Canzonen VI.
54.
Und in klaren Luftkristallen schwebend
Zieh'n wir, das schöne Land zu unser'n Füßen;
Und tausend Städte können, nah' und ferne,
Auf einmal überschauend wir begrüßen.
Links der Farnesen Hallen sich erhebend,
Und in der Ebne hingestreut wie Sterne,
Die Schlösser, wo so gerne
Die alten Dichter Welschlands mochten weilen,
Bei jenem lorbeerreichen Stamm von Este! —
Und dort Castruccio Castracani's Veste!
Und weiter hin, wo Arno's Wellen eilen,
Des Medicäers Stadt, des kunstgeweihten,
Des größten Geistes jener alten Zeiten! —
55.
Wohin das Auge sieht auf unsrem Fluge,
Dort möcht' es ruhen und verweilend bleiben,
Von der Erinn'rung mächtig festgehalten! —
Es können Worte nimmer sie beschreiben,
Die Wunder alle, die auf uns'rem Zuge
In immer neuem Wechsel sich entfalten;
Bis wir dann näher wallten,
Inmitten zweier ausgespannter Meere, —
Denn rechts sah'n die Tyrhener Flut wir blinken,
Links Adria, die sturmgepeitschte, winken —
Bis endlich sich die gottgeweihte, hehre,
Hochheil'ge Roma hob vor unsern Blicken,
Das Staunen einer Welt und ihr Entzücken! —
56.
All' jene Zierden, aus den alten Zeiten
Herüberwinkend mit den Prachtruinen,
Des Colloseum's wunderbaren Bogen,
Die Tempeltrümmer, die gewalt'gen, kühnen,
Des Forums fast versunk'ne Herrlichkeiten,
Die hohen Pforten, wo die Helden zogen,
Vom Jubelruf umflogen,
Die Riesenmauern und die Säulenhallen,
Die Thermen und die hohen Mausoleen,
Wo Geister der Heroen wandeln gehen,
Wenn sie hervor aus ihren Gräbern wallen,
Der Weltenherrscher unvertilgte Spuren,
Sah'n wir vor uns, als wir hernieder fuhren! —
57.
Und was ein neu Geschlecht hinzugesellet,
Des alten Wunder noch zu überragen:
Bramante's Bau, dem nichts sich kann vergleichen;
Die mächtige Kuppel, stolz empor getragen
Von Buonarotti, der so hoch gestellet
Des Kreuzes weithin strahlend Gnadenzeichen,
Daß, um es zu erreichen,
Des stark beschwingten Adlers Flug nicht g'nüget!
Den Vatikan, die Engelsburg, die feste,
Die Obelisken, Brunnen und Paläste,
Bildsäulen, Pforten, stark in Erz gefüget, —
Ich sah sie wohl dem Blick vorüber eilen,
Doch konnt' ich nicht betrachtend d'rauf verweilen. —
58.
Bei Sankt Onnfrio, wo Zitronendüfte
Süß aus dem stillen Klostergarten wehen,
Bei jener Kirche, — Kirchlein nur zu nennen,
Wenn man Sankt Peters Riesendom gesehen,
Des Haupt, empor gestrecket in die Lüfte,
Wie eine lichte Sonne scheint zu brennen
Und das Gewölk zu trennen! —
Verweilten wir und öffneten die Pforte!
Bald stand ich still vor einem Leichensteine:
"Hier ruhen Tasso's modernde Gebeine,"
Stand d'rein gegraben statt all' and'rer Worte.*
Da zuckt' ein Weh durch mich! Es zu versüßen,
Senk' ich mein Knie, das werte Grab zu küssen! —
*Der
Kardinal Cynthio Aldobrandini wollte dem toten Tasso ein
glänzendes Mausoleum errichten, doch die Ausführung dieses
Vorsatzes unterblieb. Tasso's Freund, der Marquis von Villa,
ließ auf seinen Grabstein die Worte:
Hic iacet Torquatus Tassus
setzen, neben denen jede andere Grabschrift entbehrlich war.
59.
"Laß" — sprach der Geist — "laß es vorüber gleiten
Im Spiegel der Erinn'rung, T a s s o' s Leben,
Daß Dir in ihm sein Glück sich deutlich künde!
Ihm wohl vor Vielen war der Kranz gegeben,
Den Deine Göttin spendet den Geweihten! —
Daß, was er fühlt, in Andern er entzünde,
Den Born der Kunst ergründe,
Die hohe Kraft ward gnädig ihm verliehen.
Laß uns denn seh'n, ob sich sein Glück gemehret;
Ob jener Hauch der Gottheit ihn gelehret,
Den selbstgeschaff'nen Qualen zu entfliehen?
Ob sie ihn schirmte in dem inn'ren Kriege,
Ob sie ihm half zum schwererkämpften Siege? —
60.
Unseliger! Der, als er kaum geboren,
Ein Flüchtling an der Mutterbrust, muß irren,
Getrieben aus der Heimat süßem Frieden!*
Eh' noch die Nebelträume sich entwirren,
Die trüb, gestaltlos, liegen an den Toren
Der Seele; wo der Mensch noch nicht geschieden
Vom Tier, sonst nichts hiernieden
Noch Leben nennt, als ungestörten Schlummer;
War'st du — allein entrückt dem milden Lose,
Zu ruh'n im Kelch der noch geschloss'nen Rose
Harmloser Kindheit — schon ein Ziel dem Kummer
Und mußtest, vorgereift, ** in jenen Tagen
Schon Männerschmerz im Kinderbusen tragen! —
*Fernand San Severino, Fürst von Salerno, flüchtete
vor den
Verfolgungen des Vice-Königs von Neapel,
D. Pedro von Toledo,
dem er heftigen Widerstand
geleistet hatte, als D. Pedro die
Inquisition einzuführen
versuchte.
Torquatos Vater, Bernardo Tasso, folgte dem Fürsten
auf seiner
Flucht, und nahm seinen damals neunjährigen Sohn Torquato
mit sich.
San
Severino und alle die ihm gefolgt waren, wurden für Rebellen
erklärt, ihre Güter konfisziert, und sie selbst durch
den Vice-König
zum Tode verurteilt, wenn sie jemals ihr Vaterland
betreten
sollten.
Torquato war, trotz seines zarten Alters, in die Proscription
mit begriffen.
**Tasso's Anlagen entwickelten sich zum Verwundern zeitig.
Mit sechs Monaten artikulierte er alle Worte deutlich.
Mit drei Jahren las er schon so fleißig, dass, um seiner
Gesundheit
nicht zu schaden, sein Lehrer Angeluzzo sich genötigt sah, ihm
die
Bücher wegzunehmen.
61.
Und als, ein Jüngling, du das Dasein grüßtest,
Mit deiner Seele liebevollstem Gruße,
Als du versucht die ersten Wunderklänge,
Glutreich, als ob in tief sehnsücht'gem Kusse
Das eig'ne Leben du verhauchen müßtest;
Und als, dem Fruchtbaum gleich im Lenzgepränge,
Mit schwellendem Gedränge,
Berührt vom wonnigsüßen Frühlingsstrahle,
Sich nun erschloß der Lieder Knospenfülle,
Und von des Blütenschnee's duftreicher Hülle
Dicht überweht, du standst mit einem Male:
Da brach zugleich aus deinem tiefsten Herzen
Der blut'ge Quell von namenlosen Schmerzen. —
62.
Unglückliches Geschenk das du empfangen,
Unglücklich Los, das dir daraus entsprungen!
O, wäre nie dein Name, sternumwunden,
Geflossen von den wonnetrunk'nen Zungen!
Die Dornen, die in deine Seele drangen,
Du hättest ihren Stachel nie empfunden,
Wär'st spurlos du verschwunden,
Statt in des Ruhmes Ätherglanz zu baden!
