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VIII.
Romancero der Vögel

 

Sturmvogel
Storch
Den Vogel an den Federn!
Zinsvögel
Zwei Hähne
Colibri
Gimpel

 
Paradiesvogel
Roter Hahn
Zaunkönig

 

Sturmvogel


"Im Gewande der Trauer
Schreit' ich über die Meere,
Aufrecht, wie einst der Glaube
Schritt zum Nachen des Herrn.

Unterm Flügel die Küchlein
Brüt' ich, und wie den Glauben,
Trägt den Schmerz auch die Welle,
Trägt auch des Schmerzes Brut.

Fern dort gleitet ein Schifflein,
Jubelnd mit Bechern und Harfen,
Grüßend mit Wimpeln und Flaggen!
Schonst du der Lust auch, o Meer?

Hättst du, Schifflein, mein Auge,
In die Tiefe zu blicken,
Dir verstummten die Harfen,
Dir entsänke die Fahn'! —

Wie langweilt ihr mich wieder,
Schweigende Meeresruhe,
Endlose tote Heide,
Ewiger Sonnenschein!

Vater Sturm, dich beschwör' ich
Und gebiete dir, hauche
Scharfen, stählenden Nordhauch
Meinen Jungen ums Herz!

Laß durchwandeln mich jauchzend
Grünenden Wellenhügel,
Dessen Gipfel ein Garten
Weißer Blüten umschäumt!

Laß mich klimmen frohlockend
Über wogende Alpen,
Deren Häupter die Brandung
Krönt mit ewigem Schnee!

Spalte die Tiefen der Fluten,
Daß am Grunde die Leiche
Wieder küsse den Lichthauch,
Sauge die Schimmer des Tags!

Trägst du gleich mir, o Schifflein,
Liebe Brut unterm Fittig,
Kinder der Lust, die das Meer nicht
Schont, wie die Kinder vom Schmerz?

Will dich warnend umkreisen,
Rufen vom Mast dir: Wehe!
Schreien vom Kiel dir: Wehe!
Ob auch das Herz mir jauchzt.

Ha, die Harfen verstummen
Und die Becher, sie sinken,
Und die Segel, sie fallen,
Bleich ist der jubelnde Mund!

Blitz, nun flattre dein Wimpel,
Donner, rühre die Harfe,
Sturm, nimm mich in die Arme,
Wieg' in Wonne dein Kind!"

Storch

Das ist der vielgereiste Tourist
Herr Storch, der heimgekehrte,
Mit langen, stolzen Schritten mißt
Des Daches First der Werte.

Er trägt, wie's Wandrerart gebot,
Ein weißes Blousenhemde
Nebst hohen Stiefeln von Juchten rot,
Und preist die schöne Fremde:

"Da wären wir wieder, da wohnen wir
Grad' über dem Stall der Rinder!
Prophet in der Heimat, bin ich hier
Das Spiel der Bauernkinder.

In Rom wohnt' ich auf dem Vatikan,
Sah wandeln den Pabst im Garten,
Da wuchsen, seht eure Kürbiss' an,
So groß der Orangen Arten.

Vom Rhein war böse Post gerad',
Der Pabst in Sinnen verloren;
Ich gab ihm einen guten Rat,
Er mir den Orden vom Sporen.

Auch hatt' er drob mir keinen Verdruß,
Als ich ihm in Einem Sitze
Vor Durst aussoff den Tiberfluß,
So groß ist dort die Hitze.

Am Ätna schnell vorüber ging's,
Zwei sah ich um Schwefel streiten;
Ich schaute rechts, ich schaute links,
Es stank auf beiden Seiten.

Als über das blaue Meer ich zog,
Da flaggten mir alle Schiffe,
Ihr Donner zum Ehrengruß mir flog
Weithin an Gestad' und Riffe.

In Syrien fand ich ein irres Heer,
Verhungernd, versprengt in der Wüste;
Ich flog vor ihm durch des Sandes Meer
Als Führer zu Mizraims Küste.

