| Tag 
 Ein feierlich Helldunkel herrscht' im Dom,
 Die farb'gen Fenster ließen in die Hallen
 Das Tageslicht in bunten Farben fallen,
 Daß es auf Wand und Quadern zaubrisch glomm
 Und hell der kalte Stein im Goldglanz strahlt,
 Wie Sonnenschein selbst eine Leiche malt.
 
 Die Säulen mit geschnitztem, got'schen Knauf,
 Sie streben mächtig in die Höh' hinauf,
 Noch unerschüttert, aber altersgrau
 Die Riesenstützen im gewalt'gen Bau,
 So trägt das All der mächt'ge ew'ge Geist
 So lang die Welt in ihren Bahnen kreist.
 
 Der Hochaltar, gar überreich an Schmuck,
 Von weißem Marmor teils und teils vom Stuck
 Hebt stolz sich in die Höh', indes mit Wehmut
 Sein Bild das Herz erfüllt; in heil'ger Demut —
 Die Gnadenmutter zeigt es mit dem Kind,
 Um das viel Engelein beschäftigt sind,
 Die Kreuz und Nägel, Kelch und Dornenkron,
 Manch andres Attribut der Passion
 Dem liebevollen Christuskinde weisen
 Und es in Lüften mit Hosannah preisen.
 
 Die Mutter selbst voll heil'ger Lieb und Milde,
 Sie lächelt sanft herab zu Dir im Bilde
 Und wirket ohne Zeichen, ohne Wort
 Die Wunder heil'ger Kunst noch fort und fort,
 Stellt einen Bösewicht vor dieses Bild,
 Verstockten Herzens mit dem Blicke wild,
 Laßt' ihn ins Aug' der Gnadenmutter schauen,
 Wie Eis im Sonnenlichte schmilzt, ein Strahl
 Im Lenz die tausend Blüten weckt im Tal,
 So wird ihn heiliges Gefühl durchtauen,
 Manch frommer Vorsatz in der Brust erwachen,
 Den er, von den Genossen neu betört,
 Die gern das Heil'ge schänden und belachen,
 Vergißt, wenn er Nichts sieht mehr und nur hört,
 Wie jene Blüte, die der Lenz geweckt,
 Des ersten Sturmes Wut darniederstreckt.
 
 Die kahlen, düstern Kirchenwände tragen
 Noch hie und da ein Bild, im Gottentzücken
 Märtyrer weisend aus vergang'nen Tagen;
 Sie sollen helfen wohl den Geist berücken?
 
 Vergebliches Bemüh'n! für eitlen Wahn
 Hat sich zu opfern aufgehört die Welt,
 Den Glauben stieß der Mensch von seiner Bahn,
 Weil jede Stütze, jede Kraft ihm fehlt,
 Nur der Gedanke noch hellt ihm den Pfad,
 Den er auf dieser Welt zu wandeln hat.
 Der Freiheit Priester ist er stets bereit
 Zn sterben als ein Märtyrer der Zeit
 Und nicht als Märtyrer des Wahns, der blind
 Und abergläubig einem Götzen dient.
 
 Die Orgel auf dem goldverbrämten Chor
 Erbabner Hymnen voll in ihren Pfeifen,
 Strebt kolossal zum Bogendach empor
 Um mit Musik die Herzen zu ergreifen,
 Und Rüden gleich, die einen Hasen hetzen,
 Mit Tönen unsrer Andacht nachzusetzen,
 Zuletzt sich auflöst in ein Opernlied.
 
 Ich lasse ringsum meine Blicke schweifen,
 Und in des Gotteshauses Ecken steh'n
 Aus Stein, verwittert fast, vier Statuen,
 Des G l a u b e n s, der L i e b e, H o f f n u n g, D e m u t
 Verseh'n mit den entsprechenden Symbolen;
 Beschränkung mag draus fromme Deutung holen.
 Den freien Geist kirrt Mystik nicht, nicht Wehmut.
 
