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Abraham a Sancta Clara
Eduard von Bauernfeld
Pichler Adolf
Hugo Salus
Knoll Albert
Franz Grillparzer
Jakob Julius David
Saar Ferdinand

Ratschky Joseph Franz
Petzold Alfons
Castelli Ignaz Franz

 

Abraham a Sancta Clara
1644-1709

Wien im Pestjahr 1679

Was Papagei, was Lapperei,
Fand man bei denen Fenstern
Und neben ihnen viel Schwatzerei
Mit freundlichen Gespenstern!

Nun ist alles aus, es ist Kehraus,
Es ist nichts mehr als Jammer;
Das hat uns gemacht bei Tag und Nacht
Der dürre Rippenkramer.

Wo vor Lakai mit Keyerei
Die Posten mußten tragen,
Ob d' Polsterkatz noch wohlauf sei?
Mit allen Umständ fragen:

Jetzt ist alles still, man sieht nicht viel
Grün, blau oder rote;
Man sieht dafür früh vor der Tür
Nur Kranke oder Tote.


Eduard von Bauernfeld
1802-1845

Franz Schubert

Dank Gott, daß du gestorben bist!
Dein Ruhm ist dir gewiß,
seit dich gelobt der berühmte Liszt
und das leichtsinnige Paris.

Ein echter Wiener — und ein Genie!
Es staunt das ganze Land;
die Wiener selbst erfuhren's nie,
als nur aus dritter Hand.

Dank Gott, daß du gestorben bist!
Du hättest es nicht weit gebracht;
sie hätten dich nicht in Lebensfrist
zum Hofkapellmeister gemacht.


Pichler Adolf
1819-1900

Wien

Ein Juwel im Riesenbecher,
Ruh'st du zwischen Korn und Reben,
Darum dürfen deine Kinder
Freudig die Pokale heben.
Nur für kurze Augenblicke
Mög' ein trotzig wildes Zürnen
Euch empört die Adern schwellen
Auf den ewig heitern Stirnen.

Die Wienerinnen

Wer nur mag euch Engel nennen, —
Euch die schönsten Erdenweiber;
Lockten doch die Söhne Gottes
Eure holden Götterleiber!
Daß ihr Helden uns erzeugtet,
Wie sie heischt die Schmach der Zeiten,
Die für ihres Volkes Ehre
Mit dem Balmung Siegfrieds streiten.

St. Stephan

Drück' den Helm auf deinen Scheitel,
Schwing' wie Speere die Fialen,
Wenn gleich frechen Mörtelbuben
Czechen trotzig vor dir prahlen.
Doch du regst dich nicht; vorüber
Sind für Wien die großen Zeiten,
Um das Pilsner, um das Bayrisch
Hörst du auf der Bierbank streiten.

Auf dem Kahlenberge

Droben auf dem Kahlenberge
Träumt' und sann' ich oft wie gerne!
Dort das Böhmerwaldgebirge,
Die Karpaten in der Ferne.
Glocken, Rosen, Maienblüten,
Band ich mir zum bunten Strauße,
Diese Slaven-Trikolore
Paßt zum Babenberger Hause.


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Hugo Salus
1866 – 1929

Wien

In der Allee von hundertjährigen Bäumen
Fällt welkes Laub; die Abendsonne sprüht
Fern ihre Funken aus. Der Himmel blüht,
Und die Natur bereitet sich, zu träumen.

Hier aber will das Leben nicht verschäumen;
Hier wird die Lust des Tags zur Nacht nicht müd';
Und wenn am Himmel auch der Tag verglüht,
Erwacht er neu in dieses Parkes Räumen.

Ein lachend Völklein drängt den Weg entlang,
Kein Scherzwort ist zu kühn, um nicht zu zünden,
Und aus den Gärten tönt Musik und Sang.

Mag anderswo der Himmel sich umziehn
Mit Unheilswolken, die ein Wetter künden,
Hier lacht man sich zu Tod: wir sind in Wien!


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Knoll Albert
1809-1845

Wien

Auf des Kahlenberges Zinne,
Weithin schauend übers Land,
Mit der turmgekrönten Stirne
Stolz dem Aufgang zugewandt,
Steht die Burg der Babenberger,
Dort auf luftigem Balkon
Herzog Heinrich, des Markgrafen,
Der sie baute, würd'ger Sohn.

