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Wiener Sagen, Geschichten und Figuren
(Sagen vom Stephansdom)


1. Die Wiener Linde
2. Wind und Regen
3. Sage vom zweiten Stephansturm
4. Alle Neun
5. Die Totenmette im Stephansdom

 
1.
Die Wiener Linde

Ein altes Märlein wärm' ich auf,
Vergessen in der Zeiten Lauf! —
Wer in der Rotenturmstraß' itzt
Im hohen Saal der Linde sitzt,
Denkt der noch an's uralte Haus,
Das unsre Väter lud zum Schmaus,
Mit Tannichtreis und Hobelspan,
Und mit dem Schild "zur Linde" dran?
Und w e r gedenkt des Baumes gar,
Der P a t e unsrer Linde war?

◊◊◊

Sankt Stephan war zur selben Zeit
Beileibe nicht der Dom von heut',
Und brausten auch die Wiener Stürme
Schon um die beiden Heidentürme,
An unsres Steffels Riesenpracht
Hat damals noch kein Mensch gedacht,
Und grüner Wald- und Wiesenplan
Trat dicht bis an den Dom heran. —


Wo heut' in stolzer Residenz
Wohnt unsre Wiener Eminenz,
Dort stand ein Häuschen, schlicht und klein,
Doch ging ein Mann dort aus und ein,
Der allen eine Leuchte schien:
Der Pfarrer "Eberhard von Wien".
Wenn der auf seiner Kanzel stund,
Hing Alt und Jung an seinem Mund
Und unter Gottes freiem Himmel
Gab's oft genug ein Volksgewimmel
Um den verehrten Hirten her,
Und hielt er seine Christenlehr'
Im Garten unterm Lindenbaum,
Da wagte man zu atmen kaum.

Der stolze Baum am Pfarrgebäude,
Das war des Pfarrers größte Freude.
Er pflanzt' ihn einst als junges Reis,
Und nun er selbst schon silberweiß,
Nun ist auch seine alte Linde
Schon reich an Runzeln in der Rinde,
Und beide sind sie geistverwandt,
Denn kommt der Frühling nur ins Land,
Wallt's auch im Greis wie junges Blut,
Und blüht sein Baum voll Übermut,
Wird's ihm so wonnig um die Brust,
Als ständ' auch er noch in der Blust. —


Ach! heuer hat's schon lang gelenzt,
Der Sommer schwand, der Herbst kredenzt
Den Saft der edlen Trauben schon,
Die Wandervögel sind davon,
Und durch der Linde Blätterrest
Schlüpft nur der Sperling im Geäst.
Der alte Pfarrer, wie im Traum,
Sitzt gar betrüblich unterm Baum
Und starrt hinaus ind kahle Land
Von Todesahnung übermannt.
Und er, der nie vorm Tod gebebt,
Jetzt fühlt er erst, wie gern er lebt,
Und sein Gebet steigt auf zum Herrn!
"Rufst Du mich ab, ich folg' Dir gern,
Doch willst mir rechte Gnad' erweisen,
So lass' mich nicht von hinnen reisen,
Eh' hier noch einmal, lau umweht,
Mein Lindenbaum in Blüten steht!"

Der Herr schien's nicht gehört zu haben,
Bergab geht's mit dem alten Knaben,
Und just am lieben Weihnachtstag
Hört er des letzten Stündleins Schlag.
Ihm Lehnstuhl sitzt er, siech und schwach,
Und bang und schwül ist's im Gemach.
Da spricht der Kranke zum Gesind:
"Schiebt mich ans Fenster noch geschwind,
Daß ich, wenn auch in Eis und Schnee,
Noch einmal meine Linde seh'!"
Und man willfährt ihm dienstbeflissen,
Schnell wird das Fenster aufgerissen,
Und sieh! . . . wo alles rings verschneit,
Da ragt der Baum im grünen Kleid,
Mit hellen Blüten überdeckt,
Als wären Lichtlein drauf gesteckt,
Und linde Luft spielt mit den Zweigen,
Daß sie sich leis zum Fenster neigen,
Und Blüt' um Blüte löst sich los
Und fällt dem Greise in den Schoß.
Da sinkt der Sterbende zum Grund
Und haucht, ein Lächeln um den Mund:
"So lebt den wohl! . . . jetzt sterb' ich gern,
Und sterbend preis' ich unsern Herrn,
Führwahr, Er hat mich auserwählt,
Der solchen Wunders wert mich hält!"


2.
Wind und Regen

Daß ewig Wind und Regen
Den Stephansturm umfegen,
Weiß jedes Wienerkind,
Und jedes flucht der Plage,
Doch kennt Ihr auch die Sage
Vom Regen und vom Wind?

Wie stolz die Wiener schauten,
Als hoch ob allen Bauten
Sich einst der Steffel hub!
Das war ein Frohgenießen —
Nur Einen tät's verdrießen,
Den Meister Beelzebub.

Bau'n hier so fromme Hände,
So schickt ihm Wien am Ende
Kein Höllenbrätlein mehr,
Sein höllisches Gesinde,
Die Wetterhexen her.

"Seht Ihr den Turm da droben?
Um den sollt Ihr mir toben,
Soviel ein Jedes kann!
Gehabt Euch nach Gelüste
Und jagt mir vom Gerüste
Die Werkleut' Mann für Mann!"

Allein, da half kein Rasen,
Kein Plätschern und kein Blasen
Und höllisches Geschnauf!
Trotz aller Teufelswitze
Stieg unser Turm zur Spitze
Mit Kreuz und Adler auf!

Da wird der Schwarze selber
Vor Ärger gelb und gelber
Und scheut vor solchem Glanz,
Reckt einmal noch die Zunge
Und nimmt Reißaus im Sprunge
Mit eingekniff'nem Schwanz.