 Die Glocke schlägt und schon sieht durch die Hallen
 Man Paar an Paar und stumm die Mönche wallen
 Mit Mienen, drein statt Sitte und statt Zucht,
 Das Auge Lüste und Begierden sucht.
 Sieh dort ein Angesicht ein volles, feistes,
 So wie der Vollmond rund, so glänzt und gleißt es
 Der Stempel der Vernunft, nie aufgefrischt,
 Wird unter Fett und Teer fast ganz verwischt;
 Dort jenes wie ein Äfflein grinst es geil,
 Die blasse Lippe bietet Tugend feil,
 Doch wohnt sie auch im Herzen, wirst du fragen.
 Die list'gen Äuglein werden "Nein" drauf sagen;
 Gleich der Hyäne glotzt dich jenes an
 Die zwischen Leichen wandelt ihre Bahn,
 Weil sie im Leben sich unheimlich fühlt;
 Und dort das Augenpaar blitzt aus den hohlen
 Vertiefungen, der Eule ist's gestohlen,
 Die nur bei Nacht aus dem Verstecke hüpft
 Und mit dem Raub in ihre Höhle schlüpft;
 Ein andres wieder blickt geduldig drein,
 Als trüg der Rumpf ein Eselsköpfelein,
 Gedankenlos Gebete herzulallen,
 Um nichts zu tun, um ohne zu erröten,
 Die ewig flücht'gen Stunden hinzutöten,
 Beschloß der Mann ins dunkle Haus zu wallen;
 Dort jenes, wie die Schlange glatt und kalt,
 Starrt herzlos an dich mit dem klugen Blicke,
 Nimm dich in Acht, daß es dich nicht berücke,
 Es übt auf dich unheimliche Gewalt,
 Bald hat es dich in seinen Kreis gezogen
 Und Ruhe Dir und Frieden ausgesogen;
 Dort der Vampyr, mit Augen, sanft, gleich Tauben,
 In dunkler Nacht wallt er zur Sterbekammer,
 Und weidet sich an deinem Todesjammer,
 Stiehlt dir dein Gold und täuschet deinen Glauben;
 Gar bunt erscheint dir die gepaarte Gruppe;
 Gleich Automaten wallen sie dahin,
 Mit Kutte überworfen, Pupp' an Puppe,
 
 Geht! Geht! ich laß euch gern in Frieden zieh'n!
 Wüßt ich, daß Einer unter euch gewählt
 Die Einsamkeit, um seinen Geist zu stärken,
 — Denn sie allein ist's, die den Denker stählt,
 Und reift zu großen und erhabnen Werken. —
 Wüßt ich, daß er sich in das Haus verrammelt,
 Damit den Geist er zur Betrachtung sammelt.
 Die toten Schätze unsrer Außenwelt,
 Durch des Gedankens ew'ges Licht beseelt;
 Wüßt ich, daß Einer, den die Welt betrogen,
 In diese tote Zelle eingezogen,
 Um der Verzweiflung, die ihm nachgesetzt,
 Ein Opfer zu entziehn, ich würde schweigen!
 Hat mich des Jammers Qual doch selbst gehetzt,
 Daß ich entschlossen war in's Grab zu steigen. —
 
 Doch sieh! ich war zu rasch, blick auf! dort naht
 Ein Leidensangesicht, ja in der Tat,
 Ein edles Antlitz auch ist unter ihnen;
 Das nicht vom Flammenquell der Rebe glüht;
 Wie weiß im Garten eine Lilie blüht,
 Ruht Leichenblässe auf des Mönches Mienen,
 Die Purpurlippe zittert fieberhaft,
 Ob im Gebet, das süßen Frieden schafft,
 Ach oder gar in Flüchen und in Klagen
 Gen seinen Dämon, wer kann dies mir sagen?
 Es zuckt sein Auge unter dunkeln Brauen
 In wilder Glut und sengt dir durch das Herz:
 So fährt ein Blitzstrahl nieder durch die grauen
 Gewitterwolken, schmelzend Glockenerz.
 Ha, das sind Funken von dem lohen Brand,
 Der im Gemüte tief verborgen wütet;
 Der Garten seiner Freude liegt entblütet,
 Wer riß die Blüten aus mit frecher Hand? — —
 Der G l a u b e, das V e r t r a u n, die ihn belogen,
 Für Freundschaft riß Begeisterung ihn fort,
 Doch hat sie ihn getäuscht mit süßem Wort,
 Ihm um das Höchste auf der Welt betrogen! —
 