Und der Kanzler, ihm zur Seite,
Preist des Gründers Weisheit laut,
Der an so erhabner Stelle
Sich sein fürstlich Haus gebaut,
Wo entrückt dem niedern Treiben,
Höh'rem Trachten zugekehrt,
Sich des Herrschers Seele bilde,
Von Gemeinheit unversehrt.

Und zur andern Seit' der Bischof
Preist des Gründers Weisheit laut,
Der an so geweihter Stätte
Sich sein fürstlich Haus gebaut.
Hier, so spricht er, den Gestirnen
Näher und dem Himmelszelt,
Lernt der Herrscher gottergeben
Glauben eine höh're Welt.

Und der Sänger tritt zu ihnen,
Preist des Gründers Weisheit laut,
Daß er an so schöner Stelle
Sich sein fürstlich Haus gebaut,
Wo das Auge wonnetrunken
Bis zum fernen Aufgang trägt,
Und das Herz mit jedem Blicke
Freud'ger schwillt und reger schlägt.

Doch der Herzog drauf: Wohl preis' ich
Meines Vaters Weisheit auch,
Freu' mich hier der schönen Fernsicht,
Trinke rein'rer Lüfte Hauch;
Aber diese Fernsicht zeigt mir
Auch das nahe Ungarland,
Zeigt mir meines Reiches Grenze
Und den fremden Donaustrand;

Zeigt mir Weiler rings und Städte
Und den Strom im Silberlicht,
Zeigt mir tausend Menschenwerke,
Doch die Menschen selber nicht.
Und die Luft hier, rein wie Äther,
Rauscht wohl oft als Sturm hervor,
Doch den Klang von Menschenstimmen
Trägt sie nicht zu meinem Ohr.

Und mich zieht's zu Menschen, Menschen,
Einsam fühlt sich hier mein Geist,
Und ich wohnte da zum liebsten,
Wo mich Volksgewühl umkreist.
Wo auch könnt' ich besser hüten
Den mir anvertrauten Schatz?
In der Mitte seiner Kinder
Ist des Vaters schönster Platz.

Drum, was ich schon lang erwogen,
Soll nun in Vollendung gehn,
Niedersteig' ich zu der Ebne
Von den stolzen Bergeshöh'n;
In dem weiten Donautale
Ist manch' schöne Stadt zu schau'n,
Eine kor ich schon im Herzen,
Mir darin mein Haus zu bau'n.

Seht sie dort, die schon dem Römer
Vor Barbaren Schutz verliehn;
An der Donau grünen Säumen
Sei gegrüßt, mein teures Wien!
Dir mich selber will ich geben,
Bleibst fortan mir angetraut,
Schmücken will ich dich und zieren,
Wie der Bräutigam die Braut.

Nicht zu flücht'gem Herrschersitze
Mach' ich jetzt dich reich und groß,
Noch der letzte meiner Enkel
Wachs' empor in deinem Schoß.
Ja, mir sagt's ein mächtig Ahnen:
Eines größern Stammes Sohn
Baut sich einst in deinem Weichbild
Tausendjähr'gen Kaiserthron!

Und wie er das Wort gesprochen,
Strahlt der Sonne Scheideblick,
Golden von den Kirchenkreuzen,
Von den Fenstern Wiens zurück,
Und vom Sankt Rupertustürmlein
Tönt die Vesperglocke weit,
Gleich als gäb' des Herzogs Worten
Sehersweihe ihr Geläut.


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Franz Grillparzer
1791-1872

Abschied von Wien
Am 27. August 1843

Leb wohl, du stolze Kaiserstadt,
Zwar nicht auf lange, denk ich;
Zu andern Grenzen, lebensmatt,
Die irren Schritte lenk ich.

Schön bist du, doch gefährlich auch,
Dem Schüler wie dem Meister,
Entnervend weht dein Sommerhauch,
Du Capua der Geister.

Auf deinen Fluren geht sich's weich,
Und Berg' und Wälder breiten
Rings um dich her ein Zauberreich,
Durch das die Ströme gleiten.

Weithin Musik, wie wenn im Baum
Der Vögel Chor erwachte,
Man spricht nicht, denkt wohl etwa kaum
Und fühlt das Halbgedachte.

