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Quelle:

Wien 'wörtlich'
Josef Weinheber

Dritte Auflage

München 1938
by Albert Langen-Georg Müller

Gedichte 1
 

Vorfrühling in Schönbrunn
Wir Wiener
Verschwundenes Wien
Die Pensionisten
Praterfrühling

Hymnus auf den Kahlenberg
Wienerwald
Ancien régime
Sieveringer Elegie
Biedermeier
Grinzinger Weinsteig
Der Phäake
Diethelm Trausenit
Ballade vom kleinen Mann
Elegie auf den Tod eines alten Wieners
Auf eine Wienerin

Uniform in der Republik
Die Kaffeehauspositur

Vorfrühling in Schönbrunn

Schwimmendes Frühlicht und Reif im Schatten.
Damals war Sommer, lange ist's her.
Kunstvolle Schnörkel auf stillen Rabatten,
nackte Erde, braun in dem matten
Grün der Parkette, und blumenleer.

Schwarz in dem strengen Schnitt der Alleen
Knorplig verkrüppeltes Astgeschling.
— Ewig verklungenem Kinderflehen:
'Mutter, ich möcht die Giraffen sehen. .'
schwebte zur Seite ein Schmetterling.

Marmornes Fischweib, der Flut entwunden,
— golden huschten die Fische darin —
schützt mit dem Arme den Blick der runden
Steinaugen, sinnlos und stolz gebunden
in die Gebärde seit Anbeginn.

Grotte des Meergotts. Heilige Rosse
spielen versteint auf geschwungenem Wall.
Muschel und Dreizack, Felsen und Flosse,
— blau stand der Himmel über dem Schlosse,
wunderbar blau wie nur dazumal.

Gelbe Pilaster vor bräunlichem Grunde.
Adelig schwingt sich die Treppe hinan.
Herren im Weißhaar gehn ihre Runde,
schmächtige Sonne, flüchtige Stunde,
zart und zerbrechlich wie Filigran.

Zart und zerbrechlich, wie nun von droben
die Gloriette herniedergrüßt.
Fürstlicher Traum, in den Himmel gehoben,
laß mit den Augen des Knaben dich loben,
dem du ein Wunder gewesen bist.

Drüben im Kammergarten hantieren
Gärtner mit Leiter, Säge und Scher',
Knospen glänzen und Amseln probieren.
Hier ging vorZeiten der Kaiser spazieren,
aber der Kaiser ist auch nicht mehr.

Kinder spielen mit Ball und Reifen
mütterbewacht in der stillen Allee.
Frühling wird, kann es das Herz nicht begreifen?
Marmorweiß stehen die Götter in steifen
Tuniken, zeitlos in Wonne und Weh.

Eden aus helleren Kindheitstagen,
immer noch da, und so namenlos fern!
Eben hat fein eine Glocke geschlagen —
Ach, auf dem blauen Matrosenkragen
prangten dem Knaben drei schneeweiße Stern. .


Wir Wiener

Wir lebten dem Genusse
und freuten uns am Wein,
und jeder wollt am Schlusse
ein kleiner Rothschild sein.
Vor ruhlosen Gespenstern
verschlossen wir das Haus
und sahn aus schmalen Fenstern
scheu in die Welt hinaus.

Die Völker rings, die biedern,
Sie strebten längst schon fort.
Wir lieferten den Brüdern
unsern Kulturexport.
Was wir im Schweiße fechsten,
war andern längst verbrieft.
Wir warn den Thron am nächsten —
jetzt sind wir ausgeschifft.

Wir in den Traum Verfemten,
weltfern im Zeitenlauf,
wir machten jedem Fremden
das Wagentürl auf;
was aus der Welt uns herkam,
war ohne Anschaun groß,
und wer es bei uns schwer nahm,
mit dem war halt nichts los.

Den Vorwärtsdrang der Geister
in eine beßre Welt
verklebten wir mit Kleister:
'Für so was ist kein Geld'.
Am Graben die Gesichter
waren uns vertraut zur Not,
doch alle unsre Dichter
seit Grillparzer sind tot.

