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Gedichte
August Steigentesch

Frankfurt am Main 1808
bei Friedrich Willmans

Gedichte 1
 

Das Reich der Fabel
Vergangenheit
Freiwillige Knechtschaft
An Iris
Lucinde
Gute Nacht
An meinen Pfarrer
Amor
Lied
Warum?
Erinnerung
Der Müßiggang
Der Schmetterling

 
Der Troubadour
Die Menschenalter
Sonett
Mein Traum
Das Herz
Widerspruch der Liebe

 

Das Reich der Fabel
An ein Kind

Schnell durch das Leben flieht, im Kriege
Mit Wahn und Wirklichkeit, die Zeit,
Das sie, bekränzt von Sarg und Wiege,
Zum Schauplatz für die Fabel weiht.

Noch grüßt des Lebens schöner Morgen
Dein Auge, wie die Quelle rein,
Und freundlich wiegt der Kindheit Sorgen
Der Amme heitres Märchen ein.

Bald suchst du deinen Gott im Schoße
Der Wolke, die der Blitz durchbricht,
Wenn an dem Bach die Frühlingsrose
Dem finstren Irrtum widerspricht.

Dann führt dich in der Dichtkunst Hülle
Dein Herz, das für die Unschuld glüht,
Zum Feenmärchen der Idylle,
Das mit dem zwölften Lenz verblüht.

Der Vorzeit Heldenfabeln sprechen
Dann donnernd in des Jünglings Ohr,
Und aus der Hoffnung Knospen brechen
Die Märchen seines Glücks hervor.

Der kalte Ehrgeiz, den die Flamme
Des Mitleids nicht erwärmen kann,
Knüpft an die Fabeln seiner Amme
Das Märchen seiner Freundschaft an.

Der blasse Geiz spricht mit Entzücken,
Wie Geßner, von der goldnen Zeit,
Und schildert dir mit frommen Blicken
Das Märchen seiner Ehrlichkeit.

Und in des Lebens Bilderreihe,
Auf Amors weichen Lippen lacht
Das alte Märchen von der Treue,
Das vierzehn Tage glücklich macht.

So öffnet dir die Frühlingshore,
Die, Fabeln gleich, in Nacht zerfließt,
Der grauen Zukunft finstre Tore,
Die hinter dir die Vorzeit schließt.

Doch an der Zukunft öden Klippen
Schleicht kalt, gebückt, ein finstrer Geist
Der auf des Alters blassen Lippen
Der Dämon der Erfahrung heißt.

Den Wahn zertritt der Schonungslose,
Sein kalter Hauch zerstört das Glück.
Ach! er entblättert nur die Rose,
Und läßt der Reue Dorn zurück.

Dann rufen die entflohnen Horen:
Daß, im Palast, wie am Altar,
Das Glück des Weisen und des Toren
Nichts mehr als eine Fabel war.

Vergangenheit

Das Herz entflieht dem Sturm der Zeit,
Der rauh die Flügel dehnt,
Und lebt, wo die Vergangenheit,
Vom Lächeln und vom Gram geweiht,
Sich still an Gräber lehnt.

Der Knospe Schatten deckt den Raum,
Wo mich das Leben fand,
Wo rauschend, wie der Woge Schaum,
Der Kindheit Bild, des Knaben Traum
Dem Glücklichen entschwand.

Ein Kranz verwelkter Rosen deckt
Das freundliche Gebiet,
Wo, von der Nachtigall geweckt,
Die erste Liebe träumt und neckt,
Und Träumen gleich entflieht.

Das Immergrün der Freundschaft kränzt
Dort unverwelkt ein Grab;
Die Lücke steht noch unergänzt,
Durch die der Reiz des Himmels glänzt,
Den sie dem Leben gab.

Und Grab an Grab gelehnt, verhüllt
Der Träume Feenland,
Wo einst das Sehnen, ungestillt,
Der Wunsch, erfüllt und unerfüllt,
Und Wahn und Gram entstand.

Des Lebens trübe Woge schäumt
Jetzt brausend um mich her.
Was ich geliebt, gehofft, geträumt,
Die Aussaat meiner Wünsche keimt
Im kalten Herbst nicht mehr.

Entflohnes Bild von Freund und Glück,
Sei weinend mir gegrüßt!
Dich ruft der Mensch umsonst zurück,
Bis trübe sich der müde Blick
Zum Wiedersehen schließt.

Freiwillige Knechtschaft
Sonett

Froh und ruhig lebt' ich und Amande,
Unsren Freuden wohnte Amor bei.
Frohsinn knüpfte bald der Eintracht Bande,
Flattersinn riß dieses Band entzwei.

Ich bewies mir selbst, daß Knechtschaft Schande,
Und die Freiheit groß und göttlich sei.
Launig trotzt' ich, lächelnd floh Amande,
Und ich weinte, denn ich wurde frei.

Einsam ging im Schatten junger Flieder
Einst Amande, wo ich weinend lag,
Und sie nickte freundlich: Guten Tag!

Ich sah auf, sie sah zur Erde nieder,
Schüchtern naht' ich, liebte, küßte wieder.
Werde frei, wer elend werden mag!

An Iris

Vom Hügel rollt ein Blütenregen,
Die Rose weckt der Frühlingshauch,
Er lispelt uns aus jedem Strauch,
Wo sich des Lebens Pulse regen,
Im Lied der Nachtigall entgegen,
Er murmelt mit dem Felsenbach,
Auf dem sich Licht und Schatten wiegen,
Und tausend kleine Leben fliegen
Dem heißen Strahl der Sonne nach.

Doch auf des Lebens wilden Wogen
Gehört oft nur ein Augenblick
Für Wunsch und Herz, für Wahn und Glück;
Und ist der Augenblick entflogen,
So ruft ihn selbst kein Gott zurück.

Der Traum entflieht, der Wahn zerfällt,
Auf der Erfahrung reifen Garben,
Die Wirklichkeit mit welken Farben
Ersetzt der Täuschung heitre Welt;
Und nur im Kreise der Gestalten,
Mit denen uns der Lenz umzieht,
Lernt man die Freude festzuhalten,
So lang das heitre Leben blüht.

