachklänge 
Geständnisse  Karneval
 

Nachklänge

               1.
Es gibt gewisse Melodien,
Es gibt gewisse Lieder;
Wenn sie erklingen, muß ich flieh'n.
Sonst lockten sie mich wieder.

Sie klangen einst so mild und warm:
Es waren schöne Zeiten!
Nun sind sie an Bedeutung arm,
Ein leerer Schrei der Saiten.

Einst dacht' ich, was aus ihnen klang,
Das könne nie vergeben,
Das müsse, für dies Sein zu lang,
Einst mithinüberwehen!

Und Alles hat sich überlebt,
Und Alles ist verklungen,
Was wir getändelt und gestrebt,
Gesungen und' gerungen!

Sprich, Holde, liegt es wohl an mir,
Daß wir das Ziel nicht fanden?
Ich meine, Kind, es liegt an dir,
Du hast mich nicht verstanden!

Weil du gesucht, was ich nicht bin,
Hast du mich nicht gefunden;
Drum ist auch dieser Lieder Sinn
So schnell für uns verschwunden.

Daß ich noch wein' und du noch weinst,
Wenn ein's erklingt von ihnen,
Das macht, weil wir dabei doch einst
Etwas zu fühlen schienen!

                               2.
Du schicktest mir dein Stammbuch, als ein Zeichen,
Daß du nicht hassest, wenn du auch nicht liebst.
Hab' Dank für diese Großmut ohne Gleichen,
Kann ich gleich nicht erwidern, was du gibst.

Ich kau' an meiner Feder, sinn' und dichte
Was ich Verbindliches dir sagen soll;
Jedoch mein Herz macht jeden Vers zunichte:
Es ist zu leer mir, oder — ach! zu voll.

Will ich das Innigste dir liebend sagen,
So mahnt es mich, als sei die Zeit vorbei;
Will ich ein Blümchen dir zu bieten wagen,
So furcht' ich, daß ein Dorn daneben sei!

Drum nimm's zurück, das Blatt ist weiß geblieben,
Nicht weil ich deine Huld gering geschätzt,
Nein — denke, was ich liebend drauf geschrieben,
Hab' eine Träne wieder weggeätzt.

Was lieb sich hatte, schreibt sich in die Herzen,
Liebhaber schreiben sich in's Stammbuch ein:
Lieb hatt' ich dich, — ich fühl's an meinen Schmerzen,
Liebhaber wollt' und konnt' ich dir nicht sein!

                  3.
Denke dir, ich sei gestorben,
Und dies sei mein Testament,
Welches dir, was ich erworben
Und dir nun vermache, nennt.

Dir vermach' ich tausend Träume,
Ach wohl mehr noch — nimm sie hin,
Kinder sonnenheller Räume,
Wo ich nicht mehr heimisch bin.

Tausend Lieder, dir gesungen,
Jedes: Du im Widerschein,
Froh und trüb, wie sie erklungen,
Nimm sie hin, sie sind ja dein!

Hundert Briefchen, klein geschrieben,
Groß gefühlt, halb toll, halb klug,
Allzu frostig, übertrieben, —
Zum Zerreißen gut genug!

Hochgedanken, Segensplane,
Rührungen, — wer zählte sie?
Nimm den Tand, daß er dich mahne:
"Er war schwach, gemein doch nie!"

Dann ein Päckchen kleiner Sünden:
Küsse, — zahllos hingestreut,
Nimm sie, — Mancher wird sich finden,
Der dir einlöst, was dich reut.

Und so Manches noch — ach! Alles, —
Was ein Toter nicht mehr braucht;
Und was wert war des Verfalles,
Sei verfallen, sei verraucht.

Ein's nur kannst du, Kind, nicht haben,
Dieses Restchen, "Herz" genannt,
Denn das laß' ich mir begraben,
In ein Fleckchen beßres Land.

Ist's verkümmert gleich und trocken,
Gottes Sonn' ist lind und lieb,
Ihre lauen Küsse' entlocken
Oft der Gruft den schwächsten Trieb.

