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Idyllen 2
 

Der Blumenstrauß
Die Geretteten
Der Tanz
Der Flußgott
Die Rumford'sche Suppe

 

Der Blumenstrauß


                                  Siegmund:
Nein! sie schlummert zu süß; ich kann, ich darf sie nicht stören.
Wie so ruhig sie schläft, vom Haselstrauche beschattet!
Hochrot glüht ihr die Wang', und langsam hebet die Brust sich,
Und ihr Atem bewegt die Schlüsselblumen und Veilchen,
Die auf ihr schönes Gesicht und die braunen Locken sich neigen.
Sieben Monde hab ich sie nun nicht wieder gesehen!
Ach, sie dünkten mich schrecklich lang! Ob sie während der Zeit wohl
Sich des Entfernten erinnert, der schönen Tage gedacht hat,
Die bei vereintem Fleiß und fröhlichem Scherz uns entschwunden?
Jetzt bewegt sie die Hand! die Finger spielen im Grase,
Und sie seufzetl Ach Lenchen! Was gäb' ich, hätte der Seufzer,
Der im Traum dir entfloh, dem fernen Siegmund gegolten?
Aber wie ungestüm sie im süßesten Schlummer die Mücken,
Stören! Sie sollen es nicht. Ich breche den blühenden Zweig mir
Dort vom Akazienbaum, und scheuche die summende Brut weg.
Doch sie regt sich; sie öffnet die Augen!

                                  Lenchen:
Siegmund? Was seh ich? Träum' ich noch? oder —

                                  Siegmund:
Nein, Lenchen! Du träumst nicht. Gestern am Abend
Kam ich zum ältesten Bruder herüber, ihm in der Wirtschaft
Wie das vergangene Jahr zu helfen. Es mangeln beständig
Ihn arbeitende Händ', und klein ist zu Hause das Gütchen,
Und mein Vater, noch rüstig und stark, und der jüngste beschicken
Spielend das Feld, und lassen mich ziehn.
Doch, Lenchen, du sprichst nicht?
Zürnest du, Lenchen, mit mir? Seit zwei unendlichen Stunden
Sucht' ich im Dorfe dich schon, im Wald, auf den Wiesen, und nirgends
Konnte mein Blick dich erspäh'n. Schon wollt' ich traurig zurückgehn.
Aber ein Junge, der dort am Hügel sorglos ein Lied pfiff,
Wies in das Tal mich hinab. Ich stürzte den Hügel hinunter,
Fand dich im süßen Schlaf, und harrete froh des Erwachens.

                                  Lenchen:
Weist du, es war nicht fein, mich zu belauschen. Du hättest
Gehen sollen. Du hast mich im Schlafe gestört. Wenn uns jemand
Sähe, was würde man denken? Was wird der Junge sich denken,
Den du nach mir gefragt? Geh fort! ich bin böse.

                                  Siegmund:
Wie Lenchen?
Ist nach so langer Zeit, so viel durchseufzeten Tagen
Dies mein Empfang? Du schickest mich fort?
Leb wohl denn; ich will dir länger nicht lästig sein.

                                  Lenchen:
Mein Gott! So bleib doch nur, Siegmund!
Wie du gleich alles nimmst! Ich meint' es wahrlich nicht böse.
Sieh, ich war nur so bang. O blicke nicht mürrisch zu Boden;
Wirst ja wohl Scherz verstehn? Sei nicht empfindlich, und bleibe.

                                  Siegmund:
Soll ich? der Scherz war bitter!

                                  Lenchen:
Komm näher, Siegmund, und setze
Dich auf den Rasen zu mir. Sieh doch, wie üppig er aufschwellt,
Und wie die Blumen umher zum weichen Sitze dich laden!
Schmolle nicht länger, und laß von vergangnen Zeiten uns plaudern.

                                  Siegmund:
Lenchen! Was machst du mit mir, du Zauberin! Kann ich wohl schmollen,
Wenn du so freundlich bist, so gut? Hier bin ich. Erzähle.
Wie dir der Winter verging; ob des verflossenen Herbstes,
Ob du meiner gedacht? Ich zählte die traurigen Tage
Ach! so voll Ungeduld, voll Sehnsucht. Ich hatte sie alle
Zierlich in langer Reih' in Holz gekerbet, und jeden
Abend löscht ich ein Kerbchen aus, voll heimlicher Freude,
Kleiner wurde die Zahl, doch immer größer die Sehnsucht,
Mehr wohl als hundert Mahl zählt' ich die Kerben, denn immer
Schien mir's, ich hätte geirrt. Die langen Tage des Frühlings
Mehrten noch meine Qual, und ach! die letzteren Wochen
Wähnt' ich, es stünde still die Sonn' am Himmel, und könne
Nimmermehr untergehn.

                                  Lenchen:
Ich weiß wohl, Siegmund, man freut sich
Immer so sehr auf den Lenz, so sehr auf sein Blühen und Grünen,
Bringt er gleich Arbeit und Müh', er bringt auch fröhliche Tage,
Blumen, und Korn und Obst, und Tanz und Spiel bei den Festen.

                                  Siegmund:
Spötterin! Wie du mich quälst! Du weißt wohl, Lose, was diesmal
Mir den Winter so lang, so wert den Frühling gemacht hat
Aber dich kümmert es nicht. Ach, vorigen Herbst in der Lese
Warst du so gut und hold, und glaubtest, wenn ich dir zuschwur,
Daß ich des Frühlings nur um deinetwillen mich freute.

                                  Lenchen:
Wer dir auch glauben könnte! Nein, nein! Der Männer Gedächtnis
Reicht nicht so weit, und lang ist die Trennung von sieben Monden.
Aber, was schmücket da für ein hübsches Schnürchen den Hut dir,
Zierlich aus blauer Seid' und silbernen Fäden geflochten?
Wahrlich recht artig! Wer gab dir's?

                                  Siegmund:
Das ist doch endlich zu boshaft!
Kennst du das Schnürchen nicht mehr? Zwar so unwichtige Dinge,
Wie das Schnürchen, und der, den man's gab, sind leichtlich vergessen.
O das Mädchen, von dem ich's erhielt, war sanft und gefällig,
Neckte mich nie so bitter, sie hieß auch Lenchen! Doch Himmel,
Welch ein anderes Lenchen —

                                  Lenchen:
Still! Nicht geschimpft! Ich verbitt' es
Glaubst du, ich kenne das Schnürchen nicht mehr, das ich selber geflochten,
Selbst um den Hut dir geknüpft? Es freu't mich, daß du es wert hältst,
Daß du es trägst. Auch ich bewahre das seidene Band noch,
Das du beim Tanze mir gabst, als Schleife prangt es am Mieder
Von geblümten Damast mit silbernen Hacken und Schnüren,
Welches am Hochzeittag die selige Mutter getragen.
Nur zur heiligen Zeit, zu Ostern, Pfingsten und Weihnacht,
Oder am Erntefest, zur Kirmes trag' ich es selber.

                                  Siegmund:
Sieh! noch trag ich am Herzen den Strauß, den lange verwelkten,
Den du mir voriges Jahr am Rebenhügel gepflücket!
Fröhlich saßen wir dort mit Winzerinnen und Winzern
(Denn die Lese war reich, und strotzend schäumten die Kufen,)
Mitten im Schlehengebüsch; vor uns die scheidende Sonne,
Wie sie feurig und rot in die glühenden Fluten hinabsank,
Und wir geleiteten sie mit muntern Liedern zur Ruhe.
Da verlief sich dein Hund. Ich eilte fort ihn zu suchen.
Lange rief ich vergebens, und fluchte heimlich dem Tiere,
Bis er aus Brombeerstauden auf einmal wedelnd hervorsprang.
Freudig bracht' ich ihn dir, und erhielt zum Danke dies Sträußchen,
Von Zeitlosen und Astern; den späten Blumen des Herbstes.

                                  Lenchen:
Wohl erinnre ich mich noch; auch wie die Jungfer der Gräfin
Abends zum Tanze kam, mit stolzen Blick uns Alle
Ringsumher betrachtend. Es schien, wir wären zu schlecht ihr.
Du nur hattest das Glück, mit der hohen Dame zu tanzen,
Und da gab sie zuletzt mit höfisch gnädigem Lächeln,
Dir den prächtigen Strauß von späten Nelken und Rosen,
Künstlich im Treibhaus gepflegt, und mit breitem seidenem Bande
Ganz nachlässig geknüpft, vom Busen, welchen die Spitzen,
Ketten und roten Korallen kaum bis zur Hälfte bedeckten.

