Sankt Othmar
An meinem Garten ragt ein Gotteshaus uralt
Mit grauen Mauern auf in gotischer Gestalt.
Der nahe Bruch gab Stein, das Holz der nahe Berg,
So strebt der Pfeiler auf und Firstes Balkenwerk.
Die diesen Bau erdacht, ihr Schicksal ist nicht kund,
Die toten Meister nennt kaum der Legende Mund.
Um so lebendiger verblieben ist der Stein,
Dem Efeu gibt er Halt, die Güsse schlürft er ein.
Die Schwalbe unterm Sims hat ihren Nestbesitz,
Der Tauber gurrt vom Dach, das Echslein haust im Ritz,
Und eh' noch Frühling ist in jedem jungen Jahr,
Zu Liebesflug und Brut einzieht ein Falkenpaar.
Dann treiben Gras und Strauch aus Moos- und Mauerwerk,
Und was der Mensch getürmt, ist wiederum ein Berg. —
Das nenn' ich eine Kunst, die ihres Schöpfers Spur
So stolz vergessen macht und heimkehrt in Natur!
Wir ändern bringen es mit Müh' und Not zu End',
Daß man uns selbst noch weiß und unser Werk nicht kennt.
Das kommt vielleicht daher, daß wir zu sehr vertraut
Auf Menschenkunst und -gunst und nicht für Gott gebaut.
Das Lächeln
Eine Frühlingsballade
Wie doch die Menschen sind: sie sorgen,
Was morgen werden wird und übermorgen —
Und ihre Seelen bleiben blind und arm.
An Gärten wandern sie vorbei, an Gittern,
Die von dem Drängen junger Sträucher zittern,
Und ihre Seelen füllt der ewig gleiche Harm.
Daß über Nacht ein Wunder neu geboren,
Daß aus der alten Häuser tiefen Toren
Nun wieder Kinderlaut und Kühle weht —
Und daß sich Wölkchen bilden in den Lüften
Von Zigaretten- und Orangendüften
Oder Parfum, wenn eine schöne Frau vorübergeht —
Sie fühlen dieses nicht und nicht das Neigen
Der Abende, wenn sich in langen Reigen
Müd-armes Volk die Straßen heimwärts drängt,
Sie sehen nicht, wie diese bleichen Wangen
Der jungen Mädchen vor dem Frühling bangen,
Der so viel Sehnsucht und Gefahr verhängt . . .
In meinem Leben weiß ich einen Kranken,
Gelähmt an Gliedern, Willen und Gedanken,
Nur seine Seele war dem Wunder heil —
Der konnte lächeln, wenn der erste Schimmer
Der Frühlingssonne in sein traurig Zimmer
Sich leise schob, ein goldner, zarter Keil.
Der konnte lächeln über jede Blüte,
Daß dieses Lächelns wundervolle Güte
Dem toten Auge flüchtig Leben gab:
Der konnte weinen über Kinderlieder
Und tiefer atmen, wenn der Duft vom Flieder
Ihn grüßen kam in seiner Kissen Grab.
Und dieses Lächeln, diese Tränen waren
So überreich an jenem Wunderbaren,
Des alle darben, die so dumpf-gesund.
Und ich hielt dieses Mannes Hand im Sterben,
Und ward zu seines Lächelns Erben,
Das wie ein Blühen lag um seinen blassen Mund.
Drum faß ich diese Menschen nicht, die sorgen,
Was morgen werden wird und übermorgen,
Und ihre Seelen bleiben blind und arm.
An Gärten wandern sie vorbei, an Gittern,
Die von dem Drängen junger Sträucher zittern,
Und ihre Seelen füllt der ewig gleiche Harm.
Freunde
Wir waren viele, da wir gingen,
Und ich, voran, sah mich nicht um;
Ich hörte doch so nahe klingen
Der Stimmen freundliches Gesumm.
Trat mancher auch vom Weg zur Seite,
Verhallend meinem Lauscher-Ohr,
War immer noch ein reich Geleite
Und guter Herzen voller Chor.
Allmählich aber ward es leiser,
Da wir durchmaßen Jahr um Jahr,
Und an des ersten Kreuzwegs Weiser
Hielt unser eine kleine Schar.
Von fern die einen und die andern
Gesellten sich zu unserm Zug,
War immer noch ein reiches Wandern
Und treuen Einklangs Lust genug.
Nur daß ich jetzt sie öfter zählte,
Die teuern Stimmen ringsumher,
Ob keine, die mir lieb war, fehlte,
Denn manche, schien mir's, klang nicht mehr.