Und so sei's versucht im Harme,
Ob, wenn neu der Lenz erglüht,
Nicht vielleicht mein Herz, das arme,
Auch noch einmal treibt und blüht.

                             4.
Wer von der Heimat scheiden muß und will.
Hält dennoch oft auf seinem Wege still.
Und bleibt zurück und findet Trost daran,
Daß er sie noch vom Weiten sehen kann.

So lang der letzte Berg ihm nicht entschwand,
Träumt er sich noch hinein in's teure Land;
Er sieht's ja noch, und trieb' ihn Heimweh' hin,
In wenig Stunden wär' er wieder drin.

Jetzt steht er hoch an eines Berges Saum,
Dort ist die Heimat, — ach! er ahnt sie kaum,
Wirft seinen längsten, letzten Blick zurück,
Und ist noch einmal dort mit diesem Blick.

Und abwärts geht es, andre Lüfte weh'n.
Und fremde Berge sieht er vor sich steh'n,
Und fremde Berge ragen hinter ihm, —
Nun ist's vorbei, nun fort mit Ungestüm!

Ein Heimatloser irrt er durch die Welt,
Der Fels sein Bett, das Firmament sein Zelt,
Bis, wo er's nie geahnt und nie gedacht,
Ihm endlich wieder eine Heimat lacht. —

So ist es mir, da ich dich meiden muß,
Darum verzeih' den längern Scheidegruß;
Noch seh' ich dich vor meiner Seele steh'n,
Noch drängt es mich bisweilen, umzuseh'n.

Doch werd' auch ich wohl kommen an den Rand,
Wo Alles, was an dich erinnert, schwand,
Und ich mir denke, weil dein Bild erblich:
"Was ich nicht sehe, war nie da für mich!"

                   5.
Wie lieblich war die Quelle,
Wie lauschig war der Hain,
Wie sanft das Lied der Vögel,
Wie hell der Sterne Schein!
Wohin ich geh' und schaue,
Erinnerung an Glück;
Wohin ich geh' und schaue,
Stößt etwas mich zurück.

Wie lieblich war die Quelle!
So viel sie Wellchen hat,
Wir zählten sie mit Küssen,
Des Zahlens doch nie satt. —
Nun treibt es mich vorüber,
Du böse Quelle du;
Hör' auf, hör' auf, zu rauschen:
Es rauscht wie Spott mir zu.

Wie lauschig war das Wäldchen!
So viel es Blätter hat,
Wir zählten sie mit Schwüren,
Des Zählens doch nie satt. —
Nun treibt es mich vorüber,
Du böses Wäldchen du;
Hör' auf, hör' auf zu säuseln,
Du säuselst Spott mir zu!

Wie sanft die Vöglein sangen!
Es klang gar schön und fein;
Doch schien, was in uns tönte,
Weit schöner noch zu sein. —
Nun treibt es mich vorüber
Wo euer Liedlein klingt;
Hört auf, hört auf zu singen,
Denn Spott ist, was ihr singt!

Wie hell die Sternlein glänzten!
Sie glühten gar so rein;
Doch schien, was in uns glühte,
Weit reiner noch zu sein. —
Nun treibt es mich nach Hause,
Steht ihr am Himmelssaal;
Hört auf, hört auf zu glänzen,
Denn Spott ist euer Strahl!

                                6.
Gedenke mein! — doch nein — vergiß mich lieber!
Es mag das beste für uns beide sein;
Der Traum war schön, wirf einen Schleier drüber, —
Vergiß mich, Kind! — doch nein gedenke mein!

Gedenke manchmal noch der trauten Stellen,
Wo wir die Sonne sinken oft geseh'n,
Und uns gedacht: "Sie sinkt wohl in die Wellen,
Doch unsre Liebe wird nicht untergeh'n!"