Vom grauen Felsen fällt der Bach
In Flora's weiche Arme nieder,
Er sucht das Tal, und flieht es wieder,
Und stürzt des Stromes Wellen nach.
Der Morgenwind entschlüpft der Rose,
Dem Winde folgt der Schmetterling,
Die Biene summt aus ihrem Schoße,
Und sucht den Veilchenkranz im Moose,
An dem der Kuß des Zephyrs hing.
Die rasche, flatternde Libelle
Umschwärmt den Bach, die Flur, den Hain,
Und hundert Bilder saugt die Welle
Mit silberhellen Augen ein.

Der Strauch, der auf der Winde Flügel
Das welke Blatt der Blüten streut,
Die Blume, die am grünen Hügel
Sich an den Kranz des Frühlings reiht,
Enthalten das Gesetz der Zeit,
Die stets vernichtet und erneut,
Das Bild des Glücks, des Lebens Spiegel,
Den Reiz der Unbeständigkeit.
Sie flieht des Grames finstre Schlingen,
Erscheint, entschlüpft bald hier, bald dort
Und trägt auf ihren leichten Schwingen
Den schönsten Traum des Lebens fort.

Laß uns zu jener Stelle eilen,
Wo uns der Gott der Liebe fand.
Der Buche Dach, der Laube Wand
Verbarg uns vor der Sonne Pfeilen,
Doch nicht vor denen, die der Hand
Des Kleinen, den du kennst, enteilen,
Der uns in Flora's Arm verband.
Auf hundert Wellen floß im Bach
Mein Bild in Deinem Bild zusammen,
Und unsre heißen Blicke schwammen
Dem Sinnbild innrer Wünsche nach.
Nie kühlt ein Bach des Herzens Flammen.
Die Wange glüht', das Auge sprach,
Wir ahmten bald die Bilder nach;
Und an des Ufers Moosgestein,
Den Blick an Deinen Blick gebunden,
An Dich gedrückt, von Dir umwunden —
So schwur ich ewig Dein zu sein.

Dem unsre Herzen angehören,
Er sieht die Ewigkeit vergehn,
Und lächelt, wenn die Toren schwören,
Die noch sein Lächeln nicht verstehn.

Die Blumen schwanden mit dem Weste,
Die Nebel schlichen durch den Hain,
Und in des Anstands Formen preßte
Die enge Stadt die Herzen ein.
Wie schüchtern und wie ängstlich schlich
In krummen, weitgedehnten Bogen,
Von keinen Karten angezogen,
Aus der Gesellschaft lauten Wogen,
Mein Blick empor und suchte Dich.
Ein leiser Wink, ein Druck der Hand,
Versteckt gegeben und empfangen,
Die helle Sprache Deiner Wangen
Verriet mir, was Dein Herz empfand.
О schöne Sprache, heitre Stunden,
Wo immer fordernd, ungewiß,
Und immer suchend, nie gefunden,
Und schnell entstanden und verschwunden,
Das Glück sich meinem Arm entriß.

Doch endlich schien die Qual zu enden,
Des Zwanges Fesseln brach die Zeit:
Es winkte mir mit weichen Händen
Die freundliche Gelegenheit.
Wie sank die Brust mit heißen Schlägen
Der Brust des Liebenden entgegen!
Wie wurden Kuß und Schwur erneut,
Und von der Küsse heißem Regen
Die letzte Spur des Grams zerstreut!
Heiß fühlt' ich Lipp' an Lippe glühen,
Ich wurde kühn, Dein Blick verzieh;
Wie Hebe jung, und schön wie sie,
Sah ich den Reiz des Lebens blühen;
Nie, rief ich, soll der Zauber fliehen.
Und schwach und stammelnd riefst Du: nie!
Ach, der allmächtigste der Götter
Ist dieser finstre Gott der Zeit,
Sein Hauch verweht, wie welke Blätter,
Ein Nie und eine Ewigkeit.

Das Glück verschwand und kehrte wieder,
Es zog wie Bienen aus und ein,
Und brennend sah die Sonne nieder,
Der Himmel lachte hell und rein,
Die Lerche stieg, die Schwalben flogen,
Es wälzten sich des Laubes Wogen
Mit leisem Flüstern durch den Hain.
Wie froh das Herz der Stadt enteilte!
Wir stürmten fort mit wilder Hast,
Das Glück ward ein gewohnter Gast,
Der jede Stelle mit uns teilte.

Doch immer träger ward sein Gang.
Wir flogen, wie des Zephyrs Wehen,
Kalt blieb es in der Ferne stehen,
Und klagte über Druck und Zwang.
Dann fing der liebe, gute Gast
An, über Müdigkeit zu klagen.
Es war ein Bild aus bessern Tagen,
Das nicht mehr für das Leben paßt;
Und in des Haines dunkeln Zelten
Ward endlich sein Besuch so karg,
Und endlich kurz und endlich selten,
Daß es sich oft in bessern Welten
Auf Wochen lang vor uns verbarg.
Dann kam es ohne Glut und Feuer,
Die heiße Sehnsucht war verdrängt,
Als wenn der Winter seine Schleier
Erstarrend um die Sonne hängt.
Es lag an der Gewohnheit Kette,
Blaß, mürrisch, finster, abgespannt,
Und wer es so gesehen hätte,
Der hätte ganz gewiß, ich wette,
Wohl nie in ihm das Glück erkannt.

Ach, aus des Herzens heißer Flamme
Reißt sich ein Kind der Liebe los,
Der Überfluß ist seine Amme,
Und Zeit und Liebe zieht es groß.
Ihm hat bei Amors schlauem Siege,
Sobald der Überwundne fällt,
Das strenge Schicksal seine Wiege
Nah an dem Glücke hingestellt.
Kein Wunsch belebt des Kindes Seele,
Kalt, finster, schläfrig steht es da,
Das Auge starrt aus seiner Höhle,
Das nie der Freude Lächeln sah.
Ihn drücken der Gesellschaft Bande,
Ihn reizt kein Blick, ihn lockt kein Kuß
Ihm lacht kein freundlicher Genuß,
Es lebt und gähnt in jedem Lande
Und heißt bei uns: der Überdruß.