O, hätte doch in seinen Goldpalästen
Alphons dich nie gesellt zu seinen Gästen,
Nie nach Ferrara, Tasso, dich geladen!
Was soll der Dichter in der Fürsten Hallen;
Kann Er dem Ort, kann Ihm der Ort gefallen?
63.
Des volle Brust nur Stimme sucht und Klänge,
Um auszusprüh'n, was ihm das Herz beweget;
Er, der bald jauchzen möcht', und wieder weinen,
Den stets des Augenblick's Gewalt erreget,
Wie soll er wandeln in dem Weltgedränge,
Wo Niemand ist, und Alle wollen scheinen?
Wie soll er klug vereinen,
Was ihm so Not tut und so fern doch lieget? —
Was groß ihm dünkt, sie sieht er es verachten,
Und er verlacht, wonach sie gierig trachten;
Dort ist er stolz, wo sich der Kluge schmieget;
Und wo er stolz gleich ihnen sollte prunken,
Ist er voll Demut, in sich selbst versunken! —
64.
O, flieh, Torquato, laß dich nicht betören! —
Weil deinem Haupte Kränze sie gewunden,
Weil du vielleicht ihr Auge feucht gesehen,
Meinst du, sie fühlen mit, was du empfunden?
Weil sie dein Werk nicht ohne Rührung hören,
Glaubst du, bewegt, daß sie dein Herz verstehen,
Auf deinen Bahnen gehen?
Du meinst, sie ehren dich, weil sie erfuhren
Das Walten deines Geist's, im tiefsten Leben,
Himmlischer Gaben angebornes Weben,
Den Zauberstab begünstigter Naturen?
Du hättest ihre Achtung fortgetragen,
Weil sie entzückt in ihre Hände schlagen? —
65.
Unsel'ger Irrtum, der dich hat geblendet!
Ein Gaukler bist du, ihre Zeit zu würzen,
Um, vorgerufen nach dem üpp'gen Mahle,
Den trägen Lauf der Stunden zu verkürzen!
Man schickt dich fort, wenn du dein Lied geendet!
Was irrt dein Blick mit seinem dunklen Strahle
So glühend dort im Saale,
Sich einzubohren in L e n o r e n's* Augen? —
Dein Herz, erfüllet von den Doppelgluten,
Es wird in langen Martern sich verbluten
Und zehrend Gift aus allen Adern saugen!
Die süße Hoffnung, die du groß gezogen,
Ihr Blick, ihr Wort — sie haben dich betrogen! —
*gemeint
ist
Eleonora d'Este
66.
Bald sehen wir die gold'nen Hallen schwinden!
Die hohen Herren und huldreichen Frauen,
Die erst dir lächelten so süß und milde,
Wo sind sie hin? Sie sind nicht mehr zu schauen!
In andern Mauern bist du jetzt zu finden,
Wie ganz verschieden von dem vor'gen Bilde!
Ein finst'rer Turm, und wilde,
Verzerrte Grau'ngestalten zum Erschrecken,
Die grinsend durch die Eisenstäbe blicken,
Mit magern Armen an den Gittern rücken,
Und bleiche Hände durch die Öffnung strecken!
Und oben hört man gräßlich Lachen tönen,
Und unten Jammer, Wehgeheul und Stöhnen! —
67.
Wie kamst du her? Wie kann hier Tasso weilen? —
Wenn du dein volles Herz nicht niederdrücktest,
Dein Auge nicht in strengen Bann gezwungen,
Als du die Dame, der du dienst, erblicktest:
Sah man, ihr nach, die Haine dich durcheilen,
Rief Echo kühn mit unsichtbaren Zungen
Die stillen Huldigungen,
Den süßen Namen — süß dir zum Verderben! —
Bist du drum strafbar, war's so schwer Erkühnen,
Daß Tod nur den verweg'nen Traum kann sühnen:
So Sei's darum! — wohlan, so magst du sterben!
Du hast dein Schwert nicht ohne Ruhm getragen,
Du stirbst als Mann, ich weiß es, ohne Klagen! —
68.
Doch nicht der Tod, die Schmach ist dir bereitet!
Damit dein Name früher als dein Leben
Vernichtet sei, und du ein Ziel dem Hohne,
Dem Pöbel zur Verachtung Preis gegeben;
Daß nicht, wenn Ruhm zu Grabe dich begleitet,
Erinn'rung dich mit immer grüner Krone
Verkläre und belohne;
Daß mehr als tot du seist, daß du, geschändet,
Nur Grau'n in zarter Brust und bleichen Schrecken,
Nicht edles Mitleid fürder magst erwecken,
Und keine Träne werd' an dich verschwendet, —
Wird Tollheit zur Gefährtin dir gegeben!
Wahnsinnig nennt man dich! so magst du leben!
69.
Umsonst erschütterst du die hohle Mauer,
Wo deine Klagen ungehört verhallen,
Und dein gerechter Zorn nicht wird geachtet!
Ist's dann ein Wunder noch, wenn, angefallen
Von Gram, Verzweiflung, Überdruß und Trauer,
Den Geist, der in zehnfachen Banden schmachtet,
Endlich, verhüllt, umnachtet,
Wahrhafter Wahnsinn fasset und vernichtet?
Doch, ob sie's wünschen mögen und erstreben,
Der Funke bleibt dir, den dir Gott gegeben!
Bald sieht die Welt erstaunt, was du gedichtet,
Begierig atmet sie die Wunderklänge
Begeisterter, unsterblicher Gesänge! —
70.
So wird zum Spotte deiner Feinde Trachten;
Noch ungetrübt fließt deines Geistes Quelle!
Vom Belt zum Ätna wird's der Ruf bezeugen:
Noch strahlet Tasso in der vor'gen Helle,
Und was die Lüg' ersann, er darf's verachten! —
Allein der Körper, den die Martern beugen,
Muß früh zu Grabe steigen,
Vom gift'gen Hauch der Kerkerluft verzehret! —
Nun endlich läßt man seine Bande fallen,
Und hin zur Gruft darf fesselfrei er wallen! —
Was Mantua's Herzog lang' für ihn begehret,
Der freie Atem für die Neige Leben,
Wird endlich ihm als letzte Gunst gegeben!*
*Bei
der Vermählung Cäsars von Este gelang es endlich dem
Herzog von Mantua, Tasso's Freiheit zu bewirken, die von
Alphons (Alfonso I. d'Este * 21. Juli 1476 in Ferrara; † 31.
Oktober
1534 ebenda war der älteste Sohn
des Herzogs Ercole I. d'Este von
Ferrara, Modena und Reggio.)
bisher hartnäckig verweigert wurde.
71.
Noch einmal fühlt er frischer Kräfte Weben;
In gier'gen Zügen trinkt den Strom der Lüfte
Sein schwellend Herz, das noch wie eh'mals glühet!
Der alte Tasso steigt aus Nacht der Grüfte,
Der lang entbehrten Sonne rückgegeben!
Wie unter'm Schnee das Grün der Saaten sprühet,
Die frühe Primel blühet,
So ist sein Herz noch frisch und grün geblieben,
Ob starres Wintereis es auch bedeckte
Und rauher Stürme Toben es erschreckte!
In Blüten prangt sein Dichten und sein Lieben! —
Hin nach Sorent fliegt er, in Schwesterarmen
Vom langen Winterfroste zu erwarmen! —
72.
Unglücklich Herz, das keine Ruhe kennet! —
Blick' auf das Meer, es stillet sich sein Rasen;
Die Donner schweigen endlich in den Lüften?
Und die Orkane hören auf zu blasen!
