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Terzinen Begriffserklärung

 

X.
Terzinen


 

Abbé Vogler

Es zog allein der Zone alte Meister,
   Wie er gepflegt auf Frühlings - Wanderungen,
   Ihm folgten nur des Liedes holde Geister,

Die weihvoll seine Wiege schon umklungen.
   Er zog dahin durch's schöne Land der Schwaben,
   Wo schon zur Zeit manch Liederheld gesungen,

Und Töne blühten mit des Lenzes Gaben.
   Der Abend kam mit leisem Schwanenfluge,
   Es kam die Nacht, mit Flügeln eines Raben —

Als ob ein Küchlein aus den Flügeln luge,
   Sah Stern an Stern aus dunkler Himmelsbläue,
   Und monderhellt war jede Wolkenfuge.

Wie eint sich Alles, daß es tief erfreue,
   Tief innerlichst des edlen Wandrers Seele!
   Er zog ja aus, daß sich's in ihm erneue,

Nach Liederlenzes schaffendem Befehle;
   Doch, daß zur tief entquoll'nen Frühlingslust
   Der Wehmut Tau, der lindernde, nicht fehle,

Umschlingt ein Lied ihn, das aus reicher Brust,
   Ein blütenvoller Wiesenbach, ertönte;
   Es war ein Lied — er war sich's bang' bewußt —

Vom Meister, dessen Namen man verpönte,
   Des freien Sinn die düst're Kerkermauer,
   Des freies Lied der Kette Schall verhöhnte.

Den armen Meister fasset stille Trauer,
   Den vor Minuten noch der Lenz entzückte;
   Und Angst durchrieselt ihn, und kalter Schauer,

Da er im schönen Lande um sich blickte:
   Denn Hohenasperg lag vor ihm, die Feste,
   Als ob ein Zauber sie vor's Aug' ihm rückte.

War sie nicht ähnlich einem Geierneste?
   War sie nicht Schubart's tötendes Gefängnis,
   Wo er verschmachtet seines Lebens Reste?

Weil er zum Volke sprach in der Bedrängnis,
   Und weil er sprach die Sprache der Titanen,
   Weil er den Weg ihm wies aus der Beengnis,

Weil er ihm zeigte völkerwürd'ge Bahnen;
   Weil er's gewagt den, Fürsten und die Fürsten
   Mit freiem Wort zu richten, und zu mahnen;

Weil er den Junkern, die den Wald durchpürschten,
   Geflucht, wenn sie zerstampft des Landmanns Saaten;
   Weil er den Bürgern, die die Zähne knirschten,

Zum Schwerte wandeln wollte ihren Spaten;
   Weil er im Liede, wie im schlichten Worte,
   Gewagt zu droh'n, zu trösten und zu raten.

So klangen die Gedanken, die am Orte,
   Dem lenzigen, den Meister so umfingen.
   Er muß — schon schreitet er zur Festungspforte —

Dem niegeseh'nen Bruder Hilfe bringen.
   Aus Kerkernacht zum Licht emporzuheben,
   Der trauten Kunst nur mußte dies gelingen.

Ihr und dem Recht ja hat er sich ergeben,
   Der Prometheus, der würdige Verbrecher,
   Und wie genügsam, ach! ist unser Leben,

Ein Tropfen Lust versüßt den Leidensbecher.
   Beschlossen war's, er wollt' es auch vollführen,
   Und vor dem Kastellan, der kühne Sprecher

In Worten wußt' er, wie im Ton zu rühren,
   Denn schwache Knechte zählen die Tyrannen!
   Indessen unter wohlverwahrten Türen

Lag Schubart träumend. Von den Wänden rannen
   Die Tropfen, wie die Tränen ferner Lieben;
   Mitleidig schien die Wölbung sich zu spannen,

In die sein herbstes Lied er eingeschrieben.
   Der Jahre Zahl war's, die sie so vertraute,
   Die sich vorbei an ihm und ihnen trieben;

Was war's, daß heut vergeßne Menschenlaute
   Aus seiner Träume düsterstem ihn störten?
   Daß hoffnungssüß das Sternenlicht ihm graute?

Daß er des Dufts genoß, des langentbehrten?
   Daß sie ihn leiteten in die Kapelle?
   Daß Bande nicht den freien Gang ihm wehrten?