Da lag der Feldherr todeskrank,
Zu Ende mocht' es eilen;
Des Vetters Ibis Kunst sei Dank,
Die mich gelehrt, ihn zu heilen!

Mit weißem Bart der alte Pascha
Zum Großfeldscher mich ernannte,
Gab mir zu Lehn das Nilland da
Und was drin kroch, schwamm, rannte.

Aus Pyramiden, bei fürstlicher Kost,
Durft' ich in Herrlichkeit thronen;
Mir huldigten Völker aus Süd und Ost,
Wie Göttern der Pharaonen."

Den Reisebericht indessen erklärt
Frau Störchin den Nachbarinnen:
"Am Nil hat er ein Würmlein verzehrt,
Den Tiber — sah er rinnen."

Den Vogel an den Federn!

Gegenüber der Hofburg steht
Der Turm der Kathedrale,
Drauf des Landes Banner weht
Prunkhaft im Sonnenstrahle.

Sein Nest an die Stange flicht
Ein Vogel dort alljährlich;
Ward ihr des Baues Gewicht,
Das Picken der Jungen gefährlich?

Hat mitgeholfen der Wind,
Die Zeit mit zermalmendem Zahne?
Eines Tages pfeilgeschwind
Vom Turme stürzte die Fahne.

Der Fürst sieht vom Balkon
Des Banners Sinken und Fallen!
"Verrat und Rebellion!
Herbei zum Kampf, ihr Vasallen!

Die Meuter erklommen den Turm,
Zu läuten des Aufstands Glocken!
Sie stürzten mein Banner im Sturm!"
So rief der Fürst erschrocken.

Das ist durch Gang und Gemach
Ein Rufen, Rennen und Schreien!
Hofdamen flüchten aufs Dach,
In den Keller die Lakaien.

Es sprengen rechts und links
Ordonnanzen und Staffeten,
Und aus den Kasernen rings
Hallt's von Trommeln und Trompeten

Den friedlichen Bürger verschlingt
Des Marktes Drängen und Tosen,
Der Staatsminister springt
Verkehrt in die Galahosen.

Von Bajonetten ein Strom
Quillt blitzend hervor aus den Gassen,
Es dröhnen Palast und Dom
Vom Trabe der Reitermassen.

Zur Stadt im Flügelschritt
Zieht Landsturm aller Farben
Und jammernde Bauern mit
Ob der zertretenen Garben.

Kanonen rasseln heran,
Die Lunte glimmt schlagfertig,
Entrollt steht auf dem Plan
Das Heer, des Kampfes gewärtig. —

In der Lüfte sonnigen Strom,
In der Wolken stummen Reigen
Ragt still und tief der Dom,
Am Turm die Glocken schweigen.

Wer hat in dies Volk hinein
Gesä't des Unheils Samen?
Ein winziges Vögelein!
Wer nennt uns seinen Namen?

Den Namen kennt man kaum,
Er klingt fast wie Gewissen;
Man macht aus des Vogels Flaum
Allerhand Ruhekissen.

Zinsvögel

Am vollen Erntewagen
Froh wallte der Bauer einher,
Die Erntekränze sie lagen
Auf garbenbeladenem Wagen,
Die Rößlein zogen gar schwer.

Ein Adler flog an den Wagen:
"Mein Bäuerlein, halt, ich bin's!
Daß Füchse dein Huhn nicht nagen,
Verbarg ich's in meinem Magen;
Lad' ab mir den Schutzherrnzins!"

Ein Falke flog in den Räumen:
"Mein Bäuerlein, halt, ich bin's!
Ich lasse dein Saatfeld keimen,
Wie Sonn' und Hagel es reimen;
Lad' ab mir den Bodenzins!"

Gehüpft kam auch ein Rabe:
"Mein Bäuerlein, halt, ich bin's!
Daß ich, der einst dich begrabe,
Zu überleben dich habe,
Lad' ab mir den Sterbezins!"