In Eile nur vergaß er
Die Winde und das Wasser
Auf unserm Stephansplatz —
Die warten auf den Meister
Und treiben immer dreister
Zur Kurzweil wild Hatz.

"Ach, würden sie gestohlen! —
Der Teufel soll sie holen!"
So flucht ganz Wien voll Groll,
Doch gibt's kein End des Spieles,
Der Teufel holt gar Vieles,
Nur d a s nicht, was er soll!


3.
Sage vom zweiten Stephansturm

I.
Der Stephansturm war aufgebaut
Und Meister Prachaditz betraut
Den Dombau zu vollenden —
Da trat zu ihm an einem Tag
Werkführer Buchsbaum, scheu und zag,
Die Mütze in den Händen:

"Herr Meister . . . Euer Töchterlein . . .
Das stahl sich mir ins Herz hinein . . .
Kann ohe sie nicht leben . . .
Wenn ich Euch fürder helfen soll,
So müßt Ihr mir vertrauensvoll
Marie zum Weibe geben!"

Der stolze Meister Prachaditz,
Erwiderte mit schnödem Witz:
"Mein Kind ist teure Ware!
Willst du sie han, Du armer Wurm,
So bau den zweiten Stephansturm
Von jetzt an in einem Jahre!"

Begossen so mit kaltem Hohn'
Schlich sich Hans Buchsbaum scheu davon,
Im Herzen wund und wüste,
Verbarg am Tage sich voll Scham,
Und stieg erst, als der Abend kam,
Zum Abschied aufs Gerüste.


Sieh! . . . Dort im Dunkel regt sich was . . .
Mit Eins steht Junker Satanas
Vor dem betrübten Knaben:
"Verläßt Du Dich auf mich, Gesell,
So bau'st Du, wie Du willst, so schnell,
Und sollst Dein Schätzlein haben!

"Was ich dafür begehr', mein Sohn,
Ist wahrlich ein geringer Lohn,
Das mußt Du selbst bekennen:
Du darfst mir nur in dieser Frist
Gott-Vater nicht, noch Jesus Christ,
Noch seine Mutter nennen!"

II.
Bewundert ward des Meisters Kunst,
Dem insgeheim der Hölle Gunst
Des Zaub'rers Kraft verliehen —
Der Turm, der kaum begonnen war,
Stand schon nach einem halben Jahr
Zur halben Höh' gediehen.

Den Meister freilich wurmt's genug:
Ein Gotteswerk mit Teufelstrug —
Der Frevel muß sich rächen!
Auch macht ihn Sehnsucht schier vergeh'n:
Er darf sein Liebchen jetzt nicht seh'n,
Noch ihren Namen sprechen.

Des Abends einst im Dämmerschein
Steigt er noch auf den Turm allein,
Sein Tagwerk zu beschauen —
Der Lärm der Stadt ist schon verhallt,
Und nur das Aveläuten schallt
Noch in der Luft, der lauen.

Vom Turme schaut er, wie im Traum,
Und schaut und traut dem Auge kaum —
Wer ist's, der unten schreitet?
Sie ist es . . . ja wahrhaftig . . . sie!
Und jubelnd schreit er auf: M a r i e!
Die Arme ausgebreitet.


Da gellt ein Lachen an sein Ohr
Und Satan reckt sich hoch empor,
Von Höllenglut umwettert,
Und stößt mit seiner Krallenfaust
Hans Buchsbaum, daß er niedersaust
Und unten liegt zerschmettert. —

Noch heute steht der halbe Turm
Und trutzt dem Regen und dem Sturm,
Doch Keiner will dran rühren,
Und immer wartet man in Wien,
Wer einst mit Gottes Segen ihn
Wird bis zur Spitze führen.


4.
Alle Neun

Im Stephansturm, auf hohem Plan,
Gab's auch mal eine Kegelbahn,
Wie die Chronisten schreiben —
So tät ein Turm- und Feuerwart
Sich damals auf gut Wienerart
Die Langeweil vertreiben!

Das Spiel, das alle Muskeln strafft,
Ward mählig ihm zur Leidenschaft,
Nur Partner fand er keine —
Denn allen schien sein Glück zu grob:
So oft er in die Vollen schob,
So traf er alle Neune!

Was tut's? Er treibt allein den Spaß,
Und bald, bei Spiel und Branntweinglas,
Versäumt er seine Pflichten,
Und spielt und trinkt in Frevlerlust,
Auch wenn sie in Sankt Stephan just
Den Gottesdienst verrichten!

Einst, als er so die Nacht durchfegt,
Da sieht er, wie's Glockzwölfe schlägt,
Sich ein Gespenst erheben,
Und er — dem Teufel sonst zu keck —
Er schiebt in seinem jähen Schreck
Zum ersten Mal daneben!

Der Gast ihn jetzt ans Fenster winkt,
Wo unten tief ein Lichtlein blinkt,
Und raunt: "Lass' ab vom Spiele,
Und acht' auf Glöcklein und Latern' —
Der Priester trägt den Leib des Herrn
Zu Einem, der am Ziele!"

Da lacht der Türmer toll und wild:
"Was predigst Du da, Schreckgebild?!
Komm' lieber Kegelschieben!
Ich wette doch, Du grauer Wicht,
Du triffst mir alle Neune nicht,
Wie ich's tu' nach Belieben!"


Der Graue grinst und nickt nur drauf,
Der Türmer stellt die Kegel auf,
Das heißt: Nur ihrer achte —
Den neunten schiebt er hübsch beiseit'
Und wirft in aller Heimlichkeit
Ihn aus dem Fenster sachte.

Da reckt der Geist sich hoch empor,
Und niederfällt der graue Flor
Von schneeigen Gebeinen:
"Ich zählte neun, die muß ich mäh'n,
Und läßt Du mir nur achte steh'n,
So treff' ich acht . . . und einen!"