Ja, der Vesuv, des Eingeweide brennet,
Er, der die Erze schmilzt in seinen Grüften,
Und aus den tiefen Klüften
Sie tobend auswirft, als ob aus dem Schlünde
Der Hölle alter Glutpfuhl sich entlüde:
Er rastet! — Die Vulkane werden müde,
Und du, o Herz, allein, mit deiner Wunde,
Du willst nicht ruh'n und findest nicht den Frieden,
Der selbst der See, dem Sturm, der Glut beschieden!
73.
Und wieder treibt's dich fort, die falschen Wogen
Sturmvoller Meer' auf's Neue zu befahren;
Kaum rückgekehret, wieder zu verlassen
Des Vaterhauses lang' entbehrte Laren! —
Von deinem Schicksal fühlst du dich gezogen,
Die alte Unruh' will dich wieder fassen,
Dich zieh'n nach jenen Straßen,
Zum Venusberg; wo, vom Magnet bezwungen,
Die Nägel fliegen aus der Rüstung Stahle,
So, daß entwaffnet steh'n mit einem Male,
Die sich verirrt auf ihren Wanderungen;
Zum Zauberhaine, wo du kaum den Drachen
Entrann'st, die, erzgeschuppt, am Eingang wachen!
74.
Doch eh' sich deine Sonne niedersinket,
Flammt sie noch einmal auf in voller Schöne,
Daß dich das Ende mit dem ganzen Leben,
Dem marterreichen, scheidend noch versöhne! —
Wo sich der Schritt zu neuer Wand'rung lenket,
Trägt dich der Jubel; alle Arme streben,
Dich hoch empor zu heben,
Damit Italien froh des Anblick's werde!
Nach Rom hin ziehst du in Triumphesprangen;
Aldobrandini eilt, dich zu empfangen,
Und Clemens spricht, der Kirchenfürst der Erde:
"Wohl Andr' empfangen Ruhm vom Lorbeerkranze,
Doch trägst du ihn, gewinnt nur er an Glanze!" —
75.
Und hin zum Kapitol will man dich führen,
Dort vor dem Volke soll der Zweig dich schmücken:
Die Glocken tönen, tausend Stimmen schallen
In alle Lüfte, Jauchzen und Entzücken!
Balkon' und Fenster, alle Wege zieren
Prachtvolle Decken, wo der Zug soll wallen;
Was herrlich ragt vor Allen
Im Weichbild Rom's, zieht hin mit Klang und Spiele,
Zu Sankt Onufrio's frommen Ordenshause,
Wo gastlich dir geöffnet eine Klause
Zu kurzer Rast, zum freundlichen Asyle!
Es naht der Zug, zur Feier dich zu rufen —
Da sieht man tot dich an der Pforte Stufen! —
76.
Zu and'rem Feste hatte dich indessen
Der abgerufen, der die Kränze spendet;
Der, wenn der Tag der Herrlichkeit erschienen,
Mit goldner Tuba seine Engel sendet!
Zum Kapitol, nach Sonnen auszumessen,
Geleiten dich die Geister, die dort dienen
Am Throne von Rubinen! —
Dort wird ein Kranz die Stirne dir umgeben,
Von Lorbeer nicht, von abgewelktem, fahlen,
Ein lichter Sternenkreis mit tausend Strahlen
Soll dir, verklärend, ob dem Haupte schweben;
Die Erdenlieder aber, zu Akkorden
Sind sie des ew'gen Lobgesanges worden! —
Canzonen VII.
77.
"Willst Du ein and'res Dichterbild betrachten,
Komm' über's Meer, das Englands Strand bespület,
Und jene weißen Klippen, die es schirmen,
Erzürnt, in ew'ger Brandung rings umwühlet. —
Sieh grau Gewölk die Landschaft dort umnachten,
Dort, wo die Burg mit ihren alten Türmen
Die Felsenbrust den Stürmen
Preis gibt, und kühn empor die Riesenglieder
Zum finstern, sternenlosen Himmel strecket! —
Horch, wie es saust! Die Krähen flieh'n erschrecket! —
Die Wetterfahne rasselt hin und wieder
Im Aug der Winde, die der grauen Eichen
Verworr'ne Wipfel schauerlich durchstreichen!" —
78.
Tritt ein! — Leer sind die unbewohnten Hallen
Und einsam die Gemächer! Tiefes Schweigen
Herrscht in dem öden Hause ernst und strenge!
Kein Diener will sich zum Empfange zeigen,
Und nur die eig'nen Tritte hört man schallen,
Lang' tönend durch die hochgewölbten Gänge! —
Warum, Strahl der Gesänge,
Bist du entfloh'n aus diesen würd'gen Mauern?
Du Mund des Lied's, warum bist du verschlossen?
Gewalt'ger Quell, wo bist du hingeflossen? —
Euch, Genien des Ort's, frag' ich mit Trauern:
Wo ist die hohe Seele, die hier hauste,
Die auf Orkanen fuhr, in Wettern brauste?
79.
Ja, ein Gewalt'ger war sonst hier zu schauen! —
Sein Atem war nicht Weh'n der Sommerlüfte,
Die fächelnd aus den Lindenwipfeln dringen,
Vom Blütenhauch gewürzt anmut'ger Düfte!
Sein Lied war furchtbar wie Gewittergrauen,
Wenn es daher gefegt, auf mächt'gen Schwingen,
Die raschen Stürme bringen,
Und schwere Wolken, schauernd, sich entladen
Vom Hagel, den ihr dunkler Schoß getragen! —
Der Ernte Segen seh'n wir rings zerschlagen,
Und Regenströme die Gefilde baden;
Nur wo der Schleier des Gewölks zerrissen,
Lacht blauer Himmel aus den Finsternissen!
80.
So wie die grausen Lieder der Dämonen
Zum Wahnsinn trieben, durch die wilden Klänge,
So fühlen wir das tiefste Mark erbeben,
Vernimmt das Ohr die furchtbaren Gesänge;
Und wie in den verdünnten Regionen
Des höchsten Luftraum's, denen, die d'rin schweben,
Oft Atem stockt und Leben,
Und Blut entquillet den gepreßten Lungen:
So strebt die Seele, angstvoll, zu entrinnen
Dem Zauberliede, mit betäubten Sinnen;
Bis daß der Magus, der den Kreis geschlungen,
Wenn's ihm genehm ist Eure Angst zu enden,
Hohnlachend hebt den Stab, den Bann zu wenden! —
81.
Wohl lös't der Schmerz sich in gerechte Klagen,
Wenn uns're Seele weilt vor solchem Bilde!
Nicht ein sangreicher Schwan, der über Auen
Hin schwebt, und grüne, lachende Gefilde,
Seh'n wir durch heit're Lüfte dich getragen;
Gleich dem einsamen Aar bist du zu schauen
In öder Wüste Grauen,
Der sich vom Fels, auf dem er horstet, schwinget,
Und hoch und höher steigt, bis unser'n Blicken
Die weitgedehnten Flügel ihn entrücken,
Hin, wo das Auge, das ihm folgt, nicht dringet!
Doch nicht die Sonne strebt er zu erreichen!
Er späh't mit scharfem Blick umher — nach Leichen!
82.
Unglückliches Gemüt, des trüber Spiegel
So kraß entstellt die Bilder widerstrahlet,
Die Leben und Natur, mit holden Zeichen,
In hellen Farben lieblich hat gemalet! —
Wohl auf der Stirne glänzt das Meistersiegel,
Dem Macht gegeben in den Geisterreichen,
Doch freut es dich, im bleichen,
Unsichern Schein die Seele zu beirren! —
Nicht mehr dich selbst vermag ich zu erkennen!
Promethens Bild scheint vor dem Blick zu brennen,
Doch seltsam wechselnd, seh' ich's sich verwirren!
Bist du Prometheus, der die Wunden fühlet,
Bist du der Geier, der sein Herz durchwühlet? —
83.
