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Quelle:

Parallelen
Wurzbach Constant

Leipzig 1849
Georg Wigand

Wenn zwei Herzen sich begegnen
Wir auf dieser Erde sehn,
Laß Sie uns im Stillen segnen
Und dann schweigend weiter gehn.
 


              I. Die Rettung   
II. Das Kätzchen
 

1.
Die Verführung

Es herrschte ringsum süßes, trautes Schweigen,
Die Lüftchen säuselten in Busch imd Zweigen,
So webt es in dem menschlichen Gemüt
Wenn friedlich ein Gedanke ihm entblüht.
Die Sonne von der heut'gen Wandrung müde
Und hochgerötet, tauchte in das Bad,
Das kühlend ihr die Nacht bereitet hat,
Die Welt durchweht ein göttergleicher Friede,
Ach, doch in diesen, sanften Windefächeln,
In dem verführerischen Blütenlächeln,
Wer ahnet wohl die Greuel der Natur? —

Dort rauscht der Strom mit seinen tausend Wellen,
Bespült zu beiden Seiten üpp'ge Flur;
In seinen Tiefen späht versteckt der Hecht
Nach einem schwächern, wehrlosen Geschlecht,
Und packt die muntern, arglosen Gesellen,
Und während er die junge Brut verschlingt
Ein Strahl der Sonne in die Tiefen dringt. —

Dort in des Baumes dichtbelaubten Zweigen
Sitzt lange schon ein Vögelein, sein Schweigen
Verrät den Schmerz, der es umstricket hält.
Ach, was dem armen Vögelein wohl fehlt?
Im Baume höher, unter Blättern fest
Und schlau verhüllet hing ein volles Nest;
Dort fühlte sich so wohl, in sichrer Hut,
Des Raubtiers Blick entrückt, die junge Brut;
Da schlich des Morgens, als das Vöglein fort
Um Atzung flog, die Schlange an den Ort;
Die Mutter, heimgekehrt von ihrer Fahrt,
Starrt, als sie leer das traute Nest gewahrt.

Sieh dort das Täubchen! aus dem Bau hervor
Streckt es sein Köpfchen, und schaut bang empor,
Und in des Himmels höchster Höh', im Blauen
Ist nur ein winzig kleiner Punkt zu schauen;
Das Täubchen tritt heraus, girrt einmal, ha!
Der Tauber hat's gehört und ist schon da,
Und in des Himmels tiefere Schichten hebet
Und senkt es sich, fast wie ein Falter schwebet;
Das Täubchen und der Tauber schnäbeln innig,
Ein Bild so trauter Liebe, zart und sinnig,
Und wo die windbewegte Wolke zieht
Der scharfe Blick den Geier stoßen sieht,
Der, eh er nieder aus der Höh' sich schwingt
Mit seinem Blick die Beute schon verschlingt.

Im Garten drüben voller Blütenduft,
Da steht ein Rosenstock, unweit daneben
Siehst du die Lilie ihren Kelch erheben,
Und zwischen beiden zieht sich durch die Luft
Ein fein Gespinnst, wovon nach allen Seiten
Ein zartes Netz, die Fäden aus sich breiten,
Und in dem Kelch der Lilie, mitten innen,
Drin sitzt versteckt die giftigste der Spinnen,
Indessen in dem Netze die Libellen
Und kleinen Falter, Fliegen, arme Mücken
Unrettbar immer enger sich verstricken,
Der Spinne so ein reiches Mahl bestellen;
Die kriecht dann aus der Blume schwankem Haus
Und saugt das Herzblut ihren Opfern aus,
So nisten zwischen Unschnld, zwischen Liebe
Sich ein des Hasses jammervolle Triebe;
So birgt ein schöner, schwanenweißer Busen
Gar oft ein Herz dem ähnlich von Medusen;
Und Despotie stützt sich gleich diesem Bilde
Auf heilig Recht und engelgleiche Milde.

Dies ist der Erde göttergleicher Friede!
Wie tiefes Weh im holden Liebesliede,
So birgt sie unter sanftem Maienlächeln
Den Mord, die Willkür — und der Winde Fächeln,
Verstreuet nicht des Hasses blut'ge Spur,
Verwehet nicht die Grenel der Natur!