 Der Liebe öffnete sich sein Gemüte,
 Wie sich dem Lenz erschließt die junge Blüte,
 Bald starrt sein Herz, der Freuden all beraubt,
 Wie rauher Frost den Rosenstock entlaubt! —
 Vom schönsten Weibe dieser Gotteserde,
 Voll göttergleicher Anmut ihr Gesicht,
 Natur und Reiz in jeglicher Gebärde,
 Er schwor darauf: solch' Antlitz täusche nicht,
 Von solchem Weib, wie es kein zweites gibt,
 Wähnt sich der unerfahrne Tor geliebt,
 Da fand er einst es in des Freundes Armen,
 Wie es ihm beut den Kuß, den liebeswarmen;
 An dessen Brust gedrückt, die Seligkeit,
 Wovon er wähnt, nur ihm sei sie geweiht,
 Dem schnöden schändlichen Verräter spenden,
 Er starrt und wähnt, ihn täusche ein Gesicht,
 Es war ein Trug, doch Sinnentrug war's nicht,
 Es war ein Trug, um mit dem Tod zu enden —
 Es hielt ihn nimmermehr, zu grausem Mord
 Riß der Verrat am Heiligsten ihn fort.
 Ach! und gefällt von einem sichern Streiche,
 Liegt Lieb' und Freundschaft, jedes eine Leiche —
 Vertraun und Glaube hat in unsern Tagen
 Gar manche Lieb' und Freundschaft auch erschlagen.
 
 Er flieht und irret lang umher, die Tat
 Selbst kränkt ihn nicht, ihn stachelt der Verrat,
 Das Kloster winkt, er schellt, auf springt das Tor
 Und Abt und Mönche, Alle nehmen gern
 Den Fremdling, unter Schnuppen bald ein Stern,
 Ins Kloster auf, es ist für ihn ein Sarg,
 Der alle seine Lebensfreuden barg.
 
 Es schallen durch die Lüfte Glockenklänge
 Und mahnen zum Gebet die gläub'ge Menge,
 Und diese wallt dahin, um dort zu hören
 Des Predigers Wort, zu preisen Gott in Chören
 Um sich zu ängst'gen, wenn von Höllenflammen
 Der Pred'ger tobt und ewigem Verdammen. —
 Das Hochamt ist zu Ende, bald besteigt
 Der blasse Mönch die Kanzel, Alles schweigt
 Und horchet stumm auf die Verdammungskunde
 Die donnernd bricht aus des Gepries'nen Munde:
 "Das Wort ist Fleisch geworden für die Welt,
 Zum Worte werde Fleisch nun als Entgelt!" —
 Dies war der Spruch, den er voll Kraft bewies,
 Und alle Hörer zur Bewundrung riß.
 Und als er ausgesprochen, drängt ans Tor,
 Durch das er treten muß, sich Alles vor,
 Um ihn die Hand zu küssen schüchtern bang,
 Die er verdammend über sie erst schwang! —
 
 In seiner Zelle kniet der Mönch allein,
 Gedankenvoll, vor ihm liegt die Legende,
 Den Kopf gestützt in abgezehrte Hände,
 Gleicht er wohl einem Bild von kaltem Stein;
 Der öde Raum, mehr ähnlich einer Gruft,
 Beherbergt Nichts, was an die Freude mahnet,
 Durch's schmale Fensterlein dringt Frühlingsluft
 Die seines Herzens Winter wohl kaum ahnet,
 Auf einem Betstuhl steht ein Kreuz, daran
 Ein kunstreich Bildnis des von Gott gesandten,
 Der seine Mörder, die ihn Ketzer nannten,
 Gesegnet, bemitleidend, ihren Wahn;
 Auch er starb für die Wahrheit, und wir erben
 Von ihm die Kraft, für sie dereinst zu sterben.
 Denn seine Lehre lebt; aus seinem Munde
 Macht sie durch diese Erdenwelt die Runde,
 Besiegend, wo sie spricht, die Millionen,
 Doch ohne Bajonette und Kanonen,
 Und wird sie auch verketzert, ja verderben
 Das Heil'ge im Unheil'gen selbst nicht sterben.
 Da Geistiges, entstammt dem Geist und dann
 Zurückgekehrt in ihn nie sterben kann. —
 Gold bleibt doch Gold, ob man's in Schlacken fand,
 Und zwischen Kieseln der Demant Demant.
 
 Der Totenkopf auf zwei gekreuzten Knochen,
 Die beiden Augenhöhlen durchgestochen,
 Daß grauenhaft es aus denselben blickt,
 Das ist fast aller Schmuck der kleinen Zelle,
 Die unberührt von der Zeiten Welle,
 Ein düst'res Sein in ihren Räumen wiegt;
 Nur an der Wand noch lächelt hold und mild
 Geheimnisvoll ein Muttergottesbild,
 Durchbort von sieben Schwertern ist die Brust,
 Das Antlitz lächelt doch in Schmerzenlust.
 