Aus Newstead Abbey war Er ausgezogen,
Aus seiner Ahnen altem, stillen Hause,
Wo teure Pfänder ihm zurückgeblieben;
Der Möwe gleich, die unstet im Gebrause
Des Sturm's den Schaum abstreifet von den Wogen!
Wie Ahasverus ward er fortgetrieben
Vom Dache seiner Lieben!
Wie diesem, war ihm nie vergönnt zu rasten! —
Vergebens irrt er durch die weite Erde,
Das Glück im Kampf zu suchen und Gefährde;
Der dunkle Bann bleibt auf der Seele lasten,
Mag dicht am Abgrund er den Fels erklimmen,
Die kalte Flut des Hellesponts durchschwimmen!
84.
Und bald am goldbespülten Tajostrande,
Bald an der felsumragten Uferspitze,
Wo das Atlantenmeer, als Länderscheide,
Europa trennend von der Mauren Sitze,
Dem Mittelmeer sich eint mit schmalem Bande;
Wo dann, vermischt, hinrauschen stolz, voll Freude,
Die Nachbarfluten beide;
Bald auf den Pyrenä'n, den sonnenhellen,
Zu deren Höhen aus dem Baskentale
Der Felsensteg, der unwegsame, schmale,
Hinauf sich schlingt, dort, wo die jungen Wellen
Ausströmet der Adour — sieht man ihn ziehen,
Und vor sich selbst, so scheint's, voll Unruh' fliehen! —
85.
Bald mit den Toten, die im Kugelregen,
Auf jenem blutgetränkten Feld in Flandern,*
Für goldne Meinung, und für Ehr' und Treue
Verhaucht die Seelen, sehen wir ihn wandern! —
Ein Weh'n der Geister säuselt mir entgegen!
O teure Erde, Platz der Todesweihe,
Mit frommer, heil'ger Scheue
Tritt dich der Fuß! Dich, mit dem edlen Staube
Gemischt von jenen tausend, tausend Herzen,
Die hier verblutet in dem Brand der Schmerzen,
Dem Schwert der Schlachten, dem Geschoß zum Raube!
Von Gluten würdiger Begeist'rung trunken,
Sind sie in freud'gem Glauben hingesunken! —
*Das
Schlachtfeld von Waterloo
86.
Bald auf der Gletscher Scheitel steht er sinnend,
Wo Wasserfälle tobend niedersausen
Zum Abgrund, den der Blick nur kann erreichen,
Indes das Ohr kaum mehr das ferne Brausen
Des Stroms vernimmt, dem engen Tal entrinnend! —
So seh'n von Land zu Land wir ihn entweichen,
Bis wo das bleiche Zeichen
Des Halbmonds schimmert von den Minaretten;
Jetzt in des Bosporus treulose Wellen
Stürzt er, durchschwimmt den Paß der Dardanellen
Zu Asiens Küste — sucht die alten Stätten
Verschwund'ner Groß' — und sieht aus edlen Trümmern
Athen, Akrokorinth, Mycenä schimmern.
87.
Bis er erreicht die Burg, die wallumtürmte,
Fern an der Schwelle vom Helenenlande,
Aus jenes Inselmeer's Lagunen steigend.
Ach! wüster Schutt, zerstört von Mord und Brande,
Ist nun die hohe, hundert Mal Bestürmte,
Ihr edles Haupt gesenkt zur Erde neigend! —
Es schweben, ernst und schweigend,
Im düstern Nachtgrau'n bleiche Geisterscharen
Gefall'ner Helden, Kummer in den Mienen,
Um die geweihten, heiligen Ruinen,
Den ew'gen Lorbeer in den blut'gen Haaren! —
Hier fand sein Ziel des edlen Sängers Leben;
Kein würd'ger Grab konnt' ihm das Schicksal geben! —
88.
Und überall, im gleichen wüsten Tone
Ergießt die finst're Brust sich wohl in Lieder;
Der Zauberstab haucht Leben in Gestalten,
Doch nur Dämonen steigen furchtbar nieder
In trotz'ger Wildheit, die mit kaltem Hohn
Ruchlos die Herzen quälen und zerspalten!
Die seligen Gewalten,
Die durch die Schmerzen reinen und belohnen,
Sind fremd dem Manne, dessen Zauberworte
Den Vorhang heben von dem grausen Orte,
Wo die Verdammnis und das Laster wohnen!
Und nirgends blinkt ein Strahl von Friedenslichte,
Und Höll' ist nur, kein Himmel, im Gedichte! —
89.
Und jenen Widerschein von Qual und Gluten,
Hat ihn die Brust des Glücklichen geboren?
War's ein beseligt Herz, in dessen Grunde
So lebentötende Gebilde goren?
Wann gab, getränkt von milder Sehnsucht Fluten,
Es je von Lieb' und Vaterfreuden Kunde,
Von segenvollem Bunde
Beglückter Häuslichkeit, von Gott und Frieden?
Wann sang es Trost, wann sang es edle Schmerzen?
Zermalmt hat es — wann hob es and're Herzen? —
Beneid' es, wenn Du kannst! — Und doch beschieden
War jenem Mann der Kranz! Wohlan, bekenne,
Ob man in Wahrheit wohl ihn glücklich nenne?" —
Canzone VIII.
90.
'Arglist'ger Geist, Du sollst mich nicht berücken!'
Gab ich zur Antwort. — 'Jene Grabeshügel,
Zu denen Du mich leitend hast getragen,
Auf rascher Lüfte leichtbewegtem Flügel,
Wohl glaub' ich, daß sie wunde Herzen drücken!
Doch warum zeigst Du diese? laß mich fragen. —
In den vergang'nen Tagen,
Wie in den unsern, hat die Welt gesehen
Befleckt den Lorbeer durch der Ehrsucht Streben;
Sah Liebe sich unsel'ge Bande weben,
Und Phantasie das Leben mißverstehen! —
Mag immerhin die Flamm' ein Haus verzehren! —
Doch bleibt sie Wohltat, göttlich zu verehren! —
91.
Und darf der Kranz nur Lieb' und Lieder lohnen?
Bestrahlt der Ruhm nur bloß den Schmuck der Waffen?
Genügt einzig denn, daß für die Pflicht man sterbe?
Für sie zu leben und für sie zu schaffen,
Ist es so wenig, daß an jene Kronen
Kein Anrecht sich ein großes Herz erwerbe?
Bleibt von dem reichen Erbe
Entfernt der Edle, der für's Recht geglühet? —
Wer für das Glück von kommenden Geschlechten
Treulich gewacht in schlummerlosen Nächten,
Wer für die Mitwelt rastlos sich gemühet,
Wer ihr Gedeih'n, das eig'ne nie, ermessen,
Wird ihm kein Kranz? bleibt er vom Ruhm vergessen?
92.
"Vom Ruhme nicht, vom Glück! — Genügt jenen Herzen.
Gebrochen von der Qual mißkannten Strebens,
Ein dürrer Zweig' auf ihrer frühen Bahre,
Statt allem Lohn des mühevollen Lebens,
Das, arm an Freuden, aber reich an Schmerzen,
Hinschmachtet auf des Vaterlands Altare?
Der durchgekämpften Jahre,
Wo an den tiefen, innern Seelenwunden,
Der edle Geist, so frei, so hochgemutet,
Allmählig sich verzehret und verblutet,
Ersetzt ein Kranz sie, all zu spät gefunden? —
Wohlan, laß uns zwei große Tote fragen,
Ob sie wohl schwer an ihrem Glück getragen. —
93.
Nicht wo der Themse breite Wogen rinnen
Entlang des Towers dicken, schwarzen Mauern,
An denen Englands blutige Geschichte
Geschrieben steht, mit allen blut'gen Schauern
Verworrner Wut, laß forschend uns beginnen!