Zur Scheuer rollte der Wagen,
Die Rößlein zogen nicht schwer;
Die Erntekränze nur lagen
Und soviel Garben im Wagen,
Daß Einer drauf schlafe, nicht mehr!

Der Bauer betet gen oben:
"Es soll, hilf Herre des Alls,
Der Adler mein Blei noch erproben.
Der Falk' in den Schlingen mir toben,
Umdreh' ich dem Raben den Hals!"

Hui! sank er aufs Stroh, ein Müder,
Und an ein Schnarchen ging's;
Da schwebten vom Himmel hernieder
Zwei Täublein im Silbergefieder,
Eins rechts zu ihm, eins links.

Sie fächeln ihm mit den Schwingen
Den Schweiß vom Stirnenrund,
Die goldenen Schnäblein klingen.
Was sie ins Ohr ihm wohl singen?
Süß lächelt und lispelt sein Mund.

Das mocht' ihn gar tröstlich umschmiegen,
Das mochte gar Friedliches sein,
Er läßt ja den Adler noch fliegen,
Den Falken in Lüften sich wiegen,
Den Raben hüpfen und schrein.

Dies Liedlein, in blühenden Hagen
Sang's Einer vom Falkengeschlecht,
Hat oft von den Erntewagen
Sein Futter sich heimgetragen,
Weiß Gott, es schmeckt ihm nicht recht.

Zwei Hähne

Im Turnierplatz einer Tenne,
Auf dem Thron von Schobern, Scheitern,
Sitzt in Anmut Jungfrau Henne,
Richtend zwischen zweien Streitern.

Ach, es hat ihr züchtig Gackern,
Ihr jungfräulich sittsam Schreiten
Liebentflammt die beiden Wackern,
Die um ihren Preis nun streiten.

Welcher ist's, den sie erkoren.
Dem sie weiht die gleiche Flamme?
Goldhahn mit den schmucken Sporen?
Schwarzhahn mit dem schönen Kamme?

Goldhahn ist ein stolzer Ritter,
Trägt ein Wams orangenfarben,
Goldnen Panzer, bunte Flitter,
Grüner Federn volle Garben!

Siegbewußt im Selbstgefallen
Steht der Stutzer ganz verloren,
Doch der Maid zumeist vor Allem
Traun, behagen seine Sporen.

Schwarzhahn prunkt nicht also eitel!
Melancholikus von Hause,
Einfach schwarz vom Fuß zum Scheitel
Trägt er Mantel, Rüstung, Krause.

Seufzend mit gesenkten Blicken
Birgt er in sich seine Flamme,
Doch die Dame fand Entzücken
An dem schönen roten Kamme.

Horch, Trompetenstöße krähen!
Auf zum Kampf, ihr tapfern Ritter!
Stäubend in den Lüften wehen
Federn statt der Lanzensplitter.

Wie sie an einander springen,
Grimmig mit den Flügeln schlagen,
Und mit Blick und Kralle ringen,
Degengleich die Schnäbel tragen!

Weh', ein Kleinod hat verloren
Jeder in des Kampfes Flamme,
Goldhahn seine schönen Sporen,
Schwarzhahn ein gut Stück vom Kamme!

Und die Dame steht unschlüssig,
Wer zum Siegespreis zu wählen?
Schwarzhahn, der des Kammes müßig?
Goldhahn, dem die Sporen fehlen?

Colibri

"Mein Nam' ist Colibri, Mann von Hofe,
An Liebreiz ein klein Ungeheuer,
Der Königin Rose und ihrer Zofe,
Dem schönen Heideröslein, gleich teuer.

Ich summe Sonette zu ihrem Preise,
Umschwebe sie artig und dienstbefließen;
Wer sich bewegt in so feinem Kreise,
Darf Anstand und sein Gewand nicht missen.