Und drüben in des Gartens Blätterlaube
Blüht an des Menschenherz der fromme Glaube;
Wie sich die Blätter um die Stäbe ranken,
So schlingt in süßen, seligen Gedanken
Ein Jüngling um ein Mädchen seinen Arm,
— Da rauscht empor des Wassers leise Flut —
Er drückt sie an sein Herz so wild, so warm,
— Der Hecht schnappt unten nach der jungen Brut —
Schon haschet er in fieberhafter Glut
Erschöpfend alle irdischen Genüsse,
Von ihren Lippen wonnevolle Küsse.
Nun heftet er auf sie den wilden Blick.
Der Unersättliche will noch mehr Glück!
— Dort aber nach dem Vöglein, das so bange
Um seine Jungen trauert, einsam sitzt
Späht scharf auf tieferm Ast die tück'sche Schlange.
Ihr Augenpaar gleich Glühgewürme blitzt —

Berückend seines Mädchens banges Zagen
Hat tollkühn er den Arm um sie geschlagen.
— In diesem Augenblick erdwärts stoßt
Der Geier aus den Höhen auf die Taube,
Die mit dem grauen Tauber freundlich kost,
Und schwingt sich dann empor mit seinem Raube,
Die Sonne noch vergoldet mit dem Strahl,
Des Räubers blutig triefend zartes Mahl —

Und steigernd nun der Liebe Hochgenuß
Drückt auf der Jungfrau Lippen Kuß und Kuß
Der Jüngling und in brünst'ger Liebesglut
Rollt durch's Geäder flammenheiß das Blut.
Da knickt er frech die unschuldvolle Bume,
Und raubt den höchsten Schatz dem Heiligtume.
— Jetzt kroch die Spinne aus dem Lilienhaus,
Und sog das Herzblut ihrem Opfer aus. —

Und wie der Hecht im Wellenbad, im frischen,
Und wie der Geier in der blauen Luft,
Die Spinne schlürfend süßen Blütenduft
Die Schlange in des Baumes Blätternischen,
Und wie der Jüngling in der Jungfrau Brust
Die Keuschheit würgt in schlauer Sinnenlust,
Gefördert durch den Blütenqualm der Laube,
So morden Wahn, Irrtum und Aberglaube.
Der Gleißnerei unlautre Lügenzunft,
Die heiligen Gedanken der Vernunft.

II.
Das Kätzchen

Der Herbstwind klagt durch die entlaubten Wälder
Und jagt die Blätter durch die Stoppelfelder,
Sie bleiben hie und da ein welkes Leben
An kahlen Büschen und Gesträuchen kleben,
Bis sie ein Windstoß wieder weiter treibt
Und öftrer Flung das morsche Blatt zerreibt,
So jagt den Menschen Sehnen und Verlangen
Und nie erfülltes Hoffen, ew'ges Bangen,
Hin durch die Welt, bis unter Weh und Ach,
Der tolle Wahn sein kämpfend Herz zernagte
Und Wunsch auf Wunsch vom Lebensbaume brach,
Er, der dem Himmel sich zu nahen wagte,
Sinkt immer tiefer, immer tiefer nieder;
Und lächelt ihm auch schlau die Hoffnnng wieder,
So ändert sein Geschick doch nicht der Glaube,
Und von Gedanken sieht man zu Gedanken
Den lebensmüden, hoffnungslosen, kranken,
Zum schmerzenvoll ersehnten Grabe wanken,
Dem welken Blatte gleich wird er zu Staube.—
Es breitete die Nacht den Schleier aus
Um's schlafbefang'ne, öde Erdenhaus.
Nur aus den Wolkenfalten schwarz und dicht
Ein matter Strahl der Diebesleuchte bricht,
Die sie bedächtig immer mit sich führt,
Und nach den Gräueln dieser Erde spürt.
Ein Uhu krächzet aus dem nahen Wald,
Daß weit hinaus sein Jammerruf verhallt;
Dann wird es wieder ringsum totenstille,
Daß man den Wurm im Baume nagen hört,
Daß nur der leise Atemzug der Grille
Und eines Lüftchens Wehn dieselbe stört.