Gedenke manchmal, wie wir, unter Scherzen,
Wetteifernd uns das Heimlichste vertraut;
Ein kleiner Winkel bleibt in jedem Herzen,
Den selbst der Blick der Liebe nicht durchschaut.

Gedenke, was wir oft gesagt von Andern:
"Sie lieben treu, doch treuer lieben wir!"
Siehst du sie dort noch Arm im Arme wandern,
Und aus der Ferne kommt mein Lied zu dir!

Gedenke manchmal, wer die Blümchen pflückte,
Die dein Gebetbuch birgt bei manchem Blatt!
Gedenke, wer sein blasses Bild dir schickte:
Die Farben waren nicht umsonst so matt.

Gedenke mein, wenn dich einst neue Liebe
Mit einem zweiten, ew'gen Netz umspinnt!
Gedenke mein, damit es nicht zerstiebe, —
Gedenke mein, — doch nein! — vergiß mich, Kind!

Geständnisse

                   1.
"Mein Liebchen, süßes Liebchen
Wie ist dein Mund so rot,
Der mir doch schon seit Wochen
Kein heißes Küßchen bot.

Wie schimmert durch die Wangen
Dir hell der Purpurquell;
Wie wogt so rasch dein Busen,
Wie hüpft dein Puls so schnell!

Wie schwimmend mir vor Wonne
Dein Aug' entgegensieht,
Als wär' es zum Empfange
Mir eigens aufgeglüht!

Wie liebewarm dein Händchen
In meine Hand sich taucht!
Wie duftig mir um's Antlitz
Dein lauer Atem haucht!

Ich kam doch unvermutet,
Kam wider dein Verseh'n,
Wie konnt' im Augenblicke
Nur Alles so gescheh'n?

So plötzlich umgewandelt,
Vertauscht so ganz und gar,
Ein Sturm in deinem Innern,
Wo erst noch Ruhe war!"

So ruft er wonnetrunken,
Und wirft sich, stolz bewußt,
An die, durch sein Erscheinen
So umgetauschte, Brust. —

Soll ich den Wahn ihm rauben?
Den Flor vom Aug' ihm zieh'n? —
Ich weiß, warum ihr Lippen
Und Puls und Wange glüh'n.

Ich weiß, warum dies Feuer
Aus ihren Augen spricht! —
Es ist von einem Kusse, —
Jedoch von seinem nicht!

                  2.
Wenn ich zur Seite dir gehe,
So fühl' ich mich oft so beengt,
Als trät' ich wem auf die Ferse,
Den ich nur eben verdrängt!

Und so wenn ich oft ein Küßchen
Aus voller Seele dir gab,
War's mir, als küßt' ich ein fremdes
Dir erst von den Lippen herab!

Und als ich dir an den Finger
Mein Ringlein steckte zum Bund,
Da schien er von einem früher
Kaum abgezognen mir wund!

Jüngst als ich so mit dir wallte,
Begegnet' uns eben ein Mann,
Mir war's, als sah' er halb spöttisch,
Halb mitleidsvoll mich an!

                    3.
Du lehrst mich die Blumensprache,
Du bist so vertraut mit ihr,
Wofür ich kein Wort ersinne,
Das nennst du mit Knospen mir.

Du lehrest mich Kränzchen binden,
Du sagst aus Kelchen mir wahr,
Du machst der Blütenorakel
Geheimste Sprüche mir klar.

Die Blätterrätselchen alle,
Worein sich die Liebe versteckt,
Die ganze Botanik der Liebe,
Du hast sie mir spielend entdeckt.

Das ist ein schwieriges Lernen,
Auch selbst für Talente wie du;
Von selber lernt es sich nimmer,
Es braucht einen Meister dazu.

Fürwahr, glückselig der Meister,
Der dich zuerst es gelehrt;
Du hast für so schöne Künste
Wohl schönen Lohn ihm gewährt!? —

                    4.
Du glaubst vielleicht, ich halte
Für Wahrheit, was du sprichst,
Den Ton, womit du schmelzend
Mein trunknes Ohr bestichst?