Starr lehnt der Türmer an der Wand,
Wie festgenagelt und gebannt,
Gleich Eulen an der Scheune —
Die schwere Kugel rollt heran,
Acht Kegel fallen und ein Mann —
Freund Hein schob alle Neune!
5.
Die Totenmette im Stephansdom

Solch stürmische Christnacht gab's wahrlich noch nicht!
Dem Stephansturm kracht's im Gerippe,
Und hoch in den Wolken zuckt schreckliches Licht,
Als käm' jetzt der Heiland zum jüngsten Gericht,
Und nicht erst als Kindlein zur Krippe!

Im Pfarrhof da drinnen ein würdiger Greis
Steht lauschend am klirrenden Fenster,
Und unten im Freithof die Kreuze, so weiß,
Von flaumigen Flocken umwirbelt im Kreis,
Sie starren ihn an wie Gespenster.

Horch! Mitternacht dröhnt es . . . vom Dom tönt ein Chor?
Dem Pfarrer wird angst und beklommen:
Er wahrt doch den Schlüssel so heut', wie zuvor,
Wie sind durch der Kirche verschlossenes Tor
Die Leute so lautlos gekommen?

Ein Weilchen nur zagt er .  . . im Namen des Herrn
Dann wagt er's, hinüber zu gehen. —
Am Himmel erglänzt noch kein einziger Stern,
Verschneit ist der Pfad, und beim Schein der Latern'
Ist nirgends ein Fußtritt zu sehen.

Und sieh! . . . in der Kirche, da drängt sich's fürwahr
Von Betern im dämmernden Raume,
Vorn flimmern die Kerzen am hohen Altar,
Und dort steht ein Priester mit silbernem Haar —
Der Pfarrer erschaut's wie im Traume.

Sie singen so schnarrend, sie grinsen so kalt,
Sie sind ihm bekannt und doch fremde,
Und Männer und Weiber, ob jung oder alt,
Jedweden der hageren Leiber umwallt
Ein langes, ein schneeweißes Hemde.

Jetzt kehrt sich der Prister mit segnender Hand
Und plötzlich erschweigen die Stimmen,
Und schon hat der Pfarrer, vom Schreck übermannt,
Im Antlitz des andern sein eignes erkannt
Und fühlt seine Sinne schwinden.

Und wie er erwacht, ist es finster und graus,
Die Beter sind alle verschwunden,
Der wankende Greis stürzt zum Tor hinaus,
Und atemlos keuchend erreicht er sein Haus,
Gehetzt wie von kläffenden Hunden. —

Noch sitzt er am Tisch, wie der Morgen schon graut,
Und schreibt, daß die Finger ihm lahmen,
Verzeichnet sie Alle, die er erschaut,
Und setzt auf die Liste mit schaudender Haut
Zuletzt noch den eigenen Namen. —

Und Monde verinnen, der Winter vergeht,
Und schon stürmt der Lenz in die Lande,
Doch wie die Natur nun vom Tode ersteht,
Da kommt erst der Tod für die Menschen geweht,
Der schwarze, vom indischen Strande!

Bald trauert der Pfarrer um seine Gemein,
Das Glöcklein will nicht verhallen,
Schon steht auf der Liste sein Name allein,
Da streicht auch noch diesen der grimme Hein —
Die Weihnacht schaut Kein's mehr von Allen.
 
Geschichten und Figuren

Leopolds VI. Weihnachtsfest im Jahre 1227
Der Kaiser und der Schmied
Herr Walther in Wien
Ein Wiener Turnier
Otto der Fröhliche
Hans Sachs und der Wiener Schuster
Wolfgang Schmelzl
Abraham a Sancta Clara
Die Alte vor dem Gnadenbild
 
Leopolds VI. Weihnachtsfest im Jahre 1227

Herr Leupold, der "der Glorreiche" zubenannt,
Er sitzt in der Burg heut alleine —
Ein Weilchen schon wiegt er den Kopf in der Hand,
Da springt er mit Eins auf die Beine:
"Hei!" ruft er, "mein Wien ist ein fröhliches Nest,
Drauf reimt sich kein fürstlich Langweilen,
So drängt's mich, auch einmal das Christkindelfest
Mit lustigem Völklein zu teilen!"

Bald reitet der Fürst durch die heilige Nacht,
Gar öde und leer sind die Straßen,
Doch glänzen die Scheiben in tagheller Pracht
Selbst in den winklichsten Gassen.
"Gottlob!" denkt der Reiter, in Pelzwerk vermummt,
"Heut gibt es kein Sorgen und Härmen,
Wohin ich auch horche, da braust's ja und summt,
Als kämen die Bienen in's Schwärmen!"

Und kaum hat der Herzog, so stille beglückt,
Das Wort zu sich selber gesprochen,
Da kommt's auch in Schwärmen auf ihn schon gerückt,
Als hätt' er ins Körblein gestochen.
"Juchhe!" . . . ruft da Einer in stürmischer Hast,
"Herr L e u p o l d will uns beehren?!
Und kommt er zur Wiener Bescherung als Gast,
So laßt uns auch ihm was bescheren!"

Und schon sind wohl hundert Pokale bereit,
Draus soll erst der Herzog Eins trinken,
"Hoho!" . . . lacht er . . . "tät' ich aus allen Bescheid,
Ihr säh't unter's Rößlein mich sinken!" —
Doch siehe! . . . was bannt jetzt dem Herrscher den Blick?
Es kommen mit Fahnen und Schilden,
Mit Trommeln und Pfeifen und Hörnermusik
Im Festmarsch die Zünfte und Gilden!

Mit Spangen und Gürteln die Münzer voran,
Die Goldschmied' mit feinsten Geschmeiden,
Die Gerber mit Leder vom schönsten Saffian,
Die Kaufherrn mit Samten und Seiden,
Die Kürschner mit Zobel und Hermelin,
Die Bäcker mit Kuchen und Flecken,
Und Rinder bringen die Fleischer von Wien
Mit farbigen Bändern und Decken.

