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Gedichte
Franz Stelzhamer

Buch 1

Stuttgard und Augsburg 1855
Cotta'scher Verlag

                                         

Liebe

Alle dem!

Was in stiller Sehnsucht blüht,
Was hochselig schwelgt und schmachtet,
Was im süßen Schmerz verglüht,
Was da wandelt gramumnachtet:
Alle dem weih' ich mein Lied
Voller Wehmut, voller Wonnen,
Wie ich es erlebt, erliebt
Und aus heißem Hirn gesponnen.


Jählings war Sie mir gewogen,
Wie, warum? ich weiß es nicht:
Also schenket wohl die Sonne
Nachts dem Mond sein Silberlicht.


                                         
 

Herzensdämmerung
 

Vorlied
Jugend
Erwachen
Liebesstrahl
Seufzer
Klage
Liebesdank
Huldigung

 

Vorlied

Für künft'ge und vergang'ne Klagen
Wär's doch ein wahres Schelmenstück
Euch nichts zu singen, nichts zu sagen
Von meines Herzens hohem Glück.

Durchbrechen ihre schwere Hülle
Soll mir die Zeit und aufersteh'n,
Und heut in ihrer Wonnen Fülle
An euch und mir vorübergeh'n.

Und nicht ein Hauch des Unmuts gleite
Mir über meinen Jubelsang,
Hinweg, mein Groll, du Schmerz bei Seite,
Herbei, herbei du Freudenklang!

Jugend

Ich bin der Erde gleich
Im Frühlingsauferwachen;
Ich bin dem Himmel gleich
Im ersten Morgenlachen.

Ich bin der Sonne gleich,
Die Alles glühend herzet:
Ich bin dem Lüftchen gleich,
Das mit den Blumen scherzet.

Ich bin der Quelle gleich
Geschwellt vom Frühlingshauche:
Ich bin dem Vöglein gleich
Das singend baut im Strauche.

Ich bin den Hügeln gleich,
Die tiefbeschaulich weilen;
Ich bin den Schäfchen gleich,
Die durch das Blaue eilen.

Ich bin den Bergen gleich,
Die Erz in Adern rollen;
Ich bin den Wolken gleich,
Den Blitz und Donner-vollen.

Ich bin dem Veilchen gleich,
Das still im Duft sich freuet;
Ich bin dem Baume gleich,
Der breiten Schatten streuet.

So All' und Jedem gleich
In Wesen oder Weise
Steh' ich im weiten Reich
Wie im Familienkreise.

Es zieht mich her und hin,
Es drängt mich weit und weiter,
Der jugendfrohe Sinn
Ist Führer und Begleiter!

Und sieh, allüberall,
Auf Flur und Feld und Heide,
Im Wald, am wilden Fall
Ist Lust und Augenweide.

O Lenz, o Jugendlust,
O jubelvolle Erde,
Was hätt' ich denn gewußt,
Wenn Gott nicht sprach sein "Werde!"

Nun hebt der Vögelchor
Im Haine an zu psalmen,
Und neigt der Wiesenflor
Die Häupter an den Halmen:

Da beug' auch ich das Knie
Zu Preis und Dank und flehe,
Daß Lieb' und Glaube nie
Mir ganz verloren gehe!

Erwachen

Das Schwälblein, so das Himmelsblau
Durchmißt in weiten Flügen,
Es trinkt der Liebe Rosentau
In vollen, leisen Zügen.

Warum wohl zieht das eine nach
Dem andern durch die Sphären?
Zu suchen sich ein stilles Dach
Und Liebe uns zu lehren!

Die Tauben — habt nur ihrer Acht!
Ihr Kosen und ihr Girren,
Das muß ein Herze, gäh erwacht,
Betäuben und verwirren!

Fast jauchzend schlägt der Fink vom Baum —
Was hat ihn so durchdrungen?
Sein Hühnlein sitzt auf weichem Flaum
Und wärmet sanft die Jungen.

Am Halme hold die Blume blüht,
Sie stirbt von ihm gerissen,
Und tief empfindet das Gemüt,
Was uns Natur läßt wissen. —

Ich aber sitze einsam da
Das Aug umflort von Zähren,
Seit ich das Liebewalten sah,
Will nichts mir Lust gewähren.

