Vision
Über mein Leben und mich nachsinnend in einsamer Stunde
Komm' ich ein Strom mir vor, wogend in üppiger Pracht.
Ihre Liebe — mein Bett, die umfangenden Arme — das Ufer,
Sanften Schwänen gleich glitten die Tage dahin.
Und wie das Rohrhuhn itzt auftaucht, dann die Tiefe versuchet:
So die Gedanken im Kopf, so das Gefühl in der Brust!
Fröhliches Fischervolk — die Menschen meiner Umgebung —
Holte auf leichtem Kahn reichliche Beute sich gern.
Ach, und jetzt! — die schränkenden Ufer ihrer Umarmung,
Ihre Liebe dahin! — Eiligst da löste das Band
Kosender Wellen sich, und zersponnen in irrende Bächlein,
Treibet der prächtige Strom Fluren hinüber und Feld;
Blumen mit lehmiger Flut ertränkt er und Gräser und Saaten;
Endlich im moorigen Tal stockt er — ein trauriger Sumpf!
Sprödes Schilf für Blumen am Rand, für Schwäne und Rohrhuhn
Eidechs, Kröt' und Molch. — Spinnen mit luftigem Leib'
Fahren statt schaukelnden Kähnen darauf und schiebende Käfer.
Statt des Fischervolks, jauchzend nach reichlichem Fang
Waten Störche umher. — Im Röhricht züngelt die Schlange.
Kiebitze pfeifen, auch brüllt schaurig der Rohrdommel oft.
Weitweg fliehen die Menschen, die grünenden Lande ersterben,
Öde und Tod ringsum, innen des Todes Palast!
Nur wenn um Mitternacht sich Sturm und Wetter begegnen,
Wird es lebendig im Sumpf: klägliches Murren ertönt,
Und am Morgen sodann fließt ab ein zauderndes Strömlein —
Hei, warum so träg?— Wille und Kraft ist gelähmt!
Vorgefühl
Es geht ein seltsam Klären
Mir durch Gehirn und Herz,
Ach, daß im Scheiden wären
Doch einmal Lust und Schmerz!
Daß jedes wie bei Andern
Doch ginge eignen Gang,
Das Miteinanderwandern
War längst schon viel zu lang!
Wird eins am andern irre,
Verrückt sich Ziel und Maß,
Das setzt dann ein Gewirre
In Kopf und Herzgelaß,
Bis es aus allen Räumen
Hervor ins Himmelslicht —
Ein wundersames Schäumen! —
Sich Bahn und Wege bricht.
Späte Erkenntnis
I.
Weil ich schwieg mit Schrift und Munde,
Nur mit meinen Augen sprach,
Bis zur unglücksel'gen Stunde,
Wo ich Tor das Siegel brach! —
Hat Sie mich so gut verstanden
Bis ins tiefste Herz hinein;
Lag in süßen Zauberbanden,
War mit ganzer Seele mein!
Da ward's Frühling und es sprangen
All die Knospen groß und klein;
Da ward's Frühling und es sangen
All die tausend Vögelein.
Und mir war's, als wenn sie fragten
Ein' das ander': liebst du mich?
Und ich meinte, daß sie sagten:
Ja, ja, ja, herzinniglich!
"Hörst Du, Liebste, welch Entzücken
Aus der Vöglein Kehle spricht?" —
Ihre Antwort war ein Nicken
Und ein stummes Huldgesicht.
Doch ich Tor, ich frug und wühlte,
Abgerungen hab' ich Ihr,
Daß Sie aussprach, was Sie fühlte,
Daß Sie brach des Schweigens Zier!
Hätt' ich, ach — es jährt sich wieder
Hätt' ich noch die Liebste mein,
Ich ertrüg' trotz aller Lieder
O, wie gern des Schweigens Pein!
Liebe, die sich ausgesprochen,
Angelobte Herzenstreu,
Ach, wie leicht ist die gebrochen
Und wie schnell — vorbei, vorbei!
II.