                                  Siegmund:
Richtig, und sagte dazu, ich sollte das Gras und das Unkraut
Wie die weise Mamsell dein Sträußchen zu nennen beliebte,
Nur wegwerfen. Das alberne Ding!

                                  Lenchen:
Du tatest es nicht. Siegmund!
O ich weiß es recht gut. Unachtsam legtest hernach du
In ein Fenster ihr köstlich Geschenk, und behieltest dein Unkraut.
Als sie beim Fortgehn nun verschmäht die Blumen erblickte,
Nahm sie sie zornig hinweg, zerriß den Strauß, und verteilte
Unter die gaffenden Kinder des Dorfs die prächtigen Nelken.
Aber du fandest am Boden das Band, das den zierlichen Strauß hielt,
Und du schenktest es mir. Ach, Siegmund! Ich danke dir minder
Für dein schönes Geschenk, als mein geehrtes Sträußchen.

                                  Siegmund:
Ach, mich ärgerte schon ihr Hochmut, wie sie hereintrat.
Ist nicht auch sie auf dem Dorf wie wir übrigen alle geboren?
Spielte sie nicht als Kind noch mit uns? Ihr Vater war Küster,
Aber weil sie der Gräfin die Haare kräuselt und Putz macht,
Bläht sich die Hoffart auf.

                                  Lenchen:
Ei laß das alberne Mädchen,
Und erzähle vielmehr, was du den Winter geschafft hast.
Hast du kein neues Liedchen gelernt, keins selber gedichtet?
Siegmund ist ja im Dorfe berühmt, als Dichter und Sänger.

                                  Siegmund:
Lieder weiß ich recht viel, mein Lenchen! War doch der Winter
Lange genug, und einsam und still mein Leben im Winter!
Wenn ich oft eingeschnei't in der Dämmerung dasaß am Ofen,
Denkend der vorigen Zeit, und schön vergangener Tage,
Reihten sich mir Gedanken und Reime von selber zu Liedern.
Aber was bietest du mir, wenn ich ein Stückchen dir singe?

                                  Lenchen:
Seht mir den Eigennutz da!

                                  Siegmund:
Umsonst ist der Tod nur, das weißt du.

                                  Lenchen:
Nun so singe nur erst, wir sprechen dann wohl von dem Lohne:

                                  Siegmund:
Blumen, teurer mir vor Allen,
Ihr, die mir mein Mädchen gab!
Ihr verwelket, langsam fallen,
Eure bunten Blätter ab,
Eure Farben sind verglühet.
Mein Geschick ist Euerm gleich:
Ach, es hat mit Euch geblühet,
Und es welket nun mit Euch!

                                  Lenchen:
Welch ein Gesang ist das? Weißt du nichts anders zu singen?

                                  Siegmund:
Höre nur aus.

                                  Lenchen:
Ich will nicht.

                                  Siegmund:
O Lenchen, wenn ich dich bitte!

                                  Lenchen:
Wohl, ich halte die Ohren mir zu. Jetzt singe nur weiter.

                                  Siegmund:
Sie, von der ich ferner klage,
Sie, die einst euch mir geschenkt,
Ob sie wohl der schönen Tage,
Des vergangnen Herbstes gedenkt?
O es schwand aus ihrem Herzen
Lange schon vielleicht dies Bild,
Daß noch immer, bald mit Schmerzen,
Bald mit Freude mich erfüllt!

Unschuldsvolle, süße Stunden
Meiner ersten Zärtlichkeit,
Die auf ewig mich gebunden,
Ihr, des Lebens schönste Zeit!
Werd' ich euch zurück erflehen
Werd' ich sie, die mich entzückt,
Ach, das Mädchen wiedersehen,
Daß mir diesen Strauß gepflückt?

Ja, wenn diese Wiesen grünen,
Die jetzt hoher Schnee versteckt;
Wenn umschwärmt von jungen Bienen
Sich der Baum mit Blüten deckt;
Wenn am Bach, vom West gefächelt,
Blümchen, eure Brüder, stehn,
Und der Lenz der Erde lächelt!
Dann, werd' ich mein Lenchen sehn!

Nun, wie gefallt dir mein Lied?

                                  Lenchen:
Geh — mir so etwas zu singen!
Nein, das ist wahrlich zu arg! Was denkst du denn?

                                  Siegmund:
Daß ich dich liebe,
So von ganzer Seele, so innig, ach, und so lange!
Daß du mir gut sein sollst! O wende nicht immer den Blick ab!
Sieh mich doch an! Wie Lenchen? Dir glänzt von Tränen das Auge?
O du bist mir doch gut. Du schweigst? Zum Zeichen der Freundschaft
Gib mir die Hand.

                                  Lenchen:
Ach Siegmund!

                                  Siegmund:
Geliebtes Lenchen!

                                  Lenchen:
O Himmel! Hörst du nicht rauschen? Man kommt.

                                  Siegmund:
Die Mäher gehen zur Arbeit.

                                  Lenchen:
Laß uns aufstehn! Ich möchte nicht gern, daß die Leute beisammen
Uns hier fänden. Wir geh'n durchs Erlengebüsch an den Bach hin,
Und sind dann noch vielleicht vor ihnen beim Heu'n auf der Wiese.

Die Geretteten
Eine Nachahmung von Virgils erster Ecloge

Heim aus der stärkenden Luft des winterlichen Spaziergangs
Durch die keimenden Saaten gekehrt, und den lichteren Buchwald,
Saßen im Dämmerschein des stille verlöschenden Tages
Traulich der Freiherr, des glücklichen Dorfs verehrter Gebieter,
Und sein treffliches Weib Amalia. Blühende Kinder
Scherzeten spielend um sie, und auf gepolsterten Schemel
Lag die geschmeidige Katz', und schnurrte behaglich im Schlafe.

Aber trübe Gedanken bewegten und mancherlei Sorgen,
Jetzo der Gatten Gemüt. Des Krieges blutige Flamme,
Welche so nah ihr stilles Gebiet, das lange geschonte,
Furchtbar lodernd umgab, des Jahrhunderts schauriger Ausgang,
Und die Zeit, an Ereignissen reich, und was ihr im Schoße
Ruhte, des Hauses Geschick, und des Vaterlands, und der Menschheit,
Waren ihr ernstes Gespräch: noch mehr der teuern Verwandten
Trauriges Los, die seufzend jetzt des drückenden Feindes
Lasten trugen, mit zagender Angst ihr Schicksal erwartend.
Und es blutet' Amalia's Herz, wenn der Jugend – Gespielin
Sie in den Tagen der Not gedachte, des schüchternen, sanften
Julchens, mit welcher sie einst, als früh verlassene Waise
Sorglich erzogen ward von Juliens Mutter, die zärtlich
Ihrer verlorenen Schwestern Bild in dem Kinde noch liebte.
Zwar als der siegende Feind, den schönen Lande sich nahend,
Seines Heeres gewaltige Flut schon über die Grenze
Wälzte, schrieb ihr Amalia gleich, und bot der Geliebten
Und der verehrten Tant' ihr Haus zur sicheren Zuflucht
Denn noch schützeten sie der Donau heilige Fluten
Damals, scheidend das stille Gestad, und des Gatten Besitztum,
Schöne Gefilde voll Ruh, von des Kriegs unseligem Schauplatz.
Aber noch harrt' Amalia bang der tröstenden Antwort,
Ungewiß, ob ihr Brief in der allgemeinen Verwirrung
Sicher zur Freundin gelangt, ob die Freundin wieder geschrieben.
Als sie noch sprachen, da hielt ein Wagen rasselnd im Schloßhof;

Stimmen ertönten von unten herauf, und freudiges Rufen,
Und sie eilten hinaus an die Fenster des Saals, und erkannten,
Von den Bedienten des Hauses umringt, von Fackeln umleuchtet,
Schnell den Wagen der Tant' und den Jagdzug. Voller Verwundrung
Standen sie noch, und bestürzt, da sahn sie, von der betagten
Kammerfrau und Johann den treuen Jäger begleitet,
Welcher als Kinder oft die Fräulein geschaukelt, im Walde
Beeren für sie gesucht, und manches Eichhorn gefangen,
Julchen, das holde Geschöpf, dem Reisewagen entsteigen.

