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Neue Fahrten
 

Hymnus an die Reise
Belfried in Flandern
Taj Mahal
Zwei Morgenlieder
Alpenglühen am Zürichsee
Der verlorene Himmel

Hymnus an die Reise

Schienen, die blauen Adern aus Eisen,
Durchrinnen die Welt, ein rauschendes Netz.
Herz, rinn mit ihnen! Raff auf dich, zu reisen,
Im Flug nur entfliehst du Gewalt und Gesetz.

Im Flug nur entfliehst du der eigenen Schwere,
Die dir dein Wesen umschränkt und erdrückt.
Wirf dich ins Weite, wirf dich ins Leere,
Nur Ferne gewinnt dich dir selber zurück!

Sieh! bloß ein Ruck, und schon rauscht es von Flügeln,
Für dich braust eine eherne Brust,
Heimat stürzt rücklings mit Hängen und Hügeln
Ein Neues, es wird dir neuselig bewußt.

Die Grenzen zerklirren, die gläsernen Stäbe,
Sprachen, die fremden, sie eint dir der Geist
Unendlicher Einheit, da er die Schwebe
Der vierzehn Völker Europas umkreist.

Und in dem Hinschwung von Ferne zu Fernen
Wächst dir die Seele, verklärt sich der Blick,
So wie die Welt im Tanz zwischen Sternen
Schwingend ausruht in großer Musik.

Belfried in Flandern

Einst war er Wächter über Unbegrenztes:
Das Meer klang her und wusch der Stadt die Füße,
Und nächtens, sternhaft zwischen Sternen glänzte
Sein Blick den Fahrenden Europas erste Grüße.
Mit hundert Schiffen, Mast an Masten, starrte
Der Hafen wie ein weißer Wald zu ihm hinauf,
Sie brachten Ferne mit von vielen Fahrten,
Und nach den Schlachten stellten sie Standarten
Als bunte Flammen rund um seinen Knauf.
Dann reckte er, ganz mit Triumph behangen,
Die Stirne höher in den Sturm hinein,
Und seine aufgelösten Glocken klangen,
Als hätte hundert Münder jeder Stein,
Und schriee jeder nur, die Stadt zu loben,
Die unten nebelte, gegürtet und bewehrt: —
Er aber stieß mit seinem Stolz nach oben
Und riß die Himmel auf als ein granitnes Schwert.

Doch stumm umkreisten seine Rast die Jahre,
Und jedes Jahr ebbte der Strand zurück,
Bald konnten Schiffe nicht mehr ihn umfahren
Uns seine Häfen, die voll Wellen waren,
Erstarrten seicht und wurden Schlamm und Schlick.
Von immer ferner blinkerten die Segel,
Die einst an seinen Knien ausgeruht,
Und waren bald nur mehr wie weiße Vögel,
Ein Strich, ein Hauch am Horizont der Flut.
Das Land brach vor, der Sand wuchs auf zu Dünen,
Die Dünen wölbten sich zu runden weichen Deich
Vergebens warf sein Schatten sich zu ihnen,
Die Flut, die ungetreue, zu erreichen,
Vergebens donnerte die braune Kehle
Die Glocken, streckten die Kanäle
Die Arme aus nach dem verlornen Meer —
Die Schiffe, seine Kinder, blieben ferne,
Und zwischen großen Wolken und den kleinen Straßen,
Die mählich ihren Sinn und Glanz vergaßen,
Blieb einzig groß und unverändert: Er.

Und immer ragender, je mehr sich jene mindern,
Und immer größer in der kleinen Zeit
Steht er, ein Held in Harnisch, zwischen Bettelkindern
Nun ob dem Klüngel ihrer Ärmlichkeit.
Verächtlich blickt, der einst zum Kampf gerufen,
An all dem Krämerspeck vor seinen Stufen
Mit einem ungeheuren Blick vorbei,
Und muß doch dulden, daß genüber auf dem Platze
Die Bürger, die beim Sonntagsbiere schmatzen,
Sich eitel sonnen unter seinem Glockenspiel.
Gehorsam muß er diesen Sklavenseelen
Den Rosenkranz der Stunden in die Finger zählen
Und bis ins Spülicht ihres Schlafs hinein
Die Uhr in die verhangnen Fenster schrei'n. —
Allein dann ist ein Grimm in seinem Rufen,
Und wenn er mit dem erzgewohnten Munde
Die Stunde hallt und ihre Melodie,
Reißt er sie hoch aus der verflachten Runde,
Als spräch' er nur zu Gott und nicht für sie.
Aber manchmal bei Nacht,
Wenn, ein Meer überm Meere, Springsturm herweht,
Wenn der Blitz zornwütig das Dunkel durchtrennt
Und Donner ihm nach in die Tiefe kracht,
Dann drücken
Die kleinen Bürger sich feig und erschrocken
In ihre Betten zu blassem Gebet,
Und die Häuser kriechen folgsam und stumm
Wie niedergeschreckte verschüchterte Glucken
Nassen Gefieders um ihn herum.
Er aber steht
Von Wolken umflogen, vom Donner umdröhnt,
Von Blitzen und springenden Lichte gekrönt
Ein steinener Baum, eine quaderne Wacht
In hochgemauerter Majestät.
An seinem Trotz zerschellen die gellen
Bisse des Sturmes, die ihn umbellen,
Und die Blitze, die ihn zackig umschnellen,
Zeigen nur wieder, wie stolz er aufragt. —
Dann kommt über ihn sein altes Frohlocken,
Und Sturm im Sturme, läßt er metallen
Seinen Kampfruf wider den Himmel hallen.
Und noch einmal schreit der Stolz seiner Glocken
Donnergebot weit über das Land,
Als wollt er das Meer, das ferne, beschwören,
Es solle kehren und rückwärts wallen
Zu seinen Füßen, zum alten Strand,
Und als müßten ihn bis in die Gräberhallen
Die Könige hören, von einst ihm Vasallen,
Und aufstehn an seiner steinernen Hand.