Ein Hochruf, der fernhin wie Donner entrollt,
Macht ringsum die Fenster erbeben —
"Heut sollst Du Dir  n e h m e n, Herr Leopold,
Der immer so fürstlich im  G e b e n!" —
Und Bursche und Mädel, von Tanzlust entfacht,
Umschlingen den Fürsten im Reigen,
Bis ernstere Klänge durchzittern die Nacht
Und machen den Jubel erschweigen.

"Habt Dank, meine Kinder!" . . . der Herzog jetzt ruft
"Das heiß' ich die lustigste Metten!
Doch tönt jetzt die Glocke schon hell in der Luft
Und ruft uns nach heiligen Stätten.
Das Christkindlein zieht uns in heiligen Bann,
Vor ihm sind wir Alle die Gleichen,
Nur daß ich zur Stunde der seligste Mann
In allen weltlichen Reichen!"

Der Kaiser und der Schmied

Der zweite Kaiser Friedrich hielt einst in Wien Gericht,
Ein armer Schmied stand eben vor seinem Angesicht.
"Hör," sprach der Herrscher strenge, "Du bist bei mir verklagt
Als Starrkopf, der auch Sonntags nicht dem Erwerb entsagt!"

""Herr, was ich brauch', verdien' ich mit meinem Hammerschlag,
Vier Groschen muß ich haben an Sonn- und Werkeltag!
Sobald ich die verdient hab', stell ich die Arbeit ein
Und mach' oft Feierabend bei hellem Sonnenschein.""
"Vier Groschen?" frug der Kaiser und wunderte sich sehr.
"Was brauchst du just vier Groschen, nicht weniger, noch mehr?"
""Zwölf Heller, Herr, verschenk' ich und zwölf erstatte ich,
Zwölf werf' ich aus dem Fenster und zwölf brauch' ich für mich.""

Unwillig hört's der Staufer — sein Falkenauge blitzt,
Das kann er nicht begreifen, so scharf er auch gewitzt.
"Wie man verschenkt, erstattet und noch verschwendet gar
Und hat nur Tags vier Groschen . . . mein Freund, das mach'mir klar!"
""Zwölf Heller für die Armen! . . . Das bringt mir Gotteslohn,
Zwölf statt' ich ab dem Vater, der einst ernährt den Sohn,
Zwölf sind hinausgeworfen, denn die bekommt mein Weib,
Und mit den letzten zwölfen versorg' ich meinen Leib.""
"Die Rechnung läßt sich hören," der Kaiser darauf versetzt,
"Doch Eins mußt Du mir schwören bei Leib und Leben jetzt:
Was Du mir da erklärtest, erfährt kein Anderer nicht,
Eh' Du mich hundert Male gesehn von Angesicht!"

Drauf ruft er seine Räte: "Strengt Eure Weisheit an,
Und horcht auf meine Frage: Wie kann ein Ehrenmann
Wohltäter und Verschwender und Schuldenzahler sein
Und noch sein Haus bestellen mit Tags vier Gröschelein?"
Die Räte schwiegen alle, denn keiner weiß Bescheid.
"Nun denn," spricht Kaiser Friedrich, "acht Tage geb' ich Zeit.
Wer mir das Rätsel löset, dem lohn' ich's in der Tat,
Doch wer's dann nicht erraten, den brauch' ich nicht zum Rat!"
Es half kein Kopfzerbrechen, bis Einer drauf geriet:
"War nicht vor uns beim Kaiser ein armer Meister Schmied?
Der muß es uns verraten, was er dem Herrn gesagt,
Und kostet's schwere Summen, der Mann wird ausgefragt!"

Als sie zum Schmiede kamen, der wollt' erst nichts gestehn,
Er hat ja seinem Kaiser erst  e i n m a l  nur gesehn —
Doch da sie ihn bestürmten — es gelt' ihr Lebensglück —
"Ich will Euch helfen", sagt' er, "für hundert Guldenstück!"

Und als der Kaiser fragte, nach abgelauf'ner Frist,
Hei, wie bereit heut' Jeder gleich mit der Antwort ist!
Und schmunzelnd sprach Herr Friedrich: "Seid Ihr so sehr bei Trost,
So weiß ich auch, wo Bartel sich holte seinen Most!"
Den Schmied läßt er gleich rufen: "Du Schurke brachst Dein Wort!"
""Herr,"" sagt' der, "ich hielt treulich, was ich geschworen dort!
Sie haben hundert Gulden auf meinen Tisch gelegt,
Darauf sah ich Euer Antlitz auch hundertmal geprägt.""

Hellauf lacht da der Kaiser: "Weiß Gott, Du Wienerkind
Bist hundertmal gewitzter als meine Räte sind!
Doch trug Dein lustig Stücklein Dir so viel Geldes ein,
So dank' dem Herrn am Sonntag und lass' die Arbeit sein!"

Herr Walther in Wien

Wo immer seine Wiege stand,
Der Sänger ist zu Heime
Wo er einst Glück und Liebe fand
Und seine froh'sten Reime.
Und wenn Herr Walther von uns ging
In seinen spätern Tagen,
In Wien war's, wo er Lieb' empfing
Und singen lernt' und sagen!

Herr Friedrich und Herr Leopold,
Die Babenberger Fürsten,
Die waren deutschen Sängern hold
Und ließen keinen dürsten.
Die Hagenauer Nachtigall
Sang ihnen wohl zum Preise,
Doch fand ihr Lob den hellsten Schall
Erst in Herrn Walthers Weise.

Da saß der Junker Sorgenfrei
Im Schatten einer Linde,
Da sang er sein Tandaradei
Dem schönsten Wiener Kinde.
Des Vogelweiders schönste Weis'
Erklang zu süßem Minnen,
Und sang er deutscher Frauen Preis,
So galt's den Wienerinnen.

