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Sechstes Sträußchen
 

Ein Leben Schlußwort


Ein Leben


                         Jänner

Winter ist's, es sendet ihre jüngsten Strahlen
Still der Erde die erneute Sonne zu;
Starr und blinkend strahlt das Eis vom Glanze wieder,
Schnee bedeckt die Erde, wie mit Grabesruh'.

Ruhe? ruht der Geist, der immer schafft, im Schlafe?
Wirkt er nicht in Träumen, die lebendig sind?
Immerwährend ist die stille Macht des Lebens,
Das in Tiefen der Natur sich weiterspinnt.

Rätselhafter noch, als dieses stille Walten,
Ewiglich unnahbar jedem Menschengeist,
Ist Vorausbestimmung in dem Reich der Seelen,
Jene Macht, die künft'gem Leben Wege weist.

                         Februar

Eine Ahnung scheint des künft'gen Frühlings leise
Über alle Schneegefilde hinzuweh'n,
Und es keimt allmählich in der Erde Gründen,
Unter tiefem Schnee wird junges Gras ersteh'n!

Doch wo weilest du, wann wirst wohl du erscheinen,
Die den Keim zum vollen Leben erst erhebt?
Du entstehst in hehren, unbekannten Welten,
Kommst, ein zarter Hauch, woher? und Alles lebt —
Warme Luft des Frühlings, wachsend mit den Blumen,
Seele! wachst du? hast du früher schon gelebt?

                              März

Es wird! doch wie soll ohne Kampf so Großes werden?
Es müssen erst noch Stürme wild auf Stürme weh'n,
Die Elemente all' die Erde erschüttern,
Bis endlich der ersehnte Frühling kann ersteh'n!

Wie schmerzlich' Bangen zieht durch alle klaren Lüfte
Der schonungslose, rauhe Winterwind,
Der blaue Himmel sendet seine Sonnenstrahlen
So leuchtend und klar, wie höchste Freuden sind —
Und endlich ist dem Licht der Welt gegeben
Der Frühling, und ein neues Menschenkind!

                               April

O zarter Frühlingshauch mit deinem langen Regen,
Wie Kindertränen schnell vorbei und leicht,
O linder Sonnenschein, so neu wie Kinderleben,
Was ist, das eure Lieblichkeit erreicht?

In wunderhaften Blüten stehen bald die Bäume,
Wie frischgefall'ner Schnee, so zart, so rein;
O schützet sie! nicht sind's nur flücht'ge Kinderträume:
Sie schließen ja den Keim der Frucht, der Zukunft, ein!

Und junges, mildes Grün, wohin das Auge blicket,
Und tausend Knospen — ach! nicht alle blüh'n!
Wem kann's gelingen, jedes Hoffen und Erwarten
Des Kinderherzens wirklich groß zu zieh'n?

                              Mai

Wer hat den holden Blütenzauber nicht empfunden,
Wer seine erste Jugend nicht geliebt?
Wer kennt nicht all' die schönen, mannigfachen Freuden,
Die sie verschwenderisch dem Leben gibt?

Gesang und Blütenduft durchzieht die klaren Lüfte,
Und immer Schön'res bringt noch jeder Tag,
Es weiß das volle Herz im Sehnen und Erwarten
Kaum selber, was es Alles hoffen mag!

Noch süßer hauchen fast die blütenschweren Äste
Den träumerischen Duft in Nächten lind;
O Jugendzeit! fast deiner Schwermut stille Träume
Noch lieblicher, als deine Freuden sind!

                              Juni

Er ist erreicht, der volle Höhepunkt des Lebens!
Gesättigt ist die Welt in Blütenpracht;
Des Waldes grüne Wipfel mächtig sich erheben,
In tiefer Glut die Rose ist erwacht.

Sie ist erwacht! und wie ein Licht aus Dämmerungen,
Aus linden Träumen schöne Wirklichkeit,
Erhebt sie sich erglühend aus dem Reich der Blüten,
Ein neues Leben kündend, ihr geweiht.

Es ist, als zög' ein tiefes Jauchzen durch's Gemüte,
In nie geahnter Schönheit strahlt die Welt;
Die Seele wagt den kühnen Sprung in's volle Leben —
Entschieden ist's! sie hat ihr Los gewählt.

                                Juli

Wie glüht der Sonne Strahl so heiß auf allen Fluren!
Das Leben ist nicht Träumen mehr geweiht;
Nicht wehen spielend mehr um Wipfel und um Äste
Die milden Lüfte ihrer Blütezeit.

Gewitter brausen mächtig drohend oft hernieder —
Wie hätten Blüten sie geknickt so leicht!
Doch nun erheben sich in reicher Blätterfülle
Die Kronen stolzer, wenn das Wetter weicht.