Laß, wo der Luft entzogen, und dem Lichte,
Für grause Mordgerichte
Parteienhaß die Opfer aufbewahret,
Nicht an das alte Eisentor uns pochen,
Daß die Gemordeten, heraufgekrochen
Aus ihren Gräbern vor uns stehn, gescharet,
Und Antwort geben! — Nicht die Vorzeit frage,
Die Greu'l durchwühle nicht vergangner Tage!
94.
Sieh hier Westminsters edle Grabeshallen!
Hier ruhn die Toten, welche reicher Ehren
Am würdigsten der Dritte hat geachtet,
Am würdigsten von jenen Würd'gen allen,
Die hochgeragt in Taten und in Lehren! —
Nicht Schmeichler loben, den das Grab umnachtet!
Was wir erkämpft, getrachtet,
Gegraben steht's in ehrne Tafeln, offen
Dem Blick der Nachwelt, und ihr Lob bezeuget,
Ob dem Verdienst die Mitwelt sich gebeuget,
Denn strenges Recht darf der Entschlaf'ne hoffen!
Sieh hier drei Gräber! die drin ruhen, nennet
Groß jene Stimme, die nicht Rücksicht kennet! —
95.
— Doch ob sie glücklich, sie, die groß gewesen,
Du sollst's erfahren, rufe sie beim Namen!
Ruf ihn herauf, er soll Dir Rede stehen,
Den sie zuletzt hier zu bestatten kamen!
Inmitten ist die Ruhstatt ihm erlesen,
Wo noch die Geisterstimmen derer wehen,
Die lang die Welt gesehen
Den Erdball lenken mit der Macht der Rede! —
Zwei Löwen, die den Freibrief Englands halten,
Sah man den einen ruhig sich drauf stützen,
Jndes der and're, stets bereit zur Fehde,
Feurigen Blicks, mutig die Mähne schüttelt,
Wenn's einer wagt, und an dem Siege! rüttelt! —
96.
— Ruf' ihn, den dritten jener großen Toten,
Des sich're Hand Britanniens Schiff gesteuert.
Daß es, durch Brandung unbeständ'ger Wogen,
Im raschen Siegerzug, vom Ruf befeuert
Des immer wachen, mächtigen Piloten,
Mit stolzer Pracht den Ozean durchzogen! —
Sie ist hinweg geflogen,
Die hohe Seele, von Begeist'rung trunken,
Die nie gemäkelt hat mit Menschenrechten,
Die kühn gekämpft mit dem verjährten Schlechten,
Die, treu, gewußt der Freiheit heil'gen Funken
Vor zügelloser Frechheit blindem Wüten,
Wie vor Gewalt der Willkühr zu behüten!
97.
Er nannt's nicht Ruhm, den Sinn, die Worte biegen,
Mit Eiden spielen, kluggelegte Schlingen
Der Arglist, fein, dem Blick der Welt verhehlen!
Nie sah man ihn der Furcht ein Opfer bringen,
Mit guten Waffen einzig wollt' er siegen,
Und stolz verschmäht er Ränke kleiner Seelen! —
Das Recht wollt' er vermählen
Der Wahrheit! Staatskunst war die Ehre;
Aus niederem Versteck zog er zum Lichte,
Zum lauten, offnen Spruch der Weltgerichte,
Mit Freimut ihre Taten, ihre Lehre! —
Groß durch sich selbst, wo Andre Sterne tragen,
Hat ihm ein Herz in warmer Brust geschlagen! —
98.
— Was war sein Lohn, was hat er sich erstritten?
Ging er, ein Schnitter, nun der Tag geendet,
Auf seinen Garben ruhn, im Hochgefühle,
Daß er der Ernte freudig Werk vollendet? —
Nicht so fürwahr! Erschöpft sank er inmitten
Der sauern Mühen, in des Mittags Schwüle,
Des Abends sanfte Kühle
Nicht mehr erwartend! Wie auf ödem Turme
Des Pharus Leuchte hängt, die Winde oben,
Und unten wild die Meeresfluten toben,
So stand er einsam da, ein Ziel dem Sturme! —
Ihr saht den Kranz wohl, der die Locken schmückte,
Doch nicht den Dorn, der seine Schläfe drückte!" —
99.
'Wohl' — sprach ich — 'ist er nach gelegten Garben,
Nach schönen, wenn auch heißen Sommertagen,
Mit reicher Ernte Segen heimgegangen!
Laß Andre voll damit die Speicher tragen,
Nun er dahin! — Er fiel, ein Held voll Narben,
Des brechend Auge erst der Tod umfangen,
Als er mit Siegesprangen
Das Feld gezeichnet, das er sich erstritten!
Noch ruft er laut mit mächt'gem Geistermunde,
Und seine Stimme tönt aus Grabesgrunde
Von Pol zu Pol den Wahlspruch edler Briten:
Es soll dem Glauben und dem Recht auf Erden
Allüberall die gleiche Freistatt werden! —
100.
Die, weil er lebte sich von ihm gewendet,
— Monde der Nacht, indes er Tagessonne! —
Sieh nun sie selbst sein hohes Wort verbreiten!
Ist es kein Glück, ist es nicht edle Wonne,
Wenn unsre Werke, ob wir selbst geendet,
Heilbringend durch die allerfernsten Zeiten
Im Licht des Ruhmes schreiten? —
Sieh, wie die Blätter, seinem Kranz entfallen
Noch genügen, um die Erben zu bekränzen
Mit Bürgerkronen! — Ihre Häupter glänzen
Von Strahlen, die von seinem Antlitz wallen!
Unlösbar steht sein Zauber — denn sie haben
Das Siegel mit dem Zauberer begraben! —
101.
Die ihm gefolgt, sie mühten sich vergebens
Das Buch zu öffnen, das sein Bann verschlossen;
Sie mußten, fügsam, selbst der Macht sich beugen
Des Magus, der hinweg schied aus des Lebens
Bewegten Räumen, wie sie's auch verdrossen,
Lehrlinge, seiner Meistergröße Zeugen,
Gezwungen sich zu neigen
Dem höher'n Geiste! — Wie in vor'gen Tagen
Die Mauren flohen vor des Eids Gebeinen,
Als eine Leiche, eingesargt, die Seinen
Ihn zu der Ahnen Ruhstatt hingetragen:
So schreckt der Tote sie, die noch mit Grauen
Nach seinem Grab, ob er erstehe, schauen! —
102.
Er hat nicht Hand gelegt an seine Tage;
Er kam gesendet, und gerufen kehrte
Er wieder heimwärts zu den Sternenhallen,
Obgleich die Welt wehklagend ihn entbehrte,
Der retten konnte aus der Zeiten Plage!
Sein Nam' ist nicht gemeinem Los verfallen;
Er wird gesegnet schallen
Ins Ohr der Zukunft, von der Mitwelt Zungen!
Ihr Neider seines Ruhm's, seht hin! Nicht rote,
Tiefdunkle Ströme röchelt aus der Tote;
In Flammen hat er sich empor geschwungen
Als er geweissagt, so wie Feuerwagen
Zum Himmel die Propheten einst getragen!
103.
Und hat die Welt viel besser sich bestunden
Als er gelebt, war anders sie gestaltet,
War sie gesegneter, war sie in Frieden,
Hat Glück und Ruhe mehr als jetzt gewaltet?
Und ist denn Wohl und Heil mit ihm geschwunden,
Steht nun die Erde, seit er weg geschieden,
In Flammen, ist hienieden
Nicht Recht, nicht Ordnung, Tugend mehr zu schauen?—
Nicht Freiheit braucht der Mensch, er braucht der Schranken,
Und wenig nur wird er es denen danken,
Die seinem Geist die Himmelsleiter bauen,
Daß er sich schwing' auf morgenhellem Gleise
Von Licht zu Licht, in immer höh're Kreise!'
Canzonen IX.
104.