Daß Du aussprachst gar mit Eiden
Deiner Liebe Leidenschaft,
Daß Du mich nicht ließest leiden
Hoffnungsvoll, doch zweifelhaft;
Daß Du nicht trotz Sturm und Klagen
Das Geheimnis hast bewahrt,
Daß Du sagtest, was nie sagen
Soll ein Mund, o das ist hart! —
Von dem Himmel sollst du lernen
Mensch! der Liebe schwere Kunst:
Heute lacht es aus den Sternen
Wie in heller Liebesgunst;
Morgen sind die Stern' verhüllet
Vom Gewitter schwarz und graus,
Deines Gottes Donner brüllet,
Und sein Blitz zerschellt dein Haus.
Einmal wie in Liebesschwäche
Gab sich Gott der Menschheit bloß,
Ließ die warmen Liebesbäche
Aus dem Meer der Gnade los;
Warf entgöttert an die Brüste
Sünd'ger Menschen sich; doch ach!
Wie das Schiff an harter Küste,
So an unsrer Brust er brach. —
Mensch — ist nur im Hoffen selig,
Im Erwarten gut und treu,
Ist sein Anhang dir gefällig,
Bleib' ihm allfort fremd und neu.
Drum, daß Du trotz Stürmen, Klagen
Nicht das Siegel hast bewahrt,
Daß Du sagtest, was nie sagen
Soll ein Mund — o das ist hart!
Das ist hart — und unsers Scheidens
Trotz der Liebe Übermaß —
Scheidens, ach, und bittern Meidens
Grund und Ursach' ist nur das! —
Nur das! und wie rauh auch klinget
Dieses schweren Liedes Klang,
Liebste, wahr ist, was hier singet,
Der Dich liebt sein Lebelang!
Reue
I.
Willst Du Liebster, nicht spazieren,
Sieh, die Welt ist grün und licht!
Sprach Sie oft mit sanftem Drängen,
Doch ich tat, als hör' ich nicht.
Schwermut brütend blieb ich sitzen
Auf der morschen Sonnenbank,
Ließ Sie schmollen, freundlich mahnen
Ohne Groll und ohne Dank,
Ließ Sie kosen auf den Wangen,
Ließ Sie drücken meine Hand,
Ließ Sie an die Stirne pochen,
Tat, als ob ich nichts empfand.
Unempfindlich, unbeweglich
Blieb ich wie das tote Meer,
Trank in meines Herzens Abgrund
Nur die Liebesströme leer!
II.
Manchmal doch ließ ich mich bringen
Auf zum Gang durch Feld und Au,
Hu, da ging es an ein Singen
An ein Nicken und Geschau!
Auf dem Anger war's lebendig —
Vieh und Volk wie sprang das froh;
Im Gewässer ging's beständig,
Im Gehölze wieder so.
Und die Liebste war voll Wonnen,
Ihre Augen allzumal
Gossen wie zwo Liebessonnen
Über mich den Wärmestrahl.
Süße Worte auch entschwangen
Ihrem süßen Munde sich;
Stumm bin ich dabei gegangen,
Stumm und tief versenkt in mich.
Konnte keinen Laut erzwingen,
Nicht ein einzig gutes Wort,
Weil wir so spazieren gingen
In den Frühlingshallen fort.
Mochte mich nicht einmal bücken
Um ein duftig Röslein rot,
Trat es lieber statt zu pflücken —
Ach, wie grausam! — in den Kot.
Ward Ihr sanftes Aug' dann düster
Ob des Freundes wüstem Sinn,
Kam es wüster nur und wüster
Und der Spott war Ihr Gewinn:
Donna Mimosa! mürbes Kindlein!
Schalt ich und noch Allerlei,
Da Ihr fast, als ich, das Kindlein
Und das Blümlein lieber sei.
So war ich der "tolle Kunde",
So betrog ich mich und Sie
Ach, um manche schöne Stunde,
Die nie wiederkehret, nie!
*
* *
Seht, und doch war's nichts als Liebe,
Und in diesem Vollgefühl
Fodern: daß auch Ihr nichts bliebe
Außer mir im Weltgewühl!