Die Quelle murmelt rätselvoll,
Der Baum rauscht sinnesdunkel,
Es lispelt Nachts vom Himmelspol
Mir zu das Sterngefunkel —

Doch ach, ich kann die Rätsel nicht,
Die Lehren mir nicht deuten,
Die Baum und Quell und Sternlein spricht
In Sätzen, in zerstreuten!

Nur öfter, wenn im stillen Hain
Mein Herz in Ahnung feiert,
Da ist's, als sollt' ein Tag einst sein,
Wo Alles sich entschleiert.

Liebesstrahl

Eh noch der Liebesstrahl
Sich in mein Herze stahl,
Durchglühte wohl mit reger Lust
Gar Mancherlei die junge Brust.

So liebte ich vor allen Dingen:
In muntrer Schar bei Becherklange
Dem Traubengotte Preis zu singen
In dithyrambischem Gesange,
Eh noch der Liebesstrahl
Sich in mein Herze stahl.

Ein Wandervogel irr im Lande
Herumzuschwärmen mit Gesellen
Vom alten fahrn'den Ritterstande,
Das mochte obenan ich stellen,
Eh noch der Liebesstrahl
Sich in mein Herze stahl.

Ein Spielchen auch verschmäht' ich nimmer
Mit Würfel, Kugel, Ball und Karten,
Ach da verging des Goldes Schimmer
In Schulden aller Ort' und Arten,
Eh noch der Liebesstrahl
Sich in mein Herze stahl.

Fünf Vettern fingen an zu grollen
Und nannten Schmach mein Tun und Handeln;
Neun Muhmen fingen an zu schmollen,
Doch baten Gott, mich umzuwandeln,
Eh noch der Liebesstrahl
Sich in mein Herze stahl.

Und weiß der Himmel, war's das Grollen,
Das laute Schmollen, stille Flehen?
Genug, ich hörte auf zu tollen,
Und fing schon an in mich zu gehen;
Allein wie lang? — da stahl,
Sich ein der Liebesstrahl.

Und weg war all mein ernstes Sinnen,
Dahin mein Plan für künft'ge Tage:
Ich strebte nur mein Lieb zu minnen
Und webte hin durch Lust und Klage,
Weil sich der Liebesstrahl
So heiß ins Herze stahl.

Und wieder lag, das kaum geblühet,
Ihr Hoffnungsbäumchen öd darnieder,
Und wieder ward viel Zorn gesprühet
Von manchem der Familienglieder,
Dieweil ins Herz sich stahl
Der arge Liebesstrahl!

Seufzer

                   I.

Meine Augen waren so klar
Wie der Morgenstern,
Und gesehen hab' ich so scharf —
Durch die Schale den Kern.
Ach, jetzt seh' ich nimmer so scharf —
Durch die Schale den Kern,
Nimmer sind die Augen so klar
Wie der Abendstern:
Trübgeweint sind Stern' und Säume,
Seit ich von der Stolzen träume.

                   II.

Auf den Feldern sprang
Kein Hirschlein so schnell,
In den Lüften sang
Kein Vöglein so hell,
Wie ich gewaltig einst sang und einst sprang:
Nimmer sing' ich jetzt
Wie's Vöglein so hell,
Nimmer spring' ich jetzt
Wie's Hirschlein so schnell,
Seufzen ist Sang jetzt, ein Wanken mein Gang.

                   III.

Ei ei — ruft Frau "Rategut"
Und folgt mir mit scheuem Blick —
Ein Jung' sonst wie Milch und Blut
Mit starrem Hals und Genick,
Schön rund, schier robust
Um Schulter und Brust,
Und jetzt, ach jetzt,
Wie das mich entsetzt!
Das Angesicht knöchern und blaß,
Die Augen gläsern und naß,
Doch gäh, wenn die Buchen sich färben,
Die andern das Laub abstreifen,
Kartoffel und Schlehen reifen,
Paßt auf! — wird auch er absterben

                   IV.

