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Vorwort

 

Oft und viel hab' ich gesungen
Zarter Liebe Huldigungen,
Und es ward manch süßer Laut
Kleinen Liedern anvertraut;
Doch nun stimme mein Gesang
Vollern Ton und hellern Klang,
Wie aus innerstem Gemüte
Ich ihn auszusprüh'n mich sehne!
Darum nennen möcht' ich jene
Lieder meines Wipfels Blüte,
Diese meines Stammes Mark! —


Canzonen I.  Canzonen II.  Canzonen III.  Canzonen IV.  Canzonen V.


Was sind Canzonen? hier

Die Fußnoten sind vom Autor der Canzonen.

 

Totenkränze

"En toutes choses ce n'est que l'émotion qui est sublime!"
Lettres et maximes du Prince de Ligne.

 

Canzonen I.

1.
Mich hatte Waldesdunkel eingeschlossen
Und in Betrachtung lag ich tief versunken,
Von Bildern meiner Träume rings umwoben:
Was soll, o Herz, die Glut, von der du trunken? —
So rief ich laut, und meine Tränen flossen —
Was willst du denn, von Sehnsucht stets gehoben,
Mit deinem wilden Toben?
Verzehrst du dich, um Schatten zu erfassen,
Und willst für ein Phantom von Sein und Leben
Das Leben selbst mit seinen Freuden geben?
Willst du, dein eig'ner Feind, dich selber hassen? —
O, gib sie auf, die täuschenden Gestalten,
Sie scheinen nur und sind nicht fest zu halten!

2.
Nein! — tönt es wider aus der Seele Tiefen —
Was dich auf Flügeln oft empor getragen,
Was mit des Himmels Flammen dich durchglühet,
Was dir so stürmend in der Brust geschlagen,
Es waren Gottes Stimmen, welche riefen,
Sein sel'ger Atem, der in dir gesprühet!
Die Blumen, die erblühet,
Gekeimt, gewurzelt in des Daseins Grunde,
Von jenem Strahl erwärmet und beleuchtet,
Vom Tau der hohen Wehmut angefeuchtet,
Sie bricht der Sturm nicht einer bösen Stunde!
Was du gefühlt, es war unsterblich Leben,
Nicht Schatten, die zerrinnen und verschweben! —

3.
Des Ruhmes Eiche, die zum Himmel strebet;
Der Liebe Rosen, die erglühend bluten
Im grünen Blätterbrand, aus dessen Grunde
Der Nachtigallen Lieder weh'n und fluten;
Das schlanke Reis, das ob dem Haupte schwebet
Der hohen Sänger, die mit wahrem Munde
Der ew'gen Zeichen Kunde
Zum süßen Klang der goldnen Harfe hauchen:
Die edlen Zweige alle, umgebogen
In Kronen, auf den Locken uns zu wogen,
In Duft und Glanz die Stirne uns zu tauchen —
Die Kränze wären nicht der Schmuck des Lebens,
Und der sie fand, er lebte doch vergebens? —

4.
Und wem sie, würdig, je die Schläfe schmücken,
Er hätte nicht den Gipfel auch erstiegen
Des Erdenglückes, aller ird'schen Wonnen?
Es wär' ein höh'res Ziel noch zu erstiegen,
Der Brust bewahrt ein seliger Entzücken?
Nein, nimmermehr! — Wie Nebel, schnell zerronnen,
Durchbohrt vom Pfeil der Sonnen,
Zerfließt in Nichts, was sonst mit Glanz gepranget!
Seht hin! — Was einst gebrannt in lichten Farben,
Wie es erbleicht, wie alle Schimmer starben,
Verwesungshauch an jedem Leben hanget,
Und nur allein unsterblich sich verkündet
Das Ideal, das uns're Brust entzündet! —

5.
Ein Kern des Lichts fließt aus in hundert Strahlen,
Die gottentftammte Abkunft zu bewähren,
Begeisterung ist die Sonne, die das Leben
Befruchtet, tränkt, und reift in allen Sphären!
In welchem Spiegel sich ihr Bild mag malen,
Mag sie im Liebe kühn die Flügel heben,
Mag Herz zu Herz sie streben,
Sie sucht das Höchste stets, wie sie's erkennet! —
Längst im Gemeinen wär' die Welt zerfallen,
Längst wären ohne sie zerstäubt die Hallen
Des Tempels, wo die Himmelsflamme brennet;
Sie ist der Born, der ew'ges Leben quillet,
Vom Leben stammt, allein mit Leben füllet. —

6.
Was auf der Erde Großes je geschehen,
Im Busen derer ist es nicht entsprossen,
Die anteillos sich schaukeln auf den Wogen
Der üpp'gen Lust, von hohlem Schaum umflossen!
Das Auge, das die neue Welt gesehen
Auf jenem andern, fernen Erdenbogen,
Das durch die Nacht geflogen,
Die unbekannte, die sie überdecket;
Das sie geseh'n, mit Wunderglanz erfüllet,
Als dichte Schleier sie noch eingehüllet,
Und unbeschiffte Meere sie verstecket:
Das inn're Auge war's, das sie erschauet,
Begeist'rung war's, vor der den Schwachen grauet!