Für Wahrheit all' die Küsse,
Womit, verschwendrisch mild,
Der Lippen heißes Sehnen
Dein süßer Mund mir stillt?

Für Wahrheit was an Blicken
Aus deinen Augen brennt,
So wahr, daß wahr sie nennte,
Wer nicht die Wahrheit kennt?

Für Wahrheit all' die Schwüre,
Die du mir schweigend schwörst,
Wenn du vielleicht für Stunden
Mir wirklich angehörst? —

Nein, Kind, du bist betrogen,
Statt daß du mich betrügst;
Ich laß es nur nicht merken,
Weil du so lieblich lügst.

Wie man im Schauspielhause
Sich rühren läßt und weint,
Wohl wissend, daß der Mime
Das nicht ist, was er scheint.

Drum glaube nicht du Süße,
Daß du mich ganz betrügst, —
Ich lasse mir nur lügen,
Weil du so lieblich lügst.

                     5.
O weine nicht, weil ich nun scheide,
Als käm' ich nimmer zurück;
Du trägst ja in deinen Augen
Die Wiege für neues Glück.

Wenn jede wärmere Seele,
Wie ich, dir huldigen muß,
Was frägst du nach meinem Herzen,
Was frägst du nach meinem Kuß?

Mein erster war nicht der erste,
Du selbst gestehst es mir ein;
So wird ja wohl auch mein letzter
Nun nicht der letzte sein!

                     6.
Das goldne Ringlein mit dem Herzen,
Das ich dir einst zum Pfande gab,
Du zogst es, als wir kalt uns trennten,
Vom Finger boshaftlächelnd ab.

Ich hielt es lang in meinen Händen,
Und dacht' an manches Wort dabei,
Vor Allem dacht' ich, wie verschwendrisch
Die Liebe doch an Schwüren sei. —

Sonst legten Sklaven ihre Ketten,
Als Opfer mit zerknirschtem Sinn,
Der neuen Freiheit froh sich rühmend,
Auf eines Altars Stufen hin.

Ich will ein Standbild Amors suchen,
Mein goldnes Ringlein in der Hand,
Und dankbar es zu seinen Füßen,
Verscharren in den tiefen Sand.

Ist's doch ein Ring der goldnen Kette,
Die schlau mir deine Liebe schlang,
Und die — so fest sie auch geschienen, —
Nun wie ein spröder Faden sprang!

Karneval

                            1.
Die Gassen rollt's geschäftig auf und nieder,
Auf allen Wegen wogt ein buntes Treiben,
Verworrne Klänge zittern hin und wieder.

Vorüberhuscht's an kerzenhellen Scheiben;
Und Herzchen pochen, Augen glüh'n, und Füße,
Die lässig ruhten, weigern sich zu bleiben.

Und ahnend ungekannte Hochgenüsse
Sitzt in der Stube still das junge Mädchen,
Sein Äuglein netzen heiße Tränengüsse.

Dem Nadelöhr entschlüpft das glatte Fädchen,
Denn andre Bilder sieht es vor sich schimmern,
Und ungeduld'ger läuft des Herzens Rädchen.

Hinträumt sich's in das Labyrinth von Zimmern,
Wohin die Mutter ging, hin zu den Wonnen,
Wo bei der Walzer Klang die Kerzen flimmern.

Wo unter all' den stolzen Schönheitssonnen
Es doch, so fühlt's, auch könnt' als Sternlein glänzen,
Und seufzt: "Ach! wär' die Kinderzeit verronnen!"

Den Kopf zerbrechend sich ob neuen Tänzen,
Ob wohlgestellten Reden, art'gen Mienen,
Entgegensehend frischen Siegeskränzen,

Steht ballgeschmückt der Jüngling, bis erschienen
Der Augenblick, zum Kampf ihn fortzutragen, —
Die Grazien beschwörend, ihm zu dienen.