Wir durften uns bestaunen
auf einer Filmleinwand,
wo uns, ein Volk von Clownen,
der Heurige verband.
Der Schubert und die Reben:
wir fandens fesch und gut
und lebten unser Leben
gestellt von Hollywood.

Daß wir uns nicht verloren
in unsrer eignen Soß,
hat man uns neugeboren,
und ziemlich rigoros.
Zu all den Ungewissen
aus Gwirkst und Schlamperei
erlernten wir das Schießen —
Was ist denn da dabei!

Uns intressiert schon nimmer,
wer uns am End verschluckt.
Unsre Couleur war immer
ein Untergangsprodukt.
Sie rauften allerenden,
den Rest beglichen wir,
mag sichs wie immer wenden,
wir zahln und bleiben stier.

Wir bleiben stier und pfeifen
im ausverkauften Saal.
Eh wir zum Gasschlauch greifen,
fahren wir zum Opernball.
Die Menschenwürde geht uns
im Grunde nichts mehr an,
und jener Nörgler schmäht uns,
ders nicht begreifen kann.

Verschwundenes Wien

Uns bleibt die Gegenwart nicht erspart.
Die Pferde haben es gut.
Sie taten längst ihre letzte Fahrt
und sind in Gottes Hut,
Vorbei, Herr Göd! Verloren, verweht!
Nicht einmal mehr auf Würstel steht
dafür die Rarität.

So ein Einspannerroß
ging schön tramhapert los
und vertraute sich gern
seinem Herrn.
Und sein Herr auf dem Bock
mit dem speckigen Rock
schlief sein Schlaferl bumfest wie ein Stock.

Die Fiaker, die gibt’s heut auch nimmermehr.
Und die Herren Chauffeur'
die sind unpopulär.
Der Herr unsrer Zeit
ist der Schaffner, der schreit,
und er macht sich, wenns geht, auf dem Trittbrett breit,
und ist wie Gott gescheit.

Die Wasserer waren, wie allseits bekannt,
in das Wasser nicht grad überschwenglich verrannt,
für Roß und für Wagen
taten Wasser sie tragen,
sie planschten und fluchten und wahrten den Schein,
doch sie wuschen das eigne Gedärm und Gebein
ständig mit Wein.

Die Dienstmänner saßen zusamm auf der Bank,
taxierten nach Vierteln den Botengang
und schnapften tagelang.
Der Mistbauer fuhr noch von Haus zu Haus,
leerte — Horuck! — seine Trücherln aus,
und der Werkelmann in der Einfahrt schwang
die Kurbel zum Walzer von Strauß —

Jetzt ist das alles aus. .

Die Pensionisten

Die Pensionisten, wie eh und je,
in Schönbrunn, auf dem Ring, in der Hauptallee,
mit dem weißen Bart und dem weißen Haar,
die leben das Leben, das gestern war.
Die Zeit ist fort, und das Blut geht leis
und rauscht eine lang verklungene Weis.

Sie gehen gemessenen Schritts, zwei, drei
in einer Reih und plaudern dabei.
Der Rang, der Dienst, der Ruhegenuß,
das schwache Auge, der steife Fuß —
und sie machen exakt am gleichen Ort kehrt
und grüßen einander hochgeehrt.

Sie sitzen im prachtvollen Sonnenschein
und schauen mitunter ganz kaiserlich drein.
Und auf einmal zeigt so ein alter Rat
einen Ring, eine Nadel, die er noch hat
von Seiner Majestät. Und ein Flüstern geht
herum wie ein Gebet.

Sie stehen oft Stunden an einem Platz
und locken die Vögel zu zärtlicher Atz,
Und schwuppt ein Fink nach dem Bröserl und holts,
dann dreht sich der Alte in richtigem Stolz,
als wollt er sagen: 'Nun, bitte sehr,
was tät das Viecherl, wenn ich nicht wär.'

Die Zeit ist fort, und das Blut geht leis
und rauscht eine lang verklungene Weis.
Die Pensionisten, wie eh und je
in Schönbrunn, auf dem Ring, in der Hauptallee,
mit dem weißen Bart und dem weißen Haar,
die leben ein Leben, das schöner war. .

