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Quelle:
Fünfzig Wiener Gedichte
(alte und neue)
Albrecht Graf Wickenburg
Wien 1911
Verlag von Gerlach & Wiedling
Druck von Christoph Reißer's Söhne, Wien V.
Wiener Art
Am echten Wiener ist fürwahr nichts kantig,
Ja manchen dünkt sein Wesen schier zu weich.
Was andre grämt, macht ihn ein bißchen "grantig"
Und raschem Poltern folgt sein Lachen gleich.
Doch mag ihn auch ein leichter Wind schon biegen,
Der stärkste Sturm wird ihn nicht unterkriegen!
An Wien
Fern von Dir, in tiefer Stille
Denk' ich Dein, mein teures Wien,
Und mich zieht ein starker Wille
Übermächtig zu Dir hin.
Steigst vor mir an Deinem Strome
All in Deiner Größe auf,
Überragt vom hohen Dome
Mit dem goldnen Adler drauf!
Herrlich funkelnde Paläste
Winden sich zum hellen Kranz
Und die alten Mauerreste
Schwinden unter neuem Glanz.
Doch trotz aller Augenweide,
Allem Prunk von Stein und Erz,
Unterm neuen Schimmerkleide
Schlägt das alte Wienerherz.
Immer noch in heller Lohe
Flammt die alte Fröhlichkeit,
Ja, sie hießen Dich "das frohe"
Schon zur Babenberger Zeit!
Wiege deutschen Sanges warst Du,
Wie Du heut voll Sang und Klang
Und den deutschen Sinn bewahrst Du,
Altes Wien, Dein Leben lang!
Sieh hinab, wo zwischen Auen,
Rebengrün und Saatengold,
Dort die Donau ihren blauen
Wogen nach dem Osten rollt. —
Drüben, auf des Feldes Breiten
Ward die deutsche Saat gesät,
Die, will's Gott, für Ewigkeiten
Noch in hohen Halmen steht.
Ob des Slawen Übermute
Siegte dort der deutsche Aar,
Und vor Rudolf lag im Blute
Jener stolze Ottokar.
Du, mein Wien, Du lebst als Zeuge,
Denn ein Gottesurteil war's,
Daß der Böhmenleu sich beuge
Vor dem Flügelschlag des Aars!
Leuchtend stiegen Habsburgs Sterne
Über jenem Feld empor,
Daß verdämmernd in der Ferne
Schwand, was leuchtete zuvor,
Und gefügt aus Riesenquadern
Jenes Österreich erstand,
Das das Blut aus deutschen Adern
Als ein fester Mörtel band.
Welch ein Reich! . . . Wie vielgestaltig,
Reich gegliedert stand es da,
Und durch Einheit allgewaltig,
Hieß es: "Felix Austria!"
Jeder Teil war noch durchdrungen
Von des Ganges Majestät —
Sprach das Reich mit hundert Zungen,
War's von einem Geist durchweht!
Aber heut? . . . Was sehn wir heute?
Kampf um Rasse und Nation,
Jagen rings nach guter Beute,
Feilschen um der Treue Lohn.
Jeder trägt, was er ergattert,
In sein enges Heimatland,
Und des Reiches Banner flattert
Nur mehr in des Deutschen Hand.
Deutsches Wien, ja Du vor Allen
Trägst die deutsche Treu in Dir,
Ewig als dein Banner wallen
Wird das alte Reichspanier!
Nimmer wird dein Pulsschlag leiser,
Nimmer deine Farbe bleich,
Mächtig in der Stadt der Kaiser
Schlägt das Herz von Österreich!
Deutsches Herz, ich hör' Dich hämmern,
Deutsches Herz, schlag unverzagt!
Kündet nicht ein leises Dämmern
Schon die Zeit, wo's wieder tagt?
Frischer Wind vom Donaustrande
Wird die Nebel dann verwehn,
Und im alten Osterlande
Gibt's ein freudig Wiedersehn!
Hör' ich trübe Flut erbrausen,
Wie sie nah und näher schwillt,
Hör' ich auch des Adlers Sausen,
Dem der Unmut überquillt.
Habsburgs Stern im alten Schimmer
Seh' ich hoch und höher ziehn —
Felix Austria für immer
Und Glück zu, mein treues Wien!
Schloß Petersberg bei Silz in Tirol, 1884