Ich trag' ein Barett demantenflimmernd,
Staatsweste, Höslein goldbrokaten,
Den Frack von grüner Seide schimmernd
Und ausgenäht mit bunten Nahten.

Mein Schnäblein ist mein Galadegen,
Mein Zünglein beweglich ist die Klinge;
Was ich mit jenem nicht darf erlegen,
Mit dieser ich's sicherlich bezwinge.

Man sagt, ich sei treulos und flüchtig
Und meine Huldigung wetterwendig;
Untreu der einzlen Blume, die nichtig,
Bin treu ich der Lenzmacht, die beständig!

Ob sich die Meuter auch all' verschworen,
Den milden Zepter der Rose werden,
Ich weiß es, nimmer zerbrechen die Toren,
Das Reich des Lenzes nimmer gefährden.

Da schießt der Hagel mit silbernen Pfeilen,
Da stürmt mit kristallnen Lanzen der Regen,
Da seht ihr den grimmen Winter eilen,
Des Reiches Farben hinwegzufegen.

Da reißt der Sturm, ein gemeiner Scherge,
Der Rose den Purpurmantel vom Leibe;
Sie weiß, daß, ob sie im Tod sich berge,
Ihr Stamm doch frischere Sprossen treibe.

Besudelt mir nicht des Hofkleids Stoffe
Im Trümmerfall, im Kampfgetöse!
Der Ausgang aber wird gut, ich hoffe,
Die Rose ist tot, es lebe die Rose!"

Gimpel

In des Waldes Kathedrale
Rauscht das Laub als Sonntagsglocken,
Glühn als goldne Ampelstrahle
Hell der Sonne Lichterflocken.

Und die gläub'gen Vöglein wallen,
Sonntäglich an Leib und Feder,
Zu des Buchbaums grünen Hallen,
Wo ein Ast ragt als Katheder.

Dompfaff Gimpel predigt dorten,
Der die Fraun und Herrn begeistert.
Weil er klug mit Salbungsworten
Jene rührt und diese meistert.

Läßt nicht gut von schwarzem Samet
Ihm das Soli-deo-käppchen?
Rot die Domherrnweste flammet,
Zierlich fällt das schwarze Schleppchen.

Seine engbestrumpften Beine
Weiß er anstandsvoll zu stellen,
Dem Asketeneifer seine
Weltmanieren zu gesellen.

"O ihr Sünder, unbußfertig,
Wandelnd aus des Irrsals Wegen,
Seid des Götterzorns gewärtig,
Der euch allwärts droht entgegen.

Meidet die Gewohnheitsünden
Kirschen, Hanfkorn, Weizenähren,
Laßt euch nicht von Lust entzünden
Zu Wachholders schnöden Beeren!

Denn Leimruten, Netze, Kloben
Drohn euch dort als Fegefeuer,
Drin in Qual ihr werdet toben,
Und aus dem Befreiung teuer.

Wehe! Den verstockten Bösen
Gähnt die Hölle Vogelbauer,
Daraus nimmer ein Erlösen,
Drin der Pips und ew'ge Trauer!

Nun geht heim und unbetöret
Weiter am Wachholderhage;
Denkt der Predigt, bis ihr höret
Deren Ende heut acht Tage."

Doch am nächsten Festesmorgen
Unbesetzt ragt der Katheder;
Wo der Pred'ger sich verborgen,
Sucht mit Angst und Neugier Jeder

Am Wachholder düstre Reste!
An den Kloben sein Gefieder!
Ein Stück Mantel, ein Stück Weste!
Ach, kein Auge sah ihn wieder.

Paradiesvogel

Wie er im raschen Flug
Hin durch die Wolken schiffte,
Stumm durch den zwitschernden Zug,
Der Ahasver der Lüfte!

Stumm wie ein irrer Komet
Mit glänzendem Leibeskerne,
Die sprühende Schleppe weht
Ihm nach weithin in die Ferne.