Einst sollt' er Pädagoge sein,
Das mocht' ihm nicht gefallen,
Herrn Leupolds stolzes Knäbelein
War streitbar ja vor Allen.
Der Babenberger letzter Sproß
Ging auch zu Grund im Streiten,
Herr Walther aber stieg zu Roß
Und ritt in alle Weiten.

Doch troff von Weisheit auch sein Mund,
In Laichen und in Sprüchen,
Von ihm war in der Abschiedsstund'
Der Frohsinn fortgewichen.
Und ward ihm als der Treue Lohn
Einst Haus und Hof in Franken,
Des frohen Osterlandes Sohn
War voll von Heimwehkranken.

In Würzburg tät man auf sein Grab
Ein Wassernürschlein setzen —
Die Vöglein fliegen auf und ab,
Die Schnäblein dran zu netzen.
Einst sang ein Vöglein, wohlvertraut
Mit Wienerwalderbuchen:
"Wer sich in Wien ein Nest gebaut,
Soll's nicht wo anders suchen!"


Ein Wiener Turnier
1278

Das war nach dem Siege im Dürnkruter Feld;
Herr Rudolf von Habsburg, der schlichtgroße Held,
Heut will er im Glanze sich zeigen,
Heut strömt's in der Hofburg von goldigem Wein,
Heut lud sich der Kaiser die Ritterschaft ein
Zu Tafel und Kampfspiel und Reigen.

Und als das Turnieren im Burghof begann,
Da maßen die Recken sich Mann gegen Mann,
Zu Fuß und auf schäumenden Rossen —
Da zeigte sich's balde und jeder erfuhr's:
Der stärkste der Kämpen war Georg von Thurs,
Dem kaum erst ein Bärtlein gesprossen.

Der herrliche Jüngling! . . . sein Schwerthieb ersaust,
Als wäre Sankt Georg herniedergebraust,
Im Kampfe den Preis zu gewinnen,
Und wenn er zu Pferd mit dem Schwerte berannt,
Der fliegt aus dem Sattel alsbald in den Sand
Und taumelt wie trunken von hinnen.

Und mag der Kühne auch rings um sich sehn,
's keiner mehr übrig, den Kampf zu bestehn,
So endet von selbst das Turnieren —
Herr Georg, so hol' Dir den Siegerlohn ein:
Des Kaisers holdseliges Töchterlein,
Schon will's mit dem Kränzlein Dich zieren!

Da horch! . . . die Trompete des Herolds erschallt:
Da kommt noch ein Ritter von sond'rer Gestalt,
So hager und dürr wie ein Stecken!
Die uralte Rüstung, vom Roste zernagt,
Sie schlottert und klappert . . . o Gott sei's geklagt! . . .
Als gält' es, die Vögel zu schrecken!

Doch sieh nur! . . . das schaurige Knochenbild,
Es schlägt mit dem Schwert an den rasselnden Schild
Und stellt sich gar wehrhaft zum Kampfe —
Und beiderseits hageln gleich wuchtige Streich',
Es zeigen die beiden an Fechtkunst sich gleich,
Und gleich an gewaltigem Dampfe.

Da werfen sie beide die Schwerter zur Erd',
Da steigen sie beide voll Streitlust zu Pferd
Und Speer um Speer wird gebrochen,
Doch tummeln sie auch schon ein Stündlein das Roß,
Hat Keiner auch mit dem wuchtigsten Stoß
Den Andern vom Sattel gestochen.

Nun ruft der Kaiser Rudolf: "Brecht ab das Turnier!
Du tapferer Fremdling, schlag' auf Dein Visier!"
Da will er dem Auge nicht trauen
Und Staunen erfaßt all die Gäste im Kreis,
Als Kämpfer den hundertjährigen Greis,
Herrn Konrad von Haslau, zu schauen!
"Urgroßvater . . . Du bist's?!" . . . in stürmischer Lust
Fliegt Georg, der Enkel, dem Greis an die Brust,
Den schneeige Locken umbrämen —
"Gottlob!" — lacht der Alte — "noch lodert die Glut
Und weil Du Blut bist vom selbigen Blut,
Vermocht' ich auch Dich nicht zu zähmen!"

Gerührt sieht der Kaiser, 's ist wieder der Held,
Der, hundert Jahr' alt, ritt ins Dürnkruter Feld,
Das Banner von Östreich zu schwingen! —
Dann winkt er die blühende Tochter heran
Und heißt sie die Hände von Enkel und Ahn
Mit blumigen Kränzlein umwinden.

Otto der Fröhliche

Friedrich, aller Treue Stern,
War von Traußnitz kommen
Und daheim von Volk und Herrn
Jubelnd aufgenommen.
Festlich in der Burg zu Wien
Will er Allen danken,
Die in Drang und Not für ihn
Kämpften ohne Wanken.

"Du, mein Bruder Otto, hier,
Leuchte unsrer Jugend,
Und des Adels schönste Zier
Schon an Mut und Tugend —
Nenn' Dein Wünschen ungescheut,
Gilt's die höchsten Ehren,
Was Dein junges Herz erfreut,
Will ich Dir gewähren!"

Und jung Otto sinnend spät
In die dichte Menge,
Wo ein blondes Mägdlein steht
Mitten im Gedränge.
Züchtig neigt sie jetzt ihr Haupt,
Auf dem Haar, dem losen,
Trägt die Holde, grünumlaubt
Einen Kranz von Rosen.

Otto, frohen Angesichts,
Spricht: "Von allen Gaben,
Möcht' ich, meiner Seele, nichts,
Als dieses Kränzlein haben!
Komm, Du holdes junges Blut,
Lass' mich darnach langen,
Hast genug der Rosenglut
Auf den frischen Wangen!"