Hätte jenem Bonaparte
Willig sich geneigt die Welt,
Glaubt, die größte Friedenskarte
Hätt' er dann ihr ausgestellt.
Doch das war zuviel gefodert
Guter Bonapart' und ich!
Drum bist du im Meer vermodert
Und mich fällt der Sonnenstich.
Lenzbelebung
I.
Es schreitet der Frühling
Die Täler entlang,
Weckt Gräser und Blumen
Und Vogelgesang.
Weckt Blätter und Blüten
Auf Baum und Gesträuch,
Und zaubert aus Wüsten
Ein prangendes Reich.
Statt stürmenden Winden
Weht wonnige Luft;
Statt stockenden Nebeln
Labt lieblicher Duft.
Statt flatternder Flocke
Der Schmetterling schwärmt;
Statt Ächzen im Eise
Die Lebenslust lärmt.
Statt Pilgern im Pelze
Hüpft barhaupts das Kind;
Statt Schlitten und Schellkranz
Läuft läutend das Rind.
Die Quelle singt lustig,
Es spielet der Fisch,
Rings leuchten die Augen
Der Blumen so frisch —
Die glühenden Augen,
Der spielende Fisch,
Die zitternden Gräser,
Das Stimmengemisch —
Das greift mir so seltsam
Hinein in die Brust,
Wie spöttischer Nachhall
Verklungener Lust.
II.
Wie Alles, Alles blüht
Ringsum voll Lieblichkeit,
Wie Sinn sich und Gemüt
Erfreut so manche Zeit;
Wie es mich reizet auch
Einmal darein zu singen
Wenn ich aus jedem Strauch,
Das Jauchzen hör' und Klingen;
Wie es mein Mark durchblitzt
So feurig auch und kräftig,
Weil Alles lusterhitzt
Mich grüßt und lenzgeschäftig;
Wie — doch nur still davon!
Ein Jedes minder, mehre
Hat das erfahren schon,
Wer nicht, nimm das zur Lehre:
"Wenn ihr ins Frühlingsgrün
Betrübten Herzens wandelt,
O ja, wird kalter Sinn
Für Glut euch abgehandelt;
Doch, wenn ihr fröhlich seid,
Recht seelenfroh und glücklich,
Hüllt euch ins Büßerkleid
Nur schnell, nur augenblicklich!
Sonst fängt im besten Schwung
Den schmucken Falter — Freude
Euch quälende Erinnerung,
Die wühlt im Federkleide!
Darauf vergeht die Flur
Mit allen Herrlichkeiten,
Die Totenblume nur
Fängt an sich auszubreiten —
Und um die Blume klagt es,
Und auf der Blume nagt es,
Und aus der Blume fragt es,
Nur ob der Blume — tagt es!
Betrübnis faßt dein Herz,
Dein Haar ergraut, dein Aug' wird starr,
Und wo du wandelst allerwärts
Ruft es: da seht, ein Narr, ein Narr!"
III.
Der Erde Grund ist offen,
Zu Wasser ward der Schnee —
Zu Wasser ward mein Hoffen,
Zu Wasser wird mein Weh.
Schon schweigt der Stürme Toben
Und milder wird der Frost —
Vertrau' und bau' auf Oben,
Von dorther kommt der Trost!
Die Lerche steigt mit Singen
Empor die Himmelsbahn —
Das heißt: Du sollst entringen
Dem Zweifel dich und Wahn!
Es geht ein freundlich Fragen
Durch all das Schöpfungsrund,
Dem will ich es doch sagen,
Daß noch mein Herze wund?
Nein, wenn die alte Gäa
So jauchzet himmelwärts,
Ruf' ich nur: Kulpa mea!
Und schlage an mein Herz.
IV.