Ein Ritter steht er, ohne Furcht und Zagen,
Umleuchtet von des Lebens Rosaglanze;
Was darf nicht er, der Sieggewöhnte, wagen?

Jetzt ist die Zeit, zu ringen nach dem Kranze;
Sein Leben ist ein Ball, ein Ball sein Leben,
Enträtselt liegt sein ganzes Ich im Tanze. —

Da sitzt ein Alter hinterm Ofen eben,
Und hört die Wagen rasch vorüberrollen,
Und denkt: "Ei, wie die Zeiten doch entschweben!

Vor zwanzig Jahren hätt' ich nicht so wollen
Am Ofen sitzen, — da war ich am Brete, —
Da trieb ich's anders, als die jungen Tollen.

Bescheiden ging's in sanftem Menuette,
Und süße Worte wehten da vom Munde,
Dieweil der Puder aus den Haaren wehte." —

Der Dichter aber sitzt in später Stunde,
Den Karneval beschwörend aus den Sälen,
Und ab ihm fordernd tiefgeheime Kunde.

Von seinen Scherzen muß er ihm erzählen,
Und seinen Schalksernst vor das Aug' ihm führen,
Damit sich Jener mag sein Teil draus wählen.

Was Diese quält, was Andre froh verspüren,
Und was ein Dritter fühlt im Nachgenusse,
Davon läßt er daheim sich sanft berühren,
Und schwelgt sich ernst am süßen Freudenkusse.

                            2.
Kind, wenn du auch jedem Tänzer,
Der mit dir den Saal durchkreist,
Nur ein winzig kleines bißchen
Deiner Herzensgunst verleihst,
So erregt mir dies Verschenken
Doch ein mächtiges Bedenken!

Wenn ich der Beglückte wäre,
Den du dir ersähst zum Mann,
Neidisch mehr, als eifersüchtig
Säh' ich solch Vergünst'gen an,
Überreich an Gunst erkennen
Müßt' ich, oder arm dich nennen.

Wenn ich überreich dich dächte,
Weil du Jedem etwas gibst,
Könnt' ich, als ein Mann, die Milde
Ja nicht fassen, die du übst;
Sehen müßt' ich's ohne Tücke,
Daß sie nicht bloß mich beglücke.

Dächt' ich mir an Gunst dich ärmer.
Wär' ich noch viel schlimmer dran;
Selbst das winzig kleinste Fünkchen
Säh' als einen Raub ich an;
Und dich also mild zu sehen
Machte mich vor Qual vergehen.

                            3.
Einst war ich mit meinem Liebchen,
Wie's Ehr' und Gewohnheit ist,
Auf einen Ball geladen,
Und zwar nach einem Zwist.

Sie war so reizend gekleidet,
Und ich so zierlich befrackt;
Wir setzten uns gradüber,
Und tanzten keinen Takt.

Bald griff sie an das Herzchen,
Als schnürt' ihr's etwas zu;
Bald holt' ich tiefer Atem,
Als fänd' ich keine Ruh'.

Das sah ein Menschenkenner,
Wie's deren viele gibt,
Die viel von Liebe wissen,
Wiewohl sie nie geliebt.

Der flog zur Frau vom Hause,
Und winkt' ihr auf uns hin:
"Nicht wahr, dem steckt das Mädchen
Gradüber dort im Sinn?

Ei, wie ich's gleich erraten,
Wie sie das Herzchen drückt,
Und wie er seufzt der Arme, —
Sie schmachten, ganz verzückt!"

Du schlechter Menschenkenner,
Wie falsch dein Aug' doch sah:
Wir haben wohl oft geschmachtet,
Doch minder nie, als da.

Sie hatt' ein enges Mieder,
Drum griff sie so oft an's Herz;
Ich hatte knappe Schuhe,
Drum seufzt' ich so oft aus Schmerz!

                            4.
Wir tanzten einst miteinander,
(Entsinnst du dich noch, mein Kind?)
Wir flogen hinauf und hinunter,
Als trüg' uns ein hebender Wind.