7.
"Wahnwitz'ger Träumer!" — tönt's in meiner Nähe,
Und wie mein Aug' ich, tränenschwer, erhebe,
Dehnt neben mir die riesenhaften Glieder
Ein Schemen, grauenvoll, so daß ich bebe!
Wer bist Du, rief ich, Geist, den ich hier sehe?
"Der Geist des Grabes!" — also tönt es wider! —
"Ich kam zu Dir hernieder,
Daß ich Dich führe wo die Toren modern,
Die, so wie Du, einst träumten Lichtgedanken;
Bis daß der Boden, der sie trug, zu wanken
Begann, und wild die Flamm' empor zu lodern,
Die ihre Brust gefüllt. Sie hat verzehret
Das Feuer, das auch sie einst treu genähret.

8.
An ihren Gräbern will ich Dich dann fragen:
Sind diese, die hier liegen, zu beneiden? —
Du hast mit wonn — und wehmutvollen Schauern
Die Namen oft genannt, Dich d'ran zu weiden;
Wohlan, Du sollst wahrhaft'ge Antwort sagen,
Ob sie zu neiden waren, zu betrauern,
Eh' sie in Grabesmauern
Noch ausgeruht die bleichenden Gebeine!
Die Kränze alle, die so reich Dir dünken,
In ihren Locken sah ich sie einst blinken,
Als sie berauscht noch von dem Lebensweine!
Auf, folge mir! Dann sollst Du selbst erkennen,
Ob Wahrheit, was Du fühlst, ob Trug zu nennen!" —

Canzonen II.

Diese Canzone behandelt die Ermordung des Herzog von Friedland,
am 25. Februar 1634 in Eger, Böhmen.
Man kennt ihn unter den bekannteren Namen Wallenstein.


9.
Und als er ausgeredet, da umschlingen
Mich seine Arme; rings um mich gebreitet
Hat er den Mantel, der in weiten Falten
Uns Beid' umhüllet! Wie ein Segel gleitet,
So, durch den Raum des blauen Äthers, schwingen
Wir uns von dannen, und die Wolken spalten
Sich, wo den Weg wir halten.
Tief unter mir konnt' wechselnd Höh'n und Auen,
Und Saatgefilde, Wälder, Ströme, Brücken,
Und Stadt' und Weiler ich vor meinen Blicken
Weit in der Landschaft hingestreuet schauen;
Und endlich jene Riesenberg' erkennen,
Die Böhmens alte Landesmarken trennen!

10.
Und in der Ebne, die, von goldnen Wogen
Der Ähren flutend, dunkelgrün gestreifet
Von Busch und Wäldern, man sieht niederrinnen
Vom Hochgebirge, — bis, wo freudig schweifet
Der Elbe blaue Schlang' in weiten Bogen
Um altberühmter Schlösser hohe Zinnen —
Im Tal dort, mitten innen,
Erhebt die Veste von  G i t s c h i n  sich ragend,
Zur Zeit der Taboriten lang' erbauet,
Die um den Kelch gekämpfet, und sie schauet
Hin in die weite Gegend, gleichsam fragend:
Was, Fremde, naht Ihr Euch hier dieser Mauer
Und störet mich in meiner Witwentrauer?

11.
Denn wie die Witwe mit dem Aschenkruge
Birgt sie die Urne, die den Staub umschlossen
Des Mannes, den, in stolzem Selbstvertrauen,
Sie einst gesehn auf kriegerischen Rossen
Hinschnauben, kühn, im raschen Siegesfluge.
Dort ein Karthäuserkloster ist zu schauen,
— Er selbst ließ es erbauen, —
Wo fromme Mönche einsam, abgeschieden,
Statt aller Worte sich zum Gruße sagen:
"Gedenk' an's Ende!* Da, als er erschlagen,
Ward beigesetzt was von ihm blieb hiernieden.
Da standen nun an seinem Sarg wir eben,
Des Deckel unsichtbare Händ' erheben.

* "Memento mori" war bekanntlich das einzige Wort,
das die strenge Ordensregel den Kathäusermönchen
zu sprechen erlaubte.


12.
Und als die Truhe nun war aufgeschlossen
Lag d'rin ein Beingeripp'; der Schädel ruhte
Auf sammtnen Kissen, und man sah ihn prangen,
Den längst Entfleischten, mit dem Fürstenhute,
Und seine Schläfe noch von Haar umflossen.
Des Vlieses Kette war ihm mit den Spangen
Stolz um den Hals gehangen;
Die eine Knochenhand, zur Brust erhoben,
Sie hielt ein Kreuz; die and're schien zu fassen
Den Feldherrnstab, als wollt' sie ihn nicht lassen,
Bis selbst die Knochen modernd nicht zerstoben.
Das Bahrtuch aber, das die Toten decket,
Sonst rein und weiß, hier war's mit Blut beflecket.