Praterfrühling

Rasen, hell und ohne Fehle.
Reiter straffen Ritts.
Ferne Erlen, bange Birkenseele,
bleicher Stamm im Sonngeschwele,
und gehöhlt vom Blitz.

Amselruf und Knabenspiele.
Kahn in stummer Fahrt.
Braun noch im Kastanienblattgewühle
Kerzenblust, unendlich viele
Kerzen, mädchenzart —

Weiße Wege, graue Alte,
abseits, kühl und still;
Ruhende in jeder Wiesenfalte.
Durch die Blätter hingemalte
Bläue des April.

Hymnus auf den Kahlenberg

Nicht weil du, glanzbewußt,
heute so vornehm tust:
Weil du ein Wiener bist,
Berg, sei gegrüßt!
Warst in der überlangen Zeit
Glück für die kleinen Leut,
seliger Sonntagsgang,
waldwiesenlang.

Hast unsre Jugendjahr gesehn,
Veilchen und Primeln stehn
— längst ist die Kindheit fort —
immer noch dort.
Schwärmerisch frühestes Gefühl
aufnahm dein Waldgewühl,
einsames Liebesleid,
du hast's geweiht.

Hast uns die Stern' in der Nacht
heimatlich nahgebracht,
heimatlich Turm und Dom,
blinkenden Strom.
Wunderbar säumende Sicht,
unten lag, Licht an Licht,
die uns geboren hat,
schimmernd die Stadt.

Oder wenn Sonnenschein
wiegte die Wege ein
und du standst ernst und schwer
weinhügelher;
talwärts ein winzig Haus,
Buschen zum Tor heraus:
Noch schaut im Traume der Sinn
so nach dir hin.

Warst uns, Geschlecht um Geschlecht,
wie du dich gabst, schon recht,
haben den feineren Herrn
auch wieder gern.
Weil du durch alle Not und Last
immer ein Lächeln hast,
weil du ein  W i e n e r  bist,
Berg, sei gegrüßt!

Wienerwald

Du im Traum
geh nur zu!
Rauschebaum,
Lindenruh;
Landstraß auf,
Landstraß ab,
Wolkenlauf,
Wandertrab;
Schöntagsblau,
Sturmgebraus,
weite Schau
hügelaus;
Wald an Wald,
wellengleich,
streng geballt,
anmutweich;
eingestreut
zwischendurch
Wies und Weid,
Ackerfurch,
Blütenvlies,
Wegeband,
alles dies
ist dein Land,
alles dies
ist noch mehr:
Paradies-
wiederkehr,
Zeit, die kreist
und beruht:
Ahnengeist
dir im Blut.

Ancien régime

Du beweinst die Leut und die Rösser?
In die Palais und dieSchlösser
kommst nicht hinein.
Dort ist schon noch manches beim alten,
gehegt und geheimgehalten,
sacht wie ein Glorienschein.

Gemälde in schnörkligen Rahmen,
uralte, adlige Namen,
schön Reih an Reih.
Und durch die Fluchten der Zimmer
— die Kerzen brennen noch immer —
begleitet dich der Lakai.

Noch flackt im Kamin ein Feuer,
Affairen und Abenteuer
weckt auf der Brand.
Sie steigen still aus den Rahmen,
Kavaliere küssen den Damen
leicht und galant die Hand.

In Remisen, dumpf und gewesen,
die Kabrioletts und Chaisen,
sie warten nur.
Sie schlafen hier, vielgereister,
bis sie ihr Wagenmeister
holt zur großen Tour.

Das ist dann ein Wenden und Neigen,
ein Sichverbergen und -zeigen
wie weißgottwann.
Aber der Bürger am Fenster
sieht in der Nacht die Gespenster
und glaubt am Tag nicht dran. .

Sieveringer Elegie

Das Strässel schweigt schon, schläfrig, in Dämmerung.
Der Flieder duftet schwerer im Abendwind.
Schon wuchtet breit die dunkle Einfahrt,
darüber behaglich der Buschen schaukelt.

Im Flur ists kühl. Der Leitgeb im blauen Schurz
begrüßt mich, nickt. Was sollen viel Worte, wo
sein Vater doch schon meinem Vater
unter dem Nußbaum den Trank kredenzte?