Der Tod ihn nimmer ruft,
Noch sah kein Aug' ihn modern;
Vielleicht daß er mag in Duft,
Wie sterbende Sterne, verlodern?

Ihn lockt nicht die blühende Au,
Um Nahrung herabzuwallen,
Aus Wolken pflückt er den Tau
Im Flug, wie Blumen im Fallen.

Und weil sie sein Nest im Wald,
Sein Grab nicht sahn auf der Wiese,
Drum hieß er dem Volk alsbald
Der Vogel vom Paradiese.

Die Sage aber erzählt:
Als Nachtigall einst geboren,
Von Rosenliebe beseelt,
War er zum Gesang erkoren.

Er sang, daß starres Erz
Selbst Blütentrieb verspürte;
O daß er des Lenzes Herz,
Des flücht'gen, zum Bleiben rührte!

Fortzog der Lenz durch das All
Mit Rosen, Liedern und Scherzen,
Da ahnte die Nachtigall
Den Tod vom gebrochenen Herzen.

Sie fleht in der Seele Pein:
"Herr, heb' empor mich von hinnen!
Laß mich bei dir allein,
Dem Unvergänglichen, minnen!"

Da ging aus des Herren Hand
Als Adler sie neugeboren,
Von Sonnenlieb' entbrannt,
Zum Himmelsflug erkoren.

Der flog zum Quell des Lichts
Fort, fort durch Wolken und Sterne,
Schon schwand ihm die Erd' in Nichts,
Die Sonne doch blieb gleich ferne!

Sein Aug' von Kristall schon brach,
Schon schmolz ihm die eherne Schwinge;
Im Niedersinken doch sprach
Er so zum Herrn der Dinge:

"Darf nicht bei dir ich im Licht,
Dem Unvergänglichen, wohnen,
O schleudre zurück mich nicht
Zu niedern Erdenzonen!"

Da bannt' ihn der Herr im Flug
Und schuf ihn, wie dort er schiffte
Stumm durch den zwitschernden Zug,
Der Ahasver der Lüfte.

Nicht erdwärts schwebt er, daß nicht
Befleckt sein rein Gefieder,
Nicht sonnenwärts zum Licht,
Vorm Ziele sänk' er ja wieder.

Sein Herz nicht überfließt's
Von Flammen des Liederdranges;
Was oben, unsingbar ist's,
Was unten, nicht wert des Gesanges!

Ein Stern des Himmels erglüht
Er hell den Irdischen hüben;
Eine Blume der Erde blüht
Er bunt den Geistern drüben.

Und wenn er vorbei euch zieht,
Stumm durch den singenden Reigen,
Verstandet ihr einst nicht sein Lied,
Lernt jetzt verstehn sein Schweigen.

Roter Hahn

Waffengerassel und rollende Wagen,
Dröhnender Taktschritt, Wiehern der Rosse,
Staubgewirbel und Blitze der Mörser!
Donnernd fallen die Würfel der Schlacht!

Über den Heeren flattert des Kriegsgotts
Furchtbar-prächtiger, feuriger Vogel,
Lodernden Kamm und leuchtende Flügel
Schüttelt im Flug der rote Hahn.

Ihm von den Schwingen träufelt ein Regen
Sprühender Funkenkörner zur Erde,
Wie wurfkundiger Hand des Sämanns
Glänzende Saatenkörner entsprühn.

Reich aufsprießen die feurigen Saaten,
Erst nur schüchterne, glühende Halme,
Dann, vom Winde bewegt, ein weites,
Wogendes, wallendes Garbenmeer!

Unter den gelben Ährenfluten
Blühn die blauen und purpurnen Flämmchen,
Wie im Schatten der goldenen Halme
Blaue Kornblum' und feuriger Mohn.

Stöhnen der Mütter, Weinen der Kinder:
Gräßlicher Wachtelschlag in dem Korne!
Wimmern der Feuerglocken in Lüften:
Wirbelnder Lerchensang ob der Saat!