Und schon schmiegt das Kränzelein
Sich um seine Stirne,
Rosig, wie der Morgenschein
Um die klaren Firne.
"Habe Dank für Deinen Kranz!"
Spricht der Jüngling leise,
"Mägdlein, heut beim Springetanz
Schwenk' ich Dich im Kreise!"

Friedrich sprach: "Des Frohsinns Bild
Wählst Du Dir zum Lohne —
Den ersetzt kein Wappenschild,
Keines Königs Krone!
Glücklichster in unserm Land,
Sollst ihm Glück bereiten,
Und der "Fröhliche" genannt
Sei für alle Zeiten!"

Hans Sachs und der Wiener Schuster

                       I.

Hans Sachs war ein studierter Mann:
Eh' er zu schustern erst begann,
War er schon ein Lateiner,
Und eh' er auf dem Dreibein saß,
Nahm er den Versefüßlein Maß,
So gut wie jemals Einer.

Auch fand er, als er Schuster ward,
Daß Handwerksfleiß und Dichterart
Sich nimmer fliehn und höhnen —
Ein Frauenschühlein, zart und fein,
Schien auch ihm ein Gedicht zu sein,
Zum Preis des ewig Schönen.

Und schusternd mit Poetensinn
Zog er als Wanderbursch dahin,
Die Welt sich zu beschauen,
Und zog die Donau einst entlang,
Am frohen Wien voll Sang und Klang
Sein Frohherz zu erbauen.

                       II.

Vor einem Schusterladen stand
Hans Sachs, die Klinke in der Hand,
Ganz ohne Arg und Harme,
Da plötzlich flog in  e i n e m  Saus
Ein junger Bursche aus dem Haus
Und stürzt' ihm in die Arme.

"Hoho!" . . . lacht Sachs . . . "Wohin so schnell?
Sag' an, Du stürmischer Gesell,
Was war den los da drinnen?" —
""Ach Gott, der alte Grobian! . . .
Ich hielt um seine Tochter an,
Da jagt' er mich von hinnen!"" . . .

"So so! . . . hat dich das Mädel gern,
So will ich mit dem strengen Herrn
Für Dich ein Wörtlein sprechen!
Verbirg' Dich in der Nähe hier,
Wer weiß? . . . Vielleicht gelingt es mir
Den Eigensinn zu brechen."

                       III.

Hans Sachs tritt in den Laden gleich:
"Grüß Gott! . . . Ein Schuhknecht aus dem Reich
Sucht Arbeit als Geselle.
Ihr warft just einen aus der Tür',
Und seht nur: Ein Ersatz dafür
Steht Euch schon auf der Schwelle!"

""Es fragt sich erst, ob Er mein Mann?
Und wer Er ist und was Er kann,
Deß muß er Zeugnis bringen!"" —
"Ei, schustern kann ich mit viel Kunst,
Und steh' auch in der Muse Gunst,
Kann schöne Liedlein singen!"

""Was kümmert mich sein Firlefanz?
Schuh' soll Er machen auf den Glanz,
Und hübsch beim Leisten bleiben!
Doch . . . fährt der Alte fort und lacht . . .
Wenn Er nur fleißig Stiefel macht,
Mag Er auch einen schreiben!

Und weil er mir nicht schlecht gefällt,
Verdien' Er denn bei mir Sein Geld,
Und rast' er Er aus vom Reisen! —
Ich geh', auf bald'ge Wiederkehr,
Und schick' Ihm jetzt  mein Mädel her
Den Hausbrauch Ihm zu weisen!""

                       IV.

Und bald tritt in die Werkstatt ein
Des Meisters schlankes Töchterlein
Und neigt ihr holdes Köpfchen —
Ein echtes frisches Wiener Kind,
Doch weh! . . . die braunen Äuglein sind
Noch voll von hellen Tröpfchen!

"Ich weiß schon" . . . spricht Hans Sachs entzückt . . .
"Wo's Jüngferlein das Schühlein drückt,
Doch hör' Sie auf zu weinen:
Ich trat in Ihres Vaters Sold
Um Sie und Ihren Leopold,
Will's Gott, bald zu vereinen!"

Gerührt sieht ihn das Mädel an:
""Ihr seid ein herzensguter Mann!
Wie soll ich Euch nur danken?
Doch gebt Euch keiner Täuschung hin:
Des Vaters starren Eigensinn
Bringt Ihr wohl nicht ins Schwanken!""

"Getrost! Getrost! . . . Vertrau' Sie mir!
Was gilt's? Ich mach' den Alten kirr,
Gibt's auch erst scharfe Fehde!" —
Und lang besprachen sich die Zwei,
Nur freilich, vorerst war dabei
Vom Hausbrauch nicht die Rede.

                       V.

Hans Sachs, noch eh' der Abend kam,
Den Alten ins Gebete nahm
Und sprach ihm ins Gewissen,
Daß er des Kindes sich erbarm',
Dem jetzt so schwerer Liebesharm
Das junge Herz zerrissen.

Erst braust der alte Rappelkopf:
"Was guckt Er mir in meinen Topf,
Schiert sich um meine Sachen?!
Ein Bürgerskind, ein echt's und recht's,
Die Gattin eines Schusterknechts,
Das wäre doch zum Lachen! . . .

Doch halt! . . . Er rühmt sich mancher Kunst,
Vielleicht mit seiner 'Musengunst'
Kann Er auch Schätze heben?!
Bringt Er mir  m e i n e n  Schatz zu stand,
Will ich . . . ich schwör's Ihm in die Hand! . . .
Dem Kind den  s e i n e n  geben!

Ich hatt' ein silbern Guldenstück,
Das trug mir Segen ein und Glück
Als teures Angebinde —
Jüngst auf der Höh' des Kahlenbergs
Fiel's in den Schutt des Mauerwerks,
Daß ich nicht wiederfinde!