13.
"Sieh dieses Haupt, verweset und zerfallen!" —
So sprach der Geist: — "Der Mann war hoch gehalten,
Des Seele dies Gehäuse hier einst hegte.
Kein König, sah man ihn wie Kön'ge schalten,
Von seinem Herrscherwort die Welt erschallen!
Wenn auch sein Blick nur drohend sich bewegte,
Da, stumm und lautlos, regte
Kein Atem sich in dreißigtausend Kriegern;
Und Helden, die den Tod mit Lachen sehen,
Sie konnten nicht vor seinem Auge stehen,
Wenn zürnend er entgegen trat den Siegern! —
So taucht' er auf wie blut'ge Himmelslichter,
Des eig'nen Glückes Schöpfer und Vernichter!

14.
Ein Sohn der Waffen, fern im Reich geboren,
Trat plötzlich aus dem Dunkel seiner Wiege
Er in des Kaiserhofes hohe Hallen;
Sein Ahnrecht war sein Schwert und seine Siege!
Die Fahne faßt' er, die den Ruhm verloren,
Daß, flatternd vom erstürmten Feindeswalle,
Bei seines Namens Schalle,
Er Glanz ihr leihe von den eig'nen Strahlen!
Ein Heer ersteht, sobald sein Ruf erklinget,
Und mit gewalt'gem Sturmesschritte dringet
Er aus den herdenreichen Moldautalen,
Von der Sudeten schneebedeckten Zinnen
Bis fern zum Belt, wo salz'ge Wogen rinnen! —

15.
Monarchen sieht man sich dem Wapen neigen
Auf seinem Schilde, der sonst unbeachtet
Und ungekannt gehangen an den Wänden;
Von Fürsten wird nach seiner Gunst getrachtet,
Es knirscht der Neid, doch machtlos muß er schweigen,
Indes der Herrscher ungemessne Spenden
Mit immer offenen Händen
Auf diesen herrengleichen Diener häufet.
Der Herzogmantel selbst kann ihm nicht g'nügen,
Ihm, der zum Hohen möcht' das Höchste fügen,
Und keck nach einer Königskrone greifet!
Doch wie die Hand er ausstreckt sie zu fassen,
Muß Leben er zugleich und Krone lassen!

16.
Den Blick erhoben in die Himmelsfernen
Prüfst du der Zeichen Bahnen und Aspekte,
Und späh'st wie dein siderisch Haus gestaltet,
Tor, dem die nächste Stunde sich verdeckte!
Was willst du lesen in den Lügensternen?
Die Hand, die über Menschenschicksal waltet,
Sie hat noch nie entfaltet
Die Schleier, die das künft'ge Los verbergen;
Wir seh'n es nur, wenn es sich hat vollendet! —
Blick hinter dich! den Stahl nach dir gewendet,
Siehst du ihn steh'n, den mordgedung'nen Schergen,
Der in die Brust dir schlägt die Todeswunde?
Kein Stern, du Träumer, gab davon dir Kunde! —

17.
So sank er hin des Ruhmes stolzer Erbe,
Er, den gefeit, kein Eisen kann verwunden,
Und keine Kugel in der Schlacht erreichen!
Wie schnell hat doch ein Werkzeug sich gefunden,
Als es das Schicksal wollte, daß er sterbe!
Nicht in dem Schmuck der Waffen, unter Leichen
Der Feinde, die ihm weichen,
Von seiner Hoheit Mittagglanz umlichtet,
War ihm vergönnt den Siegeslauf zu schließen;
Es muß sein Blut der Meuchler Hand vergießen:
Kaum angeklagt, ist er auch schon gerichtet,
Und so wie Einer, der die That vollbrachte,
Wird er gestraft, weil er vielleicht sie — dachte!

18.
Herzog von  F r i e d l a n d! — Ja, er ist vergangen
Der Name, den ein Einz'ger nur getragen,
Und der mit ihm zugleich im Grab verklungen;
Nicht blühen sollt' er in den künft'gen Tagen
Zum Ruhm des Mannes, der ihn hat empfangen,
Ihn erbten Kinder nicht, von ihm entsprungen!" —
'Doch auf des Liedes Zungen' —
So rief ich — 'sollt' Unsterblichkeit er finden!
Geadelt von dem hohen Dichtermunde
Ward die entstellte, zweifelhafte Kunde;
Doppelt gereint, wird nicht sein Ruhm verschwinden
Einst kommt die Zeit, wo prüfend die Geschichte
Ihn läutert, wie der Sänger im Gedichte! —

19.
Doch glücklich? —nein! so möcht' ich ihn nicht nennen!
Die kurze Stunde Glanz, die ihm beschieden,
Er kaufte sie zu allzuhohem Werts:
Sie ward bezahlt mit seines Lebens Frieden!
Wie bald sah man nicht Wut und Neid entbrennen,
Wie grimme Hunde auf des Wildes Fährte;
Verrat und Undank kehrte
Sich gegen ihn, damit er ihn beerbe!
Und so, von eignen Gluten aufgereget,
Von fremdem Sturm erfaßt und fortbeweget,
War's dringend Zeit, daß ungesäumt er sterbe!
Mag er denn ruhn! Er hat, ihm ward vergeben —
Schließ' zu den Sarg! — Komm, laß uns weiter schweben!'

Canzonen III.

Diese Canzone 20-30 betrifft Napoleon Bonaparte.