Wie oft einschleicht uns jetzt am Bach
Die Zeit mit mattbewegten Schwingen!
Wir sehen Well' an Welle ringen,
Die Welle Bild in Bild verschlingen,
Und keiner ahmt die Welle nach.
Wie traurig liegt vor unsern Blicken
Das Land der Zukunft ausgedehnt!
Wir träumten dann von dem Entzücken,
Das hier das Herz zu finden wähnt,
Den Rücken an des andern Rücken,
Gleich kranken Stämmen, angelehnt.
Die Rede kalt und abgebrochen,
Ein Mund, der gähnend Treue schwört,
Ein Lächeln, das nicht mehr betört,
Ein Wort der Liebe, schnell gesprochen,
Und still und schläfrig angehört,
Ein Herz, dem Wunsch und Gram entkeimen
Der Blick auf eine beßre Zeit,
Der Schlaf, der von den finstern Bäumen
Die stärksten Schlummerkörner streut,
Und, wenn auch laut die Wellen schäumen
Den Mohn, der ihm entfiel, erneut,
Das ist von allen unsern Träumen
Die herbe Frucht der Wirklichkeit.

Siehst Du den Lauf von jenem Flusse,
Um den die Winde brausend wehn?
Ach, er entflieht dem Überdrusse,
Im Felsenbette stillzustehn.
Des Starken wilde Fluten schwellen,
Kein Sturm entreißt ihn seinem Lauf,
Er nimmt im Spiegel seiner Wellen
Des Wechsels heitre Bilder auf,
Wie freudig folgt das Herz den Winken
Der freundlich warnenden Natur!
Denn stets aus einem Becher trinken
Der Ekel und die Armut nur.

Du bleibst, wo auf der Lauben Dach
Sich Schmetterling und Biene wiegen;
Dort, wo die blauen Schwalben fliegen,
Eil' ich dem Flug der Schwalbe nach.
Der Sturm verscheucht des Haines Lieder,
Das Werk der Ruhe ist vollbracht.
Uns winkt die Stadt, wir sehn uns wieder;
Des Wechsels bunte Farbenpracht.
Der Mode schillerndes Gefieder,
Des Anstands ernste, strenge Macht;
So glücklich für das Herz erdacht,
Weckt dann der Sehnsucht Flammen wieder.

Dein helles, blaues Auge lacht
Dann sanft auf meine Bitten nieder,
Dann flieht der Schlaf, wir sind erwacht —
Nicht wahr, Geliebte?

                                         Gute Nacht!

Lucinde

Tauben girrten
Unter Myrten;
Bienen schwirrten
Aus und ein.
Käfer schwebten
Im belebten
Blütenhain.
Leise bebten
Abendwinde
Durch das Gras,
Wo Lucinde
An der Linde
Träumend saß.
Vögel sangen,
Rosen schlangen
Wankend sich
Um die Linde,
Wo Lucinde
Floren glich.
Dorn' und Schlehen
Bargen mich;
Ungesehen
Streut' ich Schlehen
Auf Sie hin.
"Liebe wachend"
Rief ich lachend:
"Träumerin!"

Ängstlich blickte
Sie zurück;
Unterdrückte
Liebe schmückte
Ihren Blick.
Schnell zur Seite
Saß ich ihr;
Amor freute
Sich mit mir.

Veilchendüfte
Mischen sich
Mit der Lüfte
Hauch für dich.
Zweige streuen
Blütenschwer
Ihre neuen
Schätze leer.
Kühle fächelt,
Liebe lächelt
Um dich her.
Sieh, wie lose
Sich der West
Hier im Schoße
Einer Rose
Niederläßt.

Hält ihn lange,
Fragt' die Lose,
Eine fest?

Deine Wange,
Schwärmerin!
Lenkt den losen
Schmeichlers Kosen
Von den Rosen
Zu dir hin.
Aber blicke
Rund um dich,
Wurm und Mücke
Freuen sich.

Sieh! im Grünen
Summen Bienen,
Sammeln süße
Küsse ein.
O genieße!
Lenz und Freude
Sind doch dein.
Laß uns beide
Hier im Grünen,
Gleich den Bienen,
Glücklich sein.
Liebe bindet,
Rief sie schnell,
Freiheit gründet
Unser Glück.
Rein und hell,
Wie der Quell,
Bleibt ihr Blick.
Liebe schwindet
Wie ein Traum,
Treue findet
Eine kaum.
Bald sind Lenze
Hingeglüht,
Blumenkränze
Bald verblüht,
Bald das Grüne
Blumenleer,
Und die Biene
Summt nicht mehr.

Mag der Jugend
Reiz vergehn,
Geist und Tugend
Bleiben schön.
Unerschrocken
Wirst du sehn,
Wie der Flocken
Sturm und Zeit
Deiner Locken
Gold entweiht.
Geist, Empfindung,
Phantasie,
Die Verbindung
Altert nie.

Heller glühte
Ihr Gesicht,
Ernst und Güte,
Furcht, Verlangen
Kämpften, rangen,
Siegten nicht.
Aufwärts strebten
Blick und Brust,
Im belebten
Auge bebten
Schmerz und Lust.
Bienen summten
Schon nicht mehr
Im verstummten
Hain umher.
Düster hingen
Abendschatten
Um die Matten,
Zephyrs Schwingen
Ruhten schon,
Als der bange
Leise Ton,
Als der Wange
Widerstreben,
Als das Beben
Ihrer Hand
In der meinen,
Liebe! deinen
Sieg gestand.

Gute Nacht

Mensch, dem Arm des Schlummers übergeben,

Gute Nacht!
Zwischen Wahn und Tränen liegt das Leben,
Und die heitren Tage hier entschweben,
Wie das Glück, das uns im Traume lacht.
Gute Nacht!

Freundlich schließt die Zeit den Blick des Müden,

Gute Nacht!
Von dem Leben durch den Schlaf geschieden,
Gibt die Nacht der Seele ihren Frieden,
Die der Dorn der Reue bluten macht.
Gute Nacht!

Schiffer auf des Lebens dunkeln Wogen,

Gute Nacht!
Ruhig ist des Tages Sturm entflogen,
Und das Auge, von dem Wahn betrogen,
Schließt sich, wenn die Sorge nicht mehr wacht.
Gute Nacht!

Ruhet sanft nach Stürmen und nach Sorgen,

Gute Nacht!
In dem Hafen liegt das Schiff geborgen,
Und es kommt ein Leben und ein Morgen,
Wo der müde Schläfer froh erwacht.
Gute Nacht!