Auch dieses liegt schon längst im Weiten,
Und stiller wird's tagaus, tagein;
Ist immer noch ein reiches Schreiten,
Doch wer am Ende meiner Zeiten,
Wer wird bei mir der Letzte sein?
Letzte Erkenntnis
Willst du gleich die Früchte greifen?
Hast doch eben erst gesät!
Laß sie werden, laß sie reifen:
Früh ist Arbeit, Ernte spät.
Läßt kein Wachstum sich beschleunen,
Ihr Gesetz hat jede Saat,
Rüste Werkzeug, baue Scheunen
Für die Fechsung, für die Mahd!
Heimsen andre Pflüger eher,
Voll Geheimnis ist die Welt;
Sei kein Neider, sei kein Späher
Nach des Nachbarn Ackerfeld!
Glaubst du vor dem Schnitt zu sterben,
Sei nicht bange um die Frucht!
Kein Ertrag bleibt ohne Erben,
Keine Tat bleibt ungebucht.
Wer im Werk den Lohn gefunden,
Ist vor Leid und Neid gefeit,
Denn er hat sich überwunden
Und kann warten und hat Zeit.
Abschied vom blauen Rauch
Heut nachts erwacht' ich jäh, das Herz stand still!
Dann aber hub ein Hämmern, ein Pochen,
So ungefüg, als würde eingebrochen
Im Purpurschrein des Lebens. — Wie Gott will.
Es meint' der Arzt zu mir: Du rauchst zuviel,
Solch sinnlos Fröhnen bleibt nicht ungerochen! —
Und hat mir lange weise zugesprochen
Von meines Daseins Pflicht und ernstem Ziel.
Du blauer Rauch, berauschendes Umfließen,
Aus dem mir Ahnung und Gedanke quillt,
So muß ich deiner spärlicher genießen
Und ganz entsagen, wenn es einmal gilt. —
Wärst nicht das erste duftende Gebild,
Von dem ich habe Abschied nehmen müssen.
Akkord
In meiner Kindheit leisem Wiegentraum
Vor einem Fenster, licht und flügelbreit,
Steht grün und golden ein Kastanienbaum.
Voll Lichtertanz und Huschen war der Raum.
Und oben schien der Himmel klar und weit
Und krönte jedes Ding mit Silbersaum —
Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit. . .
Da sprachen sie zu mir mit holdem Laut,
Und lieber Blick hat hell auf mir geruht,
Und selbst das Fremde kam und ward vertraut.
Und wenn ich Schiff und Festung mir gebaut,
Erhitzt vom ersten Schöpferübermut,
Hat mir die Mutter heimlich zugeschaut,
Und sicher fand sie, was ich baute, gut.
Seit damals sah ich nimmer diesen Raum.
Dort wohnt jetzt andrer Menschen Glück und Leid,
Und auch das Haus, die Straße weiß ich kaum.
Nur aus der Kindheit leisem Wiegentraum
Vor einem Fenster, licht und flügelbreit,
Grüßt grün und golden ein Kastanienbaum —
Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit. . .
Auch ein Trost
Ich hatte ein süße Braut,
Hold wie ein Frühlingsflur —
Sie war mir innig angetraut
Durch heißen Liebesschwur.
Mir gab sie eine gute Fee —
Juche, juche!
Vom Turme hoch die Glocke sang,
Hell flimmert's vom Altar,
Der Priester sprach, die Orgel klang —
Mein Liebchen trug im Haar
Der Myrte keuschen Blütenschnee —
Juche, juche!
Doch war nicht ich der Bräutigam.
Mich hatt' sie zwar geliebt,
Zum Gatten sie den andren nahm.
Da stand ich nun betrübt,
Mir ward ums Herz so wund und weh —
Ach was! — Juche!
Botschaft
Siehst du die tausend Sterne funkeln
Am weiten Himmelszelt der Nacht?
Wie in den Räumen dort, den dunkeln,
Ein tausendfältig Leben wacht?
O wär' mir jene Macht gegeben,
Die Sterne hebt und Sonnen senkt!
Könnt' ich den Sternen Bahnen geben,
Ich hätte anders sie gelenkt.
Ich würde sie in Reihen zwingen,
Und Riesenzeichen formte ich,
Da sollt' es in dein Auge dringen
In Flammenschrift: "Ich liebe dich!"
Hörst du des wilden Donners Rollen?
Die Luft erzittert und erbebt,
Die Erde schwankt bei seinem Grollen,
Bis endlich er uns fern entschwebe.