Als sie die Freundin erblickte, da eilt' Amalia freudig,
Sie zu empfangen hinab, und wie von Bruder und Schwester
Ward von dem trefflichen Paar sie mit warmer Liebe bewillkommt.
Fröhlich umhüpften die Kinder die Kommenden, küßten und herzten
Bald das gefällige Julchen, und bald den rüstigen Alten,
Den von der Tante Schloß sie kannten und liebten. Der Freiherr
Und Amalia grüßten nun auch die gute Therese,
Und den treuen Jobann, und hießen sie freundlich willkommen.
Aber nachdem der Baron für Pferd' und Wagen und Leute
Sorglich Befehl erteilt und alles geordnet, da führten
Sie im Triumphe den lieben Gast hinauf in die Zimmer.

Herzlich umarmten sich hier die Freundinnen wieder, und während
Julchen aus Bärenmuff und Pelz und schirmenden Schleier
Sich mit Amalia's Hilfe entkleidete, ergoß sich in Fragen
Und im freundlichen Forschen das Herz der lange Getrennten.
Und das sanfte Julchen begann mit lieblicher Stimme:
Wie es die Zeit uns erging ihr Lieben, und was wir erduldet,
Wieviel Drangsal und Not und Schrecken und Schmach und Gefahren,
Fordert nicht, daß ich getreu euch schildere. Manches vergaß ich
Wirklich im raschen Gedräng der stets sich wandelnden Szenen,
Manches begrub mit Bedacht ich in ewiger Vergessenheit Dunkel;
Denn es empört sich mein Herz bei den schrecklichen Bildern, und schauernd
Bebet die Seele zurück den alten Schmerz zu erneuern.
Ach ihr lebet in Ruh! Ihr Überglücklichen wißt nicht,
Ahnet das Elend nicht, das uns Gequälten der Krieg bringt!
Wie so manche, vom Feinde gedrängt, die heimischen Fluren
Flieh'n, und daß süße Gefild, wo zuerst ihr Auge das Licht sah!
Andere kaum aus der Glut, die ihren Wohlstand, die Hoffnung
Ihrer Kinder verzehrt, das nackte Leben sich retten!

Aber, fiel in die Red' ihr Amalia: Sage mir Liebe,
Warum flohest du nicht, den Gräuelszenen entweichend,
Längst herunter zu uns in die stille Gegend, wo sehnlich
Dein und der gütigen Tante wir harreten? Traf dich mein Brief nicht,
Wo zur Rettung und Flucht ich euch so dringend ermahnte?
Wohl erhielt ich den Brief, erwiederte Julchen: doch Liebe!
Weiß denn immer der Mensch, was in künftigen Tagen ihm frommet?
Oftmals faßt er den Schluß nach langer Prüfung, den besten,
Weislichsten — siehe! da wendet sich schnell der Ereignisse Rad um,
Und in Torheit verkehrt ist sein klügstes Sinnen und Trachten.
Also erging es auch uns. Wie sich dem Lande die Feinde
Näherten, dachten wir nicht zu fliehn; es standen die Unsern
Noch an den Felsengestaden des Inn, in den Bergen von Salzburg.
Auch war auf jeglichen Fall, was immer das Schicksal uns brächte,
Und der Menschen verderbende Krieg, die Mutter entschlossen,
Nicht zu verlassen ihr Schloß, und die Untertanen, und redlich
Gutes mit ihnen zu teilen und Böses, immer noch hoffend,
Das in der Ihrigen Schoß, und in eignem Besitze sie findend,
Sie mit Achtung der Feind, und schonender Milde behandle,
Ehrend das schöne Vertrau'n, und des Gastrechts heilige Sitte.

Aber uns lebt' in der Brust noch stets ein Schimmer von Hoffnung,
Drohung nur sei die Gefahr, es werde der göttliche Friede,
Retten das Land, und das reiche Gefild vor Verheerung bewahren.
Ach, nur zu bald entschwand die süße Täuschung, und furchtbar
Weckt' uns die Wirklichkeit auf mit ihren Schrecken. Die Feinde
Drangen siegend heran, und mit dem Mut der Verzweiflung
Kämpfend, wich unser Heer von allen Seiten zurücke.
Und nun zog es in fliehender Eile, mit Rossen und Wagen,
Mit Gepäck und Geschütz und Verwundeten, durch die erschrocknen
Dörfer hinab. Wir sahen den Zug. Der Verwundeten Wimmern,
Und der Weiber Geheul, die Verwirrung, das wilde Gedränge —
Nimmer wird das entsetzliche Bild aus der Seele mir schwinden!
Kaum daß die Häuser des Dorfs, und des Schlosses Gemächer die Menge
Fasseten, welche sich täglich erneu'te durch Kommen und Fortziehn.
Aber wir trugen es gern. Es waren ja Brüder und Freunde,
Unser tapferes Heer, das uns so lange, so mächtig
Schützete. Willig spendeten wir, was wir immer vermochten,
Warme Speisen und Wein, und weiche Betten und Linnen,
So nach Kräften erleichternd das Los unglücklicher Krieger.
Doch wie jetzo der Feind dem Dorfe nahte, die Unsern
Sich mit der letzten Macht entgegen stemmten, und donnernd
Nun das Gefecht an der Gartenmauer, und unter den Fenstern
Unserer Zimmer begann das, Liebe! laßt mich verschweigen.
Laßt mich des schrecklichen Tags Erinnerung ewig vergessen,
Der die Besinnung mir, der fast das Leben mir raubte.
Hier schwieg Julchcn erschöpft. Es flossen Amalia's Tränen,
Und der Freiherr drückte die Hand des leidenden Mädchens

Schweigend und mitleidsvoll. Und nun begann sie von neuem:
Siegreich zogen die Feind' ins Schloß. Wir empfingen mit Demut,
Und mit Artigkeit sie, wie armen Besiegten es ziemet,
Forschend nach ihrem Befehl, und den fremden Geboten uns fügend.
Und sie wählten sogleich die schönsten Zimmer im Schlosse,
Jene freundlichen, welche du kennst, mit der prächtigen Aussicht
Über den spiegelnden See, bis an die Felsen des Traunsteins,
Schalteten dort als Gebieter und Herrn, und was sie nur heischten,
Was sie voll Übermut, oft mit trunkenen Sinnen begehrten,
Mußten, wie kostbar es war, wie selten, wir ihnen verschaffen.
Bald ertönte das stille Schloss, der Wohnsitz der Ruhe
Nur von Gelagen und Schwelgerei'n, und nächtlichen Schmäusen,
Welche das Auge noch sah des spät erwachenden Tages.

Mancher Freve! auch wurde verübt. Bald reizte des Landvolks
Unbesonnene Kühnheit den Feind: dann loderten Hütten, Scheuern
Und Speicher empor mit heller Flamme zum Himmel.
Oder man fand im Wald die Leichen erschlagner Franzosen,
Und wir zitterten bang vor der ihrigen Rache. So brachte
Jeglicher Tag uns neue Gefahr und neues Entsetzen.
Sichtbar litt mein Gemüt, und meine Gesundheit. Die Mutter
Sann nun ernstlich darauf mich zu entfernen, und jetzo,
Da ein glücklicher Tag den ersten Schimmer des Friedens
Unserm seufzenden Lande gebracht, und das Waffengetümmel
Nun auf einige Wochen verstummte, sandte sie eilig
Mit Johann und Theresen, den treuen Seelen, die manches,
Liebes und Leides erlebt und erduldet in unserem Hause,
Mich herunter zu euch, O wie ist Alles hier anders!
Wie so ruhig und still! Euch, Glückliche, ängstigt der Feind nicht,
Störet kein Schrecken, kein Greu'l im Genuß des häuslichen Friedens!
Alles ist unversehrt, und alles verkündigtet Ruhe!

O mein Julchen! die Ruh hat uns ein Engel gegeben!
Rief Amalia schnell mit Freude strahlenden Blicken:
Denn das wird er uns ewig sein, ein Engel des Friedens,
Welcher das zitternde Land beschirmete, und der Verwüstung
Schrecklich drohendem Strome gebot: Bis hieher und nicht weiter!

Ja, fiel der Freiherr ein, und der siebenundzwanzigste Morgen
Dieses Monds, der so schrecklich begann, und nun so voll schöner
Hoffnungen endet, für uns und die ganze leidende Menschheit,
Soll mir ein Festtag sein. So oft die rollenden Stunden
Wieder zurücke den Tag, den unvergeßlichen, bringen,
Wollen wir unserer Rettung uns freu'n, der erhaltenen Ruhe,
Des gesicherten Glücks, und das Angedenken des besten
Menschlichsten Helden mit Dank begehn, und inniger Rührung.
Herrlich strahlet der Tag bei Zürch, und jener bei Würzburg
Hin bis zur fernsten Zeit des Enkels: aber in mildern,
Wärmeren Lichte glänzt die Morgenröte des Friedens,
Die, ein freundlich Gestirn, Verkünderin besserer Zeiten,
An dem Himmel voll Nacht der Arm des Helden heraufführt;
Und ihm schlingt um das Lorbeerreis, und die Krone von Eichlaub,
Die der Erhaltenen Leben ihm dankt, sich der friedliche Ölzweig.