20.
Und wieder fühlt' ich schirmend mich umwallen
Des Geist's Gewand, mit dem er mich umwunden,
Und fort mich trug auf rastlos eil'gen Schwingen!
Schon war das feste Land dem Blick entschwunden,
Und keine Stimme hörte man mehr schallen,
Und keinen Laut des Lebens mehr erklingen!
Die Einsamkeit durchdringen
Kann nur der traurig gleiche Schlag der Wellen,
Die, wildaufrauschend, bald der Tiefe Schrecken,
Abgründe, grau'nvoll, auf dem Blicke decken,
Bald wieder hoch wie dunkle Berge schwellen,
Und, gleich dem Bild furchtbarer Ewigkeiten,
Unruh' und Angst in banger Brust verbreiten.

21.
Und ohne Ende däuchte mir die Reise,
Und wechselnd sah ich's dunkeln bald, bald tagen!
Bald zog der Morgen her mit seinen Gluten,
Und nah' bei mir sah ich den Sonnenwagen
Mit goldnen Rädern auf demant'nem Gleise,
Unübersehbar schienen rings die Fluten
Des weiten Meer's zu bluten,
Luftströme blendend mich zu überfließen;
Bald wieder das Gewölk sich zu verdichten,
Die Nebel türmend sich auf Nebel schichten,
Und Finsternis sich allwärts zu ergießen;
Bis ich die Greife schnauben hört' am Zügel,
Der Nacht Gespann, mit Mähn' und Drachenflügel!

22.
Und eben schwammen Mond herauf und Sterne,
Ein milder Glanz ergoß sich in den Räumen,
Den unermeßlichen, die ich durchflogen,
Und Silberschimmer tanzten auf den Schäumen!
Da sah ich — wie in grauer Nebelferne —
Empor im einsam öden Reich der Wogen,
Von Mondeslicht umflogen,
Ein ragend Eiland düster sich erheben!
Sind wir am Ziel? — so fragt' ich den Begleiter. —
"Bald" — gab er Antwort — "bald! nur mutig weiter."
Und lind am Strande fühlt' ich niederschweben
Den Zaubermantel, der, ein Wolkenwagen,
Durch die entleg'nen Bahnen uns getragen.

23.
Ein Felsenhaupt stieg aus dem Meeresgrunde
Zum Himmel einsam auf! — So weit auch immer
Das müde Auge in die Wasserwüste
Hinausstarrt, Meer und Meer! es endet nimmer!
Und nirgend in der weiten offnen Runde
Ein grüner Strand, und nirgend eine Küste,
So daß man glaubt, es müßte
Der Fels herabgefallen sein vom Himmel,
Und zürnend strebe Flut, ihn fort zu spülen!
Er aber lacht der Müh' und läßt es wühlen
Das brausende, ohnmächtige Getümmel;
Denn hingestellt ward er, ein ew'ges Zeichen,
Zum Ende aller Tage auszureichen!

24.
Und einen Sarg sah auf dem Fels ich oben;
Auf ihm ein Schwert statt allem Schmucke schimmert,
Ein Lorbeer steht dabei, nach dem gerichtet
Des Himmels Blitze waren; denn zertrümmert
Ist und zerkracht der Stamm, einst hoch erhoben.
Doch ob versehrt auch, ist er nicht vernichtet,
Und helles Laub umlichtet
Auch noch des Baumes abgebroch'ne Äste;
Und wie er auch den Stürmen preis gegeben,
Sie können ihn nicht aus der Wurzel heben,
Die Gott selbst eingesenkt hat in die Beste:
Damit, ein Beispiel in der Weltgeschichte,
Er redend zeuge, wie der Höchste richte!

25.
Daneben lag zerstreuet auf dem Boden
Ein Königszepter und zerbroch'ne Kronen,
Und Hermelinschmuck, wie bei Herrscherleichen.
Dies Alles war vom Schicksal ohne Schonen
Umhergeworfen, wie zum Hohn dem Toten;
Entfärbt sah man den Purpursamt nun bleichen,
Und wüst entstellt die reichen
Wahrzeichen hingeschwund'ner Herrlichkeiten!
"Soll ich die Stätte, die Du siehst, Dir nennen?" —
So sprach der Geist — "daß Du sie magst erkennen,
Und dieses Grabes Zeichen hier Dir deuten?" —
'O, sprich nicht weiter!' rief ich, und ein Schauer
Durchfuhr mein Herz, und kaum gewagte Trauer!