O könnt' Gewitter ich empören,
Gewitter wild und fürchterlich —
Dann solltest du die Worte hören
Im Donnerton: "Ich liebe dich!"
Die Worte, die so inhaltsreichen,
Die wollte würdig melden ich.
Aus Donnerton und Flammenzeichen
Vernähmest du: "Ich liebe dich!"
Der alte Brunnen
Es steht ein alter Brunnen
In einer großen Stadt,
Die Millionen Menschen
Schon sterben sehen hat.
Der gibt so helles Wasser
Wie je ein Alpenbach,
Der über Kiesel tändelt,
Es fragt kein Mensch danach.
Vieltausend Menschen gehen
Alltags an ihm vorbei,
Doch keiner hört des Brunnens
Einsame Melodei.
Erst wenn des Tages Rauschen
Verlärmt, vertost, verklang,
Erhebt er seinen leisen,
Wehmütigen Gesang.
So ist von keuscher Liebe
So manche Seele wach
Und möchte alles geben —
Es fragt kein Mensch danach.
Die Parabel vom Nein
(Allen Leugnern zum Spott)
Der letzte Brunnen sang ein Lied —
Das Lied, das war darnach!
Schalt auf das Wasser, das ihn mied
Und aus den andern brach.
Das lahme Bein, das locker hing,
Dachte von jedem Bein gering,
Das spielend trug und sprang und ging.
War auch ein Herz aus Kieselstein —
Das Herz, das war darnach!
Schalt alles Leuchtens Widerschein,
Der aus den andern brach.
Und leerer Brunnen, lahmes Bein
Und hartes Herz aus Kieselstein,
Die plärrten alle dreie: Nein!
Ich bin ein Kind der
Stadt
Ich bin ein Kind der Stadt — Die Leute meinen
Und spotten leichthin über unsereinen,
Daß solch ein Stadtkind keine Heimat hat.
In meine Spiele rauschten freilich keine
Wälder. Da schütterten die Pflastersteine,
Und bist mir doch ein Lied, du liebe Stadt.
Und immer noch, so oft ich dich für lange
Verlassen habe, ward mir seltsam bange,
Als könnte es ein besondrer Abschied sein.
Und jedesmal, heimkehrend von der Reise,
Im Zug mich nähernd, überläuft's mich leise,
Seh' ich im Dämmer deine Lichterreihn.
Und oft im Frühling, wenn ich einsam gehe,
Lockt es mich heimlich raunend in die Nähe
Der Vorstadt, wo noch meine Schule steht.
Da kann es sein, daß eine Straßenkrümmung,
Die noch wie damals ist, geweihte Stimmung
In mir erglühen macht wie ein Gebet.
Da ist ihr Laden, wo ich Heft und Feder,
Den ersten Zirkel und das erste Leder
Und all die neuen Bücher eingekauft,
Die Kirche da, wo ich zum ersten Male
Zur Beichte ging, zum heiligen Abendmahle,
Und dort der Park, in dem ich viel gerauft.
Dann lenk' ich aus den trauten Dunkelheiten
Der alten Vorstadt wieder in die breiten
Gassen, wo all die lauten Lichter glühn.
Und bin in dem Gedröhne und Geschrille
Nur eine kleine, ausgesparte Stille,
In welcher alle deine Gärten blühn.
Und bin der flutend-namenlosen Menge,
Die deine Straßen anfüllt mit Gedränge,
Ein Pünktchen nur, um welches du nicht weißt.
Und hab' in deinem heimatlichen Kreise
Gleich einem fremden Gaste auf der Reise
Kein Stückchen Erde, das mein eigen heißt.
Glück des Alleinseins
Glück des Alleinseins, All- und Einessein!
Wie sehnte sich der Jüngling einst nach Paarung!
Und jetzt der Mann, in tiefster Icherfahrung,
Kennt nur das eine klare Glück: Allein.
Ganz anders wachst du auf, gehst in den Tag,
Wenn des Alleinseins gnadenvolle Stille
Dein erstes Schaun empfängt, kein fremder Wille,
Wenn auch verschwiegen, deinen kreuzen mag.
Du prüfst die Stimme, siege, und sie klingt,
Horchst auf dein Herz, und brav ist es am Werke,
Der Atem geht, treu blieb des Armes Stärke,
Gehöres Lust, Aug, das zur Sonne dringt.
Du warst gewohnt, dies, weil es immer war,
Kaum zu beachten unter deiner Habe;
Doch nun auf einmal ahnst du: eine Gabe!
Und es ist Glück und mehr denn wunderbar.