Fern wallt der Strom mit seinen mächt'gen Wogen,
Da schlägt die Nacht zurück den nebelfeuchten
Und dichten Wolkenschleier, läßt ihr Licht
Hin längs des Wassers Wellenspiegel leuchten,
Daß es darin in einem Strahlenbogen
Und sich in tausend Silberfunken bricht.
der Schimmer überstrahlt ein Frauenbild,
Das losen Haares, mit dem Blicke wild,
Ein wundersam geheimnisvoller Gast,
Längs dem Gestade dahin eilt in Hast.
Die Jungfrau ist es aus der grünen Laube,
An Treue schwand aus ihrer Brust der Glaube
Sie fühlt nun unterm Herzen den Verrat,
Der ihren keuschen Leib entweihet hat,
Bald bleibt sie stehn, und schauet in die Wellen,
Die himmeltragenden und mondlichthellen,
Dann rast sie wieder fort, zerrauft ihr Haar,
Daß es ein herzzerreißend Schauspiel war.
Doch plötzlich hält sie inne, aus der Brust
Zieht sie ein Bild, das jetzt des Mondes Strahlen
Mit einer geisterhaften Blässe malen,
Und küßt es mit verzweiflungsvoller Lust;
Und still geworden löst sich ihr Gemüt
Das grambeladne in ein Klagelied:

           Ich werf dich in die Wellen,
           Sie sind so falsch wie du:
           Wenn heut sie tobend schwellen
           Ziehn morgen sie in Ruh.

           Bald klingen sie so leise
           Wie traute Schmeicheleien,
           Ach und in ihre Kreise
           Wagt sich das Schiff hinein.

           Die Wellen werden Wogen,
           Der Wirbel hat herab
           Das Schifflein bald gezogen
           Und wird sein kühles Grab.

           So hast du mich betrogen,
           Mit trautem Schmeichelklang
           In deinen Kreis gezogen
           Und meine Tugend sank.

           Und wie das Schiff die Welle
           So faßte deine List
           Auch meine arme Seele
           Der sie verfallen ist.

Und unter solchem Sange schleudert wild
Sie in den Strom das oft geküßte Bild,
Das tief gebettet liegt am kühlen Grunde.
"Ein Lebewohl" noch wallt ans ihrem Mnnde —
Dann will sie selbst dem Bilde nach, schon stand
Bereit zum Sprung sie in die tiefen Wogen,
Als plötzlich — wie von ungeseh'ner Hand —
Sie sich gefaßt wähnt und zurückgezogen, —
Zu ihren Füßen winselt es, sie fühlt
Als hätte eine Woge sie bespült
Es kriecht an ihr empor, was ist es? was? — —
Ein Kätzchen, ach kaum lebend noch und naß
Ein  K ä t z c h e n  kriechet zitternd ihr entgegen. —
Das Mädchen fühlend inniges Erbarmen,
Hebt auf das Tier, herzt es in ihren Armen,
Das zu ersäufen in den Fluß man warf
Und glücklich ist, daß es sich wärmen darf.

Dem Mädchen aber ist's ein Wink von oben;
Bedächt'gem Sinnen weicht des Herzens Toben,
Es faßt die Mahnung, sammelt sich, es blüht
Der Friede nach und nach auf im Gemüt
Das Herz fühlt sich gestärkt, Verzweiflung weicht,
Ein Strom von Tränen macht den Busen leicht,
Die Seele löst sich auf in ein Gebet,
Worin auch des Verführers Namen steht,
Dem es nicht Fluch auf seinen Erdenwegen,
Nicht Jammer wünscht, ach! nur des Himmels Segen.
"O nein! verlassen darf ich dich nicht mehr!
Es führte dich ein Engel zu mir her,
O komme nur! ich will dich pflegen, nähren,
Ich rette dich, denn du hast mich gerettet!"
So spricht das Mädchen unter reichen Zähren,
Blickt gottergeben dann zum Himmel auf,
Der so verhängnisvoll der Dinge Lauf
Und wundersam oft in einander kettet.

Und wenn der Lappen, den zu Trier man
Am Hochaltare hatte aufgehangen,
Nur das Signal war, daß in Deutschland dann
Des Wahnes Pforten aus einander sprangen;
Und man sich losrang von des Stumpfsinns Zucht,
Der statt des Lichtes Nacht und Nebel sucht,
Ist dieser Lappen nicht dem Kätzchen gleich,
Das aus dem Strom der Zeiten hergeschwommen,
An welchem die Vernunft so schmerzenreich
Verführt, von schnöder Gleißnerei betrogen,
Den Tod zu suchen in des Aufruhrs Wogen
Ein Opfer der Verzweiflung stand beklommen?
Was noch zu frühe — an den Strand gespült?
Daß die ernunft sich wieder stark gestalte,
Daß der Gedanke, der den Irrtum haßt,
Und ihn erwürgend an der Kehle faßt,
In göttergleicher Freiheit sich entfalte!
Daß — eine Zentifolie im Gemüt
Der hehren Menschheit Glaubensfreiheit blüht! —