Cousinen, Onkeln und Paten,
Ach, Alle springen mir bei,
Sie kommen, die Edlen, und raten
Mir Mittel tausenderlei
In Sympathie und Arznei.
Nein, nein, fort in ein Bad!
Behauptet ein — Spielkamerad.
Ein Zweiter ruft:
Trink' Alpenluft! —
Und graut dir vor Wettern und Wolken,
So brauche Kräuter und Molken!
Beeilt sich der Freunde Dritter,
Ein etwas hektischer Ritter.
Ein Vierter macht Wette:
Für Lind'rung im Bette;
So dies und das,
Ein Jedes wüßte was
Und schwört, es müßte das Rechte sein,
Ich — nicke Ja und denke mir Nein.

              V.

Welche Arzenei
Die rechte sei?
Der Hohen Auge soll
Den Flug nach mir lenken,
Der Schönsten Lippe soll
Ein Lächeln mir schenken!

Dein gerühmtes Bad?
Spielkamerad!
Ihr süßer Atem soll
Auf mich sich ergießen,
In diesem Strome soll,
Mein Kummer verfließen!

Dann die — Alpenluft?
Das heißt und ruft:
Der Hohen Stand, den soll
Ich mutig erstreben,
Durch kühne Taten soll
Zu Ihr ich mich heben!

Klage

                        I.

Mir ist mein Herz so krank, so krank,
Ei hört doch sein Gewimmer!
Und weil ich ihm nicht helfen kann,
So wird es stündlich schlimmer.

Ich sitze wohl bei Tag und Nacht
An seiner Trauerstätte
Mit Rat und Trost — o Jammer, ach!
Umsonst sind Trost und Räte.

Es seufzet fort und will nur Eins —
Das ist im Goldgefieder
Das Vöglein, das in Maienlust
Froh flattert auf und nieder.

Dem seufzet und das will es nur,
Das muß und muß es kriegen,
Sonst — jammert es in Fieberglut —
Sonst sei sein Los — erliegen!

"Ei, Herz, mein Herz, wie soll ich denn?"
""Leg' Schlingen ihm und Fallen,
Umgarne es im freien Feld
Und in des Heines Hallen!""

Die Schlinge liegt, die Falle steht,
Der Hein ist rings umgarnet;
Doch weicht das Vöglein schlau mir aus,
So schlau, als wär's gewarnet.

Und kränker wird und ärmer liegt
Mein Herz in Not und Kummer,
Vom Jagen bin ich selbst so müd —
Ach nur ein Stündchen Schlummer!

Und nun, mein Herz, den letzten Rat
Es kommt mir so zu Sinne:
Erhebe dich mit aller Kraft
Und wandle selbst auf Minne!

Such' auf dein Vöglein Wunderhold
In Heinen und in Auen,
Gib kund ihm deine Liebesnot
Mit Inbrunst und Vertrauen!

Und läßt es unerhört und hart
Dich klagen und gar scheiden:
So ist des Vögleins Herz nicht wert
O Herz, mein Herz, dein Leiden!

                        II.

Weil sich ein Herz nicht erweichen läßt,
Wird weich das meine, sonst starr und fest.
Ach, wenn der Geist der Liebe mir zeigte,
Was ich wohl beginnen soll,
Daß sich das stolze Herz zu mir neigte,
Wie wäre ich freudenvoll!

"Geduldig harren und tragen die Pein!"
Erschallt's mir öfter ins Ohr hinein;
Geharret ist und geduldet lange,
Des Harmes Träne geweint,
Vom Wachen welkt die blühende Wange,
Ach, und kein Trost erscheint!

"Bewahren den Mut mit Kraft im Verein!"
Erschallt's mir wieder ins Ohr hinein:
Ich habe mit Mut und kräftig gekämpfet,
Fast froh ertragen den Schmerz,
Das lodernde Feuer sorglich gedämpfet,
Umsonst — und nun bricht das Herz!

"So flieh', entflieh' über Stock und Stein!"
Erschallt's mir itzto ins Ohr herein:
Was hilft mein Fliehen, was hilft mein Meiden
Wie weit auch und wie lang?
Sie folget mir auf Fluren und Heiden
In lockendem, leisen Gang!