Dazu dein Volk, ein wackres Herz,
Verstand, und vom gesunden,
Das sich mit Märchen und mit Scherz
Der Wahrheit Bild umwunden.

Man lebt in halber Poesie,
Gefährlich für die ganze,
Und ist ein Dichter, ob man nie
An Vers gedacht und Stanze.

Doch weil, von so viel Schönheit voll,
Wir nur zu atmen brauchen,
Vergißt man, was zum Herzen quoll,
Auch wieder auszuhauchen:

Die Tafel bleibt, die Leinwand leer.
Drum fort aus diesen Gründen!
Ob von der Reiselast Beschwer
Sich festre Bilder ründen.

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Jakob Julius David
1859-1906

Frühlings-Erwachen

Wo unabsehbar sich der Prater breitet,
In stiller Au ist mir das Heim bereitet:
Ein kleines Häuschen, das in's Grüne spät,
Vor dessen Fenster schwank die Birke weht.
Noch ist sie kahl: doch bald wird allenthalben
Das grüne Siegeslicht des Frühlings glüh'n;
Und bald, wie bald! erklingt das Lied der Schwalben,
Das zaghaft leise, in das erste Grün;
Vom Sonnenlicht ist Alles überwoben,
Die Vögel sind zurück, schon halten sie
In aller Gottesfrühe ihre Proben
Für jenen Hymnus voller Harmonie,
Drin Menschenlaute, ihre eignen Stimmen
In einem tönenden Akkord verschwimmen.

Sie halten Proben? Ist das nicht ein Märchen?
Wahrhaftig nein! Ich hab' es selbst belauscht;
Vor Tage war's: Da kam ein Schwalbenpärchen
Behenden Fluges durch die Luft gerauscht.
Rings alles kahl, nur Fallaub, braunes Reisig
Bedeckt' den Boden rund mit fahlem Schein —
Da ging es los: zuerst begann ein Zeisig,
Dann fiel der Buchfink hell und schmetternd ein.
Ein Jubilieren war in allen Zweigen,
In Lüften, auf dem Boden, überall;
Kunstpause; dann durch atemloses Schweigen
Begann ihr Sololied Frau Nachtigall;
Der Star, als Dirigent, vernahm's im Sinnen,
Sprach dann bedächtig: Wohl, es geht schon an,
Nun darf das Blühen, wann es will, beginnen,
Wir sind bereit, es würdig zu empfah'n.
Mag uns ein Neider, wenn er will, bekritteln,
Wer sich darüber kränkte, wär' ein Tor:
Wir sind, nach unsern sehr beschränkten Mitteln,
Ein ganz vorzüglicher gemischter Chor!

Mein Auge hatte sinnend sich geschlossen;
Nun schlug ich's auf: ich sah das weite Tal
Vom allerhellsten Sonnenlicht umflossen,
Die Traubenhyazinthe blüht' zumal;
Vom Wald herüber drang ein Vogelsingen,
Und süßen Odem hauchten die Syringen . . .

◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊

Saar Ferdinand
1833-1906

Auf der Lobau
1862

Tiefe Stille.
Lautlos zieht vorüber, gespaltenen Laufs,
Der breite Donaustrom,
Leis bespülend dicht grünendes Ufergezweig.
Kaum zum Lispeln bewegt,
Schimmern im Sonnenglanz
Die Erlen und Silberpappeln,
Die, aufgewuchert zu lieblicher Wildnis,
Hochhalmige Wiesenflucht umschatten.
Manchmal nur ertönt der kurze Schrei
Des Reihers, der einsam die Luft durchkreist;
Hörbar fast
Wird des Falters Flügelschlag
Und der Odem des Rehs,
Das friedlich grast
Wie in weltferner Sicherheit.


Wo ist die Zeit, da einst
Mit fremdverworrener Stimmen Laut,
Mit Waffengeklirr und Hufgestampf
Des gallischen Cäsars Heer
Auf diesem Boden gelagert!? —
Damals, du sonnig stille Insel,
Lag unter deinen Wipfeln zusammengedrängt
Ein Weltschicksal!
Ein treffender Schlag noch: —
Und vernichtet war der kleine
Gedunsene Mann mit dem Imperatorkopf,
In dem sich die Ichsucht der Menschheit
Zum tragischen Popanz verkörperte.

