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Minutenspiele
Kuffner Christoph

Wien 1837
Druck und Verlag von Anton Mausberger

Aphorismen
Aprilflocken und Tautropfen

 

Gewohnheiten des Eigensinns sind petrifizierte Gedanken und Empfindungen.
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Die Fantasie ist der Liebe das, was das Gas dem Luftballon ist, den es von der Erde
emporhebt.
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Was man gerne tut, dafür findet man immer einen Grund, oft sogar tausend und einen.
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Viele bauen ihren Lebensplan, wie das Kind ein Kartenhaus; aber — ein Stoß, ein Hauch,
und das ganze Gebäude fällt zusammen!
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Viele kleine Übel sind schwerer zu ertragen, als ein großes. So duldet und übersteht der
Mensch eine schwere Krankheit leichter, als hundert Gebrechen und Kränklichkeiten.
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Falsche Zähne will ich den Leuten gerne erlauben, aber nur keine falschen Zungen.
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Man braucht sich eben nicht sehr zu wundern, wenn so Manches im Menschen versteinert
wird; ist doch sein irdisches Dasein zwischen zwei Steine eingeklemmt: den Taufstein
und den Grabstein.
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Das Meiste und Beste von dem, was wir wissen, haben wir erworben, ohne es zu wissen.
Wir können uns z. B. erinnern, wie wir Lesen und Schreiben gelernt haben, keineswegs
aber, wie wir Sprechen, Farben und Töne unterscheiden, Lieben oder Hassen lernten u. s. w.
Die Unschuld der Kindheit gleicht der Magie des glühenden und doch so schönen und reinen
Morgenrotes. Offenheit ist des Kindes Element; mit dem ersten Gedanken, welchen ein Kind
vorsätzlich verbirgt, hört die Unschuldswelt der Kindheit auf.
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Das alte Sprichwort in Beziehung auf Feuer und Wasser: "Ein guter Diener, aber ein böser Herr,"
läßt sich eben so gut auf die Fantasie und auf die Leidenschaften anwenden.
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Manche Übel und Leiden gleichen dem schlechten Wetter; anfangs scheinen sie unerträglich zu
sein, endlich gewöhnt man sich daran.
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Die Lebensgeschichte der Menschen zerfällt gewöhnlich in drei Hauptteile: ihre Torheiten, ihre
Freuden und ihr Glück oder Unglück.
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Die Eifersucht muß tragisch sein, sonst wird sie lächerlich.
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Unsere Schwächen bringen uns mehr Nachtheil, als unsere Fehler.
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Ein zu ängstliches Bestreben, Anderen eine gute Meinung von uns beizubringen, verleitet uns oft
zu Unwahrheiten und Albernheiten.
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Die Jugend pflegt ihre Wünsche zu Hoffnungen zu steigern, und jede Hoffnung zur Gewißheit.
Hoffnung ist der Prophet, dem sie blindlings glaubt, die Klugheit aber eine Kassandra, deren
wahrste Vorsehungen bei ihr kein Gehör finden.
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Die Wahrheit braucht lange, bis sie Eingang findet; nichts auf der Welt verbreitet sich aber so
schnell als — Lügen und Geheimnisse.
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Freuden der Gegenwart werden sehr oft mit künftigen Leiden bezahlt.
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Man tadelt die Menschen oft, daß sie ihre Mitbrüder vergessen. Ach! sie vergessen sich selber
noch viel öfter.
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Das Reden ist in zwei Fällen eine üble Sache, nämlich: wenn man Alles sagt, was man sich denkt,
und wenn man stets anders spricht, als man denkt. — Wer hier die Klugheit mit der Ehrlichkeit
vereinigen will, vergesse nie den Spruch: Silbern strömt die Rede vom Mund, aber Schweigen ist
köstliches Gold!
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Je mehr bei zunehmender Verfeinerung eines Volkes die Tugend verloren geht, desto ängstlicher
hält man auf die Beobachtung des äußern Anstandes.
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Die schriftstellerische Mittelmäßigkeit bleibt sich immer gleich; desto wechselreicher ist die
Genialität, in deren Werken man nicht selten die entzückendsten Schönheiten neben der
flachsten Trivialität findet. Der größte Fehler mancher Schriftsteller ist der, daß sie keinen haben.
Je mehr große Schönheiten in einem Buche, um so mehr große Fehler auch. Ein Werk ohne
Fehler ist gewiß kein geniales. Sehr bändereiche Schriftsteller verfallen oft in einen gewissen
Mechanismus, wobei Alles zur Sprache wird, und schöne Worte die Stelle der Ideen vertreten.
Die spätern Werke solcher Schriftsteller gleichen dann Blumen, die schön für das Auge sind,
aber ohne Duft.
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Manche Menschen wissen mehr als sie sagen; andere sagen mehr als sie wissen.
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Soll eine Schmeichelei gute Wirkung tun, so muß sie, gleich der roten Schminke, nicht zu stark
aufgetragen sein.