Und wieder weiter schwebten wir; den blauen
Kristall des Himmels sah ich in den Wellen
Sich freundlich spiegeln, sah zu meinen Füßen
Die Dünen erst, die Wälder dann, und hellen
Gefilde Brabants, bis in üpp'gen Gauen
Die hochgetürmten Münster mich begrüßen,
Bespühlt von breiten Flüssen,
Die alt ehrwürd'gen Städte sich erheben,
Wo deutsches Wort tönt, deutsche Herzen schlagen,
Die Treue heimisch wohnt seit ew'gen Tagen,
Die Geister kühn im Licht der Wahrheit streben!
Du Herz Europa's! Mög' ein Gott den alten,
Gesunden, freien Pulsschlag dir erhalten! —
105.
Und rechts sah ich den Rhein, den Grenzgott rinnen,
Entlang den vollen, grünen Rebgeländen;
Sah, in die Täler niederschauend, glänzen,
Von waldumrauschten, hohen Felsenwänden,
Der alten Burgen grau bemooste Zinnen,
Die, Kronen gleich, an beider Ufer Grenzen
Die Felsenstirnen kränzen.
Wir aber flogen links, durch weite Auen,
Zurück uns wendend zu der Heimat Fluren,
Von wannen wir zuerst die Luft durchfuhren,
Bis endlich wir den Strom der Donau schauen,
Und hinter ihm, von schönen Höhn umgeben,
Das Häusermeer der Kaiserstadt sich heben! —
106.
— Und prangen sah ich dich im Schmuck der Garben,
Du Todesfeld, das ich im Rauch der Schlachten
Zerstampft einst sah, von wilden Kriegesrossen! —
Wie aus den Gräbern, die sie still umnachten
Die siegesfreud'gen Helden, die hier starben,
Nun rings empor die wilden Blumen sprossen!
Dies Blut, das hier geflossen,
Das erste strömt' es hin im Morgenröte
Des jungen Tages, der Europa lachte,
Der süßen Hoffnungsschein ins Leben brachte,
Der rings verkündend rief, ein Himmelsbote, —
O eitles Sehnen! — Fried' und Freiheit werde
Nun endlich blüh'n auf sturmbewegter Erde! —
107.
Sei mir gegrüßt in deinem Blutgewande,
Du, jenes Tages glühende Aurore;
Ich seh' die alten Fahnen wieder schweben,
Ein Siegespäan dringt zu meinem Ohre,
Und wieder hoch seh' ich aus dunklem Brande
Den hehren Doppeladler sich erheben,
Und auf zur Sonne streben! —
Und dich auch grüß' ich, Sprosse der Cäsare;
Der du voran flogst in des Kampfes Wetter,
Du, zweimal Deutschlands Hort und sein Erretter;
Der sieghaft du gescheucht die fränk'schen Aare;
Dem Kränze reich die Heldenstirn umgaben,
Als noch der Ruhm so wohlfeil nicht zu haben!
108.
Und wenn auf andern Feldern tapfre Scharen
Um Kronenrecht, um alte Kränzen stritten,
Um künst'ges Glück, um schöner Hoffnung Blüten,
Du strittst, um lange Schmach, die wir erlitten,
Zu rächen und den deutschen Ruhm zu wahren!
Und keinen Bessern gab es, ihn zu hüten!
Aus rauher Stürme Wüten
Hast du ihn rein und unversehrt getragen!
Für andre Güter sah man alle Fahnen
Aus Nord und Süd sich blut'ge Wege bahnen;
Du hast um nackte Ehre dich geschlagen;
Du gingst, als sie erfochten war, zufrieden
Mir dem glorreichen Teil, der dir beschieden! — —
109.
Und dunkel ward's; es kam die Nacht! Im weiten,
Tiefblauen Äther schwamm des Mondes Nachen,
Und uns zu Füßen wirbelten die Fluten
Des breiten Stroms, die rastlos an den flachen
Gestaden, zwischen Au'n und Inseln gleiten! —
Stumm lag die Stadt, und die Bewohner ruhten!
Verborgne Schmerzensgluten,
Einsamer Seelen ungeteilter Kummer,
So wie der laute, jubelvolle Reigen
Stürmender Lust, und wilder Freude schweigen;
Still über alle breitet sich der Schlummer,
An den allein von allen Erdengaben
Noch gleiches Recht bis jetzt die Menschen haben. —
110.
Und als wir endlich wieder nieder gleiten,
Da sah ich, mild vom Sternenlicht beglänzet,
Ein mächtg Bild, von Erz gegossen, schweben
Auf hohem Roß! — Siegreich das Haupt bekränzet,
Schien es in edler Ruhe herzuschreiten,
Und geisterähnlich das Metall zu leben! —
Mich faßt ein inn'res Beben,
Als ich hinan sah zu dem Riesenbilde!
Mir schien's zu reden mit dem Geistermunde,
Als brächt' es ernste, ungeahnte Kunde
In diese Welt, aus jenem Lichtgesilde!
"Ihr sollt' mich hören!" — schien es von den Stufen,
Worauf es stand, gebietend auszurufen! —
111.
O du, viel größ'rer Sohn berühmter Ahnen,
'O du,' — so sprach ich — 'dem ein Gott zur Krone
Ein Haupt, wert sie zu tragen, auch gegeben,
Du hoher Mensch auf deinem hohen Throne,
Du kühner Streiter für der Wahrheit Fahnen,
Der du dein glühend und begeistert Leben
Geweiht dem edlen Streben
Für Recht und Licht! der du den dunklen Schleier
Verjährten, düstern Wahnes kühn zerissen;
Der du den Geist, aus öden Finsternissen,
Geführt zu reiner, würd'ger Tempelfeier,
Der du gehaucht dein schöpferisches Werde
In deines Reiches brache, tote Erde! —
112.
Allüberall, wohin das Auge blicket,
Bis an die letzte Grenzmark deiner Lande
Von der Sudeten Schnee, bis wo die Wogen
Der Ister wälzt zum fernen Heidenstrande,
Sind deiner Füße Stapfen eingedrücket,
Ist deines Wandelns helle Spur gezogen!
Ein ew'ger Ehrenbogen
Wölbt über deinem Namen sich, und bleiben
Wird ihm sein Ruhm, so lang in künft'gen Tagen
Für Großes noch bewegte Herzen schlagen!
Mag Well' auf Well' im Meer der Zeiten treiben,
Wie manches Bild ihr Strom hinweg getragen,
Das deine wird groß, hehr, unsterblich ragen! —
113.
So wirst du stehn, die ew'ge Memnons-Säule,
Die freudig schallt, wenn Licht Aurora bringet,
Doch wenn zurück ins Meer die Sonne kehret,
In schmerzlich bangen Trauertönen klinget,
Von Nacht geängstigt, und dem Flug der Eule! —
So wirst du stehn, ein Schutzgott der, verkläret,
Vom Sonnenquell genähret,
Die Hand ausstrecket über Östreichs Fluren,
Die segnend, die dein großes Werk erhalten,
Die segnend, die in deinem Geiste walten,
Die sich, wie du, dem Dienst der Göttin schwuren,
Die, oft verkannt, gehöhnt, geschmäht, doch immer
Glanzvoller strahlt, in immer rein'rem Schimmer!' —
114.
"Doch war er glücklich?" — frug mich mein Begleiter —
"Ich sah ihn wandeln mit dem Tod' im Herzen,
Gebeugt von Undank zu der Gruft ihn gehen,
Früh ausgelöscht die hellen Hoffnungskerzen,
Die einst so freudig brannten, und so heiter! —
Gebrochner Seele hab' ich ihn gesehen,
Verlassen, einsam stehen,
Dem Frauenengel, der vorausgegangen,*
Nachblickend mit den stillen Wehmutstränen;
Ich sah in durst'gem, ungestilltem Sehnen,
Ihn ungeduldig in sein Grab verlangen;
Vom eignen Werk gramvoll die Blicke wenden,
Die Saat vernichten mit den eig'nen Händen! —
*Die
erste Gemahlin seines Neffen, Kaiser Franz des Ersten, die
Joseph
sehr liebte, starb unmittebar vor ihm,
und füllte die letzten Augenblicke
des Kaisers mit Wehmut.