Es hat sich nichts geändert seitdem. Noch heut
im Glase schimmert grün der gepflegte Wein,
und noch wie einst legt sich der Nachtwind
kühl in die schwärzlichen Nußbaumkronen.

Wie einst die Resi, oder die Mizzi, bringt
die Kellnerin mit ihrem durchtriebnen Gang
das Windlicht. Wie ein zages Sternchen
spiegelt sich klein seine Flamm im Glase.

Behutsam bin ich, daß mir die Flamme nicht
verlöschen möge — aber weiß Gott, es ist
der alte Garten nicht, und ach, die
liebliche Flamme verlosch im  H e r z e n.

Erwachend, einsam, seh ich um mich. . Zu laut
die fremden Leute; fremd auch, zu laut die Zeit.
Mich fröstelt. Ferner Frühling, deine
innigste Strophe hieß Maß und Schweigen.

Biedermeier

Der Herr Vater okuliert
gelb- und rote Rosen.
Die Frau Mutter wischt gerührt
Staub von Spind und Dosen.

Tante stapft zum Schlummersitz
in die Laubenecke.
Um ihr Antlitz, grau und spitz,
flirren Sonnenflecke.

Jettchen träumt von ihrem Franz,
Franz von seiner Jette.
Und er schreibt ihr einen Kranz
zierlicher Sonette.

Abends in der Dunkelheit,
beim Staketenzaune,
ach, wie schnell vergeht die Zeit
zärtlichem Geraune.

Unterm Glassturz schlägt die Uhr
folgsam Stund um Stunden:
Zeit, von einer Nippfigur
neckisch überwunden.

Plötzlich wettert scharfe Luft
in den Trödlerladen:
Spielerischer Traum verpufft
auf den Barrikaden.

Grinzinger Weinsteig

Vom Schreiberweg geht es hinein.
Ein Hauserl steht mitten im Wein.
Der Mai war ein wenig zu kühl:
Da sind halt die Reben noch klein.

Noch klein, aber gut fürs Gefühl.
Ich schau auf das Blättergewühl.
Vom Hollerbusch fächelt der Wind
hangauf ein Harmonikaspiel.

Hangab zwischen Linden beginnt
Ein Zwiebelturm, goldener sind
die Häuser ins Grüne gestreut,
das zart in der Bläue verrinnt.

Es hat mich nicht immer gefreut.
Dort unten verdämmert das Leid.
Dort schwimmt mir ein silbernes Band,
das bindet gelinde ans Heut.

Du welliges,seliges Land,
du Blick, in die Sinne gebannt:
Noch ist es wie ehemals mein
und schön und im Blute verwandt.

Das Größe läßt fremd und allein.
Am Ende doch tröstet der Wein.
Der Mai war ein wenig zu kühl —
da sind halt die Reben noch klein.

Der Phäake
(der Genußmensch)

Ich hab sonst nix, drum hab ich gern
ein gutes Papperl, liebe Herrn:
Zum Gabelfrühstück gönn ich mir
ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier,
schieb an und ab ein Gollasch ein,
(kann freilich auch ein Bruckfleisch sein),
ein saftiges Beinfleisch, nicht zu fett,
sonst hat man zu Mittag sein Gfrett.
Dann mach ich — es is eh nicht lang
mehr auf Mittag — mein' Gesundheitsgang,
geh übern Grabn, den Kohlmarkt aus
ins Michaeler Bierwirtshaus.
Ein Hühnersupperl, tadellos,
ein Beefsteak in Madeirasoß,
ein Schweinspörkelt, ein Rehragout,
Omletts mit Champignon dazu,
hernach ein bisserl Kipfelkoch
und allenfalls ein Torterl noch,
zwei Seidel Göß — zum Trinken mag
ich nicht viel nehmen zu Mittag —
ein Flascherl Gumpolds, nicht zu kalt,
und drei, vier Glaserl Wermut halt.
Damit ich's recht verdauen kann,
zünd ich mir mein Trabukerl an
und lehn mich z'rück und schau in d' Höh,
bevor ich auf mein' Schwarzen geh.
Wann ich dann heimkomm, will ich Ruh,
weil ich ein Randerl schlafen tu,
damit ich mich, von zwei bis vier,
die Decken über, rekreir'.
Zur Jausen geh ich in die Stadt
und schau, wer schöne Stelzen hat,
ein kaltes Ganserl, jung und frisch,
ein Alzerl Käs, ein Stückerl Fisch,
weil ich so früh am Nachmittag
nicht schon was Warmes essen mag.
Am Abend, muß ich Ihnen sagn,
eß ich gern leicht, wegn meinen Magn,
Hirn in Aspik, Kalbsfrikassee,
ein kleines Züngerl mit Püree,
Faschiertes und hin und wieder wohl
zum Selchfleisch Kraut, zum Rumpsteak Kohl,
erst später dann, beim Wein zur Not,
ein nett garniertes Butterbrot.
Glaubn S' nicht, ich könnt ein Fresser wern,
ich hab sonst nix, drum leb ich gern,
kein Haus, kein Auto, nicht einmal
ein G'wehr im Überrumplungsfall.
Wenn nicht das bissel Essen wär — —