26.
So tret' ich hier die Erde, wo zu Staube
Zerfallen sollt' dein moderndes Gebeine,
Du, dem die Welt am Boden einst gezittert?! —
Nichts blieb dir übrig von der Hoheit Scheine;
Was du besessen, ward der Zeit zum Raube,
Der Purpur, der dich deckte, ist verwittert,
Die Kronen sind zersplittert,
Der Lorbeer selbst vom Himmelsstrahl entzündet! —
Das Schwert allein, das blutige, blieb liegen
Auf deinem Sarg, den rauhe Stürme wiegen
Auf diesem Keil, im öden Meer gegründet!
Verlassen liegst du hier, einsam begraben,
Kein Auge weint!— Soll  n i c h t s  geliebt dich haben? —

27.
Und als den schweren Abschied von dem Leben
Die Seele nimmt, nach Jenseits auf der Reise,
Da, wer am Lager stehe von den Deinen,
Willst du erspäh'n und blickst umher im Kreise!
Von Allen, denen Kronen du gegeben,
Von ihnen Allen sahst, Verlassner, Keinen
Du jetzt bei dir erscheinen,
Nun Glanz und Hoheit von dir abgefallen! —
Da trat die letzte Träne dir in's Auge
Und netzt' es, als sich's schloß, mit bitt'rer Lauge,
Die Seele störend im Hinüberwallen;
Es fassen Fremde deine Hand' und legen
Sie auf der Brust in's Kreuz! — Wer spricht den Segen?

28.
"Du sagst, daß Niemand eine Trän' ihm zollte,
Und unbeweint der Tote sei geschieden,
Und doch seh' ich Dein eig'nes Aug' sich feuchten?
Doch rufst Du Hohn nicht über ihn, nein, Frieden?
Er, dem die Menschheit unversöhnbar grollte,
Den ihre Flüche bis hierher verscheuchten,
Er macht in Wehmut leuchten
Dein Angesicht?" — hört' ich den Geist mich fragen:
"Wie kommt es denn, daß Deine schwache Stimme
Heraus tönt, segnend, aus dem Chor voll Grimme,
Den laut der Schall weit durch die Welt getragen?
Wenn Dich sein Leben, Schwacher, hat geblendet.
Vergiß das Eine nicht — wie er geendet!" —

29.
Weil mich die Welt an dieses Toten Stätte
Anekelt, die erbärmliche, gemeine!
Denn wie Gewürm ist sie vor ihm gekrochen,
Als er noch lebte in des Glückes Scheine!
Da, um die reichen Schätze Peru's hätte
Kein Mund ein lautes Wörtlein nur gesprochen;
Doch nun sein Glanz gebrochen,
Nun drängen sie hervor sich um die Wette,
Und speien Hohn und Schmach aus auf die Manen
Des alten, hingeschmetterten Titanen,
Sie, die zum Prunk getragen seine Kette!
Ihn hassen war erlaubt, ohnmächt'ge Rotte,
Doch viel zu hoch gestellt war er dem Spotte.*

*Der Dichter spricht hier von den Wust von Karikaturen und
Schmähschriften, die über Napoleon kursierten.


30.
Ein Wetter — sprach ich — daß die Welt sich reine,
Ward er vom ew'gen Throne hergesendet,
Und wohl zu kennen war's, wem er ein Bote!
Drum sollen, auf die Erde hingewendet
Das Antlitz, betend knien im Vereine,
Die ihm gezittert, als im Flammenrote
Von Gottes Zorn er drohte!
Denn bis die Hand, mächt'ger als Menschenhände,
Dahin ihn streckte, sie, die ihn gerufen,
Nicht eher sank er von der Hoheit Stufen;
Wir aber prahlen nun mit seinem Ende! —
In Waffen bin ich gegen ihn gestanden,
Drum mocht' ich ihn nicht schmäh'n, als er in Banden!

31.
Und ab brach ich ein Reis vom Lorbeerbaume
Und barg's an meiner Brust zum Angedenken.
'O, führe weiter mich, o, komm von hinnen,' —
Rief ich dem Geiste, — 'laß den Flug uns lenken
Aus diesem allzutränenwerten Raume!
Denn was ist wert noch Mitleid zu gewinnen,
Wert, daß ihm Tränen rinnen,
Ist's nicht der Blick auf Jene, die gesunken
Dem Arm der Rachegötter, weil, vermessen,
Sie der gemeinen Sterblichkeit vergessen,
Vom Übermute eig'ner Größe trunken?!
Führ' mich von hier, fort in die fernste Ferne,
Fort von der Asche ausgebrannter Sterne! —

32.
Nicht die den blut'gen Kriegsruhm sich erbeutet,
Will ich mehr schau'n, ich will sie nicht mehr preisen;
Zu viele Tränen hängen an dem Kranze!
Wer möchte wandeln auf so blut'gen Gleisen,
Wo alle Segensblüten ausgereutet,
Zertreten sind im rauhen Kriegestanze!
Mir graut vor diesem Glanze,
Vor dieser dunklen, wilden Flammenröte!
Genug des Jammers drückt die trübe Erde,
Zeit ist's, daß endlich ihr der Friede werde,
Zeit, daß man segne und nicht fürder töte!
Verbergt das Schwert, die Palmen lasset wehen!
Fort mit dem Kranz — ich mag ihn nicht mehr sehen.

33.
Die laß mich preisen, die der Welt nicht achten,
Und mitten im Getümmel einsam stehen;
Die nichts vernehmen von der Stürme Grauen,
Und nur nach einem süßen Sterne sehen;
Nur immer ihn, und wieder ihn betrachten,
Ob auch, unzählig, in dem dunkelblauen
Azur der Himmelsauen
Die goldnen Lichter auf und nieder wogen.
O, Toren, die nach and'rem Glücke rennen!
Zwei Herzen, die sich finden und erkennen,
Vier Lippen aneinander fest gesogen,
Vier Arme, die sich wonnevoll umstricken,
Was And'res braucht's zum seligsten Entzücken?