Kaum erst erfüllt
Hat ein halbes Jahrhundert sich,
Seit er hier auf- und niederschritt,
Entschlüsse wälzend in ruhloser Brust: —
Und heute schlägt kaum mehr hin und wieder ein Herz,
Das seinen Ruhm gedüngt,
Oder vor ihm gezittert.
Wo sind die Reiche, die er gegründet?
Wo die Könige, die er besiegt?
Wo die Frauen, die er geliebt?
Vorüber Alles. Sonnenbeglänzt
Liegt, stromaufwärts, die Kaiserstadt,
In die er einzog, sieggewaltig,
Um ihr blauäugiges Fürstenkind
Mit sich zu führen an der Seine Strand.
Friedlich liegt sie; bricht die Schanzen ab,
Die er einst gestürmt,
Umzieht sich mit neuen Straßen,
Baut Paläste und Dome,
Als gält' es, sich zu gründen für die Ewigkeit —
Und ahnt nicht,
Daß auch sie dereinst
Zerbröckeln wird in Schutt und Trümmer,
Um endlich,
Gleich dir, du grünende Insel,
Hinweggeschwemmt zu werden
Vom Strome der Zeiten.

Wiener Mode
(Zu dem zehnjährigen Jubiläum dieser Zeitschrift)

"Wiener Mode", lieblich zu schauen,
Wieder beginnst du ein neues Jahr —
"Wiener Mode", Zierde der Frauen
Bist du und bleibst du für immerdar!

Ach, wer vermöchte ganz zu ergründen
Deinen ureigensten, tiefsten Reiz?
Doch deinen bunten Wechsel verkünden
Immer die Grazien frohen Geleits.

Hold, wenn Sommerlüfte dich fächeln,
Hold auch im Winter schwebst du dahin
Mit der Anmut entzückendem Lächeln —
Als verkörperte Wienerin.

So unterwirfst du dir alle Herzen,
Die noch die Schönheit in Banden hält,
Selige Lust und selige Schmerzen
Weckst du, rings bezaubernd die Welt.

"Wiener Mode", lieblich zu schauen,
Wieder grüßt dich ein neues Jahr —
Wonne der Augen, Zierde der Frauen
Bist du und bleibst du für immerdar!


Wiener Votivkirche

Ein Dichter schon vor mir*
Hat dich, du jüngster der Dome,
"Die Kirche ohne Gott" genannt.
Und wahrlich:
Vielleicht hat,
Seit du zu schau'n bist in gepriesener Schönheit,
Kaum ein Herz wahrhaft gläubig in dir gepocht,
Kaum ein Knie zu wahrer Andacht
In dir sich niedergesenkt.
Und so ragst du,
Ob auch täglich von Orgelklang erfüllt und Weihrauchqualm,
Mit deinen Strebepfeilern
Und deinen durchbrochenen Türmen
Wie ein steinerner Anachronismus empor
Aus glaubensloser Gegenwart.
Dennoch, wie du jetzt vor mir liegst
Mit geschlossenem Tor
In sommerlicher Nachmittagsstille,
Durchschauert Andacht mich.
Stimmungsvoll
Im leichten Schatten deiner Bogengewölbe
Webt Vergangenheit,
Und mit leisem Fittich umkreist dich
Traumhaft
Der Geist ferner Jahrhunderte.

*Hans Hopfen in seinem Roman "Juschu".

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Ratschky Joseph Franz
1757 - 1810

Urlaub von der Stadt Wien
Brunn am Gebirge im Herbstmond (Oktober) 1796

Glück zu, daß ich, entfernt von dir,
    O unruhvolles Wien,
Hier in Gott Libers Lustrevier
    Frei und mein eigen bin!

Froh wandert' ich, o Kaiserstadt,
    Du großes Siechenhaus,
Des Lärmes, Dampfs und Staubes satt,
    Aus deinen Mauern aus.

So freudig machte Lazarus
    Aus seiner Totengruft
Und Lot aus Sodoms Feuerguß
    Sich in die freie Luft.

Der Pflastertreter bunter Klub
    Mög' auf dem Graben stehn,
Und lüstern mit dem Teleskop
    Nach feilen Dirnen sehn.