An meinen Pfarrer

Du Patriarch der kleinen Herde,
Die dir das Schicksal übergab,
Wie blüht um deinen Hirtenstab
Des Lebens Schauplatz, diese Erde!
Bald, wenn sich um des Winters Grab
Der Schwalbe dunkle Flügel schwingen,
Hat mich der Lenz mit dir vereint,
Wo durch das Laubnetz der Syringen
Die Frühlingssonne milder scheint;
Wo auf des Feldes grünen Wellen
Der laue Morgenwind sich wiegt,
Des Apfelbaumes Knospen schwellen,
Die Bienenwelt aus ihren Zellen
Um Flora's bunte Kinder fliegt.
Dort, Priester, prägt sich deine Lehre
Der Erde, wie dem Menschen, ein;
Aus gelbem Sande steigt die Ähre,
An rauhen Felsen reift der Wein.
Du weckst den Mut, du hebst den Schwachen
Zu dem empor, der prüft und wägt,
Und zeigst ihm, wie den morschen Nachen,
Von ihm beschirmt, die Woge trägt.
Da, wo das Herz des Kindes schlägt,
Hat es mit weichen Mutterarmen
Des Mitleids Schwester, das Erbarmen,
An dieses Vaters Herz gelegt.

О Freund, an unsrem kleinen Herde,
An dem das Mitleid hilft und wacht,
Entflieht der Gram, das Kind der Nacht,
Hier wird die Meinung weggelacht,
Die den Gebieter dieser Erde
So oft zu ihrem Sklaven macht.
Sie weckt des Streits entschlafne Нуder,
Am Genfersee, im Vatikan;
An ihren Flammen zündet wieder
Die Zwietracht ihre Fackel an.
Sie hat, vom Geist der Zeit beschützt,
Im Schwärmer und im Bösewichte
Des Hasses Adern aufgeritzt;
Ein jedes Blatt der Weltgeschichte
Ist heiß von ihr mit Blut bespritzt.

Was ist der Glaube, Freund? ein Bild
Des Unerschaffnen, Unsichtbaren,
Der war, eh' Sturm und Sonne waren,
Wie sein Erbarmen, groß und mild?
Der, dessen Wink den Blitz entzündet,
Die Wolken um den Ätna schlingt,
Das Meer an seine Ufer bindet,
Das brausend mit den Fesseln ringt?
Und dessen Hauch im Weste fächelt,
Im Lenz der Quelle Fesseln bricht,
Der aus des Frühlings Blumen lächelt,
Und in des Haines Liedern spricht?

Ein Gott ist dreifach, lehrt der Glaube
Dies dreimal Eins umhüllt die Nacht,
Ein Sohn, ein Vater, eine Taube,
Das ist die Drei, die eines macht.
Der Geist, der klügste von den dreien,
Läßt oft die andern zwei allein,
Und kehrt auf seinen Streifereien
Bei einer frommen Jungfrau ein.
Der Menschheit Sünden zu verzeihen,
Muß unser Gott ein Sünder sein.
Neun Monate sind kaum vergangen,
So ringt im Stall, auf ihrem Schoß,
Der kleine Gott, vom Geist empfangen,
Sich von dem Mutterherzen los.
Der arme Joseph sieht betäubt,
Mit starrem Blick und heißen Wangen,
Die Mutter an, die Jungfrau bleibt,
Und des Verdachtes Nattern wecken
Die Mordlust auf; die Mutter flieht,
Den Säugling an der Brust zu decken;
Der Knaben Röcheln, Wut und Schrecken
Sind dieses Gottes Wiegenlied.

Und was hat dieser Gott gegeben?
Das freundliche Elysium,
Zu dem die Schatten still entschweben,
Die Mythen, die den Baum beleben,
Der Quelle Sinn und Sprache geben,
Stürzt seine Lehre finster um.
Der Mörder würgt an seiner Wiege,
An seinem Grabe hat die Zeit,
Der Wahn, der Haß und ihre Siege,
Ein Heldenvolk dem Tod geweiht.
Bild dieses Gottes, о entfliege
Zum Strome der Vergessenheit!

Der Wilde betet zu dem Lichte,
Das ewig auf- und niedergeht,
Um das in ihrem Gleichgewichte
Sich sein Altar, die Erde, dreht.
Kalb, Zwiebel, Schlange, Feuer, Taube,
Bald Holz, bald Stier, bald Krokodil,
Nie stand der finstre Aberglaube
Im Wechsel seiner Götter still.
Der Kanibal, der christlich betet,
Gießt Gottes Blut in seinen Wein;
Kaut seinen Gott, aus Mehl geknetet,
Und schlürft sein Blut mit Wollust ein.
Und dieser Märchen dunkeln Sage,
Den trüben Bildern dieser Nacht,
Hat noch kein Morgenrot gelacht?
Du großer Lenker unsrer Tage,
Wie klein hat dich der Mensch gemacht!

Brächt' eine Meinung den Gewinn,
Den Gram des Leidenden zu stillen,
Wir zögen schnell in Pilgerhüllen,
Wohin sie ruft, um ihretwillen
Nach Rom, nach Genf, nach Mekka hin.
Wir knieten bei Loretto's Kerzen,
Wir fanden auch im Alkoran
Den großen Prüfer unsrer Herzen,
Und würden mit verbißnen Schmerzen
Zum Juden und zum Muselmann.

Zwar wird die Andacht uns verdammen,
Die kindlich noch am Lied der Ammen
Und an des Priesters Märchen klebt,
Und lieber in der Hölle Flammen,
Als duldend ohne Teufel, lebt.
Der fromme Bischof dick und schwer
Wird seine Hand zum Fluch erheben,
Und keiner hat so Recht wie er;
Denn unsre Lehren, Freund, vergäben
Längst in der Welt kein Bistum mehr.
Vielleicht an unseren Gebeinen
Rächt sich die Andacht. Ohne Stein
Und ohne Kreuz, im finstern Hain,
Scharrt sie der Fluch des Bischofs ein;
Doch wenn die Armen um uns weinen,
Wie leicht wird unser Schlummer sein!

Amor
Nach einem Gemälde

Mit dem Blick, der Götter überlistet,
Stark und schlau, dem Herzen immer nah,
Seinen Bogen straff, zum Sieg gerüstet,
Steht der Gott verwandter Seelen da.
Freundlich winkt er, Mund und Auge lacht —
Mädchen, nimm das weiche Herz in acht!

Wer entfloh des Überwinders Pfeilen?
Und noch rauscht sein Köcher schwer und voll.
Suche nie das Herz durch ihn zu heilen,
Er verwundet, wenn er heilen soll.
Gram, der unter Blumen schläft, erwacht.
Mädchen, nimm das weiche Herz in acht!