(Stimme des Volkes:)
Segn S', d e s w e g e n  ham S' nix, liaber Herr!


Diethelm Trausenit
(1349)

Diethelm Trausenit, warum bot
bei Sankt Stephan dir niemand Dach und Gelaß?
Sie scheun wohl in deiner Zunge den Spott,
in deinen Augen den Haß.

Die Heiligen, die dein Meißel weckt,
die tragen dein eigen unheilig Gesicht.
Sie stehen steif, sie lächeln versteckt:
aber fromm sind sie nicht.

                            
*

Der Müller Konrad Freisam blickt schief
nach dem zugereisten buckligen Gast.
'Lies mir des Wormser Bruders Brief,
den du gewiesen hast.'

Der Steinmetz las. Mißtrauisch schnitt
der Müller Brot und bot den Wein.
'Um meines Bruders Wunsch und Bitt
sollst hier beherbergt sein.'

                           
*

He, Müller, machst deine Mühle zum Schloß?
Wozu das Schnitzwerk, das Rosengerank?
Überm Torbogen steinern der Höllengenoß,
Maßwerk der Fenster schlank?

Wozu des Radbrunnens kunstvolle Zier?
die Hundsköpf und Drachen an Sparren und Bolz?
An den Windbrettern üppig das Fratzengetier
aus laubbraunem Lindenholz?

'Der bucklige Steinmetz, der närrische Wicht,
er schmückt mir mit Fleiß so Mühle und Haus.
Ich geb für alle den Zauber nicht
e i n e n  Pfennig aus.

Er front mir, und zwischen Schnitt und Schlag
gafft er verliebt nach meiner Marie.
Aber so arg er werken mag,
Mein Kind bekommt er nie.'

                           
*

'Schön jung Marie, du blickt so hell,
schlug endlich die Flamme im Herzen ein?'
'Ja, Georg Geyer, der Plattnergesell,
der soll mein Liebster sein!'

Der Steinmetz würgte sein Weh in den Hals.
Es knurrte der Müller. Der Bursche war arm.
Und in der Mühle an der Als
war seither Streit und Harm.

Und es ging die Rede im ganzen Wien,
und das Tuscheln, das Raunen und Schwatzen gedieh
von des Müllers Freisam starrköpfigem Sinn,
von der Liebe der schönen Marie.

                           
*

Sie raunten eines Tages nicht mehr:
Ein entsetztes Zischeln ging drohend um.
In seiner Mühle, gnad ihm der Herr,
Freisam lag tot und stumm.

Gedunsen, schwarz, und schrecklich zu schaun.
Der Medikus kam und murmelte: 'Gift!
D e r  Fall betrifft mich nimmer, traun,
den Henker der Fall betrifft.'

                           
*

Stadtrichter, jetzt prüfe! Wem wars zu Gewinn,
wer lag mit dem Alten in Fehde und Streit?
'Nur eine! Greift sie, die Giftmischerin,
und der Rote sei ihr bereit!'