Es meistre Kramers Parlament
    Mit gleichem Aberwitz
Bald Weidmanns komisches Talent
    Und bald die Plane Pitts.

Stolz dünk' auf dem Paradeplatz
    Mit seiner Jezabel
Ein Wucherer, die Pest des Staats,
    Sich Herr in Israel.

Es tummle wild ein eitler Wicht
    Im Prater seinen Gaul:
Ein Geck reizt meine Neugier nicht,
    Sei's Peter oder Paul.

Der Thespis unsers Säkulums,
    Herr Schikaneder, sei
Der Abgott seines Publikums
    Und werde reich dabei.

Galls ekle Schädelgalerie
    Beschäftige ganz Wien:
Traun! ich beneide kein Genie
    Um seinen Platz darin.

Gern leb' ich vom Gezank der Herrn
    Verfinstrer mit des Lichts
Tollkühner Propaganda fern;
    Parteigeist tauget nichts.

Friedfertig sag' ich in dem Schoß
    Der ländlichen Natur
Mich vom Gewühl der Städte los:
    Mir genüget Wald und Flur.

Mir ekelt vor dem Flitterglanz,
    Der Toren nur gefällt,
Und vor dem ganzen Firlefanz
    Des Prunks der großen Welt.

Mir ist die Doppelzüngigkeit
    Des Städters ein Skandal,
So wie einst Roms Verdorbenheit
    Dem strengen Juvenal.

Er sprach: quid Romae Jaciam?
    Mentiri nescio.
Ich bin wie er den Städten gram:
    Drum sprech' ich eben so.

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Petzold Alfons
1882 - 1923

Wien

Als ich dich ließ, da ballte ich die Hand
zu einer Faust des Hasses gegen dich.
Du hattest mir ja Herz und Hirn verbrannt,
und in der Lunge saß der böse Stich.
Ich fluchte dir solange, bis der Rand
der letzten Häuser grünen Feldern wich,
und ich den Qualm der hunderttausend Essen
im blauen Himmel suchte zu vergessen.

Selbst in der Ferne grollte ich dir noch.
Und zwischen Wiesenduft und Sonnenschein
sog ich Geruch von nassem Zinshausloch
aus einer plötzlichen Erscheinung ein,
sah ich mich wieder unter deinem Joch
hinkeuchend durch der Straßen graue Pein.
Und ob vor mir auch grün das Land gefunkelt
oft hat dein Schatten drüber hingedunkelt.

Du warst mir Moloch, warst der Sage Tier,
das breit und mächtig auf der Erde saß,
und Tag wie Nacht in ungehemmter Gier
der armen Knechte Blut und Knochen fraß.
Dein glühend Auge ruhte auch auf mir,
der ich in ihm mein nahes Ende las,
und in die Nöte meines Siechtums stampfte
dein Eisenleib, den Feuerdunst umdampfte.

Da floh ich dich und wandte nicht das Haupt
in Wehmut, da dein Bild vor mir entschwand.
Mir war nicht so, als wärst du mir geraubt
als meines Lebens schönes Heimatland.
Und als geschehn, an das ich nie geglaubt,
daß ich tief glücklich zwischen Wiesen stand
und Berge sah und Wälder rings im Kreise,
frohlockte ich nach alter Kinderweise.

Doch eines Tags nach langer Zeit geschah's -
ich hielt in meiner Hand ein Zeitungsblatt -
daß ich darin von deinem Elend las,
mit dem der Krieg dich überschüttet hat.
Da dorrte vor den Blicken mir das Gras.
Ich sah nur dich, du meiner Kindheit Stadt,
dich und die alten, wohlbekannten Gassen
verraten und von aller Welt verlassen.

Da fiel der Haß von mir wie Zunder ab.
Vergessen war, was mir in dir geschehn.
Am liebsten hätte ich den Wanderstab
zur Hand genommen, um zu dir zu gehn.
Das grüne Alptal war mir wie ein Grab,
die Berge, ach, ich wollte sie nicht sehn,
denn hinter ihnen hörte ich das Jammern
aus deinem Glanz und deinen Elendskammern.