Seht ihr, rief Julchen jetzt, indem ein heiteres Lächeln
Ihre Züge verklärt', und die feuchten Augen ihr glänzten;
Seht ihr, daß ich mit Recht euch überglücklich gepriesen?
Er, des Jahrhunderts Stolz, des Vaterlandes Erretter,
Er, so groß als Feldherr und Mensch, wird in eurer Mitte
Wohnen, ihr werdet ihn sehn, ihr werdet mit stolzer Freude
Fühlen, dass er euch angehört! O in unseren Leiden,
Unter dem härtesten Druck des Siegers war es uns Labsal,
Trost und Vergnügen sein Lob, das unbestochenste, reinste,
Aus dem Munde des Feinds zu hören! Neulich beim Mahle,
Ach, wie ward mir das Herz so groß! wie schlug es so freudig,
Als sein Name, sein Ruhm von ihren Lippen ertönte,
Als sie uns sagten, nur ihm, nur seinen Tugenden dankten
Wir der ruhenden Waffen Glück, und die Hoffnung des Friedens!

Ja, die danken wir ihm, und wer für häusliche Freuden,
Rief der Freiherr aus, für vaterländische Sitte,
Für den eigenen Herd Gefühl hat, wird sie ihm danken,
Wird mit Ehrfurcht stets und Liebe den teuren Namen
Nennen, und keine Zeit, und keine Verhältnisse schwächen
Ihm in der treuen Brust das Bild der unendlichen Wohltat.

Recht, ihr Lieben! Er wäre nicht wert ein Deutscher zu heißen,
Nicht der Segnungen wert aus des Friedens spendendem Füllhorn,
Könnt' er, erwidert Amalia drauf, sie jemals vergessen.
Aber ihr redet so heftig, so viel, und mein leidendes Julchen
Ist von der Reis' erschöpft, und dem lange getragenen Kummer.
Komm denn Liebe, zum Kaffeetisch, und nimm mit den kleinen
Vesperbrote vorlieb, wie es die Eile bereitet;
Zwar nur ein ländliches Mahl, kein teurer Requisitionsschmaus
Aber gewürzt durch stillen Genuß, durch Freundschaft und Liebe,
Und die Erinn'rung an Ihn; dem wir dies Alles verdanken.

Der Tanz
An das Fräulein Gabriela von Baumberg

Sanfte Dämmerung floß zur Erde nieder. Des Abends
Purpur schwand in rötliches Grau. Von tauigen Wiesen
Hob sich Nebelgedüft, und einzeln traten die Sterne
Matt noch schimmernd hervor, aus der blauen Tiefe des Himmels.
Dort auf dem Wiesengrund, den dunklen Tannen, und heller
Lärchen gefiedertes Grün umkränzet, sammeln die Hirten
Heute sich alle zum festlichen Tanz. Durch luftige Wipfel
Schimmert ein hohes Gezelt, und bunte Bänder und Kränze
Flattern rauschend daran, ein Spiel mutwilliger Lüfte.

Bunt, mit Blumen geschmückt, dem bescheidnen Putze der Hirtin,
Kommen die blühenden Mädchen zum Fest. Gesang und Schalmeien,
Von der Jünglinge Lippen beseelt, ertönen, und ihrer
Jugend, der guten Zeit! gedenkend, sitzen die Alten
Fröhlich im Zelt, und weiden den Blick an Kindern und Enkeln.

Daphnis, der trefflichste Sänger umher, der Jünglinge schöner,
Hatte die Reihen wohl sonst mit seiner Leyer geführet.
Aber einsam und schwermutsvoll vermied er die Feste
Jetzt, und den fröhlichen Schwarm, und in düstern Hainen und Grotten
Tönte der Silberklang der Saiten, weckte der Stimme
Süßer, schmelzender Laut die Schwesterklage der Echo.
Denn er beweinte Melidens Verlust, der Inniggeliebten,
Sie, die schön war wie Rosen im Tau, und sanft wie des Haines Taube.
Sie liebten sich schon in der Kindheit seligen Tagen,
Und mit den Jahren erwuchs zum Baum die kindliche Pflanze.
Sonst erschien sie beim jährlichen Fest der versammelten Hirten.
Daphnis spielte die Leyer alsdann, und sang zu Melidens
Leichtem geflügeltem Tanz die lieblichsten Weisen, und schöner
Schwebte die holde Gestalt dahin nach den Tönen des Jünglings.

Armer! Dir nicht allein war Melida reizend! Es sah sie
Nicias neulich beim letzten Fest, der reiche Besitzer,
Welchen die Triften umher unzählige Herden bedecken.
Lüstern irrte sein Aug auf ihrer Schönheit; er schwur sichs,
Sie um jeglichen Preis zu besitzen. Reiche Geschenke
Bot er ihr jetzo, köstlich Geschmeid' und was in den Städten
Üppige Frauen erfreu't und eitle Mädchen betöret.
Ungeblendet vom Glanz verwarf Melida die Gaben,
Da entbrannte sein wütender Zorn; in nächtlicher Stille
Raubt' er sie halb mit List und halb gewaltsam, und schleppte
Sie in die goldene Stadt, wo des Landes Mark er verschwelgte,
Hilflos seufzte sie dort umringt von Gefahren; ihr Jüngling
Klagte verlassen um sie, und vermochte nicht sie zu retten.

Heute hatten mit sanfter Gewalt, wie sehr er sich sträubte,
Ihn zum Feste die Hirten geführt. In trüben Gedanken
Stand er, gelehnt an den Stamm der überhangenden Tanne.
Reizend entfalteten sich vor seinen Blicken die Tänze;
Munter schallte der Wechselchor und die hellen Schalmeien;
Fröhliches Lachen und Scherz belebte das Fest, und so manches
Fühlende Mädchen warf verstohlene Blick' auf den schönen,
Trauernden Jüngling hin, und hätte, wie gern! ihn getröstet.
Aber Daphnis bemerkte sie nicht. Kaum daß er die Tänze
Sah, und die Lieder vernahm. Weit von dem fröhlichen Schwarme
Irret sein trauernder Geist, es schwebte die ferne Geliebte
Hell vor des Jünglings Blick; und lauter pochte das Herz ihm,
Wenn im wechselnden Reihentanz ein ähnliches Mädchen
Ihn die geliebte Gestalt mit lebendigem Zauber hervorrief.

Jetzo ruhte der Tanz. Es schwieg der Chor und die Flöte,
Jüngling' und Mädchen zerstreueten sich auf dem blumigen Anger.
Über den schwärzlichen Kieferwald erhob sich die volle
Scheibe des Monds. In weiß gekleidet wallten die Mädchen
Leicht und schimmernd einher, wie Elysiums selige Schatten.
Zwei der blühendsten naheten jetzt dem Daphnis, und baten
Ihn mit freundlichem Ton, ein Lied zur Leyer zu singen.
Aber Daphnis begann: O fordert, liebliche Mädchen!
Keine Gesänge von mir: ich weiß kein fröhliches Lied mir,
Und ein Klagegesang würd' eure Freud verstimmen.
Sing' uns immer, antwortete drauf, indem sie mit leisem
Drucke die Hand ihm berührte, die Schönste: Sing' uns, o Daphnis!
Immer ein trauriges Lied. Man hört gern ernste Gesänge,
Wenn die stille Natur, die Nacht, des kommenden Mondes
Milder Schimmer das Herz zu ernstern Empfindungen stimmen.