 Das Fensterlein schaut auf den Klostergarten,
 Der auch zugleich der Klosterfriedhof ist;
 Es sprossen in ihm Blumen aller Arten,
 Die satt des Gärtners Morgentau begießt,
 Und bange sieht man zwischen Rosenhecken,
 Manch schwarzes Kreuz die Arme abwärts strecken.
 So paart das Leben sich mit schwarzem Tod,
 Gewitternacht mit heiterm Morgenrot,
 Verrat und Tugend, Recht mit schnödem Druck,
 Der Wahrheit Licht mit falschem Lügenspuk,
 Die Freude mit dem Leid, der Haß mit Liebe,
 Die düstre Wirklichkeit mit süßem Traum,
 Und in dem unermeßnen Weltgetriebe,
 Wie in der Brust geheimnisvollem Raum,
 Sind diese Gegensätze ewig waltend,
 So rätselhaft des Menschen Sein gestaltend,
 In einer Trauerweide grünen Zweigen,
 Die sich zur Erde sanft hernieder neigen,
 Da schaukelt sich ein Vöglein auf und nieder
 Und jubelt in die Luft die sel'gen Lieder,
 Daß es entzückend deine Seele schwellt,
 Den blassen Mönch, versunken im Gebet,
 Stört nicht, ob ihn des Lenzes Hauch umweht,
 Ob Vöglein laut mit seinem Lied rebellt.
 
 Vor seinem Fenster schweben in dem hellen
 Und goldnen Sonnenscheine Eintagsfliegen,
 Die in den Wogen lauer Luft sich wiegen
 Und muntere, langleibige Libellen,
 Die auf und niederschaukeln durch die Luft,
 Berauscht von Frühlingsglanz und Blütenduft.
 
 Da springt vom Betstuhl rasch der Mönch empor,
 Entblößt die Brust, die manchen Schmerz erfahren,
 Woran der Geißlung Spuren sichtbar waren,
 Womit sich jeden Tag zerfleischt der Tor,
 Als ob des Lebens Weh und Jammersal
 Und Kummer, Leid, Betrübnisse und Qual
 Nicht eben solche Geißelhiebe wären,
 Womit den Menschen unter bittern Zähren
 Von seiner Wiege bis zum Grabesrand,
 Das Schicksal schlägt mit nimmermüder Hand.
 Die kaum vernarbten Wunden springen wieder
 Gegeißelt auf und Blut strömt daraus nieder,
 Im Garten aber öffnet Lenzeshauch
 Geschlossne Knospen an dem Rosenstrauch.
 Es strömen heil'ge Hymnen voller Glut
 Von seinen Lippen, wie vom Körper Blut,
 Und wenn es lauter in der Zelle klagt,
 Dann lauter auch im Baum das Vöglein schlagt,
 Als wollte es des Mönches banges Stöhnen
 Mit seines Lied's Geschmetter übertönen.
 
 Schon sinkt der Mönch erschöpft zu Boden, drückt
 Das Kruzifix an seinen Mund entzückt,
 Wie einst in Glut und brünstigem Verlangen
 Die Lippen an der Liebsten Mund gehangen;
 Am Fensterlein doch sieht man die Libellen
 Im Sonnenstrahl gar innig sich gesellen,
 Und mit den Flügeln schlagend heimlich rauschen
 Und Kuß um Kuß im vollen Fluge tauschen.
 Es ist ein Wechselspiel im Garten helle
 Und blütenreich und in des Mönches Zelle,
 Ein Wechselspiel ganz sonderbarer Art,
 Worin Natur und Geist sich seltsam paart,
 
 Seh'n in der Zelle mit zerfleischtem Rücken
 Die Mönche ihren Bruder, Gott-Entzücken,
 Auf seinem Angesicht, dem todesbleichen,
 Dann schlagen sie des Kreuzes heilig Zeichen.
 Im Wahn: daß es ein Heiliger, mit Beten
 Sie stummen Staunens aus der Zelle treten, —
 So war er als der frömmste Mönch im Orden
 Im ganzen Lande bald bekannt geworden,
 Trotz bietend wenigen verstockten Spöttern,
 Hört man das Volk den Lebenden vergöttern!
 Dem Gottesdiener unter Satansknechten
 Ums Haupt die Heil'genkrone gläubig flechten.
 