Taj Mahal
Grabdenkmal Muntaz Mahals in Dehli

Im Teiche, wo klarspiegelnd und genau
Die weißen Formen sich das Bild verkleinern,
Scheint er ein Spielzeug. Zart und elfenbeinern,
Wie unter mattem Glas liegt er zur Schau;
(Man hätte beinah Furcht, ihn zu zerbrechen).

Und dann ein Blick: Und sieh, es ist ein Bau!
Aufragend, blendend, makellos und steinern
Steigt er empor, löst blinkend seine Flächen
Vom Blättergrün und steigt in immer reinern
Bewegungen empor ins blanke Blau,

Auf, auf ins Licht, und strahlt im Sonnenfunkeln,
Als atmeten aus seiner Brust noch jene
Vergangnen Herzen in der kühlen Krypte
(Der große Fürst und die geliebte Frau).

Doch abends scheint er Traum. Wie eine Träne,
Die marmorn wurde, glänzt er in das Dunkel
Den Schmerz um die entschwundne Geliebte.

Zwei Morgenlieder
Bozener Berge

                        I.

Nun tritt ganz sacht aus dem Dunkel heraus.
Die Türen sind blind und verschlossen,
Aber schon hat sich von Haus zu Haus
Das Leuchten der Frühe ergossen.

Im kühlen Hauche des Morgens quillt
Der Atem der werdenden Dinge,
Und linde löst sich der Ferne Bild
Wie ein Glanz von der Nebelschwinge.

Und alles fühlst du nun groß und rein
Wie den Himmel an heiligen Tagen,
Viel fromme Worte fallen dir ein,
Doch du mußt sie Gott nicht erst sagen;

Du brauchst nur dein rauschendes Herz hinein
In den lauschenden Morgen zu tragen.

                    II.

Wie ich doch den Hauch der Frühe
Selig an den Lippen fühle!
Von den Wiesen weht der kühle
Duft mir Blumen an den Mund.

Berge reißen sich die schweren
Hüllen nieder, morgenhelle
Bäche spiegeln in der Welle
Einen Himmel klar wie sie.

Noch ist die Sonne nicht im Tale,
Doch schon ahnt man ihre Nähe.
Wie ich in die Ferne spähe,
Blitzt ihr Blick schon auf dem Grat.

Über die noch stummen Weiten
Wirft sich leuchtend ihre Lanze,
Blut entflammt sich. Rings die ganze
Landschaft glüht in einem Brand.

Eine Kirche fühlt das Feuer
Auf dem Dache. Ihre Glocken
Werden glühend und frohlocken,
Und mein Herz klingt auf mit ihr.

Alpenglühen am Zürichsee

Wer rief dies Bild, das plötzlich in den Rahmen
Des Fensters mit dem goldnen Winde glitt?
Still ruft's mich an. Und schon weiß ich den Namen:
Es ist der Herbst und meint auch Abschied mit.

Die Berge, die tagsüber waren,
Wie glühn sie nah im abgeteilten Licht!
Oh hier wie immer fühlt man: in dem Klaren
Ist schon ein Teil Vergängnis und Verzicht,

Und fühlt, es wäre gut, noch einmal leiser
Als sonst den Vesperweg talab zu gehn,
Eh' sich die Abende im Herbst verfrühen,

Und eh es dunkelt noch aus allen Häusern,
Die westwärts Feuer aus den Fenstern sprühen,
Sich Sommersonne in das Herz zu sehn.