Und als er eintrat, goß der Orgel Welle
   Vom Chor herab auf ihn die heil'ge Taufe,
   Jetzt, wie vom Felsen ruft die wilde Quelle,

Jetzt, wie vom Lotos fällt die Mannatraufe —
   Und Schubart beuget Knie und Nacken nieder,
   Daß über ihm der Katarakt verstaufe.

Der senket tief, und hebet hoch ihn wieder,
   Und wölbt aus Tönen einen Regenbogen:
   Es locken ihn die Nymphen zarter Lieder,

Es heben ihn die majestät'schen Wogen; —
   Allmächtig ist Musik und ihr Entfalten,
   Wo ihr entgegen Freundestöne zogen,

Wenn ihre Schar phantastischer Gestalten
   Die Heimat in der fremden Brust gefunden,
   Und wenn die Sprossen ihrer Lenzgewalten

Ein andres Herz zum Kranze sich gewunden.
   O Schubart fühlt es —denn er spürt vernarben,
   Die ihm geschienen unheilbar, die Wunden —

Des Glaubens Kinder, die im Zweifel starben,
   Belebend hat sie jene Macht getroffen,
   Die Blumen, die in Kerkerluft verdarben,

Es blüht das Lieben, und es reift das Hoffen! —
   Es ist die Zeit, mit ihr der Ton verronnen —
   Und wieder steh'n des Kerkers Pforten offen;

Doch Schubart rufet aus in tausend Wonnen:
   Wo ist der Mächtige, der mich befreite,
   Mich nippen ließ vom ewig heil'gen Bronnen,

In meine Wunden süßen Balsam streute?
   Vermag's doch Einer nur in deutschen Gauen —
   Der Vogler ist's, dem ich die Arme breite! —

Es stieg die Sonne auf, den Bund zu schauen,
   Und glänzte segnend über der Kapelle,
   Und weiter zog der Abt in Gottvertrauen —
Getröstet, Schubart in die düstre Zelle.

Lope de Vega

Wer leugnet's! — das ist eines Spaniers Antlitz,
   Und eines zwar, auf dem Gedanken rasten;
   Kein Angesicht, in das ein stiller Wahnwitz —

Ein schöner zwar — des träumenden Phantasten
   Die neblicht dunklen Lettern hingeschrieben,
   Und Augen, die zum Kerkerlichte paßten,

Zugleich zum Sternenlicht für nächtlich Lieben,
   Und eine Stirn, der Rennbahn zu vergleichen,
   Wo sich im Flug Gedankenrosse trieben.

Wie Falter, die um tote Blumen streichen,
   Streicht hin ein Lächeln um die starren Züge.
   Kennt dieser Schritt den Sinn: "Vor'm Feinde weichen?"

Und sagt's die Schulter nicht, was sie noch trüge?! —
   Lope de Vega nannten sie den Starken,
   Und seine Miene kündete nicht Lüge.

Es schoß sein Sinn dahin auf leichten Barken,
   Auf Küsten zu, noch damals unbekannte,
   Und kämpfte siegend in den fernsten Marken

Des Geistes, wo der Dichtung Sonne brannte; —
   Das eben war's, daß er aus eignem Leben
   Ein neues rief, und es in Formen bannte;

Das sind des Geistes Wunderkräfte eben,
   Daß immer neu Gedanken und Gestalten
   Am Stabe des Bewußtseins sich erheben,

Und über'm Schöpfer ihren Fittig falten.
   Bewußtsein ließ mit wilder Blitzesschnelle
   Don Lope's Schlachtschwert, den Gedanken, walten. —

Don Lope schritt gar hastig durch die Zelle;
   Sein alter Schreiber saß am Pult indessen,
   Des Haupt umfloß der Locken Silberwelle,

Darunter schlief, wie unter'm Schnee vergessen
   Die Blume liegt, verdorret der Gedanke,
   Und schien nach manchen Leiden unermessen,

Noch seine Seele, eine leidenskranke.
   Vom Licht der Ampel fielen blasse Strahlen
   Auf seine Stirn herab, die marmorblanke,

So wie der Mond pflegt zitternd hinzumalen
   Auf's Grab, wo man die Schmerzen wähnt verwahret,
   Der Rückgebliebnen liebgewordne Qualen.