Da schien uns plötzlich der Walzer
In schwellendes Moll zu verweh'n,
Um in ein schmachtend Piano
Verhallend überzugeh'n.

Es war uns, als würden die Bögen
Nicht mehr von den Spielern geführt,
Als klängen die Geigen von selber,
Von hauchenden Lüftchen berührt.

Es war der lieblichste Deutsche,
Der je noch von Saiten erklang;
Es war ein Zucken und Wiegen,
Das Mark und Leben durchdrang.

Wir hatten die Runde des Saales
Wohl oft durchmessen im Flug,
Und konnten noch immer nicht rasten,
Und hatten noch immer nicht gnug.

Da merkten wir endlich ein Flüstern,
Ein Deuten und Kopfverdreh'n;
Wir hörten die Spieler kichern,
Und blieben befremdet steh'n.

Nun brachten die Leute spöttelnd
Uns erst zur Besinnung zurück;
Wir hatten die längste Weile
Getanzt schon —ohne Musik.

                      5.
Auf sechs und zwanzig Bällen
In Einem Karneval
Hast du ihn leuchten lassen,
Der Reize goldnen Strahl!

Auf sechs und zwanzig Bällen
Hast du mit deinem Blick
In unbefangnen Herzen
Zertrümmert Ruh' und Glück!

Auf sechs und zwanzig Bällen
Warst du die Königin,
Und wiegtest dich im Wirbel
Des Tanzes siegreich hin!

Und doch war jeder Abend,
Vertanzt in Lust und Scherz,
Ein Dolchstich in mein armes,
Mein eifersüchtiges Herz.

Bewundre, stolze Schöne,
Doch meinen Heldensinn;
Von drei und zwanzig Stichen
Sank Cäsar tot dahin.

Ich zähle sechs und zwanzig,
Und steh' noch frisch und fest:
Was doch mit jungem Herzen
Sich Alles dulden läßt!

                        6.
Sie tanzt! Wie los' und lind das Kleid
Den lieben Leib umweht!
Sie tanzt, wie sie an ihn sich schmiegt,
Wie er sie wirbelnd dreht.

So wie der Wind ein Blümchen hebt
Aus weichem Nasenflaum,
So führt der Tänzer sie hinweg,
Das Aug' verfolgt sie kaum.

Und wie so sanft, so schmelzend rauscht
Des Walzers Melodie! —
Umsonst versucht' ich's, still zu sein,
Nachpfeifen mußt' ich sie.

Nachpfeifen, wie das Grillchen zirpt
Im grünen Wiesengras,
Weil ihm der Wind das Blümchen nahm,
Bei dem es singend saß.

Sie hört's vielleicht, vielleicht auch nicht,—
Das Tanzen macht ja taub;
Das Herz verpocht sich im Gewühl,
Das Aug' wird matt im Staub. —

Ihr glaubt, sie habe Geist und Herz
Mir ganz mit Lieb' umschanzt? —
Ich tanze ja nicht, wie sie pfeift,
Ich pfeife, wie sie tanzt!

                        7.
Sie stand geschmückt, wie ein Nymphchen
In einem Kleid von Kristall!
Und tat sie's mir zu Gefallen? —
Nein — einem Gesellschaftsball.

Ich saß ihr im Wagen zur Seite,
So scheu in die Ecke gepreßt,
Als könnte mein Hauch sie zerstäuben,
Wie flockige Blüten der West.

Schon steh'n wir im brausenden Saale,
Schon zieht es sie mächtig von mir;
Schon wird gegafft und gemustert,
Schon drängt es sich schmeichelnd zu ihr.

Schon fliegt sie hinab mit dem Tänzer,
Dem Abgott, der sie mir raubt;
Sie kommt zurück mit dem Zweiten,
Und lispelt: "Ist es erlaubt?"

Dem Zweiten entreißt sie der Dritte, —
Sie fliegt von Hand zu Hand,
Sie läßt, um mich zu vertrösten,
Für's Herzchen den Shawl mir zum Pfand.