So steh' ich nun alles Trostes bar,
Mein ganzes Tun weil es eitel war;
Mein Dulden, Kämpfen, Fliehen und Flehen —
Dem Winde Rauch und Spreu!
So sei's, ich will im Leide vergehen,
Du — wahre dein Herz vor Reu'!

Liebesdank

                        I.

Ich liege krank.
Doch wie ich auch mit Schmerzgefühlen
So schmachte in den heißen Pfühlen,
Frohlockt mein Herz doch: Dank,
Daß ich so krank!

Denn daß der Tod —
So sagt das Fluten und das Schwellen
Der annoch frischen Herzenswellen —
Daß noch der grimme Tod
Mir Schelm nicht droht;

Allein wie lang
Hab' ich gerungen und gelitten,
Mit meinem Liebesdrang gestritten
Und Ihrem Lieblingshang,
Wie lang, wie lang!

Und konnte klug
Und klar nun nie und nimmer werden:
Ihr Tun, Ihr Reden, Ihr Gebärden
Ob Treue oder Trug?
Ich ward nicht klug.

Mein armer Kopf,
Wie lagst du oft in meinen Händen
Gleichwie gefüllt mit Feuerbränden
Ein glüh'nder Weißgoldtopf —
Mein armer Kopf!

Da wurd' ich krank,
Todkrank — was tut die schöne Stolze?
Ach seht, Sie kniet am Gnadenholze
Und . . . . o, vieltausend Dank,
Daß ich ward krank!

                        II.

Und als ich dann zum erstenmale
Genesen schon, nur bleich und schwach,
Lustwandelte zum Wiesentale,
Wer sah mir unablässig nach?

Ach, Sie, ach, Sie! wohl sonst auch Viele,
Doch Keines also froh und lang —
So blickt nach seinem teuren Ziele
Des Pilgers Aug vom Bergeshang!

Was Wunder, daß ich wiederkehrte
Nach kurzer Frist gestärkt und froh,
Und daß der Doktor uns dann lehrte
Mit Anstand dreschen leeres Stroh.

"Ja, ja" — sprach er — "die Sonnenbäder
Gewürzt mit Äther und Erdgeruch —
Das läuft wie Feuer durch's Geäder,
Da leid' ich keinen Widerspruch.

Muß auch der Patienten ein jeder
Mir machen zur Probe den Versuch,
Und find' ich nur mal die rechte Feder,
So schreib' ich drüber ein dickes Buch.

Das junge Herrlein zum Beweise,
Geht fort wie ein Lämmlein lahm
Und kommt nach kurzer Badereise
Ein Leu! — ist das nicht wundersam?"

Und alles rief mit ihm: Mirakel!
Ich selber schwieg und nickte nur,
Es war ja wahrlich ein Mirakel
Gescheh'n, bloß — anderer Natur

Huldigung

Wohlan, mein Lieb, so nimm Besitz vom Throne
Längst erbaut;
Setz' auf dein rosig Haupt die Rosenkrone
Frisch betaut
Vom Freudentau, vom ersten hellen;
Froh umkreis't,
Sieh, von Phalänen und Libellen,
Die just gelockt aus dunklen Zellen
Der Liebe Geist!
Ich will dir alle meine Schätze zeigen,
Die nun für immer sollen sein dein eigen.

Da kam es aus dem Kopf gesprungen,
Und aus dem Herzen kam's gedrungen
Endlos gar:
Von dorther kommt im sonnenblanken
Witzwaffenschmucke der Gedanken
Kühne Schar;
Von daher naht ein weiches Wühlen
Von lauter süßen Lustgefühlen
Dem Thronaltar —
Sie Alle mußten tief sich neigen
Und ihrer Herrin Huld bezeigen.

Und als des Herzens holde Elfengeister,
Sowie des Kopfes stolze Rätselmeister
Ihr Haupt gesenkt,
Da wurden erst des Leib's Juwele:
Das Aug', das Ohr, das Gold der Kehle
Ihr geschenkt
Mitsamt dem Kleinod, das man Seele
Nennet weich;
Und als ich Alles, Alles hingegeben,
War ich reich: —
Ich sah in Liebchens Aug' die Träne beben!