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Distichen eine Gedichtform
 

Distichen
 

Halbe Schönheit
Die Sinne
Äschylus
Beseeltes
Amors Bogen
Schauen und Schaffen
An L.
Totes und Lebendiges
Zersplitterung
Mein Herz
An P.
Bergesquellen
Trost
Die Rosen des Nords
Seligstes
Der Falter
Orakelspruch
Venedig
Der Tröster
Quell des Gesanges
Hafis

Halbe Schönheit


Reizende Mädchen gebierst du, doch halbe nur, leuchtender Pontos,
Oben lieblich, doch ach, unten ein häßlicher Fisch!
Hegst du nur verstümmelt das göttliche Wunder der Schönheit?
Auch die Erde sie zeigt mir kein vollendetes Weib.

Die Sinne

Wahrlich, der Sinn des Gefühls ist der undankbarste von allen,
Besser ist Auge und Ohr seiner Genüsse gedenk:
Wie dein Küßchen geschmeckt, ich vergaß es; aber ich sehe
Immer dein Mündchen noch rot, höre auch, wie du geschmollt.

Äschylus

Äschylus ist doch der beste Poet; das liebste von allen
Büchern der Welt sind jetzt seine Tragödien mir:
Denn auf das äußerste Blatt, das weiße, des köstlichen Buches
Hat das holdseligste Kind, mir, wo sie wohne, diktiert.

Beseeltes

Wären die Sterne beseelt, die kreisenden Welten im Äther,
Zögen sie rastlos die Bahn lange Jahrtausende nicht!
Dauernd lebt nur das Unlebendige, doch wo ein Herzschlag
Pocht und strebet, o wie lebt es sich müde so bald!

Amors Bogen

Amor, leih' mir den Bogen, so rief ich, auf daß ich mich räche
An den Herzen, die nie liebend liebend erglühen mit mir.
Amor lächelt' und gab mir den Bogen — ach, ohne den Köcher;
Doch ich besaitete ihn, brauche als Leier ihn jetzt:
Und nun mächtig entschwirrt, gleich Amors Pfeile der Klang auch,
Tief ins lauschende Herz trifft er mit Liebesgewalt.

Schauen und Schaffen

Blicke zum Himmel empor bis die goldenen Pforten sich auftun,
Und dir in göttlichem Licht thronend erscheint die Idee;
Doch dann senkte den Blick, und hast du geschauet so schaffe;
Schauen und Schaffen, es ist menschlicher Doppelberuf.

An L.

Zart wohl bist du, und hold, doch welche Geschicke bestimmt sind
Mir, dem entflammten, verrät sprechend der spöttische Zug,
Welcher in deines Gesichts süßlockende Reize sich eindrängt,
Wie in die Mondnachtreih'n holder Chariten der Faun.

Totes und Lebendiges

Marmorbilder voll Leben und Reiz, ich flüchte zu euch mich:
Steine leben — und tot grinst das Lebend'ge mich an!

Zersplitterung

Schmerzlich ist mir das Herz, und schmerzlich die Liebe zersplittert,
Schmerzlich zersplittert sich mir in Epigramme das Lied.

Mein Herz

Sei mein Herz, wie der Aar, der pfeilgetroffen sich losreißt
Von den Gebirgen, und aufwärts ins Unendliche steigt.
Siehe trotzigen Sinn's verblutet er einsam im Äther,
Und in der Sonne zuletzt sucht er sein flammendes Grab.

An P.

Vers'chen schreibst du an mich, mein Liebchen, und es erfreut mich
Herzlich, doch es umschwebt Sorge zugleich mir das Haupt.
Groß im Liede war ich, mit der goldenen Lyra gewann ich
Dich, und es fesseltest du mich mit der Reize Gewalt.
Aber wenn du sofort auch mein Gebiet dir eroberst,
Ach, wie nah' ich mich dann, doppelte Siegerin, dir?
Sage mir nicht, mein Kind, du wolltest vom Throne des Lieds nicht
Stoßen den Freund, und nur, einsamer Stunden Gefühl
Kündend im Spiele des Reims, mit erfreulicher Liebes-Gewißheit
Zart ihn laben, und sanft trösten sein ängstliches Herz.
Wähnst du mit Versen mich nun, o schelmische kleine Kokette,
Weil ich in Prosa dir nichts glaube, zu fangen? o nein!
Siehe, nun zweifl' ich erst recht; denn Vieles erdichten die Dichter,
Dichtung sind wie der Reim auch die Empfindungen oft.