115.
Und einen Baalstanz sah ich auf dem Grabe
Des edelsten der Könige begehen;
Sah hier in unverschämt bacchant'scher Freude
Der Finsterlinge feilen Chor sich drehen;
Sah dort die Mütze an der Freiheit Stabe,
Und, statt der Göttin mit dem Priesterkleide,
Zu schnöder Augenweide
Gemeiner Frechheit ekle Blöße prangen! —
Er aber, der nach reinem Licht getrachtet,
Er, der, ein Mensch, den Menschen hat geachtet,
Und nicht was blind das Glück um ihn gehangen,
Mußt' er nicht sehn so königlichem Streben,
Der Zeiten Greul, verläumdend, schuld gegeben? —
116.
Dies ist das Glück, das große Seelen lohnet,
Dies ist der Preis für jedes höhre Streben,
Das sich sein Ziel auf Sonnenhöhen stecket! —
Wer's gut meint mit der Welt, der läßt sie eben
Auf breitgetretner Spur, wie sie's gewohnet!
Wenn nach dem Schleier, der die Wahrheit decket,
Die Hand er ausgestrecket,
Hat sich der Mensch doch Zweifel nur gewonnen!
Ob echt, ob falsch, er grüble nicht, er glaube!
Gleich viel für dies Geschlecht von Kot und Staube,
Trinkt es der Wahrheit, trinkt's des Irrtums Bronnen,
Und immer bleibts am sichersten geborgen,
Wenn Träumer nicht, es aufzuklären, sorgen!" —
117.
'Hinweg von mir, mit Deiner schnöden Lehre,
Du Geist der Lüge, der des Hohen spottet,
Und doch sein himmlisch Leben muß erkennen,
Das schaler Weltwitz noch nicht ausgerottet!
Wenn Legion auch Eure Anzahl wäre,
Wie dürft Ihr wagen, Träumer die zu nennen
Die gottbegeistert brennen,
Das edle Menschenbild, das Ihr geschändet,
Aus der Erniedrigung, des Wahnes Ketten,
Au seiner Würde reinem Glanz zu retten!
Kommt einer nur herab, von Gott gesendet,
Ein einziger wie der, in hundert Jahren,
Er genügt, die Welt vor Eurer List zu wahren!
118.
Gottlob! es ist ein heil'ger Sinn geblieben
Im Busen der Gesalbten, der Gerechten,
Der mächt'ger spricht als Eure Lügenzungen!
Blick hin! dies Erz sagt's kommenden Geschlechten,
In diesen Marmor ist es eingeschrieben,
Aus welcher Brust gefühlte Huldigungen
Sich fromm emporgeschwungen! —
Was göttlich lautern Herzen sich verkündet,
Es wird bestehn, trotz aller Macht der Schlechten,
Begeist'rung wird's mit edler Glut verfechten,
Mit Glut, von reiner Flamme nur entzündet!
Urewig ist's, wie Ihr es mögt bestreiten,
Was einmal wahr, bleibt wahr zu allen Zeiten! —
Canzonen X.
119.
Nicht die erobern nur, auch die erhalten,
Sind wert daß sie der ew'ge Nachruhm kröne! —
Wie viele edle Schwerter sah man schwingen,
Damit das Recht endlich die Welt versöhne! —
Ob sich die Blüten oder nicht entfalten,
In Gottes Händen lieget das Gelingen,
Doch edel sei das Ringen!
Sieh jenes frische Grab im hohen Norden!
Ein Held der Menschheit ruht in seinem Schoße,
Denn nur der mäß'ge Sieger ist der große,
Nicht jener, der der Schrecklichste im Morden;
Und dieser Ruhm bleibt ihm vor dem Gerichte,
Dem unbestechlichen, der Weltgeschichte!
120.
Führ' mich zum grünen, blum'gen Isarstrande!
Ein Fürst starb dort aus Wittelsbachs Geschlechten!
Sahst Du die Tränen, die dem Toten flossen,
Dem Güt'gen, Milden, Weisen, dem Gerechten?
Es starb der Herrscher nicht dem werten Lande,
Denn sieh, es lebt ein Sohn, von ihm entsprossen,
Groß, edel, und entschlossen
Des Volk's mit Kraft und hohem Sinn zu walten!
Nicht um die Zukunft flossen dort die Tränen,
Gesichert durften sie die Völker wähnen,
Das heil'ge Recht in starker Hand gehalten,
Doch weil ein Vater wegschied von den Seinen,
Der's gut gemeint, sah man die Kinder weinen! —
121.
Und wenn der Liebe, wenn des Liedes Blüten
Oft welkend fielen von dem Lebensbaume,
Hat er denn niemals goldne Frucht getragen?
Gab nie es Herzen, die im sel'gen Träume
Der Liebeswonne still in sich verglühten?? — —
Die Türme von Westmünster seh' ich ragen!
Laß mich den Halbgott fragen,
Des Leier an den Sternen aufgehangen,
Ob jene Lieder, die die Welt entzücket,
Nur ihn, der sie gesungen, nicht beglücket?
Ob sie nur ihn allein mit Schmerz durchdrangen,
Indes, ein Wunder, sie durch alle Zeiten,
Und von Geschlechte zu Geschlechte schreiten?! —
122.
Frag ihn, der schlummernd ruht bei'm Wellenschlage
Der Ilm, die seinem Harfenton gelauschet,
Die, von der Saiten goldnem Klang gerühret,
In süßem Staunen, zögernd nur gerauschet;
Frag' ihn, um den stets neu erwacht die Klage,
Den, weil ihn Gott zum Himmelssang erküret,
Uns allzuschnell entführet
Der Todesengel aus der Hörer Kreise!
Ihn, der ein Cherub war mit Schwert und Schilde,
Ach, und ein Kind zugleich, gleich stark, gleich milde!
Frag' ihn, der nun hinschwebt auf Sphärengleise,
Ob Seligkeit ihm nicht das Herz erschüttert,
Als Perlen mild in seinem Aug' gezittert?
123.
Denn oft ist, was die Menschen Schmerzen nennen.
Für Jene Wonne, die in Flammen leben,
Und, wie Gewande von Asbest sich reinen
Im Element, vor dem die Schwachen beben;
So auch, obgleich nur Wenige sie kennen,
Gibt's Tränen, die den Augen, die sie weinen,
Wie Maientau erscheinen!
Der Kampf erfreut; nicht Wunden glüh'n und Schmerzen,
Wenn wir vor uns die Siegesfahne sehen,
Durch die die Stürme der Begeisterung wehen,
Sie, die Gott selbst gehaucht in unsere Herzen,
Als Er dem Lehm, zum Zeichen ew'gen Bundes,
Einblies den heil'gen Atem seines Mundes!
124.
Denn wie, wenn flimmernd in die klaren Wogen
Des heitern See's der Sonne Glutring strahlet,
Sich dann auf dem gespannten Silberschilde
Im Widerschein der helle Lichtkranz malet;
Und wie, wenn leicht vom Nebelduft umflogen,
Im riefen, dunkelblauen Luftgefilde
Der Irisbogen, milde
Sein Diadem schlingt um der Berge Höhen,
Aus den Saphir und Chrisolithkristallen,
Den Gold- und Purpurstreifen, die dort wallen,
Das Licht nur widerstrahlt, das wir nicht sehen:
So sind die Farben, die im Innern brennen,
Auch Abglanz stets der Sonne, die wir kennen!
125.