Sie wandert von Ecke zu Ecke
Hinauf und hinum und hinein;
Sie scheint im Gesellschaftsballe
Der Ball der Gesellschaft zu sein!

                                8.
Ei! was doch Alles an dir hüpft, mein Kind!
Dein Füßchen hüpft, so zierlich, so geschwind,
Als wolltest du das flücht'ge Glück ereilen,
Und mit der Zeit den Ruhm der Flügel teilen!

Dein Herzchen hüpft! Treibt Leichtsinn oder Lust
Die kleine Unruh' in der Uhr der Brust? —
Ach — wenn du einst verstehst des Herzens Schläge,
Dann hüpft es dir gewiß nicht mehr so rege!

Und wie die Pulse hüpfen! — Sieh doch nur;
Durch Band und Flor verrät sich ihre Spur.
Ihr Feuer wird — (erführst du's nie!) verkühlen:
Das Leben weiß gar ernst den Puls zu fühlen.

Ja deine Blicke, dünkt mich, hüpfen auch!
Wie die Zikade hüpft von Strauch zu Strauch,
So gaukeln sie von Einem zu dem Andern;
Halt sie zurück: den Blick verdirbt das Wandern!

Wir Männer sind gar klug: ein flücht'ger Rausch
Mag wohl entglüh'n an flücht'ger Blicke Tausch;
Doch nur aus festen, ruhig ernsten Blicken
Saugt wahre Lieb' ein bleibendes Entzücken!

                     9.
Ich lieb' es, wenn die Welle klar
Durch grüne Fluren schlüpft,
Und tanzend längs dem Blumensaal
Des schönen Lenzes hüpft.

Ich lieb' es, wenn der Tänzer "West"
Die Tänz'rin Blume faßt,
Und nicht die Schlanke ruhen läßt,
Bis sie sich neigt dem Gast.

Ich lieb' es, wenn in freier Luft,
Von Gottes Sonn' erwärmt,
Ein lustig Bienenvölkchen tanzt,
Ein Mückentrüppchen schwärmt!

Ich staun' entzückt, wenn in der Nacht,
Am blauen Himmelszelt,
Der Sterne lichte Geisterschar
Den stillen Reigen hält.

Ich lieb' es, Menschen auch zu seh'n,
Die ganz Natur und Herz
Am Brauttag oder Kirchweihfest
Sich dreh'n bei Sang und Scherz.

Ich liebe jeden Tanz, wozu
Das Herz die Weise gibt;
Doch lieben werden ich nie den Tanz,
Wie jetzt die Mod' ihn liebt!

Den Tanz, wo aus verrenktem Leib
Verrenkte Sitte spricht,
Wo aus den Augen Alles glüht,
Nur eine Seele — nicht.

Ich liebe jeden Tanz, worin
Sich malt der Freude Spur;
Doch einen Tanz den lieb' ich nicht,
Den Tanz der Unnatur.

                        10.
Der Tanz bedünkt mich eine Schlacht. —
Gerüstet mit der Schönheit Macht,
Feldsträuß' in der Brust und im Haare,
So steh'n die erwartenden Paare.

Zu siegen im gewöhnten Spiel
Ist ihr Begehren, ist ihr Ziel;
Und wie nun der Schlachtruf erklinget,
Da geht's, wie vom Sturme beschwinget.

Da fliegt's hinab, da fliegt's hinauf,
Ein Ringen ist's, ein heißer Lauf;
Und Mancher ermüdet mit Bangen,
Und Manche fühlt sich gefangen.

Und wider Willen unbewußt
Entschlüpft so manches Wort der Brust,
Und Mancher muß sich ergeben,
Und bittet den Feind um das Leben.

Und wenn die wilde Jagd sich satt
Im Wechselkampf ermüdet hat,
Dann teilen erschöpft sich die Truppen
In friedlicher lispelnde Gruppen.