Nun hüte den weißen Nacken, Marie!
Die Richtersknechte, sie poltern heran,
sie binden, sie zerren dich auf die Knie —
Dein Haupt, das wollen sie han.

Was hilft dein Weinen, der Herzog hat
den Spruch bestätigt, das Urteil gesetzt.
Das Blutgerüst wartet. Wild fiebert die Stadt.
Was hilft dein Weinen — jetzt. .

                           
*

Der Steinmetz braut einen nächtigen Trank
aus Schleim und Gekrös, aus Kräutern falb
und füllt zwei Gläser, grünlich und schlank,
eins ganz, das andere halb.

Er läßt sie in seiner Kammer stehn
und zieht frühmorgens zur Stadt hinein,
mit Mienen, fast heiter anzusehn,
mit Augen wie trunken vom Wein.

Geht, wie er ist, vor Stadtrichters Haus,
steigt ohne Zittern die Treppe hinan
und stellt sich in seinem zerschlissenen Flaus
vor den grimmigen Mann:

'Lukas Schadmitzer, Stadtrichter, hör!
Ich, Diethelm Trausenit, klage mich an:
I c h  hab ihn vergiftet, den filzigen Schmer,
Freisam — Ich hab es getan.

Er hat mich geprellt um vereinbarten Lohn.
Den Nachbarn hat er listig erzählt,
daß ich ihm diente in kindischer Fron
um keinen Pfennig Geld.

Da packte mich Wut. Es mußte geschehn.
Das Gift, er trank es mir gierig und gut.
Noch magst du in meiner Kammer sehn
Den Rest der eklen Flut. .'

                           
*

Sie fanden das Gift, und es ward ihm geglaubt.
Und er jubelte innen: 'Marie, du bist frei.'
Der Henker schlug zu, und vom Rumpf fiel sein Haupt.
Fahr hin! — Marie, du bist frei!

                           
*

Stadtrichters Weib ward gleichen Tags krank,
starb und war schwarz wie von Gift.
Und der Totengräber beim Graben hinsank,
und noch sieben Bürger es trifft.

Und anderen Tags in gleicher Not
zehn Bürger! Durch Wien geht ein Schrei:
'Alle wie Freisam! Der schwarze Tod!
Daß Gott uns gnädig sei!'

                           
*

'Schön jung Marie, ein Trauern geht,
ein Weinen um in der Stadt.
Sprich für den Buckligen ein Gebet,
Der dich entsühnet hat.'

Ballade vom kleinen Mann
(1926)

Wie jeden Tag durch die zwanzig Jahr,
die er dient in seinem Büro,
steht er auf, streicht mit den Fingern durchs Haar,
wärmt Kaffee sich auf dem Rechaud,

wäscht Händ und Gesicht, fährt rasch in den Rock,
(nur im Amt nicht unpünktlich sein!)
streicht sich sein Brot, nimmt Hut und Stock
und läßt sein Zimmer allein.

Um die Groschen für die Straßenbahn
krampft er wichtig die Hand,
er hält beim Tor einen Augenblick an,
um zu schaun nach dem Wetterstand,

geht ein wenig müd, denn er schläft nicht gut,
bis zur Straßenbahn die paar Schritt;
mit Gesichtern, ihm vertraut wie sein Hut,
fährt er verdrossen mit.

Vor dem Amtshaus zupft er an Kragen und Rock,
verhält sich, ein weniges nur,
und vor seinem Schreibtisch im dritten Stock
sitzt er punkt acht Uhr.

Er nimmt seine lausigen Akten vor,
schreibt 'zufolge' und 'auftragsgemäß',
macht Pause punkt zehn, und die Feder am Ohr,
ißt er sein Brot indes.

Dann schreibt er wieder 'indem' und 'hieraus',
bis Zeit ist zum Mittagstisch.
Die Gemeinschaftsküche ist gleich im Haus,
und es stinkt nach Rüben und Fisch —

Er würgt am Schreibtisch den Fraß wie ein Mann,
der zuhause Besseres hat.
Dann raucht er sich eine Pfeife an
und gibt der Verdauung statt.

Er leiht sich dazu eine Zeitung aus
vom nächsten Kollegen und liest,
daß eine Dame aus gräflichem Haus
eines Knaben genesen ist.