34.
Auf, hehrer Geist! — O, all' die hohen Wonnen,
Sie, die kein Mund, nur Tränen können loben,
Zeig' sie mir ein Mal nur, und wär's im Traume!
Laß mich, vom Strahl der Sehnsucht neu umwoben,
Noch ein Mal schöpfen der Erinn'rung Bronnen;
Den Becher leeren mit dem Perlenschaume!
Daß im geweihten Raume
Ich wandle mit den hohen Liebespaaren,
Mit ihnen schwelg' an ihren Göttermahlen,
Mit ihnen trink' aus goldenen Pokalen,
Laß mich den Rausch der Himmlischen erfahren!
Wirf Alles fort, o Herz, all' and'res Streben,
Für einen Pulsschlag nur von solchem Leben.'

Canzonen IV.

35.
"Schließ' Deine Augen!" rief der Geist! Und wieder
Entrafft' er mich, und trug mich durch die Lüfte
Den weiten Weg zurück, den wir genommen;
Tief unter mir die aufgeriss'nen Klüfte
Der grauen Flut! — Wie auf des Aar's Gefieder
War ich entlang dem Mittelmeer geschwommen
Im Wolkenzug. — Gekommen
War nun die Küste Frankreichs, bunt bekränzet,
Sie, die von Öle triefet, und im Laube
Der Reb'gewinde würzt die Moschustraube,
Vom wolkenlosen Himmel stets beglänzet;
Unfern der Mündung, wo der Rhone Wellen,
Die berggebornen, sich dem Meer gesellen.

36.
Ein Diamant im hellen, goldnen Schilde;
Erglänzet Avignon mit seinen Türmen,
Und, blütenduftend, liegt wie Götterauen,
Von Wettern niemals heimgesucht und Stürmen,
Rings um die Stadt das selige Gefilde;
Sie, eine Jungfrau, reizend anzuschauen,
Ruht lächelnd an dem blauen
Wasser der Rhone! Hell spinnt ihr zur Seiten
Die Sorgue sich, die Königin der Quellen,
Und der Durance anmutreiche Wellen
Sieht man durch dunkle Lorbeerbüsche gleiten.
Ihr hundert Burgen, bunte Edelsteine —
Vaucluse — sei mir gegrüßt im Rosenscheine!

37.
"Sieh jenes graue Münchenkloster ragen" —
Sprach jetzt der Geist, - "von Sankt Franciscus Orden -
Siehst Du's, dort mit dem Turm? Das ist die Stelle,
Wo  L a u r a,  die ein Stern der Liebe worden,
Der herglänzt hell aus den vergang'nen Tagen,
Die Ruh'statt fand in dunkeler Kapelle;
Vor des Altares Schwelle
Liegt sie, entrafft den irdischen Beschwerden." —
Von ihrem Namen tönten alle Zungen,
Ein König selbst hat ihr zum Preis gesungen!*
So lang' noch Liebe wandelnd gebt auf Erden,
So lang',  P e t r a r c a,  klingen deine Lieder
Aus jeder Brust, ein süßes Echo, wieder!

*Als der König von Frankreich, Franz I., auf einer Reise nach
Marseille durch Avignon kam, besuchte er Lauras Grab,
er befahl, dass für sie ein neues prächtigeres Grabmahl errichtet
werden sollte.


38.
O selig Paar, wohl wert, daß man dich neide!
Wie, wer den Berg erstieg, tief in den Talen
Die Wolken schaut, indes sein Haupt im hehren
Lichte des Äthers glänzt, von goldnen Strahlen:
So standet auf des Lebenshöh'n Ihr Beide,
Tief unter Euch das irdische Verkehren!
Ihr mochtet nicht begehren
All jenen Tand, nach dem die Toren trachten,
Gehäufte Schätze, Macht, die zu erstreben
Die Spanne Leben wir vergeudend geben,
Den eitlen Glast, Ihr durftet ihn verachten!
Umschlungen glänztet Ihr im Kern der Sonne,
Hoch über Nebeln trüber Erdenwonne!

39.
Und dennoch sag' ich Dir, daß mehr der Tränen
Geflossen sind aus Laura's süßen Augen,
Mehr Vipern an Petrarca's Brust gehangen,
Die Ströme seines Blutes d'raus zu saugen,
Ihn zu zerfleischen mit den gift'gen Zähnen,
Als je genetzet zarte Rosenwangen,
Je eine Brust umschlangen!
Der Tag des heil'gen Leidens war gekommen,
Als sie zum ersten Mal sich sah'n und fanden;
Aus einer Liebe jenes Tag's entstanden,
Wie wäre da nicht bald die Qual entglommen?
Ja, solch ein Band, gestählt in Lust und Schmerzen,
Es kann nicht früher brechen als die Herzen! —

40.
Und doch geschah's, viel eher als sie starben! —
Von jener Flamm' ist Asche nur geblieben;
Es hat das kurze Sein nicht überdauert,
Was doch unsterblich, ewig schien, ihr Lieben!
Die tiefen Wunden heilten, wurden Narben;
Der Ihn einst selbst zum Sterben hätt' durchschauert,
Ihr Tod, ward mild betrauert,
Und ander'm Reiz das Auge zugewendet! —
Und dieser Rausch, Wahnsinn so lang' er währet,
Durch Eures Blutes Wallungen genähret,
Der, wenn er nicht mehr wächst auch schon geendet,
Der, meinst Du, sei des Lebens höchste Krone?" —
So sprach der Geist, mit Mitleid halb und Hohne!