 Nacht
 
 Und Nachts, wenn ringsum Stille wie im Grab,
 Da schließt der Mönch die Klosterzelle ab,
 Und spät mit Argusblicken durch das Dunkel,
 Wo irgend noch ein Menschenauge wacht.
 Es stört ihn selbst der Sterne Glanzgefunkel,
 Wenn es gar freundlich schimmert durch die Nacht.
 Den Fenstervorhang läßt er niederwallen,
 Daß nicht ein Lichtlein von den dunkeln Hallen
 In seine Kammer strahlt und er allein,
 Wenn alles schlummert, pflegt noch wach zu sein.
 Da hatte mir mein Freund, der Mondenschein,
 Gar mancherlei erzählt, was er von oben,
 Als einst der Vorhang nicht ganz vorgeschoben,
 Mit seinem Licht erspäht in dunkler Stunde,
 Und ich vernahm gar sonderbare Kunde:
 
 Wenn Alles schon in tiefsten Schlafe liegt.
 Nur in den Blättern noch ein Lüftchen säuselt,
 Des Klosterteiches Wellenspiegel kräuselt,
 Die Blüten in dem Klostergarten wiegt,
 Da tritt der Mönch vor das Marienbild,
 Sein Blick schießt lauernd rund herum und wild,
 Ob niemand hinter seinem Rücken lauscht,
 Und wenn die Trauerweide draußen rauscht,
 Fährt er zusammen, wie ein Missetäter,
 Der auch im Luftzug fürchtet den Verräter;
 Und wenn es stille rings, daß durchs Geäder
 Des Körpers er das heiße Blut fühlt fließen,
 Den Saft sich in der Pflanze Stamm ergießen,
 Dann drückt er an dem Bilde eine Feder,
 Worauf es rasch sich öffnet und den Blicken
 Ein zweites Bildnis weist, das mit Entzücken
 Des Mönches wilder Flammenblick verschlingt,
 Und daraus Seligkeit und Wollust trinkt,
 Und wißt ihr was es ist? Ein Frauenbild,
 Fast feenhaft, entblößt von aller Hülle,
 Mit einem Angesichte, lüstern mild,
 Und auf dem Körper aller Reize Fülle,
 Wie Venus Anadiome die Alten
 Mit allem ird'schen Sinnenzauber malten,
 Die Schmerzensmutter dort durchbohrt die Brust,
 Des keuschen Glaubens heiliges Symbol,
 Und hier der Götzen sinnlich toller Lust,
 Ha! solch' ein Gegensalz berückt dich wohl;
 Dort Christentum, hier Heidentum, hier Freude,
 Wie sie die Mythe beut, dort herber Schmerz,
 Und zwischen beiden schwächt sich ab das Herz,
 Und kämpft mitt Wonne bald, bald mit dem Leide,
 Am Wonnen-Bild reizt er die Fantasie
 
 Und sättigt sie durch wollustreiches Schauen,
 Als ob der Blitz ihm seine Flammen lieh,
 So zuckt es unter seinen dunklen Brauen.
 Nicht kann ihn dies die Wirklichkeit ersetzen,
 Die gegen Fantasien ein Schatten ist,
 Es ist dies Bild ein wundervoller Götzen,
 Der einen Born von Wonnen in sich schließt.
 Das Wirkliche, betastbar und beschränkt,
 Setzt eine Grenze seinem Glutverlangen;
 Doch diesem Bild, das er beseelet denkt,
 Entströmt ein ewig Geben und Empfangen.
 Die Züge voller Anmut, welche nie
 In solcher Füll' dem Lebenden gegeben,
 Weiß die empfindungsreiche Fantasie
 Dem Urbild völlig ähnlich zu beleben.
 Es hat noch nie der Leidenschaften Sturm
 Auf diesen holden Zügen frech gewütet,
 In diesem Herzen nagte noch kein Wurm,
 Der es wie Blumen im Gefild entblütet.
 Das Lächeln, das um diese Lippen schwebt,
 Die zu verschließen scheinen süße Kunde,
 Das wie der Maler es in erster Stunde
 Erschuf, das Herz so wonnevoll erhebt,
 Verließ das Bild noch nie; im Augenblick,
 Und Morgen feiert es den selben Sieg;
 Der Tage Flucht, die jedes Angesicht
 In tiefe Kummerfurchen kräftig spaltet,
 Erprobte ihre Kraft am Bilde nicht,
 Das ew'ge Jugend auf demselben waltet.
 
 Kein Schrecken drängt der Wange Rosenrot
 Ins Herz zurück, Scham macht es nicht erglühen;
 Den Purpurglanz, den ihm der Maler bot,
 Seh'n wir stets frisch dem Wangenpaar entblühen;
 Selbst des Gedankens fähig nicht, weiß; es
 Derselben eine Fülle zu erzeugen;
 Es ist dies Bild ein zauberisch Gefäß,
 Woraus gar holde Wunderblüten steigen,
 Wie sie der Brust geheimnisvoller Ruf,
 Wie sie ein Wink der Fantasie erschuf.
 