Jetzo traten die Hirten hinzu, umringten ihn bittend,
Drangen mit freundlichem Ungestüm, bis endlich der Jüngling
Überwunden den Bittenden wich. Ich will euch ja singen,
Sprach er mit freundlichem Ton, und gefälligem Lächeln: doch spielen
Kann ich nicht, da die Leyer mir fehlt. Da nahte das Mädchen,
Welches zuerst ihn bat, und legte die Leyer, mit schönen
Bändern und Kränzen geschmückt, errötend ihm in die Arme.
Und der Jüngling empfängt mit warmen Dank sein bekränztes
Saitenspiel aus der lieblichen Hand. In feiernder Stille
Ruht die Gegend umher. Nur Grillen zirpen im Busche,
Oder ein Heupferd rauscht durchs Gras. Es lagern die Hirten
Sich auf dem tauigem Rasen herum. Gelehnt an der Tanne
Rötlichen Stamm steht Daphnis sinnend. Hellen Schimmer
Gießt der Mond auf die schlanke Gestalt, die Züge voll stiller
Trauer, und er beginnt, und rührt die bebenden Saiten:

Einsame Grille! Du zirpst so traurig! Klaget dein heis'rer
Laut des Gespielen Verlust, welchem der Lenz dich vereint?
Der in Blumen und Tau mit dir des Lebens sich freute?
O ich verstehe den Gram, welchen dein Lied mir verrät!
Tief bewegt er mein Herz, denn ach! sie ist mir entrissen,
Die ich so innig und treu, mehr als mein Leben geliebt!
Klage, du Gegend, mit mir, die einst Melida verschönert!
Nimmer sucht sie die Nacht deines verschwiegenen Hains!
Nimmer spiegelt ihr Herz sich in deinen kristallenen Bächen!
Nimmer schwebet ihr Fuß leicht im geflügelten Tanz,
Wenn dein frühliches Fest erscheint! Sie ist mir entrissen,
Die ich so innig und treu, mehr als mein Leben geliebt!

Dort am beschatteten Bach, wo die Silberpappeln im Mondlicht
Glänzen, stehet verwaist, einsam ihr Hüttchen im Tal.
Ängstlich picket die Turteltaub' ans verschlossene Fenster,
Wo aus Melidens Hand täglich sie Futter empfing.
Öd und verlassen liegt das Gärtchen. Wucherndes Unkraut
Hat die Blumen verdrängt, die sie so sorglich gepflegt.
Alles welket und stirbt; denn ach, sie ist uns entrissen,
Die ich so innig und treu, mehr als mein Leben geliebt.

Abendlüftchen! Du spielst so sanft in den Locken der Stirne,
Trocknest die Tränen, die heiß mir auf die Leyer gebebt!
Bist du ein Seufzer Melidens? Hat dein gefälliges Säuseln
Ihre Wangen umweht? Kommst du, o Lüftchen, von ihr?
Oder lispeltest du mit leisem Hauch in den Blumen,
Welche das grünende Grab meiner Melida umblühn?
Ach, es hat sie vielleicht schon längst der Kummer getötet,
Und ein Hügel bedeckt schützend die treueste Brust, Meine Melida! —

Hier schwieg der Sänger. Strömende Tränen
Hemmten der Stimme zitternder Laut. Es ehrten die Hörer
Feierlich schweigend des Jünglings Gram. Antwortende Seufzer
Flüsterten rings umher, und in den Augen der Mädchen
Glänzte der schönste Lohn des Sängers, Tränen der Rührung.
Plötzlich rauscht es im Busch von hastigen Schritten; es trennet
Eine Nymphengestalt die Versammlung, und mit der Freude
Aufruf stürzet in Daphnis Arm Melida, die mutig
Ihrem Räuber entfloh, vom Gott der Liebe geleitet.
Bebend, sprachlos hält im zitternden Arm sie der Jüngling,
Fürchtet zu träumen, und nur der Menge jauchzender Zuruf,
Nur der geliebte Ton der Wiedergeschenkten erweckt ihn
Endlich zum vollen Genuß des unaussprechlichen Glückes.

Der Flußgott
An die Freiin Henriette von Tinti, geborene von Mertis

Lilla war jung und schön. Im weißen leichten Gewande
Schwebte sie über die Flur, dem Morgennebel vergleichbar,
Wenn ihn ein leiser West beblümte Wiesen hinabhaucht.
Feurig strahlt' ihr dunkles Auge, die blühenden Wangen
Und den ründlichen Hals beschattete finstres Gelocke:
Aber höher, als jeglicher Reiz der Schönheit und Jugend,
Schmückte Gefälligkeit sie, und der Unschuld lauterer Frohsinn.
Seufzend warben der Hirten viel um das liebliche Mädchen;
Manche fleheten laut, die Meisten klagten verborgen.
Damon brannte für sie, der ernstere Jüngling, der niemals
Sich in die Freuden der Hirten gemischt. Von Tänzen und Spielen
Wandt' er tiefsinnig den Schritt und irrt' in einsamen Hainen
Oder am stillen See, den der Mond bestrahlte. Da lauscht er
Oft mit glühender Stirn den Liedern, welche die Muse
Willig dem Dichter sang in hoher Begeisterung Stunden.
Unzertrennlich begleitet ihr Bild, seit er Lillen gesehen,
In in den einsamen Hain, ans Ufer des spiegelnden Sees.
Immer stand sie vor ihm, die schwebende Grazienbildung;
Immer sah er ihr Lächeln, und seine Leyer ertönte,
Wenn der Tag sich erhob, und wenn er sich neigte, von Lillen.

Keiner der Jünglinge glich an Mut dem kühnen Alcindor,
Wenn er auf seinem Gebirg die bräunlichen Hirschen verfolgte,
Oder die Fluren durchflog, vom schnaubenden Hengste getragen.
Aber obgleich sich des Jünglings Herz in Gefahren ergötzte,
Schlug es edel und gut, voll standhaft zärtlicher Liebe.
Fünfmal hatte der Lenz zum Walde die Jäger gerufen,
Fünfmal hatte die Jagd im Herbst die Hügel durchtobet,
Seit Alcindor für Lillen entglühte. Den teueren Namen
Trugen die Bäume des Forsts in zarte Rinde gegraben,
Und der Widerhall lernte von ihm, für Lillen zu seufzen.

Aber nicht Menschen allein, auch Götter entflammte der Liebreiz,
Und für die Sterbliche glüht' ein unsterblicher. Wo das Gewässer
Rauschend den schroffen Felsen entstürzt im geräumigen Becken
Unten sich sammelt, und rings von dunkeln Büschen beschattet,
Rings von duftenden Blumen umblüht, in lieblicher Kühlung
Wie ein verborgener Spiegel ruht, dort weilten die Mädchen
Öfters, und Lilla mit ihnen. Sie lockte die Nacht der Gebüsche,
Und des fallenden Wassers Geräusch. Wenn die offenen Felder
Sengend der Mittagsstrahl durchblitzte, die Hirten den Schatten
Suchten, da trieb auch Lilla die Lämmer ans Ufer, und harrte
Unter Geschwätz und Gesang der milden Stunden des Abends.
Oder wenn purpurn der Mond in Osten heraufkam, sein Strahl dann
Zitternd durchs Laubgewölb den Wasserspiegel begrüßte,
Lauschte sie oft dem Gesang der Nachtigall, und es erfüllte
Süße Sehnsucht ihr Herz. Da sah sie der heilige Flußgott,
Als er einst am Mittag aus der wirbelnden Tiefe herauffuhr,
Unter den Mädchen die Schönste. Er sah sie und brannte. Doch Lilla
Achtete des Unsterblichen nicht, der flammenden Liebe
Nicht, und der reichen Geschenk' aus vollen Händen geboten;
Denn sie hatte schon lange gewählt. Die rührende Treue
Ihres Alcindor, sein Mut, sein männlich gebändigtes Feuer
Hatte ihr Herz ihm ersiegt. Die Frohe wählte den Frohen,
Hing mit jeglichem ihrer Gedanken an ihm, und vergalt ihm
Jedem durchseufzeten Tag mit überschwenglicher Liebe.

Tief im Herzen den tödlichen Pfeil, der sein Leben verletzte,
Zog sich Damon zurück, als Lilla den Tapfern ihm vorzog.
Seinen Lippen entfloh nicht Klage, noch Seufzer. Die Haine
Nur, und die Felsen sahen sein Leid, denn finster und schweigend
Floh er die Menschen, stolz, um Lillens Mitleid zu reizen.
So nicht der Gott. Voll Trotz auf übermenschliche Gaben,
Hofft' er noch immer dem sterblichen Mann das Mädchen zu rauben.
Was unedlere Liebe nur eingibt, Bitten und Dringen,
Stürmische Klagen, und reiche Geschenk', und Drohungen endlich,
Alles versucht' er ihr Herz zu bewegen: doch Alles vergebens.
Oftmals lag er am Rande der Flut, und wenn Lilla nicht fern war,
Sang er dem staunenden Hain die Glut, die sein Inn'res verzehrte.