Dann schreibt er von neuem 'mithin' und 'anbei',
ganz pflicht- und schweigeumweht,
und endlich ist es auch heute drei,
und er nimmt seinen Hut und geht.

Die Sonne scheint blank, also fährt er nicht
wie sonst auf der Straßenbahn.
Er schlendert langsam, mit stillem Gesicht,
sieht sich die Schaufenster an,

weicht ängstlich einem Betrunkenen aus
und staunt nur: Gibt es das auch?
Schaut ihm kopfschüttelnd nach, bis ans letzte Haus,
und spürt den Fuselhauch.

Er sieht den Mädchen scheu nach der Brust
und denkt: Ist nichts für mich.
Lang ist die Ehe und teuer die Lust. .
Und spuckt und räuspert sich.

Jetzt kommt der Uhrmacherladen am Eck.
Hier verweilt er, wie manchen Tag.
Und verschlingt mit dem Blick 'seinen' Ring, der am Fleck
liegt, wo er immer lag.

Er geht durch den Park, und die Lindenblüh
duftet süß und schwül.
Ein heller Tag aus der Kindheit früh
steht auf einmal vor seinem Gefühl.

Es zerstiebt gleich wieder. Er denkt der Schuld,
die noch beim Schneider steht,
wischt sich den Schweiß mit Ungeduld,
schiebt den Hut ins Genick und geht.

Zuhause empfangen die Wände ihn,
wie er sie morgens verließ.
Er muß die Kissen frisch überziehn,
lüften, und jenes und dies.

Der Staubwedel rührt mit leichtem Schwung
an die Lautensaiten; der Klang
weckt halb verwehte Erinnerung
an die Zeit, wo er jung war und sang.

Du mein Gott, die Jugendeseleien,
die waren gründlich vorbei. .
Schnell holt er Eier und Wurstzeug ein
und brät sich 'Schinken mit Ei'.

Er ißt aus der Pfanne (wer sieht es denn!)
lang, schwelgend, und ohne Gier
und putzt nachher das Geschirr wieder schön
mit vielem Zeitungspapier

Dann streicht er sich mehrmals über den Bauch,
sein Leiblied kommt ihm zu Sinn:
'Ja die alten Deutschen tranken ja auch —'
und er brummt es so halb vor sich hin,

zieht die Uhr und schaut eine Zeit an die Wand,
denn die Zeit läuft schrecklich leer,
wenn kein Ding und Tun die Minute bannt
und kein Mensch ist um einen her —

und räkelt sich und zählt zweimal sein Geld:
Der Stammtisch wartet schon.
Dort ist das Leben, dort ist die Welt,
dort verebbt der Tag und die Fron.

Er genießt seine üblichen drei Achtel Wein
wie ein Bürger: gehalten, adrett.
Und fällt mit einem Seufzer klein
punkt zehn in sein einsames Bett.

Elegie auf den Tod eines alten Wieners
(1922)

Er ging von uns. Weint nur! Sein Hingang war
nicht beiläufig bloß eines Lebens Verglut.
Da er starb, erzitterte dumpf dieser Stadt
Wahrzeichen, mitgetroffen bis in den Grund,
uralten, heiligen Domes ein Quaderstein
barst, da den Sarg die bergende Scholle empfing.
Einer losch aus, und die Trauer aufschauend, sehn
wir gewaltigern Tod: Es stirbt eine ganze Stadt.

Da er, noch ehrfurchtgeschult, eine Tradition
klamm in den Händen hielt, während um ihn der Betrieb
einer entgötterten Zeit hohnlachend Worte spie,
welche zum Tod wurden all der Getroffenen;
da er ein  M e n s c h  war, gab seinen Wurzeln sich
nicht mehr dies Erdreich her, das geschändet vom Tritt
fortschrittshungriger Tiere, Stein ward und Sumpf.

Also mußte er sterben. Könnte die Zeit
noch sich besinnen — fürwahr! sie besänne sich
an diesem einsamen Grab, und welches gelind
bald nun der Frühlingswind von den Hügeln her weht.
Aber der Tag ist taub für den Schollenwurf,
und der Wind um sein Grab, der weint durch die Nacht,
weint von den Hügeln, er weckt dieser Zeit nicht die Scham.