Ich weiß, daß Frühlingswonne
Mein Herz zur Lust hinreißt
Und mir des Gleichmuts Krone
Vom Haupte legen heißt;
Daß Mai aus Lauberhütten
Voll Jubel und Geruch
Mir wird das Hirn zerrütten
Mit seinem Liederbuch;
Daß Bach mit regem Plauschen,
Im stillen Grün die Flur,
Die Saat mit leisem Rauschen
Mir reizt die Lammsnatur:
Doch will ich es kühnlich wagen,
Will fort in luftigster Tracht
Wie Helden ins Treffen — jagen
Und schlagen die Freudenschlacht!
*
* *
Und wenn ich gählings draußen steh'
Auf eines Berges lichter Höh',
Wird Alles, was ich je verloren
Mit starkem Spruch heraufbeschworen.
Zuerst die Jugend, wie sie war:
Ganz sorgenlos, ganz Leiden bar!
Darauf die Lieb', die zauberhafte,
Die viele Lust — Leid mehr mir schaffte!
Darnach das Weib der Mythenwelt,
Das nie bei mir sich eingestellt,
Mit ihm, die seiner auch entbehrte —
Die Freundeschar — die hochgelehrte.
Und wenn sie dann gekommen sind
Schallwellen gleich, gejagt vom Wind,
So drücke ich an's Herz sie Alle
Und jauchze froh und hell zu Tale.
Dann schwinge ich den Thyrsusstab
Und eil' in raschem Sturz hinab,
Und Alles wird geherzt, gesegnet,
Ob Freund ob Feind, was mir begegnet.
V.
So ist's, wenn du dann Zeuge bist
Und mich bewegt am Wiesenraine,
Durch Hochgehölz und Erlenhaine
Hintaumeln siehst.
So ist's, wenn fremder Lenzgesang
Mit Tönen, vogelartig lockend
Und oft von lauten Seufzern stockend,
An's Ohr dir drang.
So ist's, wenn du mit hurt'ger Hand
Umfah'n auf einmal wirst vom Rücken
Und ein Gesicht voll Hochentzücken
Sich zu dir fand.
So ist's, wenn du im Abendschein,
Auch wohl vom Sternenaug' beschauet
Mich liegen siehst ganz übertauet
Auf nacktem Stein.
So ist's, und anders ist es nicht: —
Der Frühling bringt, was im Geheimen
Der Schöpfung Geister rechnen, reimen,
Hervor ans Licht.
Kampf
Um mich Lust und reges Leben,
In mir dumpfe Traurigkeit,
Kolibri in Spinneweben
Hängt mein Geist und ringt und schreit.
Um Erlösung schreit sein Ringen,
Um Entfeßlung ringt sein Schrei,
Ach, er möchte sich entschwingen
Dieser Haft und frei sein, frei!
Doch sein Rufen und sein Ringen
Weckt die böse Spinne auf,
Weh, die wird mich nun umschlingen,
Schmachvoll enden meinen Lauf!
Kurzes Leben, bittres Weben,
Bangnisvoller Erdengang —
Doch es muß ja Bess'res geben,
Wenn das Bläschen Schaum zersprang!
Ergebung
Ich habe ein Herz, das ist so wund
Wie frischgeackerter Urweltsgrund.
Ich habe ein Herz so krank, so weh
Wie hart getroffen ein sterbend' Reh.
Ich habe ein Herz, das ist so arm:
Sein Mahl sind Tränen, kredenzt vom Harm.
Zu Seiten als Gäste hat dies Herz
Den bleichen Kummer, den stillen Schmerz.
Und dieses Herz arm, krank und wund,
Das möchte brechen zu jeder Stund' —
Zu jeder Minute ach, wie gern;
Doch mag gescheh'n der Wille des Herrn!
Umriß
Noch weiß ich gar so gut,
Wie mir schön kraus und licht
Das Haar quoll aus dem Hut
Bis tief ins Angesicht.
Wie ich ein Jäckchen trug
Von rauher Leinewand
Und froh herum mich schlug
Mit Nachbars Ferdinand.
Wie ich dann größer wuchs
Und kecker ward mein Mut,
Daß ich auf Hengste flugs
Mich schwang in grüner Hut.