Stürze wild vom Felsen nieder,
Rausche, weiß beschämte Flut,
Laut in deines Herrschers Lieder!
Denn ich singe meine Glut.
Ja, ich singe diese Liebe,
Die mein Innerstes durchwühlt,
Diese heißen Flammentriebe,
Die Vernunft und Zeit nicht kühlt.

O der Reiz, der mich entzücket,
Bringt um Ruh und Frieden mich.
Lilla, seit ich dich erblicket,
Kenn' ich, denk' ich nichts als dich!
Meine vollen Wangen schwinden;
Meiner Haare helles Grün
Geh' ich Wellen, geh' ich Winden
Unbegrenzt zum Spiele hin!

Komm, und heile meine Schmerzen!
Komm! Ich biete dir zugleich
Herrschaft an in meinem Herzen,
Und in meinem nassen Reich.
Wohnt' in flüssigen Kristallen,
Teile, was die Flut mir zollt,
Schmücke dich mit Seekorallen,
Trink' aus Muscheln, speis aus Gold!

Kann ein sterblich Mädchen wagen,
Solche Gaben zu verschmäh'n?
Soll ein Gott verlassen klagen,
Und um Gegenliebe flehn?
Soll ich betteln um erbarmen?
Zittern, wenn dein Blick mir dräu't?
Harret nicht in meinen Armen
Deiner die Unsterblichkeit?

Kannst du wohl noch Höher's fordern?
Liebt ein Sterblicher wie ich?
Kennst du dieser Flamme Lodern,
Und verwirft dein Leichtsinn mich?
O ich weiß, wer dich mir raubet,
Wer begünstigt für dich glüht,
Wenn ihr gleich euch sicher glaubet,
Weil kein sterblich Aug' euch sieht!

Zittre für Alcindor's Leben,
Zittre, Grausame, für dich!
Nie wird ihm mein Haß vergeben,
Und ein Gott rächt schrecklich sich.
Meine lang verschmähte Treue
Wandelt endlich sich in Wut,
Dann versöhnt nicht Schmerz und Reue,
Dann versöhnet mich nur Blut.

Also drohte der Gott. Doch unerschütterlich hörte
Lilla sein Drohn, und hing mit schönerer Treu an Alcindorn,
Welchen teuerer noch des Gottes Drohung ihr machte.

Dicht an des Beckens Rand im dämmernden Schatten entsproßte
Willig dem feuchten Grund der Erdbeeren saftige Würze,
Prangend im glühenden Rot. Da kamen in tauiger Kühle
Früh die Mädchen herbei, und Lilla mit ihnen. Sie trugen
Niedliche Körbchen am Arm, und unter Lachen und Scherzen
Wallten am Ufer sie hin, die duftigen Beeren zu pflücken.
Da vernahm sie der Gott in der Tiefe der Wasser, und lange
Schon auf Tücke bedacht, und Rache, hob er sich plötzlich
Rauschend aus seinen Fluten empor. Mit nervigen Armen
Faßt er Lillen, und reißt das erschrockne bebende Mädchen
Unter die Wellen hinab. Laut schreiend eilen die Andern,
Ihrer Freundin zu helfen, und sehn voll Erstaunen, wie Lilla,
Zorn und Liebe gaben ihr Kraft, sich den Armen des Gottes
Mutig entringt, und ans Ufer sich rettet. Jauchzend empfangen
Sie die frohen Gespielen, und schallendes Hohngelächter.
Tönet dem Gotte nach, der ob seiner mißlungenen Tücke
Zürnend unter die Fluten taucht, das schäumend das Wasser
Weit hin das Ufer bespritzt. In hohem Triumphe begleiten
Jene das träufelnde Mädchen zurück. Es eilet die Sage,
Schnell mit geflügeltem Fuß umher in der Gegend, und Alles
Lachte des drohenden Gottes, und pries die mutige Lilla.

Und wer schildert Alcindors Gefühl, sein hohes Entzücken,
Als er gerettet und treu, sein Mädchen im liebenden Arm hielt!
Aber der Gott voll Scham verbarg sein Haupt in der Erde,
Suchte verborg'ne Klüft', und kam fern von den verhaßten
Stätten, den Zeugen verschmähter Lieb' und mißlungener Rache,
Mit verändertem Namen spät an das Antlitz der Sonne.

Die Rumford'sche Suppe

Traurig neigte die welke Natur sich dem kommenden Winter,
Und dem eisernen Schlaf im Arme des Frostes entgegen.
Wenig Blätter zitterten nur in den Wipfeln des Haines,
Einzelne Halmen Gras auf staubigem Anger. Die Erde
Klafft' in gähnende Spalten zerlechzt, durch durstende Pappeln,
Schlich im vertrockneten Bett die matte Quelle, und Alle
Zeugete von der verheerenden Macht des wütenden Sommers,
Welcher mit tropischer Glut die schmachtenden Fluren versengte.

Banger Ahnungen voll blickt' in die Zukunft der Landmann;
Denn es standen die Scheunen ihm leer, und trocken die Kelter.
Kaum, daß der Erde Schoß, vom Sonnenstrahle gespalten,
Und nur selten vom Tau erquickt, und befruchtenden Regen,
Kärglich, auf dünnem Halm, in ragender Ähre, die Aussaat
Wieder zurück ihm gab, die er einst in fröhlichen Tagen,
Hoffend auf besseren Lohn, den dunkelen Furchen vertraute.

Aber finster und trüb, von Winden umheult, und das düstre
Antlitz in Nebel gehüllt, kam nun die gefürchtete Jahrszeit
Näher und näher heran. Des Eichwalds Wipfel erseufzten
Unter dem beugenden Sturm, kein Strahl der Sonne belebte
Freundlich den traurigen Tag, kein Stern die zögernden Nächte;
Und so lange vergebens erfleht, entströmte der Regen
Rauschend dem düstern Gewölk, zu spät der erstorbenen Erde
Nicht mehr nährenden Schoß, mit unzeitiger Nässe befeuchtend.

Jetzt in den engeren Raum der Zimmer verschlossen, am Schreibtisch,
Nach dem erquickenden Wehn des mild erwärmenden Ofens
Saß mit gefurchter Stirn der Freiherr: denn er gedachte,
Tief im innersten Herzen bewegt, des Jammers der Seinen,
Dachte der drohenden Not, und des Wintes schreckender Länge.
Was nur immer entbehrlich ihm war an Samen und Früchten,
Und an jedem Geschenk der Nahrung gebenden Erde,
Spendet' er liebreich den Ärmeren aus; doch hatten nur sparsam
Ihm die Felder gelohnt, und die Gärten vom Sommer versenget,
Enge beschränkend die Kraft, bei unendlichem Willen zu helfen.
Nicht erfreuet ihn jetzt der lehrenden Toten Gesellschaft,
Nicht der lieblichen Kinder Geschwätz, die ihn fröhlich umschwärmten,
Nur in das treue Gemüt der liebenden Gattin ergoß sich
Gern sein Sorgen belastendes Herz, und fühlte sich leichter.

Sieh, da erschien aus der Stadt, von des Freiherrn Bruder gesendet,
Der ihn mit neuen Büchern und Zeitungen stets, und Journalen
Reichlich versah, ein köstlich Geschenk für den einsamen Winter
Jetzt ein gewaltig Paket, und verhieß willkommne Zerstreuung.
Aber Amalia lös'te der Schnur verschlungene Knoten
Schnell mit geschäftiger Hand, und durchblickte flüchtig den Inhalt;
Reichte die Zeitungen dann, und politischen Blätter dem trauten
Vielerfahrnen Gemahl, und ergriff mit sichtlicher Freude
Ahnend den frohen Genuß, was an der geehreten Stirne
Strahlende Namen trug, die jüngsten Blüten der hohen
Trefflichen Sänger, die spät des Enkels Enkel bewundert.

Also saßen sie dort und genossen. Aber auf einmal
Sprang mit freudigem Blick der Freiherr auf von dem Schreibpult,
Reichte der Gattin ein Blatt, und sprach die geflügelten Worte:
Lies, und freue dich, teuerstes Weib, und segne des Edlen
Andenken mit mir, der tausend Tränen getrocknet,
Tausend nagende Sorgen um tägliche Nahrung gestillt hat!
Mir auch lös't er den Kummer vom Herzen, zeigt für die Meinen
Fröhliche Hoffnungen mir, läßt in die geborgene Zukunft
Heiteren Blickes mich schau'n, und verheißt mir glückliche Tage.
Wenn vor des Hungers Oual so kräftig geschützet, der Landmann,
Nicht mehr ein zitterndes Spiel der Elemente, das Schicksal
Seiner Saaten, des Fleißes Lohn, mit gelaßnerem Mute
Aus der waltenden Hand der weisen Vorsicht erwartet;
Wenn für geringen Preis, mit leichter Mühe, sich künftig
Tausend fleißige Menschen ernähren; wenn aus der Armut
Hütten der Mangel entweicht, und mit dem Mangel die niedern
Laster, zu welchen die Not, die unerbittliche, zwinget;
Dann verdanken wir froh das Glück der veredelten Menschheit
Deinem erfindenden Geist, o Rumford! der du des Segens
Unversiegbaren Quell in leicht erworbener Speise,
Einfach und still, wie ein Werk der hehren Natur, uns bereitest.