Doch, ein unermüdlicher Sämann,
Fliegt er, neue Saat zu bestellen,
Unbekümmert der schwarzen Stoppeln,
Drüber der Herbstwind klagend wallt.

Tief im Gebirg' auf den Turm des Kirchleins
Senkt er zur Rast vom Fluge sich nieder.
Horch, draus fluten so fromme Gesänge,
Horch, draus steigt ein so brünstig Gebet!

Fluchen kennt er und Jammern und Jauchzen,
Fremd doch blieben ihm diese Töne,
Die ihn jetzt bannen, daß er im Lauschen
Seine Flügel zu schütteln vergißt.

Siehe, da träufelt ein linder Regen,
Kühlt und löscht ihm die feurigen Schwingen;
Statt im reichen Gefieder, am Morgen
Ragt er als kaltes Eisengeripp.

Und des Kriegsgotts prächtiger Vogel
Ward zum Wetterhahne des Küsters,
Kreist und tanzt zum Jubel der Kinder,
Dreht sich willig nach Wetter und Wind.

Zaunkönig
Sage aus der Normandie

Ihr Kinder, laßt mir verschont
Zaunkönigs Nest und Zelle,
Denn wo ein Edler wohnt,
Ist eine heilige Stelle.

Wenn traulich der flammende Herd
Euch Zünglein belebt und Gedanken,
Euch wärmt im Frost und euch nährt.
Dem Vöglein nur sollt ihr's danken.

In dunkler, kalter Zeit,
Als uns des Feuers Gabe
Die Götter noch bargen mit Neid,
Wie Überreiche ihr Habe;

Da in dem Vöglein klein
Erwuchs ein großer Gedanke,
Es flog in den Himmel hinein,
Durchbrechend die Wolkenschranke.

Dem Jovisadler, der schlief,
Riß es den Brand aus den Krallen;
Und ob er's auch sengte tief,
Die Beute ließ es nicht fallen.

Und wie ein stürzender Stern
Fiel's erdenwärts mit den Schätzen;
Da eilten von nah und fern
Die Brüder, den Wunden zu letzen.

Die eigenen Federn leiht
Ihm jeder, die Blößen zu decken;
Drum ist auch sein braunes Kleid
Ein Bettlermantel voll Flecken.

Rothkehlchen voran! Doch vom Brand
Ist selbst versengt es worden;
So trägt's noch das rote Band
Am Busen als Ehrenorden.

Nur Kuckuck, der Gauch, gab nichts
Als eine gute Lehre:
"Hast du nur die Größe des Wichts,
Mit Götterglut nicht verkehre!"

Zaunkönig rächte sich auch,
Wie nur es Edlen gelungen:
Er brütet die Jungen dem Gauch
Zugleich mit den eigenen Jungen.

Es wurde die ganze Schar
Zu Ärzten im Heilungsdrange:
Grasmücke mit dem Trokar,
Krummschnabel kam mit der Zange.

Die Meise wetzt und weist
Blutdürstig ihr Lanzettchen,
Als Wunderpflaster preist
Der Specht ein würzig Blättchen;

Es füllt in der Quelle klar
Das Spritzlein die Bekassine,
Kernbeißer macht sogar
Zum Amputieren schon Miene.

Die Elster aber entbrennt,
Grauschwesteramt zu verrichten
Sie zupft Charpie und kennt
Hausmittel und Stadtgeschichten.

Zaunkönig mild abwehrt
Die Sorgen, die sie ihm weihen:
"Wen himmlisch Feuer versehrt,
Den heilen nicht ird'sche Arzneien."

Ihr schönstes Gefieder sticht
Die Schar ihm zur lieblichen Krone,
Sein Haupt beschattet sie dicht
Dem kühnen Flug zum Lohne.

Wohltäter der Welt, versteckt
Er tief sich im Dunkel der Hage,
Allein beschämt und erschreckt,
Daß eine Kron' er trage.