Er hieß Solis; in ihm hat sich gepaaret
   Die Schreibekunst mit alten Wissenschaften,
   Und die Gedanken, die Don Lope scharet,

Macht er um Sold für alle Zeiten hasten.
   Es sprach sein Herr zu ihm mit milder Stimme:
   "Ich wollt', daß Deine Mienen sich entrafften,

Der sie bedeckt, dem stillen finstren Grimme! —
   Nicht will ich, daß, wem meine Gunst gebührte,
  Im Herzen ihm des Hasses Kohle glimme!" —

Doch er blieb stumm und schrieb, was der diktierte,
   Den heißen Federkampf gen seine Feinde:
   "Nicht, daß mich zeitig grüner Lorbeer zierte,

Daß Spaniens Fürsten meine mächt'gen Freunde,
   Daß meinen Namen man sah früh erglänzen
   Im hohen Kreis der dichtenden Gemeinde,

Daß sie durch mich zu neuen, schönen Lenzen
   Erwacht geseh'n der Künste heitre Welten,
   Daß sie mich freudig nannten vor Terenzen

Und meinen Ruhm zu Seneca's gesellten;
   Das war es nicht — das nicht die Freudefunken,
   Die sonnengleich mir meine Bahn erhellten. —

Das Eine aber macht mich wonnetrunken,
   Und hätt' ich selber Todesqual gelitten,
   Das Eine" — Und in Sinnen tief versunken

Durchmißt die Zell' er mit erhitzten Schritten,
   Indes der Schatten an den dunkeln Wänden
   Wie eine düstre Tat ihm nachgeglitten.

Das Eine — schreibt Solis mit schwachen Händen,
   Und ruft es als ein dumpfes Echo wieder,
   In Angst, wie dieser Worte Spitzen enden.

"Das Eine," ruft Don Lope, "daß ich nieder
   Die falsche Saat des Ketzervolks getreten,
   Und daß ich als ein Kämpe, frei und bieder,

Verscheucht der Dichtung gleißende Propheten,
   Daß ich zerstreut als arme Bettlerrotte,
   Die sich in Spanien genannt: Poeten! —

Nun zieh'n sie hin zu ihrem eignen Spotte,
   Und müssen bettelnd durch die Länder streichen,
   Und fleh'n umsonst zu ihrem falschen Gotte,

Den sie gewähnt in edler Dichtkunst Reichen. —
   Vor Allen aber mußt' das mächtige
   Geschoß den schlechten Führer mir erreichen.

So sank Rueda auch in nächtige
   Verschollenheit, der Tück'sche, Lügnerische,
   Der Bettler nun — der Niederträchtigel"

""Der Niederträcht'ge?""— schrie's vom Schreibetische
   In wilder Wut, empörend, widersprechend,
   Als ob von dorthin durch die Lüfte zische

Ein spitzer Dolch, des Armen Schande rächend, —
   Doch stirbt der schrille Ton mit einem Male,
   In einem langen Todesseufzer brechend;

Und vor dem Meister liegt im Ampelstrahle
   Ein starrer Toter wie im Leichentuche. —
   Er starrt in's Antlitz ihm, das todesfahle,

Und liest in seiner Falten Unglücksbuche
  Von schwer ertragner Schande die Geschichten
  Und von der letzten Stunde argem Fluche —

Darum zerschmetternd mußt' es Lope'n richten,
   Da also eines Dieners Worte tönten:
   "Wie seid Ihr stark im Dichten und Vernichten!

Den jetzo Eurer Worte Stachel höhnten,
   Es ist Rueda, den Solis Ihr nanntet.
   Das Haupt der Dichter, der von Euch verpönten,

Und den Ihr auf des Elends Wege sandtet;
   Der Euch gedient, von Hungersnot getrieben,
   Und den, von Schmach entstellt, Ihr nicht erkanntet!" —

Noch glänzt am Blatt, was Jener hingeschrieben,
   In Lope's Brust jedoch beginnt's zu nachten;
   Ein leis' "Memento mori!" ist ihm blieben

Durch allen Glanz, den ihm die Jahre brachten;
Und wenn es ihn gemahnt in spätern Zeiten,
Da war's, wo seine Lippen bitter lachten,
Und klang es wie der Ton zerrißner Saiten.