Hast du das Blatt gelesen, Amalia! hast du gesehen?
Wie in Hamburg, in England jetzt, und in der zerstörten,
Ach einst glücklichen Schweiz mit dem nährenden Breie sich täglich
Millionen von Menschen erhalten? Laß uns dem schönen
Beispiel folgen, geliebtestes Weib! Laß heute noch eifrig
Uns beginnen das Werk, daß die guten Bewohner des Dorfes
Bald die gesegnete Frucht der treuen Sorge genießen.
Geh und eile, mein Kind! Wir haben ja Erbsen und Gerste,
Haben süße Kartoffeln zu Haus' und Fleisch und Gemüse;
Und es lehret das Zeitungsblatt dich Maß und Verhältnis,
Zeit, und pünktlich Gewicht, und die beste Art der Bereitung.
Also der Freiherr, und trieb mit schmeichelnden Worten die Gattin.

Aber Amalia schlang die schönen Arme voll Rührung
Um den teuern Gemahl, und sprach mit Tränen im Auge:
Edler, trefflicher Mann! Wie dein Blick von himmlischer Freude
Strahlet! wie innig, wie tief der Menschheit Wohl dich beweget!
Sieh, dies heil'ge Gefühl, den schönen Eifer wird Gott dir lohnen!
Ich gehe sogleich dem edlen Befehl zu gehorchen;
Und wenn anders genau die Vorschrift lehrt, und mein bisschen
Kochkunst morgen nicht ganz mich verlässet, speisest du, Lieber!
Sicher dein ganzes Dorf im Schloßhof unter den Linden.

Sprachs, und küßte den teuern Gemahl, und eilte mit leichten
Schritten zum Zimmer hinaus in die helle reinliche Stube,
Wo, von der Emsigen Frau zu Fleiß und Ordnung gewöhnte
Mägde, bei lautem Geschwätz, am Nähpult saßen und Rocken.
Und sie trat in die Tür', und rief vom schnurrenden Spinnrad
Agnes auf, so die Herrschaft führt' in der hallenden Küche,
Auch die Mägde zugleich, die ihr dienend halfen. Mit diesen
Stieg sie hinab in das Speisegewölbe. Zierlich in Reihen
Standen die Kisten umher und feingeflochtene Körbe,
Alle mit nährendem Kern des Halms und der Schotten gefüllet
Aber die Mauern entlang, auf blankgescheuerten Fächern,
Prangten in buntem Schmück die Gaben des Herbstes; die schönen
Goldnen und streifigen Äpfel, französische Birnen und Pflaumen;
Und an Schnüre geknüpft, für den kargen Winter gesparet,
Hing ein Traubenfeston an schlanken Pfeilern herunter.
Aber im Winkel des hohen Gewölbes, in Haufen geschichtet
Lag des Hauses Bedarf an Engelländschen Kartoffeln,
Fein, von der edelsten Art, mit gelbem mehligen Marke,
Hiervon hieß Amalia jetzt die dienenden Mägde
Fassen in mächtige Körb', auch Gerstengraupen und Erbsen,
Und geräuchertes Fleisch, das neue Gericht zu bereiten.
Und die erfahrene Agnes nahm vom reinlichen Brette
Spanische Zwiebeln herab, die in langen schimmernden Zeilen
Standen, mit starkem Geruch die ganze Halle durchduftend.

Als sie mit kluger Wahl nun Alles gesammelt, da stiegen
Sie die wenigen Stufen hinauf, zur geräumigen Küche,
Und nun wimmelt's dort von geschäftiger Eile. Mit Sorgfalt
Sondert die Eine von Spreu die Graupen und Erbsen; die Andre
Reinigte schnell vom entstellenden Staub die braunen Kartoffeln;
Agnes weckte die Glut aus verhüllender Asche mit Schwefel.
Legte das harzige Reis der Tanne darauf und mit Knistern
Fuhr die lebendige Flamme heraus, den Boden des blanken
Räumlichen Kessels, der längst zu manchem häuslichen Dienste
Über dem Herde geschwebt, mit gewaltiger Spitze beleckend.
Aber Amalia stand mit Waag' und Gewicht an der Tafel,
Als mit lächelndem Blick der Freiherr über die Schwelle
Trat, ein werter Besuch in der selten gesehenen Küche.
Freundlich grüßt' er die Mägd' im Vorbeigehn, welche vor Ehrfurcht
Knicks'ten, den gnädigen Herrn, der so gut und so hübsch war, betrachtend;
Eilt' auf Amalien zu, und die schlanken Schultern des holden
Jugendlich blühenden Weibs umschlingend, sprach er mit sanftem
Ton und frohem Gesicht: Nun, liebes Malchen, die Gäste
Sind auf Morgen bestellt. Soeben gehet der Schulze,
Dem ich Befehl erteilt, und um elf erscheint die Gemeinde.
Aber laß mich nun auch, du Liebe! tätigen Anteil
Nehmen an unsern Entwurf. Die zarten Hände vermögen
Nicht die eherne Waag' und die Last der Gewichte zu heben.
Mein sei des Wägens Geschäft. Du Malchen, lies aus dem Blatte
Zahl, und Verhältnis mir vor, und lenke die Arbeit am Herde.

Also der Freiherr, und nahm mit freundlichen Scherzen die schwere
Last aus der Gattin Hand: Nun brachten die Mägde die Schinken
Samt der gesonderten Gerste herbei den Kartoffeln und Erbsen,
Und die prüfende Waag' entschied der Teile Verhältnis.
Agnes schüttete jetzt auf die braunen Knollen der Quelle
Silbergesprudel, und häufte das Holz um den dampfenden Kessel.
Zischend wallt' um den Rand die brodelnde Flut, und in Kurzem
Hatte der Flamme Gewalt, und des hoch aufsiedenden Wassers
Innig durchdrungen das nährende Mark. Nun entschöpften die Mägde
Eilig dem qualmenden Rauch die weichgesottnen Kartoffeln,
Legten breitend sie hin auf flache Schüsseln, bis tröpfelnd
Sich das Wasser verlor, und der Dampf in Wolken hinwegzog.

Aber von Neuem hieß der Freiherr jetzt mit bestimmter,
Sorglich gemessener Flut den Kessel füllen: von Neuem
Loderte lustig das Feuer empor. Die mehligen Graupen
Fühlten der Flamme Gewalt im strudelnden Wasser, und als sie
Kochten in weißlichem Schaum, da stürzte Agnes die goldnen
Feingeschrotteten Erbsen hinein aus stäubendem Korbe.
Und nun war das Geschäft für heute geendet. Die Flamme;
Sank allmählig zur Glut, Amalia stieg mit dem teuern
Gatten die Stufen hinauf in die freundlich erleuchteten Zimmer,
Und bei trautem Geschwätze, und manchem schönen Entwurfe
Für das verbesserte Wohl des Dorfes, eilten des Abends
Flüchtige Stunden dahin, bis auf gemeinsamen Lager
Süßer luftiger Schlaf mit lieblichen Bildern des frohen,
Wohlgeendeten Tags auf die glücklichen Gatten herabsank.

Still' und Finsternis herrscheten noch auf dem schlummernden Erdkreis,
Als die treue Sophie, wie Amalia gestern geboten,
Leis' an verschlossener Tür des Zimmers pochend, sie weckte.
Schnell entschlüpfte dem Lager Amalia, hüllte die schlanken
Glieder in schützenden Pelz, und eilte sacht' aus der Stube,
Nicht zu stören die Ruhe des lieben Gatten. Sophie
Ging mit dem Lichte voraus, die braunen Schatten verjagend,
Und so stieg sie zur Küche hinab. Von ferne schon glänzte
Ihr der willkommene Schein des Feuers entgegen; denn Agnes
stand am leuchtenden Herd' und es wallt in der gestrigen Mischung
Schon das geräucherte Fleisch, in kleine Stücke geschnitten.
Und Amalia rief nach der klugen Sophie, und gebot ihr:
Nimm den gehenkelten Korb, mein Kind, und die gläserne Leuchte,
Geh dann eilig hinüber zum Gärtner, welcher gewiß schon
Wachet, der rüstige Greis, und bedeut' ihm, daß er vom Keller,
Wo das Gemüse er verwahrt für den Winter, Möhren und süße
Petersilien dir gebe, so viel nur immer der Korb faßt.
Sprachs, und die muntre Sophie enteilte geschäftig der Küche.