Stand nicht der Strauch dort all die Jahre lang
An jenem Weg, den du so oft gegangen,
In andrer Ich, Gesetz und Lust befangen,
Stand er nicht dort in Herbst und Blütendrang?
Und nun urplötzlich wirst du sein gewahr
Und kniest hin und streichelst seine Zweige,
Als ob sich Gott in diesem Busch dir zeige —
Glück des Alleinseins, Gabe wunderbar!
Und er, der schwieg, als du zu ihm geschrien,
Daß dir, auch dir ein Menschenherz gebühre,
Tritt aus dem Busch, auf daß er dich berühre,
Und alle seine Engel sind um ihn.
Und löst von deinen Sinnen alles Band
Und deutet dir die Fülle der Gesichte,
Und seine unvergänglichen Gedichte
Befiehlt er einer armen Menschenhand.
Dieses Haus wird demoliert
Armes altes Haus, vielleicht noch heute
Kommen sie mit Hacken, Schaufeln, Karren,
Fühlloser Gesellen eine Meute,
Und sie legen dir Gerüst' und Sparren
Frei wie Rippen vor dem Blick der Leute.
Alle deine lieben Heimlichkeiten
Werden dann vom hellen Licht beschienen,
Deine ausgehängten Fester weiten
Sich wie Augen, gräßlich und verkommen,
Denen man die Iris ausgenommen
Und das Weiße schimmernder Gardinen.
Manchmal stößt ein Wind durch die Ruinen,
Spielt verrucht mit Fetzen von Tapeten,
Die noch hängen an entblößten Wänden, —
Ach, sie tragen noch die Spur von Händen,
Von Verzierung, von Geräten —
Gestern war noch Leben zwischen ihnen.
Kinder wurden da gezeugt, geboren,
Särge standen zwischen bleichen Kerzen,
Herzen hofften, brachen — Menschenherzen
Wurden wach und gingen leis verloren —
Ehemals noch auf spiegelnden Parketten
Tanzte man Quadrillen und Gavotten,
Sanfte Geigen sangen zu Spinetten,
Krinolinen knixten nach verliebten Noten.
Damals träumtest du noch tief in Gärten,
Und die Hirsche hatten ihre Fährten
Aus den Donauauen bis zu dir.
Später kamen ungeschlachte Riesen,
Tausendquadrig stampften sie die Wiesen
Und verscheuchten das vertraute Tier.
Und wie aufgeregte Schlangen sprossen
Schlote auf aus trüben Erdgeschossen,
Ohne Sonne starb das letzte Grün,
Hof und Garten wichen Zinskasernen,
Traute Herberg schmutzigen Tavernen,
Wo von Haß und Trunk Gesichter glühn . . .
Armes altes Haus, vielleicht noch heute
Kommen sie mit Hacken und mit Karren,
Fühlloser Gesellen eine Meute —
Und sie legen dir Gerüst und Sparren
Frei wie Rippen vor dem Blick der Leute.
Ihnen bist du nur ein wüster Haufen
Schutt und Holzes, billig zu verkaufen —
Geld gibt Recht, und Recht macht leichte Beute.
Irgend jemand hat den Grund erworben,
Wo sich bald ein neues Haus erhebt —
Doch im alten habe ich gelebt,
Und mein Vater ist darin gestorben.
Dienstboten
Sie sind immer nur da, um zu dienen,
Niemand fragt sie nach ihrem Begehr.
So lang sie gehorchen, ist man zu ihnen
Freundlich so wie zu Fremden — nicht mehr.
Sie wohnen mit uns im selben Quartiere,
Aber für sie muß der schlechteste Raum
Gut genug sein — Für unsere Tiere
Sorgen wir zärtlicher als für ihre
Menschlichen Wünsche — Die kennen wir kaum.
Sie sind die Hände, die nie bedankt sind;
Wir wechseln sie aus wie den brüchigen Stahl
Einer Radachse. Wenn sie erkrankt sind,
Müssen sie aus dem Haus ins Spital.
Manchmal könnte ein Wort der Güte,
Ein Tag im Frühling, um auszuruhn,
In ihrem verdrossenen Gemüte
Eine verschämte schüchterne Blüte
Leise erwecken und Wunder tun.
So aber sind sie gewohnt, die Letzten
Bei allem, was freut und nottut, zu sein,
Und werden wie alle Zurückgesetzten
Entweder gebrochen oder gemein.
Manche freilich, die haben ohne
Haß dem eigenen Leben entsagt,
Waren Mütter an fremdem Sohne,
Tragen eine heimliche Krone
Wie Maria die Magd.
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