Wie ich dann wild und scharf
Hinritt durch Flur und Heid,
Bis mich vom Rücken warf
Der Gaul zu Weh und Leid.
Wie dann lieb Mütterlein
Den Reitersmann empfing
Und ihm ein "Merkdirsfein!"
Auf's fahle Höslein hing. —
*
* *
So wohl weiß ich es noch
Wie es zum Scheiden kam,
Und stark nach Tränen roch
Im halben Piesenham.
Ich ganz allein blieb fest,
Nur rot von innrer Scham,
Wie all das liebe Nest
In hellen Tränen schwamm.
Mir wogte nur die Brust,
Mir zuckte nur der Mund
Vor lauter Drang und Lust
Hinaus ins Weltenrund.
Doch trug ich bald die Last
Für meinen leichten Gang,
Da mir vor Heimweh fast
Im Leib das Herz zersprang!
Wie aber hie nichts bleibt,
Nicht Glück, nicht Lust, nicht Leid,
Wie grünes Leben treibt
Aus starrem Winterkleid:
So war's an mir getan,
Ich wurde wieder frisch
Wie Hirsch und Reh im Tann,
Wie Vögelein und Fisch.
Und an zu dunkeln fing
Mein gelbes Ringelhaar,
Und an zu funkeln fing
Ein Flämmlein — wunderbar!
Und als nach mancher Stund'
Ich kam ins Heimatland,
Schlug an der Kettenhund,
Und staunend Alles stand.
So groß! hieß es, so stark!
Doch mir hinwiederum
Schien Alles Tand und Quark
Und sieches Altertum.
Ich suchte überall,
Ich schweifte allerwärts;
Doch nichts in Berg und Tal
Befriedigte mein Herz.
Da fing ein Sehnen an,
Das wuchs von Stund' und Stund';
Fing auszudehnen an
Sich bis zum Wangengrund —
Fing auszudehnen an
Sich über Aug' und Stirn
Wie eine Trauerfahn',
Gesteckt auf hohem Firn!
*
* *
Auch weiß ich noch so gut
Wie dieses Sehnen dann
Anwuchs und heiß wie Glut
Mir durch die Adern rann.
Wie ich in Seufzern rang,
Wie ich in Tränen schwamm
Oft halbe Nächte lang
Vor Sehnensnot und Gram.
Wie es dann anders ward,
Wie all mein Leid verging,
Als gäh Schön-Hildegard
Mit Huld mein Herz empfing.
Wie ich so selig war,
So endlos wonnereich,
Als mich liebkoste gar
Ihr Mündchen rot und weich!
Wie es dann weiter ging
Und weiter Tag um Tag —
Wovon ich nichts besing',
Kein Sterbenswörtlein sag'!
*
* *
Und annoch weiß ich gut,
Wie hell mein Geist geglänzt,
Wie ich in stolzem Mut
Umlorbeert und bekränzt
Mein Jünglingshaupt geschaut:
Wie die Verwandten all
Ihr Schloß auf mich gebaut
Und — Liebchen allzumal! — —
Das weißt ich noch — und jetzt
Ha, wie so anders ganz!
Ich bin auf nichts gesetzt,
Erloschen ist mein Glanz.
Warum, warum, warum?
Ei, seht euch um im Raum:
Das Rad der Zeit rollt um
Und schlägt die Flut zu — Schaum.
Lied 1
O, singe mich in Schlummer ein
Du Nachtigall mit süßer Kehle,
Und singe meinen Schmerz auch ein —
Den Schmerz ob meiner vielen Fehle;
Ja, sing' uns ein, o Nachtigall,
Und singe dann nach allen Winden,
Es gibt ja Schmerzen überall,
So weit sich sünd'ge Menschen finden!
Lied 2
Weil wohlgefällig
Sie neigte zu mir,
Ward ich allmälig
Ganz selig in Ihr.
Es grünte, es blaute
Im Wechselspiel,
Ich horchte, ich schaute
Nach Einem Ziel.