Ich glaub', mir geht es alles krumm,
Krieg' ich das Stück nicht wiederum,
Es um den Hals zu tragen,
Und wenn Er mir's nicht schaffen kann,
Muß auch die Gretel ihren Mann
Sich aus dem Kopfe schlagen!" —

""Hoho!"" . . . ruft im Triumph Hans Sachs . .
""Das Kunststück, das Ihr heischt, ich mach's,
Da braucht Ihr nur zu winken!""
Und in den Sack greift der Poet
Und läßt des Schusters Amulett
Vor seinen Augen blinken.

Der Alte hüpft vor lauter Lust
Und reißt den Jüngling an die Brust
Und küßt ihm Mund und Wangen:
"Was ich versprach . . . ich halt' mein Wort!
Doch erst erzähl' Er mir sofort,
Wie Alles zugegangen!"

                       VI.

"'s war gestern Früh" . . . Hans Sachs begann . . .
"Ich stieg den Kahlenberg hinan
Und schaute in die Weiten,
Und sah entzückt die Donau ziehn,
Und Euer ganzes stolzes Wien
Sich mir zu Füßen breiten.

Als ich in der Ruine saß
Auf altem Schutt voll Busch und Gras,
Da glänzte was im Sande,
Und als ich's näher mir besah,
War's dieser Silbergulden da
Mit seinem Öhr am Rande!

Ich hielt ihn in den Händen lang,
Als er mit einmal mir entsprang,
Um sich ins Gras zu schmiegen,
Und sprach . . . ich war vor Staunen stumm! . . .
'Lass liegen mich, ich bitt' Dich drum,
Mich soll kein Mensch mehr kriegen!'

Und als ich ums Warum ihn frug,
Sprach er: 'Ich rollte schon genug
Von einer Hand zur andern,
Und fand in dieser langen Zeit
Nur Schmutz und Gier und Niedrigkeit
Bei allem meinen Wandern!

Zuletzt trug mich ein alter Mann,
Der betete mich förmlich an
Als seines Hauses Götzen,
Doch sah ich, daß er hoffartsblind
Sein Glück verwehrt dem eig'nen Kind,
Da floh ich mit Entsetzen!'

So sprach er . . . doch ich hob ihn auf
Und rief: Dein künft'ger Lebenslauf
Soll ein ganz anderer werden!
Von mir . . . ich schwör's zu dieser Frist! . . .
Wenn's nicht zu Heil und Segen ist,
Kriegt Dich kein Mensch auf Erden! —

Und seht! . . . ist's nicht was Wunderbar's?
Der Segen eines Menschenpaars
Hing jetzt an diesem Gulden!
Hier ist der Schatz, der Euch entrollt,
Die Gretel kriegt den Leopold,
So fügt's der Herr in Hulden!" —

Der Schuster sinnt kopfschüttelnd nach:
"Der Gulden nie zu mir noch sprach,
So spricht er nicht für Jeden?" —
""Nein, nein!"" . . . spricht Sachs und lächelt fein . . .
""Es hört's der Dichter nur allein,
Wenn stumme Dinge reden!""
◊◊◊
Das junge Paar war bald getraut,
Hans Sachs, der's noch im Glück geschaut,
Zog wieder heim nach Westen:
Doch, was er dort an Ruhm erzielt,
Das Stück, das er in Wien gespielt,
Gehört zu seinem Besten!

Wolfgang Schmelzl

Ein fröhlicher Mann aus der fröhlichen Pfalz,
Einst kam er die Donau herunter —
"Verloren," rief er, "sind Hopfen und Malz,
Hüpft Einem das Herz hier nicht munter!

Und wer sich in Wien nicht ernähren kann" —
So schrieb er alsbald an die Seinen —
"Ist überall ein verlorener Mann,
Da hilft ihm kein Schelten und Weinen!"

Herr Wolfgang Schmelzl war freilich studiert
Und ließ sich an Wissen nicht spotten,
Drum ward er als Schulmeister installiert
Im prächtigen Stifte der Schotten.

Frisch nahm er die Jugend in Zucht und Dressur,
Und machte die Buben Spektakel,
Er wußte für sie wohl viel bessere Kur,
Als ewigen Karzer und Bakel.

Wie hat er den Schülern das Lernen versüßt
Als fröhlicher Freund und Berater!
Er rief: "Wenn Ihr Racker schon spielen müßt,
So spielen wir lieber — Theater!"

So ward er der deutschen Komödie zugleich
Der richtige Spiritus rector,
So ward er in Wien und in Österreich
Der erste Schauspieldirektor.

Und spielte man früher im Kirchenlatein
"Mysterien" und "Moralitäten",
Dem Wiener Völklein verständlich zu sein
Gelang erst dem deutschen Poeten.

Gestalten der Bibel führt' er ihm vor
In vierzehnfältiger Wandlung
Und wob auch den kernigsten Wiener Humor
Hinein in die tragische Handlung.

Sein Wien! . . . Wer hat es, von Eifer beseelt,
Wie Er mit dem Schritte gemessen?!
Da blieb auch kein Fensterlein ungezählt,
Kein Tor und kein Türmlein vergessen.

Und war er des Lehrens und Meisterns oft satt,
Da regten sich andere Schwingen:
Sein' Lust war, das Lob unserer Kaiserstadt
In klingenden Reimlein zu singen.

Ein Ruhmesblättlein, das nimmer verweht,
Das tät uns Herr Wolfgang einst schenken —
Hab' Dank, Du verwienerter Pfälzer Poet,
Wir wollen Dir's immer gedenken!

Abraham a Sancta Clara

Der weiland Pater Abraham,
Der wack're Augustiner,
Und ob er auch aus Schwaben kam,
War doch ein rechter Wiener!
Und klang sein Wort so derb als frisch,
Wer will die Nase rümpfen?
Ist's etwa nicht gut wienerisch
Sich weidlich auszuschimpfen?