 O dies ist ein geheimnisvolles Tun!
 Für unsern Mönch der Wonnen reichste Quelle,
 Und jede Nacht, wenn längst die Brüder ruh'n
 Erneuert er dasselbe in der Zelle.
 Wie Fanatismus ihm am hellen Tag
 Gar mächtig treibt die Sünder zu verdammen,
 Setzt Nachts durch ihn der Wonnen Blütenhag
 Der lüsterne Fantast in helle Flammen,
 Wenn von der Kanzel er mit Rednerkraft
 Flüche und Strafen ohne Zahl verhandelt;
 Nachts frei von der Verstellung enger Haft,
 Hört zu! wie er das Wort in Fleisch verwandelt,
 Und stellt ihm hin die üppigste Hetäre,
 Wenn sie noch schöner als das Bildnis wäre,
 Er stößt von sich das Weib — die Wirklichkeit
 Setzt seinen unersättlichen Gedanken
 Zwei niemals zu beseitigende Schranken,
 Des Raumes jene und der flücht'gen Zeit.
 Was ihm das Bild mit seinen Reizen beut,
 Gibt nie der Leib, wie hold auch zu umfassen!
 Wie Lampen vor der Sonne Glanz erblassen,
 So weicht der Fantasie die Wirklichkeit.
 
 Das ist der Gottesdienst, den er bei Nacht
 In seiner öden Klosterzelle feiert,
 Und lüstern immer wieder auch erneuert.
 Wenn er im Anbeginne sanft und sacht
 Die Orgien begeht, reißt das Entzücken
 Ihn hin, sich laut in Worten auszudrücken.
 Oft unter solchem wollustreichen Schauen
 Hört man von seinen Lippen leis und bang
 Gebrochnen Tones Hymnen niedertauen,
 Und wer es hört, wähnt, es ist Kirchensang.
 Im Klostergange dann vor seiner Pforte
 Lauscht still der Abt und lauschen alle Brüder
 Und stürzen betend auf die Knie nieder,
 Und singen unisono halb verrückt:
 Es habe aus der Mitter ihrer Brüder
 Die Mutter Gottes Einen hochbeglückt.
 Der Mönch erschrickt, — faßt sich verschließt dann schnelle
 Das Bild und öffnet seine Klosterzelle,
 Durch welche sich wie eine Meereswelle
 Die Brüdermenge wälzet, die den frommen
 Und heil'gen Mönch zu schauen ist gekommen;
 Den Hochbegnadigten im mächt'gen Orden,
 Dem unerhörte Gnade Teil geworden,
 In Bruderliebe und im Hochentzücken
 An Brust und Herz so liebevoll zu drücken,
 Und in Gesängen, Hymnen und in Chören
 Den Lebenden als Heil'gen zu verehren.
 
 "Und in des Gotteshauses Ecken stehn
 Aus Stein, verwittert fast, vier Statuen,
 Des G l a u b e n s, der L i e b e, H o f f n u n g, D e m u t;
 Verseh'n mit den entsprechenden Symbolen
 Beschränkung mag draus fromme Deutung holen;
 Der freie Geist lacht drob in bittrer Wehmut."
 O ihre Brut nicht bloß, Tag, Monde, Jahr,
 Verschlingt die Zeit, die ew'ge Wandlerin,
 Den Wahn verschlingt sie auch, den sie gebar,
 Gestaltend immer neu des Menschen Sinn.
 Der vorwärts drängend in der Flucht der Zeiten
 Sie nur als Mann und nicht als Kind will deuten.
 
 Des Glaubens Standbild dort, in einer Hand
 Hält es das Kreuz, die Bibel in der andern,
 Was soll's damit? Dich mahnen wohl, zu wandern
 Mit Kreuz und Bibel fort von Land zu Land,
 Die Worte des Erlösers zu verkünden,
 Daß nicht die Welt versink' im Pfuhl der Sünden?
 