Siehst du seine angespannten Schwingen?
Keine Blumenketten binden ihn;
Wenn des Mädchens Arme ihn umschlingen,
Sinnt er schon auf Mittel zu entfliehn,
Und das Opfer — weh dir — ist vollbracht.
Mädchen, nimm das weiche Herz in acht!

Suchst du ihm die Schwingen zu beschneiden?
Auch die kurzen Flügel ruhen nie.
In Palästen, unter grünen Weiden,
Selbst in deinen Armen wachsen sie.
Amors Freuden tötet der Verdacht,
Mädchen, nimm das weiche Herz in acht.

Naht er uns, so schleichen Furcht und Schmerzen,
Seine Boten, finster vor ihm her;
Flieht er uns, so weht an wunde Herzen
Nie der Rosenhauch der Freude mehr.
Widerspruch, der uns so elend macht!
Mädchen, nimm das weiche Herz in acht.

Willst du dich von seinen Qualen retten?
Ach! sie enden im Gebiet der Pflicht.
Liebe stirbt in selbstgeschaffnen Ketten;
Hymen duldet Amors Nähe nicht.
Ihn entführt der Zauber einer Nacht,
Nimm dich vor dem Flüchtigen in acht!

Lied

Wir gingen Beide Hand in Hand,
Ihr Auge sprach, was ich empfand,
Es kämpft auf ihren Wangen
Verwirrung und Verlangen.
Gott Amor folgte Schritt vor Schritt,
Sie seufzte still, ich seufzte mit,
Und Nachtigallen sangen.

Jetzt suchte sie zum Busenstrauß
Vergißmeinnicht und Veilchen aus,
Ich bückte mich und drückte
Die Hand, die Blumen pflückte.
Sie zog die Hand beschämt an sich,
Errötend fragt' ich: Liebst du mich?
Sie schwieg, ward rot, und nickte.

Warum?

Am Quell auf der Höhe,
Da lieg' ich im Grase oft still und allein,
Und träume dann glücklich und mächtig zu sein,
Und was ich im Tale und rund um mich sehe,
Das wird im Genusse der Gegenwart mein,
      Am Quell auf der Höhe.

Am Quell auf der Höhe,
Da lieg' ich am Morgen auf Blumen gestreckt,
Von fallenden Blättern und Blüten bedeckt,
Da sinn' ich und träum' ich, und lausche und spähe,
Wie Liebe den schlafenden Schmetterling weckt
      Am Quell auf der Höhe.

Am Quell auf der Höhe,
Da wird im Gebüsche die Nachtigall laut,
Da wird man so still mit dem Herzen vertraut.
Wie gern man auf immer den Städten entflöhe!
Wenn Täuschung sich fröhlich ihr Hüttchen erbaut
      Am Quell auf der Höhe.

Am Quell auf der Höhe,
Da möcht' ich im Hüttchen mein Lebenlang sein,
Doch wär' ich nicht gern in dem Hüttchen allein.
Wenn jemand im Tale mein Plätzchen hier sähe,
Was würde mir dann erst dies Plätzchen hier sein
      Am Quell auf der Höhe!

Am Quell auf der Höhe,
Da sitz' ich dann sinnend und einsam und stumm,
Und gucke begierig im Tale herum,
Und rauscht es, so beb' ich wie schüchterne Rehe,
Und frage mich selber dann lächelnd, warum?
      Am Quell auf der Höhe.

Erinnerung
An Lydia

Im Ulmenhaine, wo mich ernst und düster
Die Wehmut oft an deinem Arm beschlich,
Wandl' ich allein. Im leisen Blattgeflüster
Ahnt meine Seele dich.

Den Hain, in dem sich Tag und Dunkel gatten,
Durchrauscht ein Quell, vom Geißblatt überwebt;
Dein Bild umschwebt den Quell, sanft wie ein Schatten
An Lethes Ufern schwebt.

Des Lebens oft empörte Stürme schweigen;
Sanft wie der Mond, verhüllt sie hier die Nacht,
Wenn Philomele in den stillen Zweigen
Des dunklen Hains erwacht.

Verblühte Bilder früher Tage keimen
Im zarten Grau der Dämmerung empor,
Die Hoffnung hält mir unter Feenträumen
Der Zukunft Blüten vor.

Dann träum' ich mich zum fernen Seegestade
Im Dämmerlicht an deine Seite hin;
Die Täuschung flieht. Der Spiegel der Najade
Sagt, daß ich einsam bin.

Und einsam streu' ich Blumen auf die Quelle
Zum Totenopfer dir, Vergangenheit!
Und weinend wird der Wehmut diese Stelle
Zum Tempel eingeweiht.

Der Müßiggang
An —

Umflüstert von des Haines Stimmen,
Auf dessen Laub, vom West bewegt,
Der Käfer und die Biene schwimmen,
Der Schmetterling die Flügel regt,
Beim leisen Ton der Nachtigallen,
Die liebeseufzend über mir
In Blütenwolken sanft verhallen,
An Flora's Busen schreib' ich Dir.

О fühl' es, Lieber, daß ich hier
Für Dich dem Vorsatz untreu werde,
Der mich in diese Stille zog.
Die Liebe, die mir Treue log,
Die Hoffnung, die auf jeder Erde,
Aus jedem Halme Honig sog,
Und stets versprach und stets betrog,
Der Wahn, der mich von meinem Herde
Einst in die weite Ferne zog,
Der Jugend schöner Traum entflog.

Doch blieb mir, was ich zu erhalten
Vergebens unter Stürmen rang,
Als noch in wechselnden Gestalten
Das Leben meine Zeit verschlang,
Das Glück, dem hier im Schattengang
Der Stunden Flügel sich entfalten,
Das selten noch ein Lied besang,
Des Weisen Glück, der Müßiggang.

Des See's stille Silberflut,
Auf der im Strahl der Abendglut
Das Bild der schwärmenden Libelle,
Das Sinnbild meiner Jugend ruht,
Malt Dir des Lebens heitre Stelle,
Wo mich die Ruhe sanft umschlang.
Fern von des Gießbachs Schaum und Welle
Die zürnend über Felsen sprang,
Hier, bei der Lerche Frühgesang,
Wo mich der Kindheit Bilder grüßen,
Hier will ich meinen Pilgergang
Im Lande der Erfahrung schließen.
Wein großer Zweck ist, zu genießen,
Und mein Genuß heißt Müßiggang.