Der verlorene Himmel
Elegie der Heimkehr

Wohin entschwand, der mich noch gestern bestrahlte,
Der rauschende Himmel? Ein Meer, unendlich, umspülte
Er liebend und blau die zackigen Ränder der Erde,
Winde durchfurchten ihn sanft, und lächelnde Wolken
Hellten den ruhenden Ernst zu freundlichem Gruß.
Sterne entblühten ihm nachts wie weiße Zyklamen,
Und der Mond, der uralte Quell der Träume,
Goß mir kühl aus silbern gebogener Schale
Tröstung ins Herz. Wann immer der Blick, der verwirrte,
Müde des Lands und heiß vom Antlitz der Menschen
Auf zu ihm stieg, ward er begütigt empfangen:
Ewigkeit glänzte ihn an und küßte die Klage,
Die kleinliche, zärtlich fort von dem brennenden Lid.
Selig war ich. Ich glühte, ich blühte nach oben,
Aus allen Wurzeln hob ich mich hoch und verrankte
Unrast und Gier in sein beruhigtes Blau,
Lustvoll spannt' ich mich aus und, selber ein Himmel,
Wölbte sich mir mit heiligen Zeichen die Brust.

Hier, wo ist er, der große, unendlich entspannte?
Zerbrochen hat ihn die Stadt, den Spiegel der Zeiten;
Scherben, zerschellt am gelben Steinbruch der Straßen,
Blinken nur nieder, umdüstert vom Qualm der Fabriken,
Gassen fenstern ihn eng zu grauen Quadraten,
Plätze schleifen ihn rund und, riesige Schrauben,
Bohren die Schorne den wölbigen flach an die Dächer.
Die Sterne ersticken im Dunst, und selten nur eilen
Wolken leichtfüßig durch seinen trüben Morast.
Lehmige Flut, gedämmt vom Felssturz der Straßen,
Schleppt er sich hin, und die aufwärts spähenden Blicke,
Rein sich zu baden an seiner einstigen Reinheit,
Stürzen enttäuscht zurück in das ratlose Herz.
Wem hier vertrauen, wem sich aufglühend hingeben,
Da er verdunkelt, der ewige Blick aller Blicke,
Wen frag' ich an? Mit grellgeschminkten Plakaten
Grinsen die Wände, kreischende Lichtbilder hämmern
Sinnlose Worte wie Nägel mir tief im Gedächtnis,
Blicke brennen, Rufe harpunen nach mir.
Alles ist Schrei hier und keiner, mich schweigend zu hören,
Keiner mein Freund. Fieber sind mir die Tage
Ohne den Himmel und dumpf die Stunden der Nacht ohne ihn.
Oh wie schlief ich in seiner unendlichen Wiege!
Weich umhüllte mich Traum, und Summen von Bienen
Bestickte golden die leise tönende Stille,
Winde wiegten mich ein, die Blumen enthauchten
Weihrauch von Duft und machten die Sinne mir fromm.
Atmen hört ich das Land, und die wogenden Brüste
Der Wälder hoben und senkten sich sacht wie die meine.
Nieder fühlt ich mich gleiten vom niederen Strande
Des Tags in tiefere Welt, und waches Besinnen
Löste sich sanft in die freundlich dunkelnde Flut.
Schwärzlich war ich umfangen. Doch unten am Grunde
Glänzten bunt und geschart die Kiesel der Träume,
Arglos nahm ich sie auf, ich rollte die hellen
Und dunkeln in eins, beseligt im kindlichen Spiele,
Bis wieder das Frührot, sanfter Berührung,
Aus den Fingern die leise glitzernden nahm.
Hier, hier stürz ich hinab! Ein eiserner Sarg,
Umpreßt mich der Schlaf. Über ihn poltern noch schwere
Schollen von Lärm, mit klirrendem Spatenwurf schaufelt
Mich die fühllose Stadt in den Acker der vielen,
Die hier unter dem irren Kreuzgang der Straßen
Frierenden Blutes daliegen, tot und doch wach.

Immer wühlen noch Stimmen mir nach, und die Häuser
Drücken mir schmerzend mit ihren Steinen die Brust.
Nie verlösch' ich hier ganz. Von Worten und Schreien
Zuckt noch Nachhall in mir, das Kreischen der Schienen
Quert meinen Schlaf, die donnernde Brandung der Wogen
Gischet mich an, das wüste Grölen der Trunk'nen,
Röcheln der Kranken, die keuchende Gier der Verliebten,
Angst und Erregung aller, die jetzt noch wach sind,
Sickert in mich und trübt mein dämmerndes Blut.
Auf hohen Türmen hocken schlaflos die Stunden
Und schlagen mit Glocken nach mir. All meine Träume
Dünsten noch Tag und haben die gierigen Blicke
Der Dirnen, die meinen Heimweg abends umstellten,
Angst und Qual von nie gekannten Gelüsten,
Denn viele sind wach noch in mir, indes ich daliege,
Und durch mein Herz stampfen unzählige Schritte,
Fremdes frißt sich mir an, und fremde Geschicke
Nisten sich frech in meinen schauernden Schlaf.
Wann, wann hör' ich mich selber, wann tönt der
Seele Musik von hohen Himmel zurück?

Oh ich fühl's, mit ihm, dem selig erhob'nen,
Verlor ich mich selbst. Und mein Herz, das verwirrte,
Schlägt hier nicht eigene Stunde der Brust, sondern hämmert,
Fremd schon sich selbst, den rasenden Rhythmus der Stadt.