Und Weh'! wenn einst von dieser Erde scheiden
Begeist'rung sollt', und sich zum Himmel schwingen!
Dann wird die alte Nacht uns wieder decken,
Ein Todesgrau'n durch's Mark der Schöpfung dringen?
Dann wird kein Trost die arme Seele weiden!
Der Frevel wird Verzweiflung, bleichen Schrecken
Aus ihren Höhlen wecken;
Der blut'ge Mord wird schreiten durch die Straßen,
Und Gott wird sein das Ich! Mit Blut begossen,
Wird frech die üpp'ge Saat des Lasters sprossen,
Und, ungezügelt, wird der Wille lassen
Und tun was ihm gefällt! Kein Recht wird walten,
Kein Band der Liebe mehr die Menschen halten!
126.
Und Ehre wird, und Großmut wird verschwinden,
Die Freundschaft wird ein eitel Mährlein scheinen;
Des Blutes Wallung wird zu schnödem Bunde,
Nicht Lieb' und Treue mehr, die Herzen einen;
Das Vaterland wird keine Söhne finden,
Um es zu schützen in des Kampfes Stunde;
Verstummen wird im Munde
Des Sängers jedes Lied! Kein Wort wird tönen
Für der getret'nen Unschuld heil'ge Sache,
Kein mut'ges Herz ersteh'n zu ihrer Wache,
Wenn Willkühr, Haß und Übermut sie höhnen!
Dann folgt der Mensch, gleich wildem Tier der Wüste,
Dem blinden Drang nur wechselnder Gelüste! — —
127.
Doch ob die Welt mit kaltem, schnödem Hohne
Auch jene Glut verspottet und verlachet;
Ob sie auch Wahnsinn nennt das hohe Streben,
Das, von dem heil'gen Sturme angefachet,
Nach and'rem trachtend als gemeinem Lohne,
Die Hand zu jenen Kränzen mochte heben,
Die in den Sternen schweben:
Ob, die nach Ellen mißt, nach Pfunden wieget,
Ob sie dich schmäht, die nie dich konnte ahnen,
Begeist'rung, dich, Stern, der gezeigt die Bahnen
Zum Dache wo der Heiland schlummernd lieget:
Doch wird ein Tempel sich, ein Thron dir bauen! —
Sie kann dich lästern, doch sie muß dich schauen!
128.
Und nicht an Priestern wird's dem Tempel fehlen,
Und nicht an Treuen, die den Thron umstehen!
Doch, wer sich Dir geschworen zum Vasallen,
Der sei bereit auf rauhem Pfad zu gehen;
Des Weges Müh'n darf er sich nicht verhehlen,
Denn breite Bahn nicht führt in deine Hallen!
Soll Euch der Kranz umwallen,
Schlagt Euer Ich an's Kreuz, und lernt ertragen!
Wie jene Tempelritter alter Zeiten,
Die, arm, noch zwei auf Einem Rosse reiten,
Sollt einen Strick Ihr und ein Schwert nur tragen!*
Nicht Selbstsucht darf die Herzen Jener rühren,
Die Gottes Kreuz auf ihrem Mantel führen! —
*Nach der Ordensregel durfte dem Feind kein anderes Lösegeld
für einen
gefangenen Templer geboten werden, als ein Strick und
ein Schwert.
129.
Doch Alle, die den Flammentrank getrunken,
Sind glücklich, ja, sie sind's, ich will's beschwören;
Denn ihren Ursprung haben sie empfunden,
Den göttlichen, unmöglich zu zerstören!
Die Helden, die für's Vaterland gesunken,
Siegjauchzend mit den tiefen Todeswunden,
Die sich ein Herz verbunden,
Die einen hohen, himmlischen Gedanken
Genähret mit dem Marke ihres Lebens,
Die sich ein würdig Ziel gesetzt des Strebens,
In Wirken, Lieben, Leiden, ohne Wanken,
Sie waren selig, selig zum beneiden,
Und ihre Schmerzen wogen tausend Freuden! —
130.
"Und bist Du glücklich?" — hört' den Geist ich sprechen: —
"Du, der den Klügern schmäht, der frei von Sorgen
Im Schatten breiter Ruhe sich gebettet,
Zufrieden, wenn der feiste Leib geborgen?
Er geht auf sich'rer Bahn, die wird nicht brechen!
Im Hafen liegt sein Nachen wohlgerettet,
Am Anker festgekettet;
Indes Du wandelst auf dem Klippenwege,
Von Schlund zu Schlund, den schwachen Baum als Brücke,
Dicht neben Dir zerriß'ne Felsenstücke,
Und über Dir die kahlen Wolkenstege!
Sprich, bist Du glücklich, Du, des ganzes Leben
Nach weitem Ziel ein leer vergeblich Streben?" —
131.
'Ich bin's, ich bin's! - Und konnt' ich's nicht erringen,
Ich konnt' es ahnen, mit dem Aug' erreichen!
Wie Moses stand vor dem verheiß'nen Lande,
Und es erkannt' am segenvollen Zeichen,
Die Blicke sendend auf der Sehnsucht Schwingen:
So steh' ich, schauend von dem Bergesrande!
Ich bin's! Wenn Todesbande
Mich jetzt umfangen, still die Pulse stehen,
Ich hab's geseh'n! Mit seinen Blütentalen
Mit seinen Rosen, seinen Sonnenstrahlen,
Mit seinen Bächen, seinen Silberseen!
Betritt sie nie mein Fuß, ich sah die Stelle —
Wie Moses sterb' ich an des Eingangs Schwelle!' —
132.
"Und was gewannst Du denn, daß Kalebs Traube
Du sah'st und nicht gekostet? muß ich fragen:
Daß Du für Traum die Wirklichkeit gegeben??" —
Den festen Mut, die Wirklichkeit zu tragen! —
Ich kann es seh'n, wie das Verdienst im Staube;
Den Dünkel kann ich sehen, glanzumgeben,
Das hohle Haupt erheben;
Die Narren sitzen an der Weisen Stelle;
Die Tugend schmachten, elend und verlassen,
Indes das Laster und der Unwert prassen,
Und weg sie scheuchen von des Glückes Schwelle;
Den schlechten Baum gedeih'n, vom Blitz getroffen
Den edlen Stamm — ich kann es seh'n und — hoffen! —
133.
Und so laß mich die bessre Zukunft grüßen,
Die in mir lebt, die ich im Geiste schaue!
Hin muß ich zieh'n, dem jungen Tag entgegen,
Dem Sterne folgend, dem ich mich vertraue!
Wenn ich den Staub geschüttelt von den Füßen,
Dann werd' auch ich, umweht von Blütenregen,
Der schönen Ruhe pflegen!
Denn Einer, weiß ich, kreiset in den Sternen,
Und locket Harmonie'n aus ihrem Reigen,
Schwebt auf den Wassern, heißt die Stürme schweigen
Und läßt den Pharus leuchten in den Fernen!
Ihm fällt umsonst kein Saatkorn aus den Händen,
Ist's Zeit, wird er die Ernte auch vollenden! —
134.
"Nun denn" — begann der Geist — "so laß uns scheiden!
Und wenn ein Traum Dein Glück, wohlan, so träume!
Ein Mal erwacht, entschlummerst Du nicht wieder!"
Da fand ich mich im selben Grün der Bäume,
Von Matten fern begrenzt und blum'gen Haiden;
Dem Phönix ähnlich mit dem Glutgefieder,
Ging hehr die Sonne nieder;
Hellgrüne Lichter spielten in den Zweigen,
In Rosen schien die Gegend zu zerrinnen,
Als wollte die Natur ein Fest beginnen,
Und strahlend sich im Prachtgewande zeigen!
Der Schemen aber, wie des Rauches Wehen,
Zerfloß in Luft, und ward nicht mehr gesehen! —
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