Wie viele heitre Augenblicke,
Der Hoffnung und dem Wahn geweiht,
Wie manchen Traum von seinem Glücke
Verliert der Mensch durch Tätigkeit?
Ihr fließt die Träne schon im Kinde,
Laut stürmt der Knabe, wie der Bach,
Bald hüpft er, wie dem Morgenwinde,
Gigantischen Entwürfen nach,
Und um die Seele weich und schwach
Zieht die Erfahrung ihre Rinde,
Und spät erst fällt des Irrtums Binde.
Dem Weisern winkt der Heimat Dach.
Den Wellen und dem Sturm entrissen,
Vom Kampf ermüdet, sucht er nun
Der stillen Ruhe weiches Kissen,
Und seine Kunst ist: nichts zu wissen,
Und seine Weisheit: nichts zu tun.

In jenem Blumental begann
So still und friedlich einst mein Leben,
Mich zog im Schatten jener Reben
Die Welt mit tausend Armen an.
Und froh und freundlich sah ich dann
Die heitre Zukunft näher schweben,
Die mir aus himmlischen Geweben
Die weiche Hand der Hoffnung spann.
Da flatterten, wie junge Raben,
Die ersten Sorgen aus und ein.
In einer Schule Nacht begraben
Hieß mich ein Kautor ruhig sein.
In Ohren und auf Rücken sank
Der rauhe Maßstab für das Schöne,
Die Birkenrute lang und schlank,
Der Christenlehre fromme Töne,
Der Ton gepeitschter Musensöhne
Mit mir auf einer Bretterbank,
Wo ich das Wasser der Camöne
Vermischt mit meinen Tränen trank.
Da lernt' ich erst die Stunden messen,
Und lernend hat der kleine Christ
Drei trübe Jahre durchgesessen,
In einer Welt, wo das Vergessen
Weit schwerer als das Lernen ist.

Bald klopften meine Pulse stärker,
Wie wurde mein Plutarch mir wert!
Und Mars zerbrach der Schule Kerker,
Und reichte mir ein Heldenschwert.
Begeistert nahm ich es und faßte
Ein schwaches Ding, zwei Schuhe lang,
Um das sich eine goldne Quaste
Recht zierlich und recht glänzend schlang.
Bald hatten Elle, Maß und Schere
Mich Cäsars Helden angereiht,
Bald nahm der enge Rock der Ehre
Mir Atem und Beweglichkeit.
Wie Felsen starrten meine Locken,
An die der Sturm vergebens blies,
Auf die sich, wie Dezemberflocken,
Die Puderwolke niederließ,
Und keuchend trat ich an den Spiegel,
Gepreßt und zitternd fragt' ich da,
Ob wohl der Held in Afrika
Mit einem solchen Puderhügel
Dem Punier entgegen sah?

Da rief der Ruhm, und donnernd brüllte
Mit weitem Schlund die Schlacht um mich.
In graue, finstre Wolken hüllte
Hier würgend das Verderben sich.
Der Tod zerriß die Menschenwogen
Wie Halme, die der Sturm zerbrach,
Und der Verwüstung Schrecken flogen
Dem Donnerton des Ruhmes nach,
Und auf dem Felde, wo zuvor
Die Freunde und die Feinde sanken,
Stieg Weihrauch und Gesang empor,
Dem Wesen über uns zu danken,
Das, mild wie Sonnenschein und West,
Voll Vaterhuld bei unsern Klagen,
Die Feinde meines Herrn erschlagen
Und Dorf und Stadt, das Schlangennest,
Aus dem die jungen Nattern ragen,
Mit seiner Brut verbrennen läßt.

Bald ward das weite Bett der Ehre
Von Lorbeern und von Leichen leer,
Der goldne Friede flog daher,
Und freundlich winkte mir Cythere.
Wer, weicher Schwärmer, hat noch nicht
Das Gift aus ihrem Mund gesogen,
Der lächelnd uns das Glück verspricht?
Wem ist dies Glück nicht oft entflogen,
Wen hat die Treue nicht betrogen,
Und wer betrog die Treue nicht?
Wer kennt nicht alle Kleinigkeiten,
Die nur der Reiz der Liebe hebt?
Ihr unbestimmtes Maß der Zeiten,
Die Stürme, die den Tag begleiten,
Der eine Ewigkeit begräbt?
Ach Gott, wie viele Ewigkeiten
Hab' ich in einem Jahr erlebt!

Jetzt lach' ich hier, dem Sturm entrissen,
Der Torheit, die mein Lenz gebar,
Wo ich, trotz meinem bessern Wissen,
Betrogen und Betrüger war.
Ist das mein Bild, das unverrückt
Dort, gleich der lauernden Hyäne,
Fest auf des Spielgotts Klauen blickt,
Und alle zwei und dreißig Zähne
Verzweifelnd in die Karte drückt?
Bin ich es, den das Haupt gebückt,
Des Neides gelbe Wespen stechen,
Wenn es Athleten kämpfend glückt
Die finstre Bahn des Glücks zu brechen,
Die sie dem Throne näher rückt?

О lenke freundlich Deinen Nachen
Dem Hafen zu! Der Gemsensprung
Des blinden Zufalls weckt das Lachen,
Das Lachen macht uns froh und jung,
Und zahm wie Lämmer sind die Drachen
Im Spiegel der Erinnerung.

Genieße, Freund! der Lenz verglühte,
Des Wahnes Farbenstaub zerfällt,
Dir blieb des Lebens reinste Blüte,
Das Nichtstun, die des Schicksals Güte
Nur finstern Toren vorenthält.
Nicht jeder weiß sie hier zu finden.
Wo sich im West, beim Abendschein,
Des Epheus Ranken um die Linden,
Wo rot und blühend um den Hain
Sich Flora's weiche Arme winden,
Und sich im freundlichen Verein
Gefühl und Heiterkeit verbinden,
Blüht sie dem Weisen nur allein.
Die süßen, lieben, kleinen Sünden,
Die auch nicht ganz im Alter schwinden,
Schließt freundlich dieser Bund mit ein.

Der Schmetterling

Laue Winde wecken dich. Entfliege
Deinem Kerker, der dich kalt umgab!
Knospen öffnen sich an deiner Wiege,
Und das Veilchen schmückt des Winters Grab.

Glücklicher! die raschen Flügel schweben
Leicht durch deines Lebens Sommertag.
Flora's bunter Kranz umblüht dein Leben,
Das, als Keim, an ihrem Busen lag.