O klaget nicht, daß leis' die holden Blüten schwinden,
Es blieb ein Pfand, wo ihr umsonst sie sucht:
Aus stillen Träumen müssen einstens Taten werden,
Entwickeln wird allmählich sich die Frucht!

                             August

O sei gegrüßt, du erste Frucht am Lebensbaume,
Im Mittelpunkt des Lebens schon gereift,
Wo Hoffnungsgrün noch ganz die Welt umkleidet,
Der Sonnenstrahl noch glühend uns ergreift!

Es liegt noch Jugendmut in jedem neuen Schaffen
Den heißen Kampf des Lebens zu besteh'n,
Und wie in eine Welt von Taten und Erfolgen
Kann in die Zukunft noch das Auge seh'n.

Von warmer Lebensglut noch reich und voll umgeben,
Und nach Vollendung ringend mit der besten Kraft,
Vermag das Herz den besten Segen zu empfinden —
Den Segen, den ein treues Wirken schafft!

                               September

Als käm' ein neuer Lenz auf leisen, sanften Schwingen,
So lieblich strahlt, so mild der Sonnenschein.
Es sind die Gluten sanfter Wärme nun gewichen,
Und Frieden zieht in's Leben ein.

Wie ist aus jenen schwanken, träumerischen Blüten
So herrlich nun die edle Frucht gereift!
Und tief befriedigt ist die Seele, wie das Auge
Befriedigt über Wald und Fluren schweift.

In milde Harmonie hat jetzt die Zeit gewandelt
Des tiefbewegten Lebens Freud' und Schmerz;
Es kehrt mit dem Bewußtsein gut vollbrachten Wirkens
Die Sammlung ein in's still geword'ne Herz.

                                Oktober

O traure nicht, mein Baum, daß deine Blätter fallen,
Die du noch hast, wie sind sie nun so schön!
Wer hat, als sie in trotz'ger Fülle dich umgaben,
So deutlich ihren zarten Bau geseh'n?

Wohl sangen Vögelein einst auf deinen Blütenzweigen,
Doch wenn dein Frühling auch vergessen ist —
Wir lieben dich! o wähne nicht dich ganz verlassen!
Wir sah'n an deiner Frucht, wie gut du bist!

Dein Hoffnungsgrün verschwand! mit schwermutsvollem Rauschen
Gedenkst du träumend deiner Jugendzeit;
Erinnerung erwecken dir die Sonnenstrahlen —
Dein sanftes Lächeln hast du ihr geweiht.

                         November

Ein neuer Kampf beginnt ringsum in allen Reichen;
Wie ist so bleich, wie ist so trüb die Welt!
Der graue Nebel hüllet bang und schwer die Zukunft,
Das letzte Laub von allen Bäumen fällt.

Und doch, wie gerne ist die Trauer noch vergessen,
Erscheint des Mittag's heller Sonnenschein!
Noch ist's schön! — Doch bringt der Abend kalten Schauer —
Es ist umsonst! bald wird es Winter sein!

O Herz! was kann dir wohl die bangen Zweifel lösen?
Was ist's, das deinem Kampfe Lind'rung beut?
— Daß diese Erde nicht dich hat umsonst getragen,
Daß du gewirkt in deiner Lebenszeit!

                         Dezember

Schnee! des Winter's Schnee auf allen stillen Fluren,
Schnee auf deinem Haupt, du müdes Menschenkind!
Aller Kampf ist aus, doch bist du nicht bezwungen:
Sorglos bist du nun, fast so wie Kinder sind.

Wenig ist, was dich nunmehr auf Erden fesselt —
Scheint dir doch das Leben, wie ein ferner Traum;
Ferner ist das künft'ge Leben deiner Seele
Deinem innig überzeugtem Sinne kaum.

Während ihre Kräfte tief die Erde sammelt,
Einst in einem neuen Frühling zu ersteh'n,
Sammelst und bereitest du dein bestes Wesen,
In das neue Sein vertrauend einzugeh'n!

Schlußwort

Ihr Glöcklein, nun in einem Strauß geschlungen!
Fast blickt ihr fragend, vorwurfsvoll auf mich:
"Wie sind wir achtlos Deinem Sinn entsprungen!
Wie schmückten wir den stillen Wald für Dich!

O hättest Du uns nicht an's Licht gezogen,
Die wir als Kinder der Natur erwacht,
O hätte unser'n Wert allein erwogen
Dein Herz nur, das in's Leben uns gebracht!"

So klagen eure Köpfchen, scheu verborgen;
Erhebt sie, blickt vertrauend auf zum Licht!
Ihr seid noch Kinder, an des Dasein's Morgen,
Und Kindern weigert man ja Nachsicht nicht!

Ihr sollt nur eine leise Kunde bringen
Des Frühlings, der in einer Seele blüht,
Ihr sollt nur echt und warm zum Herzen dringen,
Weil ihr entsprossen seid aus dem Gemüt!