41.
Und wohl Euch, wenn's so ist! Wenn mit der Helle
Des Tages, die unmerklich nur verschwindet,
Der Blumenkelch sich schließt, der Glanz verblühet,
Der Ton verhallt, und so die Nacht sich findet,
Die Ruh' uns bringt! Wenn allgemach die Welle
Des Glutmeers, das den Himmelsraum durchsprühet,
In tiefrem Rot verglühet,
Und aus der Röte sich die Schatten weben
Zu immer dicht'rer, farbenlos'rer Hülle;
Bis der Bewegung, der Gestalten Fülle
Mit Finsternis unkenntlich sie umgeben!
Wohl, wenn's so ist, Ihr nicht den Taumel mehret,
Und frischen Trank zu neuem Rausch begehret! —

42.
O, hütet Euch, setzt ihn nicht an die Lippen,
Den giftigen, verhängnisvollen Becher!
Ihr wißt nicht, was Ihr trinkt! o, setzt ihn nieder!
Ihr wähnt umsonst, Ihr unglücksel'gen Zecher,
Von seinem Rande Seligkeit zu nippen!
Schon ras't Ihr, und der Parzen grause Lieder
Tönt Euer Wahnsinn wieder! —
Nicht immer hat sich Liebe selbst verzehret,
Verglimmend, ruhig, wie der Kerze Flimmer,
Die um so schneller lischt, als hell ihr Schimmer;
Weit öfter hat sie Euch als sich zerstöret,
Wenn, wie die Gaben, die Medea sandte,
Ihr unheilvoll Geschenk' zur Flamm' entbrannte! —


Canzonen V.

43.
Und wieder weiter zogen wir, zur Linken
Die Rhone lassend und die weiten Strecken,
Die sie durchzieht, wenn von des Gotthards Schwelle,
Den nie geschmolz'ne Schneelawinen decken,
Sie herrauscht, um im See dort zu versinken,
Den Milch der Gletscher füllt mit klarer Welle;
Bis sie mit neuer Schnelle,
Sich ihm entringend, niederstürzt zum Meere! —
Zur Rechten aber, an den Apenninen,
Die wie von Rosen aufgetürmet schienen,
Lag Genua, die königliche, hehre,
Im Golf gebadet der ligust'schen Wogen,
Mit unnennbarer Pracht, in weitem Bogen! —

44.
Wir aber zogen mitten innen weiter,
Hindurch die Alpen, wo der Po entspringet,
Und durch der Erde anmutreichste Auen
Sich wie ein silberklarer Faden schlinget. —
Vor unsern Blicken, wolkenlos und heiter,
War, eingehägt von dem Gebirg, dem rauhen,
Die Lombardei zu schauen;
Ein Paradies, das sich dem Aug' erschließet!
Wo alle Reize sich und alle Wonnen
In wollustvollem Übermute sonnen,
Die Sprache üppig wie Gesänge fließet!
Dies Land durchzogen wir, dem keines gleichet.
Bis wir auf's neu' die Alpen fast erreichet.

45.
"Nach jener alten Stadt, die sich erhebet
Im ebnen Tal, am Fuß der Bergesreihen,
Der julischen, die rings die Grenz' umgehen
Vom Land Tirol, dem allezeit getreuen;
Am schnellen Strom der Etsch, der feurig strebet,
Den Garten von Italien zu sehen!
Hin, wo die Trümmer stehen
Der hohen Römerwelt, daß uns'rer Tage
Ohnmacht an ihrer Größe sich beweise,
Hin nach  V e r o n a  lenken wir die Reise. —
Dort zeig' ein Grab ich Dir, wohl wert der Klage,
Und  R o m e o's  und  J u l i a's  Geschicke,
Sie mögen reden Dir vom Liebesglücke!

46.
Zwei Wesen, in der Jugend Maienkleide,
Begegnen sich zur unheilvollen Stunde;
Noch hat ihr Mund sein Schweigen nicht gebrochen,
Und dennoch steh'n die Herzen schon im Bunde!
Die stummen Lippen schwören Liebeseide,
Das Auge hört, was klanglos sie gesprochen,
Die Busen wogen, pochen,
Die Tränen glänzen, und die Seelen fließen
Im Strome über neu entstand'ner Wonnen,
Und halten unzertrennbar sich umsponnen,
Eh' noch die Arme sehnend sich umschließen!
Doch wie im ersten Kuß sie sich umfangen,
Berührt des Todes Atem ihre Wangen! —