Aber dem kommenden Tag entwich allmählich die Dämm'rung,
Und es schimmert in Ost. Die lang entbehreten Strahlen
Gießen erfreuliches Licht auf winterlich schöne Gefilde.
Funkelnd hängt an den Bäumen der Reif. Aus friedlichen Hütten
Steigt der wirbelnde Rauch in geraden Säulen zum Himmel.
Tief an der Berge Fuß, in wunderbaren Gestalten
Ziehen die Nebe! sich hin, und zum ersten Male nach langen,
Stürmischen Tagen lacht aus blauen Lüften die Sonne.
Fröhlich, mit Dank und leisem Gebet, begrüßet den heitern
Morgen Amalia's Herz, und der erste rötliche Lichtstrahl
Spielt um ihr schönes Gesicht. Da fühlt sie plötzlich sich rückwärts
Fest von liebenden Armen umschlungen. Freudig erschrocken
Dreht sie das Haupt, und hängt die süße Bürd' an dem Halse
Ihres geliebten Gemahls, der freundlich scherzend sie ausschmählt:
Warte nur Lose! Wer schlüpft bei nächtlicher Weil' aus dem Bette,
Lässet einsam den Mann, und denkt des zufriedenen Dorfes
Lohnenden Dank allein zu ernten? Soll ich mich rächen?
Also spricht er, und küßt die blühenden Wangen ihr röter.

Aber nun kehrte Sophie mit dem Gärtner wieder. Der Alte
Trug den gehenkelten Korb voll Petersilien und Möhren,
Grüßte mit freundlichem Gruß die gnädige Herrschaft, und sagte:
Nun, das nenn' ich mir doch ein treffliches Paar, das am Morgen
Aufsteht, ehe es tagt, wenn andere Reiche noch schlafen,
Und für die Armut sorgt! Das lohnt an Kindern und Enkeln
Reichlich der liebe Gott mit hundertfältigem Segen.
Aber der Morgen ist auch besonders schön, und der Reif hat,
Heute den braunen Kohl mir gebrannt, wie ich lange schon wünschte.
Sprachs, und setzte den Korb auf die rein gescheuerte Tafel.
Und es traten die Mägde hinzu, und ergriffen die süßen
Wurzeln, schabten sie rein, und warfen, so viel als der Waage
Richtendes Zünglein zu nehmen gebot, in den siedenden Kessel.

Langsam kochete nun das Gericht, von den emsigen Mägden
Rastlos mit wechselndem Fleiß in steter Bewegung erhalten.
Und nun mengte das mehlige Mark der süßen Kartoffeln
Agnes, reinlich geschält, und zum Mus gestampft, in den Kessel,
Goß die Schärfe des Essigs daran, und harrete wieder,
Bis die beschiedene Zeit vorüber schlich, nach der Vorschrift
Innig die kochende Flut die festen Teile durchdrungen
Hatt', und zu kräftigem Brei die flüssige Masse verdickt war.
Jetzo wurde das Reiz erweckende Salz und im Fette
Gelb geröstete Zwiebel zur Würz' in die Speise gemischet.
Langsam wallte noch einmal der Kessel empor, und nach langem
Mühsamen Fleiße war nun die Arbeit glücklich geendet.

Draußen sammelten schon im geräumigen Hofe des Dorfes
Frohe Bewohner sich, erwartungsvoll, und mit Schalen,
Töpfen und Schüsseln versehn, wie der Schulze jedem geboten.
Und mit glänzendem Blick voll schöner menschlicher Freude
Tritt der gütige Freiherr jetzt in die Mitte der Seinen,
Grüßet liebreich umher, und nennt die Nächsten mit Namen.
Und nun beginnt er und spricht: Willkommen, ihr Kinder! Es freut mich
Herzlich euch Alle zu sehn. Ihr wißt, warum ich euch rufen
Ließ, und was ich ersann, um den langen dürftigen Winter
Euch vor Mangel und Not, so viel ich's vermöchte, zu schützen.
Geht nun einzeln hinein, die Speise zu holen. Verzehrt sie,
Wie es euch besser gefällt, im Vorsaal oder im Hofe
Und wenn das neue Gericht euch behaget, will ich mit Freuden
Kessel schaffen und Herd; und täglich soll es der Schulze
Kochen für's ganze Dorf, so lange die drücKende Not währt,
Oder solang' ihr es selbst mit Lust genießet. Nun, Kinder,
Gehet, es harret bereits der werten Gäste die Gattin.

Sprachs, und eilte voran. Es hatten die Mägde den Kessel
Jetzt in den Vorsaal gebracht. Von ihren Kindern umgeben
Stand Amalia lächelnd dabei, und dankte den Ältesten,
Welche mit ländlichem Gruß voll ehrerbietiger Liebe
Nahten der holden Frau des allverehrten Gebieters.
Und sie schöpfte mit silberner Kell' aus dem dampfenden Kessel,
Goß auf klein geschnittenes Brot, das im Fette geröstet
Agnes mit billiger Hand den Kommenden reichte, die Speise,
Füllte Schalen und Töpf, und ihr freundliches Lächeln erhöhte
Doppelt den Wert des Geschenks. Nun waren alle befriedigt;
Und nun schöpft' Amalia sich, dem Gemahl, und den Kindern.
Also schmausten sie dort: die Alten mit prüfender Zunge
Reiflich des neuen Gerichts Geschmack und Nutzen erwägend;
Aber mit herzlicher Lust, bei kindischem Scherzen und Kichern
Naschten die Kleinen den nährenden Brei, und priesen ihn köstlich.

Aber die Ältesten sammelten sich in der Ecke des Vorsaals,
Hielten verständigen Rat, und sprachen lang' und bedächtig.
Und nun nahet' ein Greis mit Silberhaaren dem Freiherrn,
Zog die samtne Mütze vom Haupt, und sagte besonnen:
Gnädiger Herr! Ich trete nun bald mein neunzigstes Jahr an.
Vieles hab' ich erlebt, so manchem in unserm Dorfe
Hielt ich zur Taufe, der längst in kühler Erde vermodert.
Ferne Länder auch hab' ich geseh'n, die Sitten und Weisen
Fremder Menschen, und viel in dem langen Leben bemerket;
Denn ich dient' als Reiter vordem bei des seligen Ahnherrn
Regiment's und stand in Wälschland gegen die Spanier
Unter dem Prinzen Eugen. Seit jenen Tagen ist gänzlich
Umgewandelt die Welt. Die klugen Menschen erfinden
Immer Neues mit strebendem Geist. Die sichtende Zeit hat
Manches bewährt, und manches verworfen. Aber vor Vielem
Scheinet mir segensvoll und schön die Erfindung der Speise,
Welche gesund und leicht und wohlfeil, fleißige Menschen
Nährt, und so ganz genau für des Armen Bedürfnis erdacht ist.
Nehmt denn, gnädiger Herr! ich sprech' im Namen des Dorfes,
Nehmt den kindlichsten Dank für die Vatertreue, die Sorgfalt,
Die ihr uns immer erzeigt, und heut aufs neue bewiesen.
Euch verdanken wir schon die verbesserte Schule, die Wohltat
Nachgelassener Frohnen, des Kleebau's lehrendes Beispiel,
Schweizer-Rinder und Spanische Schaf' und so mancherlei Gutes,
Das ich nicht zählen kann. Wir können euch nimmer vergelten.
Aber vor Gottes Thron, vor dem ich bald zu erscheinen
Hoffe, da sind sie gezählt, die Taten gütiger Herrscher,
Und sie erwartet ein herrlicher Lohn in ewigen Freuden,

Also der Greis, und es zitterten ihm vom silbernen Wimper
Helle Tränen herab. Amalia drückte die Hand ihm,
Schlang dann den anderen Arm voll stolzer Lieb' um den Gatten,
Schmeichelnd hingen die Kinder an ihm, es schwieg die Versammlung
Ehrfurchtsvoll und gerührt, und wie ein segnender Gott stand
Innig bewegt der gütige Herr in der Mitte der Seinen.