Wenn die Schnitter Ceres Fluten binden,
Schwärmst du um die goldnen Wellen her,
Und des Herbstes rauhe Lüfte finden
Dich auf der verblühten Flur nicht mehr.

Wohl dem Wesen, das mit seinem Glücke,
Wenn es flieht, zu Lethes Ufern schwebt,
Und, wie du, nur wenig Augenblicke,
Nie des Lebens Blumen überlebt.

Der Troubadour

Am Quell, vom Tage matt beschienen,
Saß Ritter Raymond, kalt und wild;
Blaß, wie der Burggeist in Ruinen,
Schwamm auf dem Felsenquell sein Bild.
Da lispeln sanft der Harfe Saiten,
Im Liede weht ein weicher Sinn,
Und des Gesanges Töne gleiten
Wie Wellen über Blumen hin.

     Die Vorzeit flüstert durch die Lieder,
     Ein Geisterlaut umschwebt sein Ohr,
     Der Schrecken sträubt sein Haar empor
     Und drückt den Blick zur Erde nieder.

Die sanfte Sprache der Gefühle
Wird jetzt auf jeder Saite wach,
Des Morgens Traum, der Kindheit Spiele,
Ahmt schwach und stark die Saite nach.
Die halbgedämpften Töne beben,
Wie durch das Laub der West im Mai;
Der Kindheit goldne Träume schweben
Im Spiegel des Gesangs vorbei.

     Der schöne Traum, zu früh vergangen,
     Hat sanft des Ritters Herz erreicht,
     Ein mattes, kaltes Lächeln schleicht
     Auf die vom Gram gebleichten Wangen.

Jetzt klagt hier, wie der Welle Tosen,
Bald schwach, bald stark, mit leisem Schwung,
Die Sehnsucht um verblühte Rosen,
Im Echo der Erinnerung.
Der Ton, gleich scheidenden Gewittern,
Verhallt nun sterbend, dumpf und schwach;
Die Saite ahmt mit leisem Zittern
Den süßen Tod der Freude nach.

     Der Vorzeit blasse Nebel sinken,
     Der Freude heitres Bild erwacht,
     Die Liebe ruft, das Leben lacht,
     Und des Genusses Horen winken.

Dem Arm der Freude schnell entrissen,
Erhebt sich dumpf das Lied der Schlacht,
Die Erde wird des Todes Kissen,
Das Blut und Wunde schrecklich macht.
Die Harfe schweigt. In ihren Pausen
Verblutet röchelnd sich der Held,
Und wie des Meeres Wogen brausen
Die Töne durch das Leichenfeld.

     Des Ritters blasse Wangen färben
     Sich brennend wie das Abendrot,
     Sein Auge rollt, es sucht den Tod,
     Umdonnert von der Schlacht zu sterben.

Der Harfe Stürme rauschen wilder,
Das Siegel springt am Grab der Zeit,
Der Sturm des Sängers weckt die Bilder
Im Nebel der Vergangenheit.
Dumpf rauscht in jedem Grabe Leben,
Wie in der Felsenkluft der Nord.
Des Sängers blasse Lippen beben,
Sein Stammeln malt den Brudermord.

     Die Wangen, wildentbrannt, verglühen,
     Im Auge rollen Schuld und Haß.
     "Laß", ruft der Ritter leichenblaß,
     "O laß das Bild vorüberfliehen!"

Da flüstern leise durch die Saiten
Der Hoffnung süße Töne hin.
Sanft wie des Schicksals Faden, leiten
Sie in den Arm der Trösterin.
Kühn trotzt der Mörder den Gesetzen,
Ihn lenkt das ewige Geschick;
Auf seinen Wink hält das Entsetzen
Des Frevels, Dolch und Arm zurück.

     Der Ritter schlingt um die Gestalten
     Der Möglichkeit den Arm voll Kraft,
     Am Busen ohne Leidenschaft
     Das süße Traumbild festzuhalten.

Der Sänger schweigt. Des Finstern Miene
Wird wieder kalt und wolkenschwer,
Da flüstert's leise durch das Grüne:
"Erkennst du Erichs Ton nicht mehr?"
Er blickt empor, die Augen wenden
Sich ab, von Schuld und Scham gepreßt,
Er klammert sich mit kalten Händen
An seines Bruders Knien fest.

     Das Band des Schreckens löst sich wieder,
     Das seine Kraft gefesselt hält,
     Und auf die blassen Lippen fällt
     Die Träne der Verzeihung nieder.

Die Menschenalter

An unsrer Wiege grüßen uns die Horen,
Den Säugling küßt des Morgens Rosenlicht,
Und weinend grüßt sein erster Blick Auroren;
Er fühlt des Daseins schöne Stunden nicht.

Der Knabe jagt, gleich losgelaßnen Winden,
Dem Schmetterling, wie einst dem Glücke, nach.
Das Mitleid lehrt ihn denken und empfinden.
Sein Herz ist, wie sein Wille, weich und schwach.

Dies weiche Herz, für jeden Eindruck offen,
Wird von des Jünglings Tränen angeklagt;
Er lernt den Trost, zu weinen und zu hoffen,
Doch fühlt er schon, wie viel das Glück versagt.

Die Hoffnung ging mit ihm aus seiner Wiege,
Und malt' ihm seiner Zukunft Feenland,
Bis dieser Traum, des Glückes schöne Lüge,
Im kalten Arm der Wirklichkeit verschwand.

So schwankend, wie der Kahn im Ozean,
Wankt er am Arm des Zufalls ungewiß.
Im Hauch der Zeit entflattern seine Plane,
Der kalt und rauh die Täuschung ihm entriß.

Der Mann tritt in des Lebens heiße Zone,
Hier welkt der Blütenkranz der Phantasie.
Er pflückt den Lorbeer für der Weisheit Krone,
Und hascht das Schattenbild der Wahrheit nie.

Er bindet der Erkenntnis reiche Garben,
Des kurzen Tages dürftigen Gewinn —
Doch streut der Abend seine blassen Farben
Schon auf des Sammlers goldne Ernte hin.

Gleich Bienen, die im Blumenkelch sich wiegen,
Wankt hier der Greis, vom Hauch der Nacht berührt;
Ihn führt der Tod, wo Frühgefallne liegen
Wie Blumen, die der Abendwind entführt.