Und wär' es geblieben,
Ich hätte gleich
Der Welt mich verschrieben
Für's Himmelreich.
Da brach den Frieden
Ein Ja und ein Nein:
Es darf hienieden
Kein Seliger sein!
Nur einmal noch!
Nur einmal noch möcht' ich empfinden
So heiß, wie ich empfunden habe,
Nur einmal noch ein Herz mir binden,
Wie ich sie einst gebunden habe;
Nur einmal noch möcht' ich verleben
So einen Tag wie einst vielhundert,
Wo ich im Nehmen und im Geben
Des eignen Herzens Kraft bewundert!
Dann würden auch dieselben Träume
Voll Lebenslust und Hochentzücken
Als golddurchwirkte, bunte Säume
Das Trauerkleid der Nacht mir schmücken
Dann würde ich auch wieder singen
Das frische Lied, das ich gesungen,
Als mich lebendig noch umfingen
Die modrigen Erinnerungen.
Lied 3
Freuden hatt' ich ganze Heere,
Mehr, als rote Blümlein steh'n
Auf der Wiese, als im Meere
Dunkelgrüne Wogen geh'n.
Leiden hatt' ich auch so viele,
Mehr, als bittre Kräuter steh'n,
Mehr, als bei des Nachtwinds Spiele
Blättlein an Zypressen weh'n.
Und so rinnt das Minneleben
Unter Lust und Leid hinab,
Jach ist's aus, dann sind wir eben
Alt und kalt genug für's Grab.
Meditatio
O, du liebes Menschenleben,
Wie so rätselhaft dein Gang:
Bei dem Drang empor zu streben
Heißt dich kleben steter Zwang!
Ohne Tugend, unvernünftig
Ist in ihrem Maienflor
Unsre Jugend jetzt und künftig —
Selbst der Klügste ist ein Tor.
Ist gewelket dann die Blüte,
Wund das Herze und zerstückt,
Kommt dir schmerzlich zu Gemüte,
Wie du und was dich berückt.
Manches läßt sich dennoch ändern,
Rastlos müht sich Kopf und Hand,
Du entringest ehrnen Bändern,
Was einst winkend vor dir stand.
Ist sodann der Schatz errungen,
Wiegt er oft nicht auf den Schweiß,
Den die Grube hat verschlungen —
Rein verloren Müh' und Fleiß!
Hat er aber mehr gewogen
Und du trägst ihn froh nach Haus;
Spannt der Tod schon seinen Bogen,
Zielt — drückt — trifft und — Alles aus!
Ostern
I.
Ostersonntag, Ostersonntag!
Bist mit deinen Brüdern wieder,
Bist im Schall der schönsten Lieder
Siegesfroh bei uns da,
Halleluja!
Mutter! Ostersonntag ist,
Gib mir meine Ostereier,
Viele Jahr' schon bei der Feier
Kriegt' ich keine Ostereier,
Wie Du doch vergeßlich bist!
Auf dem Hut ein grüner Strauß,
Und der liebe Patenpfennig —
Grünes Sträußchen ist so wenig,
Und so wenig ist ein Pfennig,
Ach, und doch bleibt Alles aus!
Spricht die Mutter: Alter Knabe,
Schäm' dich doch,
Solche Kleinekinder-Gabe
Willst du noch!
Mutter, Mutter schaff der Bärbe —
Schone dich! — daß sie mir färbe
Nur ein einzig kleines Osterei,
Leg' den Strauß auch und den Pfennig bei,
Mach' mich wieder klein und jung,
Bin mir alt schon lang genung!
Tausch' für Pfennig, Ei und Strauß,
Tausch' für diese Kindergaben
Gern die schalen Freuden aus,
So die großen Leute haben.
Mütterlein, erhör' mich doch,
Ende meine Leidenswoch',
Mache froh den Ostertag,
Daß ich wieder leben mag! —
Bat umsonst der alte Knabe,
Seine Augen wohl, kein Ei ward rot,
Denn sein Mütterchen lag taub und tot,
Und er stund auf ihrem Grabe.