 Verkünden möcht ich gern sein weises Wort
 Und wallen durch die Welt von Ort zu Ort
 Und steuern dem Verrat der Finsterlinge,
 Die was im heil'gen Buche steht geschrieben
 Entweiht durch falsche, aberwitz'ge Dinge:
 Und gleich der giftgefüllten schwarzen Spinne,
 Die in dem Schnörkelwerke tief versteckt
 Ich hinter jenem Standgebild entdeckt,
 Mit ihrer Ränke Fäden unsre Sinne
 Nur immer enger zu umgarnen suchten,
 Zerriß ein Denker das Gespinnst, ihm fluchten.
 Ein Kreuz trägt auch die Spinne auf dem Rücken,
 Wie wir es in des Glaubens Hand erblicken:
 Solch eine Spinne ist die Gleißnerei;
 Sie spann ihr Netz auch in der Gottheit Haus
 Und spann die Fäden in die Welt hinaus.
 Doch nimmermehr! schon riß ihr Netz entzwei
 Dem Sterblichen sein Selbstbewußtsein rauben,
 An seiner Qual sich laben und ihn schrecken
 Mit Höll' und Feuer und satan'schen Recken
 Nicht solchen Sätzen schirmen mehr den Glauben:
 Die Leuchte der Vernunft glüht einzig nur
 Im Gotteshaus, im Tempel der Natur.
 Und wenn sie zu verlöschen droht, steckt nicht
 Der schlichte Glaube, wie bisher, mehr an,
 Betört, geschreckt durch aberwiz'gen Wahn,
 Sein dunkel flackernd Armensünderlicht.
 
 Und du mit deinem Anker in der Rechten,
 Das Bild der Hoffnung, willst du ferner noch
 Mit Täuschungen den Sterblichen umflechten?
 Der Knabe bringe dir ein Lebehoch
 Der Mann ruft: eitler Tand! Nicht mehr erweckt
 Dies Ammenmärchen unsre Sympathie,
 Womit man uns Jahrtausende geschreckt,
 Das war ein Traum verjährter Fantasie,
 Von Zukunft träumt der Narr; der Augenblick,
 Die Gegenwart ist mein, und wenn der Tod
 Zum Kusse mir die kalte Lippe bot,
 Dann laßt mich schlummern und nichts weiter hoffen!
 Steht auch die Pforte in ein Jenseits offen,
 Nicht heuchlerisches, gleißnerisches Beten
 Hilft ihre Schwelle einstens übertreten;
 Der Geist und sein Genosse: der Gedanke,
 Nur die zwei schreiten über jene Schranke
 Was Bonzenlist gar sinnreich ansstaffiert,
 Ist Tand für Kinder und für arme Narren;
 Lud man den Leib mal auf den Totenkarren,
 Dann wird er Staub und wenn auch balsamiert,
 Der Geist holt sich an keinem jüngsten Tage
 Das Pergament aus seinem Sarkophage.
 
 Wohl wählte hinter dir in dunkler Ecke
 Die Fledermaus sich weislich ihr Verstecke;
 Sie selbst das Säugetier der schwarzen Nacht,
 Die, wenn sonst Alles schlummert, späht und wacht:
 Denn im geheimnisvollen Dunkel bloß
 Weiß sich die Flattrerin gewandt zu regen
 Und sich in Labyrinten zu bewegen,
 Und fährt gewandt auf ihre Opfer los.
 So meidet auch das Taglicht der Gedanken
 Die Hoffnung stets und fühlt im dunklen Wahn
 Sich heimischer und wandelt eine Bahn,
 Auf welcher schon viel tausende versanken,
 Die, wenn des Aberglaubens Irrlicht noch
 Zur rechten Zeit sie ausgeblasen hätten,
 Abwälzend jeden Zweifels Riesenketten
 Sich aufgeschwungen hätten himmelhoch!!
 
 Und du, das Flammenherz zum Himmel hebend
 Die Liebe, Alles nehmend, Alles gebend,
 Die du die Welt im Taumel reißest fort,
 Wie kommst den du in diese düst'ren Hallen,
 Worin schon längst verstummt dein Zauberwort?
 Hinaus in's Feld, wo Lerchen jubelnd singen,
 Von Stein zu Stein des Bächleins Wellen springen
 Und in den grünen Büschen Nachtigallen,
 Dort zwischen Blütenduft
 Durch Lenzesluft
 Durch solche Räume mag die Liebe wallen.
 