In mir wuchs Sehnsucht stark und groß empor
nach deiner Plätze steinernem Geviert,
nach deiner Gassen lautem Menschenchor,
in den sich selten ein Gesang verirrt,
nach den Fabriken, wo aus jedem Tor
der Räder Eisen daseinsfordernd klirrt,
nach deinen Winkeln und den scharfen Ecken,
daran der Winde Zunge stetig lecken.

Und Rührung faßte mich, als es mir schien,
als spiele auf der Ziehharmonika
ein Nachbar eine deiner Melodien,
bei der ich mich im Walzer drehen sah.
Mein Herz fing an zu singen: Wien, o Wien!
und - war wie nie vorher dem deinen nah.
Die du mir warst in meinem Leid gestorben -
durch deine Not hab' ich dich neu erworben.


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Castelli Ignaz Franz
1781 - 1862

Wien
(Ein Scherz)

Wenn sie mir zu Hause Beschreibungen machten
   Von Wien und all seiner Herrlichkeit,
Da ging dahin all mein Dichten und Trachten,
   Von nun an war ich voll Traurigkeit.
Mich reizte nichts mehr in dem kleinen Städtchen,
Nicht einmal der Wein, nicht einmal die Mädchen,
   Sah immer fort nur nach der Donau hin
   Und sehnte mich nur nach Wien — nach Wien.

Und als ich magerer wurde fast täglich,
   Da sprach die Mutter ein gutes Wort
Beim Vater, beschrieb meine Sehnsucht ihm kläglich,
   Und sagte: Laß doch den Jungen fort!
Der Alte — er sah', es half nichts mehr dagegen,
Gab endlich Erlaubnis und seinen Segen
   Und sprach: Geh in's Himmelsnamen denn hin!
   Wirst aber schon sehen, es tut's nicht in Wien!

Entzückt packt' ich meine Sachen zusammen,
   Und setzte auf einen Stellwagen mich,
Und als wir endlich zur Wienerstadt kamen
   Da nahte ein Herr unsrem Wagen sich
Der fragte mich aus, es war zum Erstaunen,
Auch hatt ich viel Not mit zwei fetten Kapaunen,
   Die ich zur Muhme sollt' tragen hin,
   Ich sah wohl, man kommt nicht so leicht nach Wien.

Wir fuhren in eine großmächtige Schenke,
   Und dorten blieb ich die erste Nacht,
Doch muß ich sagen, daß keine ich denke,
   Die ich so jämmerlich zugebracht;
Denn wie es nur anfing am Himmel zu dämmern,
So fingen die Schlosser schon an zu hämmern,
   Und Wagen rollten stets her und hin,
   Ich sah, man schläft miserabel in Wien.

Am nächsten Tag wollt ich zur Muhme gehen,
   Und schritt durch Gassen und Gäßchen viel,
Da gab es gar Manches zu hören, zu sehen,
   Und überall war ein entsetzlich Gewühl,
Ich konnte durch alle die gaffenden Mengen
Mit großer Mühe nur durch mich drängen,
   Man stieß mich bald her und stieß mich bald hin,
   Man kriegt viele Rippenstoße in Wien.

Ich wollte mir nun auch mein Brot verdienen,
   Und klopfte an allen Türen an,
Allein mir wollte das Glück nicht grünen
   Und nirgend wurde mir aufgetan,
Bald fand ich nichts mehr in den leeren Säcken,
Und teuer war Alles, ach teuer zum Schrecken;
   Ich sah, kommt man nicht mit viel Gelde dahin
   So kann man gar nicht leben in Wien.

Ich hatte ein herrliches Mädchen gesehen,
   Das hingab sich ganz meiner Zärtlichkeit,
Doch bald sollt' mit ihr ich zum Tanze gehen
   Und bald ihr kaufen ein neues Kleid,
Und da mir nun dieses zu hoch war gekommen,
So hat sie sich einen Andern genommen,
   So, daß ich jetzt ganz überzeuget bin
   Man darf auch gar nicht verliebt sein in Wien.

So ging es denn täglich mir schlimmer und schlimmer,
   Und weil der Himmel nicht heiterte sich,
Und mir nicht mehr strahlte ein Hoffnungsschimmer,
   So packte denn endlich Verzweiflung mich
Ich stürzte mich über die Donaubrücke
Da faßte ein Schiffer mich schnell beim Genicke
   Und zog mich gerettet an's Ufer hin'—
   Man kann also nicht einmal sterben in Wien.