Die ihm höhnend "Scham und Schande!" riefen,
Waren Buben, die vorüber liefen.
II.
Ostermontag, Ostermontag!
Bist mit deinen Brüdern wieder,
Bist im Schall der schönsten Lieder
Siegesfroh bei uns da,
Halleluja!
Liebchen! Ostermontag ist,
Geh' mit mir nach Emaus heute,
Sieh nur, wie der Strom der Leute —
Jedes führt sein Lieb zur Seite! —
Aus den Toren sich ergießt!
Ist ja so schon Jahr und Tag,
Daß ich um Dich seufz' und bange,
Und doch liebend an Dir hange —
Jahr und Tag wie ist das lange,
Wenn ein Herz Dich nimmer mag!
Spricht das Liebchen: Geh' einstweilen
Schön gemach —
Will Dir dann im Flug nacheilen! —
Fort am Bach.
Liebchen, Liebchen, ach, wie innig!
Habe tausend Dank! — Dann ging ich
Jubelsingend fort am klaren Bach
Nach Ihrem Wunsch — gemach den Wellen nach.
Dachte schon, was nach der Reih'
Ihrer Huld ich wieder weih':
Pflückte Blümlein am Gestad',
Blümlein, gelb' und rot' und blaue,
Frisch und hell vom Wellenbad',
Schwer von meinem Freudentaue —
Jauchzend, weil nun endlich doch
Auf die lange Leidenswoch'
Folgt ein froher Ostertag,
Daß ich wieder leben mag! —
War umsonst sein Freu'n und Harren,
Mädchen kamen wohl; doch Sein's kam nicht,
Höhnend rief ein schadenfroher Wicht:
Ei, da seht den alten Narren,
Möchte noch verliebt nach Emaus gehen,
Doch sein Lieb ist klug und — läßt ihn stehen!
III.
Osterdienstag, Osterdienstag!
Bist mit deinen Brüdern wieder,
Bist im Schall der schönsten Lieder
Siegesfroh bei uns da,
Halleluja!
Schicksal! Osterdienstag ist;
Weil die Mutter liegt im Grabe
Und kein Liebchen ich mehr habe,
Gib doch du mir eine Gabe,
Die mir lind zu Herzen fließt!
Hab' von dir noch ohnehin
Nichts verlangt und nichts gebeten,
Ließ geduldig mich zertreten
Und zerdrücken von den Ketten,
Seit ich auf der Erde bin! —
Spricht das Schicksal: Nun so fodre
Recht mit Fleiß! —
"Daß mein Herz mir ewig lodre
Liebeheiß!"
Schrie ich — und bin liebetrunken
Ihm zu Füßen hingesunken,
Und umrang mit Tränen seine Knie,
Rang, bis aller Welt mein Herz verzieh,
Selbst dem Herze, das mit Trug
Mir die tiefste Wunde schlug.
Und das Schicksal sprach: "Es sei!
Nimmer soll dein Herz verglühen,
Wie ein Lenzfeld frisch und frei
Soll die Welt dir ewig blühen!" —
Ach, und so war endlich doch
Aus die lange Leidenswoch',
Auf der weiten Schöpfung lag —
Ein liebsel'ger Ostertag!
Lange stand der alte Knabe
Atmend seine Jubel ein und aus,
Schritt dann grüßend weg an Liebchens Haus
Hin zum teuren Muttergrabe,
Und von dort? — der liebe Gott mag's wissen,
Wo er finden wird sein Ruhekissen!
*
* *
Aus dem Kirchlein schallt mit Orgelklang,
Horch, der jubelvolle Ostersang:
Quoniam dilexit
Mundum, resurrexit
Christus — Alleluja!
Schluß-Reim
Ich habe so irdisch hingestrebt,
Urmenschlich dahin geliebt, gelebt,
Darum, ihr Abgeklärten! erhebt
Nicht allzu grämlichen Urteilspruch,
Wenn jäh oft der derbe Erdgeruch
Aufwirbelt aus meinem Liederbuch.
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