So fuhr er in den Sündenpfuhl
Mit seinem Witzgesprudel,
Daß mancher aus dem Kirchenstuhl
Schlich wie ein nasser Pudel.
So schlug er oft aufs Kanzelpult
Daß schier das Holz gesplittert,
Und im Bewußtsein ihrer Schuld
Die Hörerschar erzittert.

"Da fahr' doch gleich der Satan drein
Mit Schwefel, Pech und Aschen!
Hab' ich Euch nicht erst jüngst noch rein
Den räud'gen Kopf gewaschen?
Und wie sieht's wieder in Euch aus?
Na, laßt mich gar nicht fragen —
Der Teufel müßt' zu solchem Graus
Auch selbst 'Pfui Deixel' sagen!

So tollt nur zu und schlemmt Euch satt,
Es wird nicht ewig währen,
Und wen Freund Hein am Kragen hat,
Der wird sich flugs bekehren!
Dann . . . meint er . . . wird hinaufmarschiert
Recht in des Himmels Mitten?
Ja, Prosit . . . D i e Gesellschaft wird
Der Herr sich hübsch verbitten!

Sankt Peter zieht den Schlüssel ab
Von allen Himmelstoren
Und ruft: 'Holla, mein Freund, schabab —
Erst heißt's ein Weilchen schmoren!'
Und erst, wenn Einer unbereut
Dem Tod ins Garm geraten —
Hei, wie sich dann die Hölle freut
Auf solchen Wiener Braten!"

Und schlug der Pater so zu Hauf'
Das sündenfrohe Babel,
Dann folgen Anekdötlein drauf
Und Gleichnis und Parabel,
"Ui Jessas," sprach das Volk, "der kann's!"
Und tät sich gründlich schämen,
Und seinen "Pater Fabelhans",
Den ließ es sich nicht nehmen.

Denn, wenn er erst sein Publikum
Verdonnert von der Kanzel,
Gönnt er ihm gern sein Dideldum,
Sein Liedel und sein Tanzel.
Drum sag ich: Pater Abraham,
Der wack're Augustiner,
Und ob er auch aus Schwaben kam,
War doch ein rechter Wiener!

Die Alte vor dem Gnadenbild

                   I.

In Sankt-Stephansdom zu Wien
Täglich viele Hundert knie'n
Vor dem Bild der Gnaden —
Immer uns'rer Lieben Frau'n
Will das Volk sich anvertrau'n,
Wenn's mit Gram beladen.

Aber jetzt ist's still und leer,
Wo im weiten Raum umher
Sich die Schatten dehnen —
Rings kein banges Herze klopft,
Nur ein armes Lichtlein tropft,
Wie von heißen Tränen.

Nur ein Mann in grauem Haar
Werkt noch hinter dem Altar,
Fegt dort noch die Fliesen,
Doch auch er mit müder Hand,
Lehnt den Besen an die Wand,
Will die Türe schließen.

Horch! . . . Da trippelt was herein
Und ein altes Mütterlein
Wimmert vor dem Bilde:
"Mutter Gottes, gnadenvoll,
Wenn ich nicht verhungern soll,
Hilf in Deiner Milde!"

Wie sie schluchzt und wie sie fleht
Und in brünstigem Gebet
Ringt die Hände wieder,
Plötzlich vor dem armen Ding
Fällt vom Bilde, kling, kling, kling,
Eine Münze nieder!

Und das Weiblein jauchzt vor Lust:
"Mutter! hab' ich's doch gewußt,
Wirst mich nicht verlassen!"
Abgeladen ist der Gram,
Schneller, als die Alte kam,
Ist sie auf der Straßen!

Doch der Mann, der hinter'm Bild
Ihr so heimlich half und mild,
Folgt auf ihren Pfaden,
Folgt ihr nach mit leisem Schritt,
Bis sie trippelnd jetzt betritt —
Einen Branntweinladen!

                   II.

Wieder einsam wird's im Dom,
Schon verann der Menschenstrom,
Der hier jüngst geflutet.
Tickend im Gestühle nur
Kündet leis die Totenuhr,
Daß der Tag verblutet.

Nur ein letzter Strahl noch spinnt
Um die Jungfrau mit dem Kind,
Daß ihr Krönlein funkelt,
Und es gleißt ihr gold'nes Kleid,
Und es blinkt noch ihr Geschmeid,
Eh' es völlig dunkelt.

Und der Mesner beugt das Knie
Vor der heiligen Marie
In des Altars Mitte,
Denn sein Tagwerk ist versehn
Und schon will er schließen gehn —
Da vernimmt er Schritte.

Hinter dem Altar versteckt,
Jetzt der Späher bald entdeckt
Seine Alte wieder! . . .
Von der Mutter, gnadenreich,
Stürzt sie wie verzweifelt gleich
Auf die Stufen nieder.

Und der hinter'm Bilde steht,
Hört ihr klagendes Gebet:
"Mutter, hab' Erbarmen!
Hilf mir wieder aus der Not,
Denn ich hab' kein Stücklein Brot,
Gibst Du nichts der Armen!"

"Wart'!" denkt sich der Mesner schnell,
Und ein Stimmchen, fein und hell,
Tönt jetzt durch die Runde —
Wie vom Mund des Kindes klingt's:
"Gib ihr nichts, denn sie vertrinkt's
In der nächsten Stunde!"

Wie erschreckt von jähem Stoß,
Hadert gleich die Alte los:
"Wart! . . . ich will Dir's zeigen!
Drein zu plappern schickt sich nicht —
Wenn man mit der Mutter spricht,
Hat ein Kind zu schweigen!"

Lachen aus dem Hintergrund
Schließt ihr rasch den losen Mund
Und sie flieht mit Beben;
Murrt nur noch: "Gibst Du nichts her,
Ei, es wird in Wien noch mehr
Gnadenbilder geben!"