47.
Zu Haß und Grimm erzeuget und entflammet,
Sind sie bestimmt, den alten Groll zu hegen,
Der Eltern bitt're Feindschaft zu vererben! —
Fluch! ruft dir Kapulet, wärst du verwegen,
Ein Montagu, du, seinem Feind entstammet,
Um Julia's Liebe, Romeo, zu werben?
Eh' müßte Julia sterben,
Eh' Montagu sie seine Tochter nennet! —
Doch jene, unbekümmert, welche Räume
Sich zwischen sie gestellt und ihre Träume,
Sie achten nicht den Wahnsinn, der sie trennet,
Da Wahnsinn, der viel süßer ihnen scheinet,
Sie schon bei'm ersten holden Blick vereinet! —

48.
Die Erstlingsblüten selig abzupflücken,
Seh'n zu geheimer Ehe wir sie eilen!
O süß umschlingen, wonnevolles Beben,
O holde Lippen, die den Atem teilen,
Beglückter Liebe ungeahn't Entzücken! —
So weinen, überfüllt von Saft und Leben,
Im Mai die brünst'gen Reben,
Wie Jen' in wollustvollen Tränen walten!
Wie strömt Entzücken Euch aus tausend Quellen,
Ihr fühlt das Herz Euch übermächtig schwellen,
Kaum in der Brust vermögt Ihr es zu halten!
In alle Lüfte möchtet Ihr sie rufen
Die Seligkeit, die Lieb' und Stille schufen! —

49.
Da wandelt das Geschick mit arger Tücke
Die heit're Szene der verborg'nen Wonne;
Die Stürme, die geschlafen, sind erwachet,
Und Dunkel webet dicht sich um die Sonne
Von ihrem kaum entglomm'nen Liebesglücke!
Der alte Haß ist wieder angefachet
Und seine Furie lachet
Der Zärtlichkeit, die ihre Herzen bindet!
Umsonst seh'n Julia, ihrer Wut zu wehren.
Wir jenen schaudervollen Becher leeren,
Scheinbaren Todes! Ach, zu bald nur findet
Den wahren sie, den Romeo erwählet,
Und dem sie selbst, verzweifelnd, sich vermählet!

50.
Sieh hier in Einem Grabe sie gesellet!"
So sprach der Geist: — Das ist das Los auf Erden,
Das wir der Liebe aufbewahret sehen! —
Gebrochen muß der Baum vom Sturme werden,
Und wird er's nicht, so schau'n wir bald entstellet,
Vertrocknet, laublos seine Wipfel stehen!
Vergessen und Vergehen!
Das ist ihr Ende! Steht sie voll in Ähren,
Kommt sie der Tod zu mäh'n; wo nicht, zerstäubet
Sie allgemach, daß kaum die Hülse bleibet;
Der Boden will den Kern nicht fürder nähren!
Doch welche Frist auch immer ihr beschieden,
Stets währ't sie viel zu lang' für Euern Frieden! —

51.
'Mißgünstiger Geist! warum willst Du mich höhnen?
Warum' — antwortet' ich, — 'willst Du mir rauben,
Was mich beglückt, was mir die Welt geschmücket,
Was in mir lebte wandellos: den Glauben
An jene Gaben, die das Sein verschönen? —
Und wär' es so, hätt' uns ein Wahn berücket,
Phantome uns entzücket:
Ein Glück doch lebt, lebt, weil's, bewußtes Träumen,
Entbehren kann, was ist; weil, vielgestaltet,
Es Schein und Wahrheit bindet und entfaltet,
Die Erd' emporhebt zu den Himmelsräumen,
Und mit allmächt'gem, schöpferischem Werde
Den Himmel jauchzend niederführt zur Erde!

52.
Unscheinbar Saitenspiel, einfache Lieder,
Die ihm enthallen, anspruchlose Töne,
Ihr sollt nicht leben in dem Mund der Zeiten,
Gleich denen jener Priester der Kamöne,
Die, wie die ew'gen Sterne, auf und nieder
Durch kommende Äonen werden schreiten!
Und doch, ihr schwachen Saiten,
Hör' ich euch oft im Lebenssturme rauschen,
Gleich Schwänen, die in stillem Frieden schwimmen,
Ob auch die Woge schäumt, Orkan' ergrimmen!
Um welche Gabe möcht' ich euch vertauschen?
Wie David' s Harfe fremden Schmerz bezwungen,
Seid meinem eig'nen tröstend ihr erklungen!' —

53.
"Vielleicht auch nicht! — Wer weiß es zu entscheiden;" —
Begann der Geist mir, höhnend, zu erwiedern—
"Ob mehr ein Glück, ob mehr noch Qual zu nennen,
Was oft gewehet in der Sänger Liedern?
Begeist'rung ist ein Born von herben Leiden,
Obwohl von edlen nur, ich will's bekennen! —
Wie Phaeton's Rosse rennen,
Die er, zu schwach, vergebens sucht zu zügeln,
Führt Euch, entfesselt, auf bahnlosen Wegen,
Die Phantasie dem Abgrund oft entgegen,
Die himmelwärts Ihr meintet zu beflügeln.
Auf laß' uns seh'n, wie solche Geister enden,
Und hin zum Weichbild  R o m' s die Reise wenden!" —