Dann wird oft hier ein Groll verscherzt,
Indes dort manche Wunde schmerzt;
Hier werden Pakte erneuert,
Dort stille Triumphe gefeiert.

Da, wie bei einem Überfall,
Klingt wieder plötzlich heller Schall,
Schon ballt es vom Neu'n sich zusammen,
Um wieder die Schlacht zu entflammen.

So geht es fort in bunter Hast,
Bald Kampf und Sieg, bald Ruh' und Rast,
Und mancher Held aus dem Heere
Verschwindet vom Felde der Ehre.

Doch wie die Nacht in einer Schlacht
Die müden Kämpfer ruhig macht,
Naht hier der Tag sich den Müden,
Und schließt beschwichtigend Frieden!

                    11.
Einen Fasching will ich halten.
In dem Raume meines Zimmers
Freudvoll zwar, doch fern dem Walten
All' des modisch eklen Flimmers.
Gar herzinnig liebe Gäste
Lad' ich mir zu diesem Feste,
Gäste, die mich gerne sehn,
Gäste, die mich ganz versteh'n!

Meinen Vater, den verblichnen,
Lad' ich ein von vollstem Herzen,
Mit dem Ernst, dem nie entwichnen,
Mit den väterlichen Scherzen.
O da wird es an Erzählen,
An Gespräch und Witz nicht fehlen,
Und vielleicht — im Saus und Braus, —
Schwatzt er was vom Jenseits aus.

Meinen Freund, den lieben, guten,
Bitt' ich, freundlich mitzukommen,
Ihn, den wider mein Vermuten,
Gott so bald zu sich genommen!
Schon in jugendlicher Blüte
Stand er da, voll Kraft und Güte,
Ach er war zu schön, zu gut, —
Gott muß wissen, was er tut!

Noch ein paar Gespielen werden,
Zu erscheinen, sich nicht sträuben;
Auch ein Mädchen, das auf Erden
Weder Anklang fand, noch Bleiben,
Auch dies Mädchen, einst die Quelle
Meiner ersten Liedeswelle,
Auch dies Mädchen lad' ich ein,—
Traurig soll mein Ball nicht sein!

Doch wen bitt' ich nur hernieder,
Daß er komm', uns aufzuspielen?
Wer versteht sich auf die Lieder,
Die uns nach dem Herzen zielen?
Lieblich ernst ist unsre Weise,
Unsre Saiten klingen leise,
Unser Takt, wie unser Herz,
Teilt sich zwischen Lust und Schmerz.

Ja — mein Schubert! — du verliere,
Liebend, dich zu uns herüber!
Setze du dich zum Klaviere,
Rausche, wie im Sturme, drüber;
Denn du weißt, wie wir es brauchen,
In den Walzer Ernst zu hauchen, —
Deiner Weisen Geisterschall
Taugt für unsren stillen Ball.

                      12.
Am Nil im Reich der Pharaonen
War auch die Freude nicht verbannt;
Man stritt sich um des Frohsinn's Kronen
Mit heitrem Blick, mit rascher Hand.

Man schenkte die kristallnen Becher
Mit Mareotiker sich voll,
Und munter sangen junge Zecher,
Indes der laute Reigen scholl.

Doch in des Saales tiefster Ecke
Saß ein geheimnisvolles Bild;
Verschleiert war's mit dichter Decke,
Und ward beim Abschied erst enthüllt.

Da zeigte sich ein Beingerippe,
Bekränzt mit Rosen Haupt und Brust,
Den Gästen, sonder Aug' und Lippe,
Vom Ernste pred'gend in der Lust.

So kommt auf unsre Fastnachtfreuden
Ein Tag, benannt nach jenem Rest,
Den einst, wenn wir von hinnen scheiden,
Uns jede Freud' als Erbteil läßt.

Als Warner sitzt der Tag im Winkel
Des hellen Saal's, der uns umgab,
Und ruft: "Bezähmt den Wonnedünkel:
Ihr tanztet über eurem Grab!"