Um ein Grab mehr: Was tuts? Ach, wo bleibt der Trost
großer Kultur, gegliederten Lebens Sinn,
schön und harmonisch aus Weisheit, weise aus Leid,
leidvoll aus Menschlichkeit, menschlich aus tiefer Kraft,
Kraft, die aus Heimat und uralten Glauben floß:
Wien selbst ist tot. . Dort tanzt eine fremde Stadt.
Drei Schaufeln Erde hinunter! Sie klagen an,
aber sie wecken — weint nur! — ein Totes nicht mehr.

Auf eine Wienerin

Heiter, ohne Schwere,
wo auf Erden wäre
jene stille Größe, die dich ehrt;
diese Leidensreine,
und im Glück dies feine
Lächeln, noch im Makel liebenswert?

Soviel Anmut lassen,
soviel Welt-erfassen
dieser Landschaft Genien nicht im Stich:
Die den Strom bewohnen
und die Hügelkronen,
gute Göttlichkeiten schützen dich.

Wenn ich leise klage
um die alten Tage,
nimm es als ein Teil des Wieners hin!
Hätt ich nicht dem Herzen
diese Lust der Schmerzen,
liebt ich denn in dir die Wienerin?

Dir, der ewig Jungen,
tief ins Blut gedrungen
ist der Kunst geheimnisvolles Reich.
Aufgelöst im Tanze
zeigst du unsre ganze
Künstlergabe, warm und rhythmenweich,

die am Quell des Lebens
lebt und süßen Schwebens
noch den Alltag adelt mit Musik:
Aller Weisheit Krone,
bittrer Zeit zum Hohne
gibst du sie der bittern Zeit zurück.

Laß mich ruhig klagen!
Deine Augen sagen
mir den Sieg der Schönheit stolz voraus.
Ewig unverloren,
Stadt, die dich geboren,
und gesegnet bis ans letzte Haus!

Uniform in der Republik

Beiwagen, hintere Plattform, Linie J.
Ein Wehrmann, sportlich, in gestrecktem Lauf,
jagt dem Gefährte nach, erreichts, springt auf
und just dem Schaffner auf die große Zeh.

Ein Blick, schwer ehrbeleidigt, amtlich klamm,
bohrt sich in den frivolen Söldnerrock.
Doch er bezieht, steif wie ein Haubenstock,
das Trittbrett, und  d i e  Stellung hält er stramm.

'Herr, gehn S' vom Trittbrett weg!' — 'I steig jå so
glei aus.' — 'Steign S' auffa, såg i, sonst passiert
ein Unglück, Herr!' — Der 'Herr' bleibt ungerührt.
Der Schaffner kocht. Ein Fahrgast meckert froh.

Erbost und schrill ertönt der Klingelzug.
Der Wagen steht. Der Mann steigt lässig aus:
'Kommuneg'freiter, blås di net, fåhr z'haus!'
und geht gesammelt ab, sich selbst genug.

Schon trennt von jenem uns ein sichrer Raum.
Da endlich bricht sich Bahn gestaute Wut:
'Anzogner Wurschtel, dålkerter Rekrut!'
Der Schaffner rufts, und schweigt, und sinkt in Traum.

Die Kaffeehauspositur

Ich bitt Sie, Herr Nissel,
a Schale mehr braun,
die Presse und bißl
zum Bildl anschaun.

Ob Tapper, ob Stoß,
das Leben is mies.
In Geschäft is nix los,
und ma kriegt kalte Fiß.

Was schreibt denn das Blatt?
Is eh alles Stuß.
Ich weiß nicht, ma hat
ka Freid an den Schmus.

Was mach ich zuhaus!
Mei Taschenuhr steht.
Die Gall geht am raus
vor der bleden Diät.

Ich bitt Sie, ma weiß
scho eh, was sich g'hert.
Ich lob mir und preis'
den sittlichen Wert.

Ich hab mei Kultur,
bin gewitzt und gescheit,
und in Wirtshaus gehn nur
die gewehnlichen Leit.