Küsse mich holdes Kind denn küßt dein Mund mich, da glaub' ich
Ihm, doch redet er, ist's Rauch mir und luftiger Hauch.
Doch schon gefährlicher spitzt sich zur Gegenrede dein Mündchen,
Und kampflustiger tönt mir, das ich schmähte dein Wort:
"Spötter! vergißt du so ganz, wie gerne das Liebchen des Reiters
Streichelt das mähnige Roß, und das gewaltige Schwert
Wieget und prüft in der Hand? Und es dürfte das Liebchen des Dichters
Nimmer der Lyra sich nah'n, und dem geflügelten Roß?"
Schelmin, so weißt du zuletzt doch Recht zu behalten! Und dennoch
Quält mir die Sorge das Herz. Soll ich zufrieden es seh'n,
Wenn statt traulich zu kosen mit mir, in die Saiten der Lyra,
Die zur Seit' ich indes stellte, dein Fingerchen greift?
Wenn das geflügelte Roß, das seitwärts ruht, du mit kecken
Füßchen besteigst und hinweg über die Berge mir fliegst?

Bergesquellen

Steil hinan windet der Pfad sich am grünenden Hang des Bergwalds,
Der bis zu schwindelnden Graten die sausenden Wipfel hinanreiht,
Während zur Seite im Tal der breite sonnige Strom glänzt.
Aber dort und hier springt nieder vom Haupte des Berges
Jauchzend ein silberner Quell, tanzt über die Felsen und rieselt
Quer mir über den Weg, dem Strom zu, drunten im Talgrund.
Alle lieb' ich sie, grüße sie all', und sie laben mich alle.
Und ich lagre mich stets und schlürfe das liebliche Naß ein,
Blicke zum klaren Grund, wo Kiesel blitzen, und lausche
Träumend dem Märchengeplauder der Flut. Die Gabe des Bergquells
Lockt und labet und rührt wie lebendige Güte das Herz mir.
Blumen blühen um ihn, wo er anwogt, Vögelchen setzen
Sich auf die Steine des Rands, und singen ihm Lieder in Fülle;
Ich auch preis' ihn fromm: Nie sei's, daß ein wandernder Dichter
Holdem gehe vorbei; nie sei's auch, daß, wenn er irgend
Liebes erfahren, zuletzt er fürbaß wand're gesanglos.

Trost

Sehnsucht fühl' ich und Schmerz, und alle Freuden sind ferne,
Doch es verzage darum nicht mein verlangendes Herz!
Darf ich doch farbige Blumen noch schau'n und den leuchtenden Äther!
Nichts verlor, wer noch trinkt, Leben, dein rosiges Licht!

Die Rosen des Nords

Rosenentblätterer Nord, zum Ersatz auf die Wangen des Mädchens
Hauchst du nun frische — fürwahr! Zephyr hat schönere kaum!

Seligstes

Selig, welcher das Herz dem All hingibt, und der Schönheit
Ew'ger Idee den Sinn, stille betrachtend, geweiht.
Seliger doch, wem das Schöne verstehenden Blickes entgegen
Tritt, wer ans liebende Herz drücken ein Göttliches darf!

Der Falter

Hab' ich dich, schillernder Gaukler? Vergebens der Fittige Goldstaub
Streu'st du zum Opfer. Du bebst? Halt' ich und spieße dich nun?
Nein, zieh' hin und erfreu' dich der himmlischen Lüfte des Lebens:
Heilig, du Flatterer, ist alles Geflügelte mir!

Orakelspruch
für eine adriatische Hafenstadt

Gattet die purpurne Röte der Rose vereint mit des Mammons
Goldenem Schimmer sich einst hier mit der Schwärze der Flut,
Dann, salaminische Stadt, käsduftige, dann nur erhebst du
Glänzend dich, und es füllt dir sich mit Segeln die Bucht.

Venedig

Seltsam hört' ich vor kurzem den Namen der Stadt der Lagunen
Einen verständigen Arzt deuten. Sie nenne sich so,
Meinte der Mann, von der Venus, und wäre wie wenige, fügt' er
Kundig hinzu, durchaus eine — cytherische Stadt.

Der Tröster

"Höre mein freundliches Wort; ich möchte den lastenden Schmerz dir
Gern benehmen und Trost gießen ins duldende Herz!"
Trösten möchtest du mich, mein Freund? Dann mußt du den Schmerz mir
Nicht benehmen, er ist eben mein einziger Trost.

Quell des Gesanges

Oft schon hört' ich das Wort, aus dem Leid nur quille die Dichtkunst!
Nein! die Wonne nur ist ewig ihr einziger Quell.
Selbst wo gänzlich sie scheint aus dem bittersten Leid zu entspringen,
Quillt sie in Wahrheit doch nur aus der Wonne des Leids.

Hafis

Hafis liebte die Rosen, und weil er sie liebte, begriff er,
Ganz ihr Wesen; sie blühn dankbar ihm über dem Grab:
Seele der Rose, du lebst in seinen weichen Gesängen,
Ruhe dafür sein Geist schwebend in Rosengedüft.