Und spielt am hohen Gras, im nächsten Lenze,
Um der Geschiednen Grab der Abendwind,
О, so verweht er ihre Totenkränze,
Und niemand weiß, wo sie begraben sind.

Sonett

Der Abend war am Berge hingeschwunden,
Der Vollmond goß sein Silber durch den Hain,
Da hatten wir am niedern Moosgestein
Ein heimlich stilles Plätzchen aufgefunden.

Ihr Arm hing sanft um meinen Arm gewunden,
Der Himmel war in ihren Armen mein —
Und Kuß an Kuß, und Mund an Mund gebunden,
So schwur sie mir, auf immer treu zu sein.

Und zweimal hatte kaum des Winters Flocken
Der Frühling weggeküßt. Das Herz gepreßt und schwer,
Kam ich zurück, und Sie am Hügel her.

Ich kam, Sie stand errötend und erschrocken,
Sie spielte wie der West mit ihren Locken,
Ich weinte laut, Sie kannte mich nicht mehr.

Mein Traum
An Elisen

Im Haine flüsterten die Winde,
Der Sonne letzter Strahl verblich.
Mich barg die Schattennacht der Linde,
Und meine Seele dachte dich.
Froh warf ich mich ins Grüne nieder,
Im Abendgolde schwebtest du,
Da drückte meine Augenlieder
Die leise Hand des Schlummers zu.

Die Täuschung zaubert Paradiese,
Dank sei der milden Zauberin!
Mich trug ihr schönster Traum, Elise,
Auf Zephyrschwingen zu dir hin.
Ich sah des Auges Ätherbläue,
Der Frühlingswange Morgenrot,
Den Mund, der mir den Kuß der Treue
In himmlisch - süßen Stunden bot.

Fest hielt dich hier mein Arm umfangen,
Des Jünglings Lippen wurden kühn,
Sein wildes Auge sprach Verlangen,
Kein Zorn, kein Drohen schreckten ihn.
Es schlug in überheißen Schlägen
Das volle Herz dem meinen nah,
Sanft hing dein Lächeln mir entgegen,
Und schmachtend sprach dein Auge: Ja!

Auf Veilchenblättern unter'm Moose,
Lag Amor, seines Siegs gewiß,
Und pflückte eine Frühlingsrose,
Die er dem Bruder schlau entriß.
Da rauschte schnell ein Blatt vom Baume,
Nahm Traum und Glück und Amorn hin —
Ach Freundin, daß ich nur im Traume
In deinen Armen glücklich bin!

Das Herz

Das Herz ist alles, sagen unsre Damen,
Groß, wenn es sich erhebt, und, wenn es unterliegt,
Ist es bald Sieger, bald besiegt.
Von Rosenlippen haucht die Liebe diesen Namen.
Das Herz belebt den Ton, das Herz nur liebt und küßt,
Kein Marmor ist so kalt, den nicht das Herz beseelte —
Allein was ist das Herz, ich glaube fast, man wählte
Ein Wort für den Begriff, für etwas, was uns quälte,
Was man nicht gern gesteht, und nicht so ehrbar ist.

Umsonst sucht der Verstand der Weisheit dunkle Spur,
Er schmiedet nur die Kette unsrer Pflichten,
Und sucht umsonst das Herz zu unterrichten,
Den besten Unterricht darin gibt die Natur.
Sie gab, die Pflicht des Herzens zu erklären,
Verschiedenheit der Form dem Weibe wie dem Mann;
Denn lieber Gott! was fingen Beide an,
Wenn ihre Herzen nicht verschieden wären?
Ein jeder sucht ein Herz; die Fürstin wie die Nonne,
Der Schwelger, der die Frühlingszeit verpraßt,
Diogenes in seiner Tonne,
Der finstre Doktor der Sorbonne,
Der Domherr wie der Mönch, der seine Kutte haßt;
Der Bettler, dem nichts blieb, als Wasser, Luft und Sonne,
Hat oft ein Herz, das für das Herz der Fürstin paßt,
Das zwanzig Herzen in sich faßt.

Veränderlich, wie Tage im April,
Weiß der Geschmack, das, was er sucht, zu finden,
Von Herzen, die sich hier in ungeheuren Schlünden
Wie unbemerkte Milben winden,
Bis zu den Herzen, stark wie Hektor und Achill.
Groß, klein, geöffnet, brausend, still,
Aus einem Herzen macht ein jeder was er will.
Es steigt, es öffnet sich, rot wie Adonis Wunde,
Die schnell die Freude wieder schließt,
Wenn in der Rosenstunde
Ein Herz vertrauensvoll im andern sich ergießt.

Mein Frühling ist entfloh'n. Wie manche Frühlingsnacht
Hab' ich so herzlich zugebracht!
Doch von des Lebens bunten Flitterwochen
Entschlüpft zu schnell die schöne Wirklichkeit,
Das Alter kommt herangekrochen,
Und kürzer wird das Herz, und länger wird die Zeit.
Dann übt uns die Vernunft im Dulden und Entbehren,
Wir schöpfen mürrischer des Wissens Quellen leer,
Und horchen wir einmal der Weisheit dunklen Lehren,
So taugt das Herz nichts mehr.

Du, dem der Frühling noch aus jeder Blume lacht,
Nimm in der Frühlingszeit dein Herz in acht!
Wenn auch um dich die finstren Alten klagen,
Die schon des Winters Bürde tragen,
Dein Glück, das hier auf Rosen schläft, erwacht.
Und wenn die Damen lächelnd von dir sagen:
"Er hat ein gutes Herz" — so ist dein Glück gemacht.

Widerspruch der Liebe
Sonett

Sonne sank, und Philomelens Lieder
Verhallten sanft im jungen Blütenhain,
Amande stimmt' in ihre Töne ein,
Und Echo sang sie an der Quelle wieder.

"Dein Lied spricht Schwermut" rief ich: "diese Hyder
Besiegt ein Kuß — о lerne glücklich sein."
Sie sah beschämt auf ihren Busen nieder,
Sie sang nicht mehr, und schüchtern sprach sie: Nein.

Der Vollmond war am Himmel aufgegangen,
Im Nebel lag die stille Gegend da,
Mein Herz schlug laut und ihrem Herzen nah.

"Soll Treue", seufzt' ich, "keinen Lohn empfangen?"
Ihr Blick war sanft, und röter ihre Wangen,
Ich küßte sie, und zitternd sprach sie: Ja!