 Es nistete sich in dem Bild von Stein,
 Bedeutungslos nicht, eine Schlange ein.
 Die dort mit ihrer jungen, falschen Brut
 Geborgen in des Standbilds Fugen ruht,
 Das Bogenfenster gegenüber läßt
 Den Sonnenstrahl auf kaltem Marmor schimmern,
 Dann kriecht die Schlange sacht ans ihrem Nest,
 Dort sieht man dann im Sonnenschein sie flimmern
 Und mit den starren, todesschwangern Blicken
 Das Opfer, das sie ausgewählt, berücken.
 Das ist der Liebe Art, die einst von Rom
 Sich auf die Welt ergoß, ein Lavastrom.
 Das ist die Liebe, die einst Scheiterhaufen
 Getürmet, um im Flammentod zu taufen.
 Das ist die Liebe, die den Hatz gebar,
 Wie er vor Jesu nicht auf Erden war.
 Du, der auf Petri Stuhle thronst, o Du,
 Auf den die Menschheit ihre Hoffnung stützt,
 Der die Vernunft so wie den Glauben schützt!
 Wir rufen Dir im schlichten Glauben zu:
 O setze wieder Christi Kirche ein
 Dies Reich des Geists und nicht der Zeitlichkeit;
 Den Wahn, den Irrtum, der sein Haus entweiht,
 O banne sie, daß wir Dich benedein!
 Den Glauben an Vernunft, dies Himmelslicht,
 Entflamm die Hoffnung auf die Ewigkeit,
 Dann sollst Du schaun, wie Liebe eng umflicht
 Die Säulen Deines Bau's, der auf Gedanken
 Und auf den Geist gestützt nie mehr wird wanken!
 
 Und Demut! kannten dich die alten Griechen?
 Unschuldig Tränkchen du für einen siechen,
 Hausbackenen Verstand! der Mensch ist Geist
 Vom ew'gen Geist und wenn er selbst sich preist,
 Preist er den Ewigen in sich; die Lüge
 Hat in's Gewand der Demut sich gehüllt,
 Damit sie um so sichrer uns betrüge,
 Und dann als Haß die Herzen unterwühlt.
 Und wenn der Mensch das winzigste Atom
 Von diesem, ew'gen Geist der Natur —
 Und wenn der Mensch der kleinste Funken nur
 Von diesem ewig glüh'nden Feuerstrom,
 Genug! er trägt desselben Geistes Spur,
 In welchen er, sobald er aufgehört
 Zu sein, als dessen Teil zurücke kehrt.
 
 So rief's zu mir — das Dunkel brach herein
 In's Gotteshaus durch hohe Bogenfenster,
 Es schwirrt um mich, wie wallende Gespenster;
 Ich eilt' um auszuatmen draus im Frein;
 Ich seh' mich um, ich stand allein — allein —
 Und doch vernahm ich deutlich alle Laute,
 Mir war es bang zu Mut, fürwahr mir graute
 Es innerlich: wer sprach das kühne Wort?
 So sann ich grübelnd nach, dem Blätterrauschen
 Begann ich sorgsam, ängstlich fast zu lauschen,
 Bedeutungslos doch säuselte es fort.
 Wer war's? ruf ich, der solchen bittern Hohn
 In meine gläubig fromme Seele goß?
 Was soll der tolle Spuk? o fleuch davon
 Unsauberer satanischer Genoß'
 Du bist's Mephisto, der du mich versucht
 Und das Gewürm säet in die reife Frucht!
 Da schallt ein lautes grinsendes Gelächter
 Aus dunkler Luft zu mir, wie eine Meute
 So tobt und knallt es in der luft'gen Weite,
 Es ist die wilde Jagd, ich spring empor
 Zu fassen den mich höhnenden Verächter,
 Der gegen meinen Glauben sich verschwor — — —
 
 Da klirrts! da klingts! Glassplitter fallen nieder
 Auf meine Locken, meine kranken Glieder,
 Ich war erwacht! es blutete meine Hand,
 Womit im Schlaf ich losfuhr gen die Wand,
 Das Glas zerschmetternd, hinter welchem mild,
 Im Goldrahm hing ein Muttergottesbild,
 Zur Seite ihm das meines Schutzpatron,
 Des heiligen Franziskus; fieberkrank,
 Lag leidend ich seit manchen Tagen schon
 Und während mehr die Kraft des Körpers sank,
 Nahm zu des Geistes Spiel, der wild und wilder
 Mich heimgesucht durch wüste wirre Bilder.
 So höhnt die Fantasie den kranken Mann,
 Wenn den gesunden sie nicht täuschen kann.
 Der Mond entbot den sanften Silberschein
 In das Gemach mir durch das Fenszerlein
 Und in dem Gärtlein unter meinem Zimmer
 Schlug eine Nachtigall, und eine Linde
 Sandt' mit dem kühlen sanften Abendwinde
 Mir der Genesung Düfte zu. Noch immer
 Denk' ich des Traums, der damals mich gequält
 Und den ich treu, wie ich ihn träumt' erzählt,
 Der rätselhaft den Kreis, in dem ich lebte,
 Die Dinge, die im Wahne mich umgaben,
 Die den Gesunden stets gekräftigt haben,
 In meine kranken Fantasien verwebte.
 
 
 
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